Читать книгу Sex, Magie und Nusslikör - Sylvia Reim - Страница 6

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Kapitel 1

Mein Herz hämmerte wild gegen meine Rippen und eine Extraladung Adrenalin schoss durch mein Blut. Ich rannte, als ob der hinkende Teufel und ein paar Dutzend stinkender Höllenhunde hinter mir her wären, doch es würde nichts nützen. Ich würde zu spät kommen. Dabei riss unsere Chefredakteurin einem üblicherweise den Kopf ab, wenn das irgendwer wagte. Für mich ein guter Grund zu versuchen, immer pünktlich zu sein, was mir allerdings seltsamerweise mehrmals die Woche nicht gelang. Ich lebte daher in der ständigen Angst, demnächst einen Kopf kürzer gemacht zu werden, was bei einer Größe von einsfünfundsechzig kein angenehmes Gefühl war. Ich hatte da nun wirklich keinen Zentimeter zu verschenken.

Panisch starrte ich auf mein Handy: noch zwei Minuten. Ich hastete weiter, meine Tasche fest an mich gepresst. Um eine Minute vor neun stand ich endlich vor der gläsernen Eingangstür unseres Senders, riss das knarrende Ding mit Schwung auf und sprintete in olympiareifem Tempo weiter zum Konferenzraum, der ärgerlicherweise am anderen Ende des mit rutschigen Fliesen ausgelegten Ganges lag. Obwohl ich mich gerne leise wie Häuptling Nackte Sohle hineingeschlichen hätte, hörte man mich schon von Weitem laut mit meinen Absätzen klappern. Um Punkt zwei Minuten nach neun war ich da.

Die alltägliche Morgensitzung hatte natürlich schon begonnen. Chefredakteurin Dora warf mir mit hochgezogenen Augenbrauen einen dermaßen vernichtenden Blick zu, dass sensiblere Gemüter auf der Stelle einen veritablen Heulanfall bekommen hätten. Hastig senkte ich den Kopf und ließ dabei unauffällig einen Haarschleier vor meine Augen fallen, um ihrem alles versteinernden Medusa-Blick zu entgehen. Es genügte völlig, mir ihre Missbilligung vorzustellen, während ich mich an den feixenden Kollegen vorbei zum letzten freien Sessel durchkämpfte, mich ziemlich unelegant darauf fallen ließ und dabei versuchte, nicht wie ein Marathonläufer auf seinen letzten zehn Metern zu keuchen.

Georg, unser Nachrichtenredakteur, hatte einen Stapel an Zetteln vor sich liegen und las eben vor, was die Nachrichtenlage heute so zu bieten hatte. Nichts Dramatisches, was eigentlich für die gesamte Menschheit gut war, aber nicht für Nachrichtenleute, bei denen ein Tag ohne Mord und Totschlag als öd und leer galt. Georg schloss seinen kurzen Vortrag mit der Meldung, dass er ab morgen auf Urlaub gehe und ihm so und so alles egal sei, womit er sich prompt einen giftigen Blick von Dora einhandelte.

„Die eine kommt zu spät, den anderen interessiert seine Arbeit nicht. Tut euch das trübe Wetter nicht gut, oder was ist mit euch los?“, knurrte sie und sortierte kopfschüttelnd die vor ihr liegenden Pressemitteilungen. „Also gut, wen schicke ich heute wohin?“ Sie sammelte sich kurz und begann dann damit, die Reporterjobs zu verteilen.

Kerstin musste zu Greenpeace, die gaben eine Pressekonferenz, weil in der Karibik Tanker unterwegs waren, die Tonnen von Öl zu verlieren drohten. Marvin bekam den Auftrag, zu einer Firma zu fahren, die eine neue Studie über Katzenhaarallergien in Auftrag gegeben hatte, was er mit einem Murren quittierte, weil er mit diesem Thema den Pulitzer-Preis aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ergattern würde. So ging es weiter, bis alle einen Auftrag hatten und nur noch ich übrig war.

„Und du, Helena, gehst in ein Buchgeschäft und machst eine Reportage über die Neuerscheinungen in diesem Frühjahr.“

Bücher, toll! Der Job war ja supereasy; entspannt lehnte ich mich zurück. Als wahrer Bücherfreak kannte ich mich gut aus und schaute auch regelmäßig, was denn Neues am Markt erschien.

Dora sah mich eindringlich an und hatte dabei wieder ihre sorgfältig gezupften Augenbrauen hochgezogen, zum Zeichen dass sie keineswegs vergessen hatte, dass ich zu spät gekommen war und ich damit fix einen schwarzen Punkt in ihrer imaginären Minusliste hatte. „Beeile dich aber, ich brauche dich um elf Uhr wieder hier im Sender!“

Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen, doch der Himmel zeigte sich immer noch in einem bedrohlichen Schwarz; die Regenpause würde nicht sehr lange anhalten. Sofort als ich vor die Tür trat, war mir klar, wie falsch ich für diesen Regentag angezogen war: mein kirschrotes Jäckchen war zu dünn, der schwarz-weiß karierte Rock zu kurz und meine Schuhe zwar topmodisch, aber zu hoch und mächtig unbequem, und um die Sache perfekt abzurunden, hatte ich natürlich auch keinen Schirm dabei. Ich würde also beim nächsten Regenguss bis auf die Unterwäsche nass werden. Eigentlich brauchte ich ja nur unsere Wetterfrösche im Sender zu fragen, wie es denn werden würde, oder auch einfach nur unserem Programm zuzuhören – wir brachten immerhin halbstündlich das Wetter. Aber nein, ich hatte selbstverständlich nicht zugehört. Verärgert über meine eigene Dummheit zog ich den Schlüssel aus den Untiefen meiner Handtasche und lief zum Auto.

Ich wusste sofort, zu welcher Buchhandlung ich fahren wollte. Sie lag nicht weit von unserem Radiosender entfernt in der Wiener Innenstadt und ich ging häufig dorthin, um die neuesten Bücher zu kaufen oder auch einfach nur zu stöbern. Bereits nach wenigen Minuten suchte ich einen Parkplatz, was sich allerdings als nicht so einfach herausstellte, da auch jede noch so winzige Lücke zugeparkt war. Erst nachdem ich gut ein Dutzend Mal um den Block gefahren war und meine Nerven bereits vor lauter Frust vibrierten, konnte ich meinen Mini in eine Lücke in der Größe einer Cupcakes-Schachtel zwängen, aus der ich ohne Hilfe eines Krans nie wieder herauskommen würde. Als ich ausstieg, klatschten mir bereits die ersten fetten Regentropfen auf die Nase.

So schnell ich konnte, flitzte ich in Richtung Buchhandlung, nur um abrupt davor stehen zu bleiben. Was war das denn? An der Tür hing ein mit schwarzem Filzstift handgeschriebenes Schild mit der etwas schief geratenen Aufschrift „Wegen Renovierung geschlossen. Wir freuen uns ab Mitte Juni auf ihren werten Besuch!“

So ein Mist! Auf meinen werten Besuch mussten sie wohl verzichten, Dora würde wohl kaum einen Monat auf meine Reportage warten. Unentschlossen drehte ich mich um mich selbst. Was nun? Ich brauchte dringend eine andere Buchhandlung, möglichst in der Nähe. Es regnete mittlerweile heftig und ich hatte weder Lust, nass wie ein Goldfisch im Gurkenglas zu werden, noch abermals ewig Parkplatz zu suchen. Zudem wurden meine mühsam geglätteten Haare immer nasser und damit lockiger, was meine Stimmung definitiv nicht verbesserte. Hektisch suchte ich die Häuserreihe vor mir nach einer Lösung ab. Nichts, kein Buchgeschäft.

Missmutig hielt ich mir meine heiß geliebte Furla-Tasche über den Kopf, um ein Lockenhaar-Fiasko vielleicht doch noch irgendwie abzuwenden, und begann in Richtung Parkplatz zu laufen. Auf dem halben Weg zurück, während ich darauf achtete, jeden noch so kleinen Dachvorsprung zu nutzen, der ein bisschen Schutz vor dem strömenden Regen bot, fiel mein Blick in eine Auslage. Jäh bremste ich meinen rasanten Lauf ab. Bücher! Ich warf den Kopf in den Nacken, um das Schild lesen zu können. „Mertenburg und Sohn“ stand dort in goldenen, verschlungenen Lettern zu lesen. Eigenartig, nie zuvor war mir diese Buchhandlung aufgefallen, wo ich doch schon so oft diese Straße entlang gegangen war. Ich stutzte kurz, doch schließlich war es mir egal, Hauptsache ich konnte dem Regen entfliehen und endlich mit meiner Reportage beginnen.

Ich öffnete die schwere, mit Messingbeschlägen umrahmte Glastür und stand in einem nicht sehr großen, hohen Raum. Plötzlich kam es mir vor, als wäre ich in eine andere Welt eingetreten. Alle Außengeräusche waren verschwunden, es war absolut still. Ich sah mich um. Der düstere Raum war voll mit massiven Regalen aus dunklem Holz, die bis zur Decke ragten, alle vollgestellt mit Büchern. Am Ende des Raumes war eine Treppe, die zu einer Galerie führte, und auch auf dieser waren Dutzende Regale gefüllt mit Büchern. Vor mir standen einige mit Büchern beladene Tische. Schließlich entdeckte ich am Ende des Raumes einen Schreibtisch, der mit einer kleinen Lampe beleuchtet war. Über ein dickes Buch gebeugt saß ein Mann und sah mich an.

„Kann ich Ihnen helfen?“

Er hatte eine sehr angenehme Stimme. Seit ich beim Radio arbeitete, achtete ich ganz besonders darauf, wie jemand klang.

„Hallo, ich bin Helena Herz. Ich bin von Radio FM Sunshine und ich würde gerne mit Ihnen über die Neuerscheinungen plaudern. Ich hätte da gerne eine Reportage gemacht.“

„Wir führen keine neuen Bücher.“

Erst da sah ich mich etwas genauer um. Die Bücher sahen alt und gebraucht aus, was nicht einmal den Hauch eines Zweifels daran ließ, dass ich in einem Antiquariat gelandet war. Verzagt warf ich einen Blick nach draußen, wo es immer noch in Strömen goss. Ich war bereits pudelnass und meine schwarzen Pumps gaben bei jedem Schritt eigenartig schmatzende Geräusche von sich. Meine Lust, wieder rauszugehen, um erneut eine Buchhandlung zu suchen, tendierte gegen Null.

„Bitte! Sie kennen sich doch garantiert auch bei Neuerscheinungen aus!“ Ich versuchte es mit meinem charmantesten Lächeln. „Ich möchte nicht wieder in den Regen hinaus, Sie müssen mich retten.“

Er legte bedächtig seinen Stift zur Seite, stand auf und kam auf mich zu.

In diesem Moment blieb mir der Mund offen stehen. Noch nie, niemals in meinem bisherigen Leben, hatte ich einen so gut aussehenden Mann gesehen. Er war mittelgroß, schlank und hatte dunkles, kurzes Haar, das so gewissenhaft frisiert aussah, als würde er geradewegs vom Friseur kommen. Dazu trug er einen Anzug, der nach Armani oder einem anderen Superdesigner aussah, so perfekt passte er. Als er knapp vor mir stand, erinnerte ich mich daran, dass es vielleicht nicht so gut aussah, wenn ich den Mund offen hatte. Ich schloss ihn rasch.

„Also, ich brauche das Interview und ich habe keine Zeit mehr, um irgendwo anders hin zu fahren. Außerdem regnet es und ich habe keinen Schirm. Sie sind meine letzte Hoffnung!“. Das war zwar vielleicht eine Idee zu dick aufgetragen, aber ich wollte dieses Interview, ich brauchte dieses Interview geradezu. „Sie kennen sich doch garantiert auch mit neuen Büchern aus. Sie müssen auch gar nicht zu sehr ins Detail gehen, nur in groben Zügen das Buch vorstellen.“

Aufmerksam sah er mich an. Seine Augen waren tiefdunkel und seine Haut auffällig blass, was einen interessanten Kontrast ergab. Ich musste mich daran erinnern, nicht wieder mit offenem Mund dazustehen.

„Da ist wohl jemand besonders hartnäckig“, sagte er mit dem Anflug eines Lächelns, „aber ich kenne mich mit neuen Büchern wirklich nicht besonders gut aus.“

Jetzt blieb mir nur noch Trick Nummer eins: Ich klimperte mit meinen langen dunklen Wimpern, nur gerade so viel, dass es eine Winzigkeit verzweifelt aussah, was beinahe immer wirkte.

Er blickte mich vielsagend an. „Sie versuchen es wohl mit allen Mitteln.“

Wie ärgerlich, ich war durchschaut! Eine stechende Woge aus alles durchdringender Peinlichkeit durchfuhr mich. Allerdings brauchte ich das Interview tatsächlich.

„Ich verliere sonst meinen Job!“, stieß ich hervor.

Er legte den Kopf schief. „Könnte es sein, dass Sie ein wenig übertreiben?“

„Nein, sicher nicht“, murmelte ich etwas beschämt. Vielleicht hatte ich ja tatsächlich zu dick aufgetragen. Normalerweise war ich eine verflucht emanzipierte Frau, die es nicht nötig hatte, zu solch billigen Tricks zu greifen. Aber ich wollte dieses Interview, und was ich unerklärlicherweise noch viel mehr wollte – und das war mir nach diesen wenigen Sekunden so klar wie nur weniges in meinem Leben – war, ihn unbedingt länger ansehen, und dafür war mir unangenehmerweise jedes Mittel recht.

Mit einem leisen Seufzen sah er auf die Uhr.

„Okay, ich sperre hier um 17 Uhr zu. Wir könnten uns vis-à-vis im Café Max treffen. Vielleicht kann ich Ihnen ja das eine oder andere zu neuen Büchern sagen.“

Irgendwie hatte ich das äußerst unerfreuliche Gefühl, er wollte mich einfach nur draußen haben. Nun hätte ich darauf sagen sollen: Hallo, ich bin vom Radio und nicht von einem Monatsmagazin! Das heißt, ich brauche die Aufnahme sofort, jetzt, sonst geht die Welt unter! Aber in diesem Moment war mir das komplett egal. Ich wusste, unsere Chefredakteurin würde mich für völlig blöde halten, so ein Miniinterview auf den Abend zu verschieben, aber es war mir gleichgültig. Ich musste diesen Mann wiedersehen.

Wie erwartet gab es ziemlichen Ärger im Sender.

„Sag mal, geht es dir noch gut?“ Dora hatte ihre schmale Goldrandbrille auf der Nasenspitze sitzen und sah mich zornig an. Sie war die meiste Zeit eine ausgesprochen freundliche Person, nur wenn es darum ging, dass Aufgaben nicht bestmöglich erledigt wurden, verstand sie überhaupt keinen Spaß, und das war jetzt gerade so ein Fall. Diese Reportage hätte für mich ein Klacks sein sollen, und ich kam daher und stammelte etwas von wegen ich hätte einen sensationellen Interviewpartner gefunden, der halt bedauerlicherweise erst am Abend für das Gespräch Zeit hatte.

Sie schüttelte missmutig ihren roten Pagenkopf. „Okay, mach’ wie du glaubst. Aber wenn die Reportage morgen nicht wirklich ausgezeichnet ist, gibt es Ärger. Eigentlich wollte ich die Geschichte heute schon On-Air laufen lassen.“

Hoch und heilig versprach ich ihr, ich würde morgen die beste Arbeit aller Zeiten abliefern, was sie mit einem düsteren Brummen zur Kenntnis nahm, das alles andere als begeistert klang.

Der Tag zog sich unendlich. Unerträglich langsam tropften die Stunden dahin. Warum war ich eigentlich so nervös? Nur wegen dieses Mannes, nur weil er der mit Abstand coolste Mann war, dem ich je begegnet war? Aufgeregt wie ein Huhn vor ihrem morgendlichen Ei wuselte ich ziellos durch die Redaktion und brachte nichts zustande, außer meinen Kollegen dermaßen auf die Nerven zu gehen, dass ich mich schließlich freiwillig meldete, um vom Kaffeehaus gegenüber eine Ladung Espresso für alle zu holen.

Endlich war es knapp vor Dienstschluss. Eilig lief ich in unsere winzige Sendertoilette, um mein Aussehen einer generalstabsmäßigen Kontrolle zu unterziehen. Ich starrte kritisch in den winzigen, an den Ecken schon blinden Spiegel. Meine Haut war vielleicht ein wenig blass, aber viel Farbe hatte ich nie. Ich zog den dunklen Kajalstrich nach, gab ein paar Tupfer Gloss auf die Lippen und fuhr mir durch das Haar. Meine blauen Augen sahen groß aus, meine Lippen glänzend und meine Haare waren – nun ja – lockig. Jeden Morgen stand ich stundenlang vor dem Badezimmerspiegel, um meine widerspenstigen dunkelbraunen Haare zu glätten. Es war mir völlig schleierhaft, warum ich mir das antat, wo sie sich so sicher wie das Amen im Gebet doch spätestens nach ein paar Stunden wieder zu kringeln begannen. Ich zupfte daran herum und gab es schließlich missmutig auf, da war leider nichts mehr zu retten. Auch meine Bluse hatte nach dem überstandenen Regenguss gelitten und sah so knautschig und knittrig aus, als hätte ich mich wochenlang damit schlaflos im Bett gewälzt. Sehnsüchtig dachte ich an die türkisfarbene Bluse mit zarten Silberfäden, die ich mir letzte Woche gekauft hatte. Wie gerne wäre ich einen Rutsch nach Hause gefahren, um mich dort umzuziehen und mich vielleicht ein klein wenig aufzutakeln, aber daran war überhaupt nicht zu denken, dafür reichte die Zeit nie und nimmer.

Mit nervösem Flattern im Magen machte ich mich auf in Richtung Café Max und fand zu meiner Überraschung sofort einen Parkplatz direkt vor dem Lokal. Um nicht zu früh da zu sein, blieb ich noch einen Augenblick im Auto sitzen. Mit einer mir sonst unbekannten Nervosität trommelte ich mit den Fingern auf das Lenkrad und starrte gebannt auf den Minutenzeiger meiner Uhr. Schließlich atmete ich ein paar Mal ordentlich aus und ein, packte das Aufnahmegerät und meine Handtasche und stieg aus.

Sofort als ich in das alte Café eintrat, wurde ich von diesem so typischen Wiener Kaffeehausgeruch eingehüllt, einer Mischung aus geröstetem Kaffee, Rauch und abgestandener Luft. Ach, wie ich diesen Geruch liebte, ich war geradezu süchtig danach! Ich inhalierte ein paar kräftige Züge, bevor ich mich umschaute. Es war gesteckt voll, beinahe an allen Kaffeehaustischchen saßen quatschende Menschen und dementsprechend laut war das Stimmengewirr, das ringsum herrschte.

Schließlich entdeckte ich ihn. Er saß an einem Tisch am Ende des Raumes, in einer schmalen Nische versteckt. Sofort setzte ich die coolste Miene auf, die ich im Repertoire hatte – wozu sonst, außer für diesen Moment, hatte ich die ewig im Spiegel trainiert? –, und schlenderte möglichst lässig in seine Richtung.

Er sah sogar noch besser aus, als ich ihn in Erinnerung hatte! Bitte wer hat so einen schönen Mann erschaffen? Unzählige Gedanken schossen mir durch den Kopf: Bitte mach, dass ich ihm gefalle. Bitte mach, dass er nicht dämlich ist oder eigenartig lacht oder irgendeinen ausgefallenen Tick hat. Und vor allem, bitte mach, dass seine Stimme wirklich so gut klingt, wie ich sie in Erinnerung habe.

„Oh, wie pünktlich“, sagte er und seine Stimme erzeugte in der Sekunde Gänsehaut bei mir. Als er mir die Hand gab, stand er auf.

Ich ertappte mich dabei, wie ich ihn schon wieder mit aufgeklapptem Mund anstarrte. Passierte diesem Mann das eigentlich immer, dass ihn alle Frauen mit offenem Mund anglotzten? Konnte doch nicht schön sein! Wer sieht schon gut aus mit offenem Mund?

Gelblich diffuses Licht einer Kaffeehauslampe beleuchtete sein Gesicht. Seine dunklen Haare waren jetzt nicht mehr ganz so ordentlich, sondern ein wenig zerzaust, was ihn umso anziehender machte. Langsam schloss ich den Mund.

Helena, so geht das nicht weiter! Ich hatte hier eine wichtige Aufgabe zu erledigen und musste mich auf die Arbeit konzentrieren. Schließlich war ich nicht zu meinem Vergnügen hier, nicht ausschließlich zumindest.

„Danke, dass Sie sich die Zeit für mein Interview genommen haben“, setzte ich an. „Bevor wir anfangen, darf ich Sie um Ihren Namen fragen?“ Ich setzte mich auf die mit abgewetztem bordeauxrotem Samt gepolsterte Bank ihm gegenüber.

„Marius Mertenburg. Meinem Vater gehört das Antiquariat.“

„Aha, daher Mertenburg und Sohn. Sie sind der Sohn.“

Er nickte. „Darf ich Sie auch nochmals nach Ihrem Namen fragen? Ich habe ihn leider bei Ihrer ersten Vorstellung nicht richtig verstanden“.

„Ich heiße Helena Herz, Sie können aber gerne Helena sagen.“

„Also gut, Helena. Was muss ich denn jetzt tun?“

Mich küssen, mich ausziehen, und danach wälzen wir uns hier ein bisschen auf dem Boden, war das Erste, was mir einfiel. Wieder rief ich mich innerlich zur Ordnung. Was war denn los mit mir? Ich war schließlich hier, um eine Topreportage zu machen, und nicht um mich sinnlosen Tagträumen hinzugeben, auch wenn sie noch so verlockend waren. Kurz sah ich mich wieder wälzend am Boden. Schluss jetzt! Ich gab mir einen Ruck und sah ihn nun etwas geschäftsmäßiger an.

„Also“, begann ich, „ganz einfach, Sie erzählen mir etwas über die aktuellen Neuerscheinungen, ich nehme es auf, stelle ein paar Zwischenfragen und fertig.“

Ich nahm mein Aufnahmegerät, kontrollierte kurz, ob der Hintergrundlärm nicht zu laut war, drückte die Record-Taste und begann mit dem Interview. Er gab auf all meine Fragen kurze, ordentliche Antworten, die ich gut für meine Reportage verwenden konnte. Mit seiner klaren Sprache und seiner Gänsehautstimme war es perfekt fürs Radio.

Ich hörte ihm gerade mit bemüht professioneller Reportermiene zu, als mir jemand auf die Schulter tippte. „Hallo Helena, Darling! Wie lange habe ich dich denn nicht gesehen?“

Es war ein entfernter Bekannter, der ein klein wenig prominent in Wien war. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, würden ihn nicht wohlmeinende Menschen wahrscheinlich bestenfalls in die Kategorie Schuhgeschäfteröffnungspromi einreihen. Aber mir kam er in diesem Moment wie gerufen: Ich begrüßte ihn überschwänglich, hauchte ihm übertrieben gut gelaunt zwei angedeutete Küsschen auf die Wangen und wir ratschten wie auf Kommando los, auf welch unfassbar angesagten Partys wir in letzter Zeit eingeladen gewesen waren. Vorsichtig schielte ich in Marius’ Richtung. Wenn das nicht die perfekte Gelegenheit war, um bei meinem gut aussehenden Interviewpartner mächtig Eindruck zu schinden, dann wusste ich auch nicht. Vielleicht war ihm ja bisher noch nicht klar, mit welch wichtiger Persönlichkeit er eben ein Interview führte! Doch irgendwie merkte ich selbst, dass ich eine Spur zu laut war und mein Lachen aufgesetzt und unecht klang. Plötzlich war mir die Sache furchtbar peinlich. Was hatte ich mir eigentlich bei meinem peinlichen Tussi-Getue gedacht? Unter dem Vorwand, ich wäre gerade mitten in einem überaus wichtigen Interview – ich deutete vielsagend auf Marius – würgte ich das Gespräch ab.

Als ich mich wieder an den Tisch setzte, lächelte mich Marius amüsiert an. War ich so leicht zu durchschauen? Wie peinlich war das denn?

Ich straffte die Schultern und bemühte mich um Kontenance. „Also, die Aufnahme ist fertig, das läuft dann morgen Vormittag bei uns auf Sendung, falls Sie sich selbst hören wollen“, sagte ich schließlich.

„Oh, nein danke. Das muss nicht sein.“ Ruhig schaute er mich an.

Meine Melange war ausgetrunken, das Interview aufgenommen, unser Termin damit definitiv zu Ende. Blitzschnell durchforstete ich mein Gehirn nach einem halbwegs originellen Einfall, warum wir noch länger hier bleiben konnten, doch mir fiel überhaupt nichts ein. Nichts. Nada. So viel zu meiner unvergleichlichen Schlagfertigkeit, auf die ich mir noch dazu etwas einbildete! Nur weil ich mir sicher war, meine Haare würden sich danach noch mehr locken, unterließ ich es, mir an Ort und Stelle ausgiebig die Haare zu raufen.

Langsam stand er auf und legte das Geld zum Bezahlen auf den Tisch.

„Hat Spaß gemacht!“, sagte er und sah mich dabei mit einem Blick an, den ich überhaupt nicht zuordnen konnte, der mir bis in die winzigste Zelle schoss – und der mir einfach keine Wahl ließ. In diesem Moment wusste ich, dass ich ihn wiedersehen musste.

Beim Hinausgehen hielt er mir die Tür auf. „Auf Wiedersehen, Helena. Ich hoffe, die Aufnahme ist zu verwenden.“ Er schaute mich an, bedachte mich mit einem kurzen Lächeln, drehte sich um und ging davon.

Ganz gegen jede Regel aus dem Handbuch „Was coole Frauen tunlichst zu unterlassen haben“ blieb ich stehen und starrte ihm nach – der lieben Tradition wegen natürlich mit offenem Mund –, und zwar so lange, bis er hinter der nächsten Ecke verschwunden war.

Langsam schlenderte ich zu meinem Auto zurück. Ich stieg ein, ließ mich auf den Fahrersitz fallen und knallte meine Stirn so fest gegen das Lenkrad, dass ich am nächsten Tag an dieser Stelle garantiert eine unschöne Beule haben würde. Ohne mich zu bewegen, blieb ich so sitzen; ich konnte mich einfach nicht bewegen. Es verstörte mich über die Maßen und es war mir unsagbar peinlich, aber es gab kein Drehen und Wenden: Ich, Helena Herz, waschechte Realistin, die nie und nimmer an Liebe auf den ersten Blick glaubte, hatte mich eben wahnsinnig, völlig überraschend und verwirrend in diesen Mann verliebt. Warum nur? Warum gerade er? Warum der bestaussehende, coolste Mann des gesamten Universums? Ich schlug ein paar Mal mit der Stirn gegen das Lenkrad. Wie konnte ich nur so blöd sein? Verdammt!

Sex, Magie und Nusslikör

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