Читать книгу Sex, Magie und Nusslikör - Sylvia Reim - Страница 9

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Kapitel 4

Im Nachhinein hätte ich nicht sagen können, wie ich die nächsten Tage überstanden hatte. In der Früh schleppte ich mich in den Sender und erledigte dort lustlos meine Arbeit, wobei ich allerdings penibel darauf achtete, keine Fehler zu machen, denn ich wollte nicht auch noch meinen Job verlieren. Nach Dienstschluss fuhr ich heim, weinte und gab mich meiner Verzweiflung hin. Mir wurde immer klarer, was ich verloren hatte: Er wäre der Mann meines Lebens gewesen, dessen war ich mir sicher. Noch nie zuvor hatte ich solche Unruhe in der Nähe eines Mannes verspürt, es war, als würden unsere Körper und auch unser Geist durch eine seltsame chemische Reaktion aufeinander reagieren. Was ich allerdings nicht wusste, war, wie es ihm ergangen war, ob er es genau so empfunden hatte, so unsagbar intensiv und lebensverändernd.

Langsam stiegen mir wieder Tränen in die Augen, als ich daran dachte, wie er mich geküsst hatte und wie leidenschaftlich er dabei gewesen war. Ich wolle unbedingt rasend zornig auf ihn sein, doch ich war einfach nur wehmütig darüber, dass ich ihn endgültig verloren hatte. Als mir der Moment einfiel, in dem er zu mir gesagt hatte, ich sei süß und er müsse immerzu an mich denken, wurde ich von einem so starken Heulkrampf geschüttelt, dass ich mich halb ohnmächtig auf mein Sofa plumpsen ließ. Wieso musste ausgerechnet ich so leiden? Ich hoffte inständig, dass auch er heulend auf seiner Couch lag und Tonnen von Taschentüchern voll schniefte. Ich wollte, dass er tiefbekümmert und gramgebeugt durch die Gegend schlich, den Sinn seines elenden Lebens in Frage stellte und in seinem dunklen Buchgeschäft sehnsüchtig aus der Auslage blickte, auf der Suche nach mir. „Sekten-Fuzzi“, fluchte ich, und dabei schoss mir eine weitere Ladung Tränen nahezu waagrecht aus meinen bereits tiefroten Augen.

Meine Heulorgien in den letzten Tagen hatten meine Eisvorräte mächtig schrumpfen lassen. Wenn es mir schlecht ging, aß ich immer Eis. Auch wenn es mir gut ging, liebte ich Eis, aber wenn ich übel beieinander war, meine Welt dunkel und grau dahin waberte, dann war ich geradezu süchtig danach. Stundenlang saß ich mit einem riesigen Eisbecher in der Hand vor dem Fernseher und löffelte in mich hinein, wie in einer dieser schlechten Sitcoms. Irgendwie kühlte das Eis meine Seele und ich wurde wieder ruhiger.

Ärgerlicherweise hatte ich gestern den letzten Becher „Cookies & Cream“ zusammengefuttert, und auch sonst fehlte einiges. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich trotz meines elefantös zugeschwollenen Gesichtes unter Leute zu begeben, um das Notwendigste einzukaufen. Allerdings durfte ich meine unschuldigen Mitmenschen mit meinem unglückseligen Anblick nicht so schrecken. Gurkenscheiben galten ja gemeinhin als Allheilmittel gegen Schwellungen im Gesicht. Ich legte mich also eine gefühlte Stunde mit dicken Gurkenscheiben auf den Augen auf die Couch. Als ich mich danach im Spiegel sah, konnte ich zu meinem Entsetzen leider keine wesentliche Verbesserung feststellen; ich sah immer noch au,s als hätte ich Bekanntschaft mit einem Schwarm Hornissen gemacht. Ich musste mir also eine Ausrede einfallen lassen, warum meine Augen so geschwollen aussahen. Allergie vielleicht, oder Uroma gestorben – was war mir dann doch zu morbid war. Aber Katze gestorben, das ginge doch. Und das würde auch jeder verstehen: Jeder weinte doch, wenn sein Haustier starb, oder?

Mein erklärtes Ziel war es, möglichst unerkannt durch den Supermarkt zu huschen. Aber wie immer, wenn man so etwas plant, wird daraus nichts, und tatsächlich musste ich drei Personen von meiner armen verstorbenen Katze erzählen.

„Seit wann hattest du denn eine Katze?“, frage mich die nette Dame hinter der Wursttheke, mit der ich üblicherweise so gerne plauderte.

„Es war streng genommen die Katze meiner Eltern.“

„Und wie hieß das arme Ding?“

„Mu… k… llu… s.“

„Muklus? Was ist denn das für ein Name?“

„Altgriechisch.“

So in etwa spielten sich die Gespräche ab. Im Nachhinein stellte ich fest, ich hätte mich mehr über meine angebliche Katze informieren sollen. Muklus, etwas Besseres war mir nicht eingefallen?

Zurück aus dem Supermarkt, stand ich gerade, mit meinen zwei schweren Einkaufssäcken bepackt, in meinem Wohnhaus vor dem Aufzug und wartete auf ihn, als hinter mir die Eingangstür aufging. Herein kam mein Nachbar. Er war ein steinalter Mann – ich schätzte ihn auf neunzig oder sogar darüber –, sein Rücken war gebeugt, auf seinem Kopf saßen nur noch ein paar vereinzelte weiße Härchen und dieser Kopf wackelte unaufhörlich; geistig war er allerdings voll auf der Höhe. Er wohnte ganz alleine und konnte sich noch alles selbst erledigen, lediglich das Essen wurde ihm mittags zugestellt. Eigentlich hatte ich im Augenblick überhaupt keine Lust, mit ihm zu reden und wieder meine verworrene Geschichte über Muklus zu erzählen, aber er war immer so freundlich zu mir, dass ich stehen blieb und ihm die Lifttür aufhielt. „Grüße Sie, Herr Artmann! Kommen Sie, hier ist noch Platz!“

Langsam, mit kleinen zappeligen Schritten, trat er ein. „Guten Tag, Fräulein Herz. Jetzt haben wir uns aber ein paar Tage schon nicht mehr gesehen!“, bemerkte er lächelnd und drückte mit leicht zitternden Fingern auf die Lifttaste. Unverhohlen musterte er mich. „Na, Sie sehen aber nicht glücklich aus, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten. Darf ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragte er und sah mich dabei besorgt an.

Nur mit Müh und Not konnte ich einen neuerlichen Tränenschwall zurückhalten, so sehr rührte mich seine Anteilnahme. Ich hatte zwar gestern Abend mit meiner Mama telefoniert, aber ihr wollte ich von der ganzen Geschichte nichts erzählen, und zwar nicht, weil sie diese so absonderlich gefunden hätte, sondern weil ich Sorge hatte, sie könnte sie glauben! Meine Mutter war ein sehr bodenständiger Mensch, aber wenn es um Übersinnliches ging, war sie entsetzlich leicht zu entflammen, und so ging sie jeden Donnerstag in ihren heiß geliebten Astrologiekurs. Sie glaubte fest daran, dass uns die Sterne beeinflussten, und sie fragte auch jeden, den sie kennenlernte, zuerst nach seinem Sternzeichen. Sehr peinlich! Mein Vater und ich konnten darüber nur den Kopf schütteln, aber sie ließ sich davon nicht abbringen. Darum hatte ich Angst, sie würde Marius’ Geschichte zum Schluss tatsächlich für bare Münze nehmen. Beim Gedanken an Marius wurden meine Augen wieder glänzend.

„Na, kommen Sie! So schlimm wird es schon nicht sein. Hat es vielleicht mit einem Mann zu tun?“, fragte er und tätschelte mir dabei verständnisvoll den Arm.

Ich nickte, weil er so einfühlsam war und ich nicht schon wieder die „Tote Katze“-Geschichte erzählen wollte.

Mit einem Mal wurde sein Blick ernst. „Hat es vielleicht mit dem Herrn zu tun, der Sie letztens abends nach Hause gebracht hat?“

Nachbarn bekamen doch tatsächlich alles mit! Marius war mit seinem Auto gerade mal fünf Minuten vor unserem Haus gestanden, als er mich nach dem Besuch bei Tante Edwina nach Hause gebracht hatte, und auch nur ein paar Minuten während seines unrühmlichen Zauberer-Auftritts.

„Ja, genau der“, murmelte ich und sah zu Boden.

„Das Auto kenne ich. Es gehört dem jungen Herrn Mertenburg, richtig?“

Ich merkte, wie mein Herz kurz aussetzte, als er seinen Namen sagte. „Sie kennen Marius?“, fragte ich überrascht.

„Ja, ich kenne die ganze Familie.“

Ich war sofort Feuer und Flamme! Endlich jemand, der mir etwas über die Mertenburgs erzählen konnte. Vielleicht wusste er auch etwas über dunkle Machenschaften und schwarze Messen.

„Herr Artmann, könnten sie mir etwas über die Familie erzählen?“, fragte ich und versuchte dabei möglichst unbekümmert zu klingen.

Er sah mich vielsagend an, dann nickte er. „Aber nicht hier im Treppenhaus, Kindchen. Kommen Sie zu mir in die Wohnung, da können wir einen schönen Tee kochen und uns ein wenig unterhalten.“

Ich war plötzlich ganz aufgeregt. Schnell trug ich den Einkauf in meine Küche, schleuderte den Eisbecher „Mascarpone Lemon“ in die Gefriertruhe und lief zu Herrn Artmann hinüber.

Jedes Mal aufs Neue war ich überrascht, wie sauber und ordentlich seine Wohnung war. Menschen seines Alters hatten manchmal nicht mehr die Kraft und Energie, um zu putzen und den Haushalt in Schuss zu halten, aber hier war alles tadellos. Mir fiel spontan Tante Edwinas Wohnung ein, in der es ebenfalls vor Sauberkeit geblitzt hatte.

Herr Artmann stand bereits in der Küche und brühte uns Tee auf.

„Trinkst du Kräutertee, Herzchen?“, rief er aus der Küche.

Ich mochte es, wenn er so niedliche Spitznamen für mich hatte. „Aber klar doch!“, rief ich übertrieben laut zurück.

Er kam mit den Tassen herein, wobei er nur ein ganz klein wenig auf die Untertasse ausschüttete.

„Ich habe leider nicht mehr die ruhigste Hand“, entschuldigte er sich.

„Mir wäre es nicht anders gegangen. Bei mir wäre das Fußbad wahrscheinlich größer gewesen“, versuchte ich ihn zu trösten.

„Also, worum geht es, Helenchen?“, fragte er und ließ sich langsam auf seinem Fauteuil nieder.

Ich kam mir ziemlich albern vor, aber mit einem Mal wollte ich es einfach irgendjemandem erzählen. Erzählen, dass Marius, meine fast große Liebe, einer Sekte angehörte oder noch übleren, dunkleren eigenartigen Ritualen nachging. Wollte erzählen, was ich gesehen hatte und auch seine komische Ausrede.

Wie von selbst begann ich loszuplappern, wie ich ihn kennengelernt hatte, unsere ersten Begegnungen, und schließlich erzählte ich auch von dem dunklen Raum, den ich gesehen hatte, mit den eigenartigen Symbolen am Boden. Schließlich beschrieb ich Marius’ Besuch in meiner Wohnung, als er doch tatsächlich erklärt hatte, er sei ein Zauberer. Ein Zauberer! Als ich das Wort aussprach, musste ich selbst laut auflachen, so absolut dämlich kam mir das vor.

Anfangs stellte Herr Artmann noch kleine Zwischenfragen und streichelte mir bedauernd über den Arm, aber je länger ich erzählte, umso ruhiger wurde er. Auf einmal war mir klar, wie abstrus sich diese Geschichte für ihn anhören musste. Was bildete ich mir ein, einen so alten Mann dermaßen zu erschrecken und mit meinen Sorgen zu belästigen? Ich wollte mich gerade für dieses absurde Ammenmärchen entschuldigen, als er mich mit einem ganz eigenen Blick ansah. Er setzte kurz an, so, als ob er etwas sagen wollte, hielt dann aber inne. Die alte Standuhr tickte laut im Hintergrund.

„Ja, Kindchen“, sagte er schließlich, „die Familie Mertenburg ist eine ganz besondere Familie. Mehr kann ich dir leider dazu nicht sagen.“

Was hatte ich mir auch erwartet? Dass er mir bestätigen würde, was Marius gesagt hatte? Ja, Marius ist ein Zauberer – hatte ich mir das vorgestellt? Die Hoffnung, die unverständlicherweise in mir hochgekommen war, sank wie ein zu schnell abgekühltes Soufflé wieder völlig in sich zusammen.

Ich trank meinen Tee aus und verabschiedete mich unter dem Vorwand, schnell meinen Einkauf kühlen zu müssen.

Als ich aufstand, fiel mein Blick auf ein Regal, vollgestellt mit Büchern, die ordentlich in Reih und Glied standen. Plötzlich begann der Boden unter mir zu wanken! Das konnte doch nicht sein! In der dritten Reihe des Regals, genau in der Mitte, standen mehrere Bücher mit schwarzem Ledereinband und den gleichen verschlungenen Symbolen, die ich auch in diesem geheimnisvollen Raum bei Marius gesehen hatte.

Mir wurde übel, mein Magen verknotete sich unangenehm. War dieser nette alte Herr etwa auch bei dieser Sekte? Steckte er mit ihnen unter einer Decke? Überhastet verabschiedete ich mich und hoffte, er hatte nicht bemerkt, dass mein Blick auf die Symbole gefallen war.

Als ich meine Wohnungstür hinter mir schloss, war ich durcheinander wie noch nie in meinem Leben. Schon längst wusste ich nicht mehr, was ich glauben oder nicht glauben sollte. Verdrossen legte ich mich auf mein Sofa und starrte ins Leere.

Sex, Magie und Nusslikör

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