Читать книгу Sex, Magie und Nusslikör - Sylvia Reim - Страница 8

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Kapitel 3

Er hatte mich geküsst! Sofort nachdem ich am nächsten Morgen meine Augen aufschlug, fiel es mir schlagartig wieder ein. Wenn man es genau betrachtete, war es ja nur ein Küsschen gewesen, aber wir wollen hier ja nicht päpstlicher als der Papst sein. Seine Lippen hatten immerhin meine Wange berührt, was weltweit als Kuss galt. Ich war froh, dass ich alleine in meiner Wohnung war, so musste ich zumindest niemandem erklären, warum ich die ganze Zeit so dümmlich grinste. Auch wenn ich es krampfhaft versuchte, ich konnte damit einfach nicht aufhören, sogar beim Zähneputzen lächelte ich, was die Putzerei nicht unbedingt einfacher machte.

Nach dem Besuch bei Tante Edwina in ihrer tadellos gepflegten Wohnung fiel mir umso mehr auf, wie ungepflegt es bei mir aussah. Angewidert von meiner eigenen Putzfaulheit sah ich mich um. Da ich heute frei hatte, beschloss ich, den Vormittag damit zu verbringen, meine Möbel vom millimeterdicken Staub zu befreien, den Lurch unter dem Bett aufzusaugen und meine etwas verklebte Küche wieder einmal ordentlich auf Vordermann zu bringen. Ich schrubbte, wischte und saugte, dass das Herz jeder Fünfzigerjahre-Hausfrau nur so jubiliert hätte.

Als ich fertig war, war ich so richtig zufrieden mit mir. Alles sah nach langer Zeit wieder einmal sauber und ordentlich aus, abgesehen von meinen Händen, die unter den scharfen Putzmitteln schrecklich gelitten hatten und so schrumpelig aussahen, als wären sie erst vor Kurzem ausgegraben und entmumifiziert worden. Um auch ihnen etwas Gutes zu tun, kramte ich in meiner Pröbchen-Lade und fand schließlich eine Handcreme, die seidenweiche Haut binnen Sekunden versprach. Na bitte, genau das, was ich brauchte.

Ich cremte und salbte und warf mich dann auf meine cremefarbene Couch, schlürfte von meinem heißen Kaffee, den ich mir in der Küche gebraut hatte, und achtete darauf, dass mir die Tasse nicht aus meinen fett eingecremten Händen flutschte.

Plötzlich fiel mir ein, dass mein liebster kleiner Mini repariert werden musste. Sofort war mir klar, dass es nur einen gab, der mir da helfen konnte: meinen Papa. Er war perfekt in solchen Dingen. Ich kramte mein Handy aus meiner Handtasche und rief ihn an. Ohne dass ich meine an ihm lange erprobten Überredungskünste auspacken musste, war er sofort bereit, sich um meinen Mini zu kümmern, was bedeutete, dass ich eine gewaltige Sorge weniger hatte.

So, was konnte ich heute sonst noch erledigen, wo ich gerade so richtig in Schuss war? Sofort waren meine Gedanken bei Marius, und mein Grinsen wurde flugs wieder breiter. Was hätte ich dafür gegeben, den Tag mit ihm verbringen zu dürfen! Ich fühlte mich wie ein Kind einen Tag vor Weihnachten, ich wollte nicht mehr warten, wollte ihn wiedersehen. Jetzt, sofort. Lustlos begann ich in der aktuellen Vogue zu blättern. Normalerweise brachte mich das schlagartig in bessere Stimmung, aber heute konnte mich das kein bisschen ablenken. Nach einigen Minuten Herumgeblättere warf ich die Zeitschrift achtlos auf den Boden. Was nun?

Plötzlich blieb mein Blick auf dem schwarzen Regenschirm mit dem verzierten Holzgriff hängen, der in der Vorzimmerecke lehnte und den mir Marius gestern geliehen hatte. Langsam blubberte eine Idee in mir hoch: Was wäre, wenn ich ihm den Schirm zurückbrachte? Sachen, die man sich ausborgte, brachte man gefälligst auch wieder zurück, so hatte ich es bei meinen redlichen Eltern gelernt. Was für ein unfassbar toller Vorwand, um zu ihm zu gehen und ihn wiederzusehen! Restlos begeistert von meiner Idee hüpfte ich von der Couch und lief schnurstracks zu meinem Kleiderschrank. Während ich in den unendlichen Tiefen meines Kastens wühlte, kamen mir die ersten Zweifel: Vielleicht war es doch ein klein wenig aufdringlich, einfach so bei ihm hineinzuschneien. Immer kam ich bei ihm vorbei, er hatte sich noch nie bei mir gemeldet – wozu ich ihm allerdings auch keine Gelegenheit gab, da ich ja beinahe im Sekundentakt bei ihm auf der Matte stand. Kurz war mir der Gedanke peinlich, so aufdringlich zu sein, dann allerdings überwog die schmerzliche Sehnsucht, ihn unbedingt und sofort wiedersehen zu wollen. Ich bin emanzipiert, redete ich mir selbst meine vielleicht doch etwas taktlose Idee schön; ich gehe zu wem ich will, wann ich will! Rasch zog ich ein dunkelblaues Wickelkleid mit vielen bunten Farbklecksen aus dem Schrank. Ich darf das tun, ich darf einen Mann, der mir gefällt, einfach besuchen! In den meisten einschlägigen Zeitungen mit psychologischen Ratschlägen stand doch, dass Männer Frauen mögen, die Initiative zeigten. Also!

Ich schlüpfte in schwarze Stiefel mit etwas höherem Absatz, schnappte den Schirm, hüpfte die Treppe runter und winkte ein Taxi zu mir.

Als mich der Taxifahrer einige Meter vor dem Antiquariat aussteigen ließ, war ich mir meiner Sache nicht mehr so sicher. Ich gab dem armen Mann ja nicht einmal den Hauch einer Gelegenheit, sich zur Abwechslung einmal bei mir zu melden, ständig kam ich ihm zuvor. Im Psychotest „Wie angle ich mir einen Mann“ stand das bestimmt unter den No-Gos. Was nun? Beinahe wollte ich wieder umdrehen, doch dann stellte ich mir sein Gesicht vor, seine so vollkommenen männlichen Züge, und ich konnte einfach nicht mehr widerstehen.

Wieder einmal öffnete ich die Tür zu „Mertenburg und Sohn“ und sofort umfing mich diese unendliche Stille. Kein noch so kleiner Laut drang von draußen herein.

„Einen Moment, bitte“, rief jemand aus einem Nebenraum, und diese Stimme verursachte sofort wieder einen gehörigen Schmetterlingswirbel in meinem Bauch.

Marius! Er war da. Nervös sah ich mich um und in mir keimten wieder bohrende Zweifel auf, ob es tatsächlich eine so geniale Idee gewesen war, einfach herzukommen. Mit einem Mal war ich mir sicher: Ich hätte es nicht tun sollen, ich hätte warten sollen, bis er sich meldete, so wie andere Frauen das auch machten. Warum war ich nur immer so stürmisch?

Als er durch die Tür kam, wusste ich wieder, warum mich nichts und niemand hätte aufhalten können. Jedes Mal, wenn ich ihn sah, schien er besser auszusehen. Allerdings war aller Wahrscheinlichkeit nach meine Wahrnehmung, wenn es um ihn ging, mittlerweile bedenklich getrübt.

„Hallo, ich wollte dir nur deinen Regenschirm zurückbringen“, stieß ich hervor.

„Nett von dir. Du hättest ihn aber auch gerne behalten können. Oder möchtest du nichts von mir in deiner Wohnung haben?“, fragte er mit leicht schrägem Lächeln.

Ich wollte ihn am liebsten in meiner Wohnung haben. „Ich dachte, du vermisst ihn vielleicht.“

Er sah mich an, so, als ob er kurz überlegen würde. „Ich vermisse dich“, sagte er dann und schaute mir so offen und klar in die Augen, dass meine unverlässlichen Knie augenblicklich butterweich wurden.

Hatte er eben gesagt, er hätte mich vermisst? Ich versuchte, nicht zu breit zu grinsen.

„Hast du Lust, heute Abend mit mir essen zu gehen, Helena?“, fragte er und augenblicklich drohten meine Knie endgültig nachzugeben.

„Ich muss erst meine Termine checken“, flüsterte ich, denn ich wollte es ihm nicht ganz so leicht machen. Er sollte das Gefühl haben, an mich sei nicht so leicht ranzukommen. Für diese Überlegungen war es zwar reichlich spät, aber ich konnte ja noch retten, was zu retten war. Ich blätterte in meinem Terminkalender herum und tat so, als ob ich überlegen würde. Natürlich hatte ich Zeit, und hätte ich keine gehabt, ich hätte mir Zeit genommen, ich hätte alles andere abgesagt – selbst wenn der Kaiser von Japan nebst trippelnder Gefolgschaft zum Interview angemeldet gewesen wäre –, aber das durfte er natürlich keinesfalls wissen.

„Ja, also heute Abend könnte sich ausgehen“, sagte ich und zog meine Stirn dabei kraus, um zu signalisieren, dass es keine leichte Sache für mich war, da so mir nichts dir nichts noch schnell einen Termin freizuschaufeln. Ich war immerhin Reporterin und damit auch rund um die Uhr beschäftigt, so war das schließlich mit Nummer-eins-Leuten. CNN würde demnächst bei mir anklopfen, davon sollte er ruhig mal ausgehen.

„Gut, dann hol ich dich so gegen achtzehn Uhr ab“, antwortete er völlig unbeeindruckt.

„Okay, das passt.“

Ich versuchte mein Strahlen zu zügeln. Das musste ich unbedingt besser unter Kontrolle bringen. Damit sah ich ja aus wie die Grinsekatze aus Alice im Wunderland.

Marius setzte eben an, etwas zu sagen, als die Eingangstür geöffnet wurde und ein älterer Herr das Geschäftslokal betrat.

„Warte bitte einen Augenblick“, wisperte Marius mir zu, drehte sich um und ging in Richtung Eingang, um den Kunden zu begrüßen.

Ich brachte nur ein schmales Nicken zustande. Diese kleine Pause gab mir wenigstens die Gelegenheit, mein völlig übertriebenes Gegrinse einzustellen und mich außerdem etwas umzusehen. Langsam schlenderte ich durch das Antiquariat und war augenblicklich beeindruckt davon, wie sauber und gepflegt alles aussah. Nicht ein Staubkörnchen konnte ich entdecken. Bisher hatte ich mir Antiquariate immer als Orte vorgestellt, an denen alles unter dicken Staubschichten vergraben war, aber offenbar hatte ich mich geirrt.

Als ich meinen kleinen Rundgang beendet hatte, war Marius immer noch in ein Gespräch mit dem Kunden vertieft; soviel ich mitbekam, ging es dabei um eine größere Bestellung. Ich hatte also noch Zeit, den Raum weiter zu erkunden.

Am liebsten wäre ich zu Marius’ Schreibtisch gegangen und hätte darin wild herumgewühlt, aber da ich eine reife Frau war, tat ich so etwas selbstverständlich nicht. Ehrlicherweise musste ich zugeben, dass ich vielleicht doch haltlos gestöbert hätte, wäre Marius nicht gerade im Raum gewesen, dazu war meine Neugier einfach zu groß. Auch die unscheinbare Holztür am hintersten Ende des Antiquariats, gleich hinter Marius’ Schreibtisch, forderte meine Neugier auf das Grausamste heraus. Sie gehörte dringend inspiziert, wie ich fand. Zu gern wollte ich wissen, was sich dahinter befand. Außerdem war ich ja geradezu von Berufs wegen verpflichtet, meine Augen offen zu halten. Vielleicht lauerte hinter dieser Tür ja die Story. Zumindest versuchte ich mein schlechtes Gewissen damit zu beruhigen, das genau wusste, dass ich einfach nur eine entsetzlich neugierige Person war.

Ich drehte mich kurz zu Marius um, doch er war immer noch mit dem älteren Herrn in ein intensives Gespräch verwickelt. Es würde ihm wahrscheinlich gar nicht auffallen, dass ich kurz den Raum verlassen hatte.

Zügig ging ich zur Tür, öffnete sie leise und trat in einen hell erleuchteten Gang, von dem mehrere Türen links und rechts wegführten. Neugierig, wie ich nun einmal war, öffnete ich sofort die erste Tür links. Dahinter befanden sich zahlreiche Reinigungsutensilien und einige Besen. Aha, die Reinigungskammer, schloss ich messerscharf. Dann versuchte ich die zweite Tür auf der linken Seite. Hier standen einige Regale, dicht gefüllt mit Schreibwaren, was verdächtig nach Lager für Büroartikel aussah. Eine Tür gab es noch auf der linken Seite. Die würde ich mir noch vornehmen und dann schnell wieder in den Verkaufsraum zurückkehren, bevor Marius merkte, dass ich auf Erkundungstour gegangen war. Ich ging ein Stückchen weiter und öffnete schwungvoll die dritte Tür.

Mir war, als sei ich durch eine Pforte geschritten. Vor mir lag ein quadratischer Raum, maximal zehn Quadratmeter groß. Die kleine mattweiße Kugelleuchte, die mit einer Goldstange von der Decke hing, gab nur wenig Licht ab, sodass die Kammer im Halbdunkel blieb. Der Steinboden war voll mit goldenen, verschlungenen Zeichen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. An den Wänden standen Regale aus dunklem Holz, voll mit ordentlich aufgereihten Büchern, die ebenfalls diese verschlungenen Zeichen auf dem Rücken aufgeprägt hatten. Zögernd ging ich ein paar Schritte in den Raum hinein. An der gegenüberliegenden Wand war eine Art Altar aufgebaut. Auf kostbar bestickten, weißen Tüchern standen drei goldene Kerzenhalter und in der Mitte lagen einige aufgeschlagene Bücher. Irgendwie sah es hier aus wie in einem Raum, in dem Riten abgehalten wurden. Neugierig ging ich zu den offenen Büchern. In feinster Handschrift waren da mit schwarzer Tinte Formeln aufgemalt, daneben standen Texte, die ich nicht lesen konnte. Sie waren in einer krakeligen, alten Schrift geschrieben. Vorsichtig klappte ich eines der Bücher zu, um zu sehen, welchen Titel es trug: „Mertenburg“ stand da in großen, goldenen Lettern gedruckt. Erschrocken machte ich einen Schritt zurück. Wo war ich da hineingeraten? Ich sah mir die Bücher rings um mich an, die da sorgfältig in den Regalen standen. Auch da war auf den Buchrücken in goldenen Buchstaben überall der Name „Mertenburg“ eingraviert.

Mir wurde übel. Was war das? Was bedeutete das? Ich überlegte fieberhaft. War Marius Mitglied einer Sekte, wurden hier dunkle Messen gefeiert? Mein Gehirn weigerte sich, das zu glauben. Marius, dieser nette Mann, der sich immer höflich und zurückhaltend gezeigt hatte, konnte einfach zu keiner dubiosen Sekte gehören. Doch alles, was ich sah, deutete auf das Gegenteil hin.

Plötzlich stand er hinter mir. Sein Gesicht war leichenblass.

„Was machst du hier?“, schrie er mich an.

Bisher hatte ich noch nie erlebt, dass er auch nur eine Spur seine Kontrolle verloren hatte, doch jetzt war er völlig außer sich. Seine dunklen Augen starrten mich wütend an.

„Ich hab mich nur umgesehen“, stammelte ich. Ich wollte nur noch weg, weg von diesem unheilvollen Ort, der meine gemeinsame Traumwelt mit Marius wie eine Seifenblase zerplatzen ließ.

„Mein Vater bringt mich um, wenn er das erfährt.“ Er rang offensichtlich um Beherrschung. „Geh bitte.“

Ich lief in den Verkaufsraum, riss meinen Mantel von der Stuhllehne und hinaus, ohne mich noch einmal umzudrehen.

Das erstbeste Taxi, das an vorbeirauschte, winkte ich zu mir und warf mich buchstäblich hinein. Ich wollte diesen Ort so schnell es ging verlassen. Erst jetzt merkte ich, dass ich am ganzen Körper zitterte und meine Zähne unkontrolliert aufeinander schlugen. Ich verbat mir, an das eben Gesehene zu denken. Es war mir nur recht, dass der Fahrer das Radio laut aufgedreht hatte; irgendwelche Schlager dröhnten in meinen Ohren. Egal, Hauptsache, es war laut und ich musste nicht an all die dubiosen Bücher und Zeichen denken. Nicht daran denken, dass es damit keine Zukunft für mich und Marius geben würde.

Als ich meine Wohnungstür hinter mir schloss, stiegen heiß die ersten Tränen in mir hoch. Ich war völlig apathisch, als ob mir jemand mit einem Stock auf den Kopf geschlagen hätte, mein ganzer Körper war taub. Wieso? Wieso treffe ich einen Mann, der der Mensch meines Lebens hätte sein können, und dann gehörte er zu irgendeiner verdammten Sekte? Feiert schwarze Messen oder … Keine Ahnung, was sie in diesem eigenartigen Raum abhielten. In meinem Kopf drehten sich die Gedanken, ich spürte, wie sich langsam das Bewusstsein in meinem ganzen Körper ausbreitete: Marius war ein Lügner, ein Schwindler, ein abartiger Mensch, der zu einer geheimen Sekte gehörte. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, welche Zeremonien dort abgehalten worden waren. In meinem Kopf erschienen blutende Hühner mit abgeschlagenen Köpfen. Ich versuchte, meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen, und holte mir ein Taschentuch, um mir die Nase zu putzen und mein nasses Gesicht abzuwischen.

Was waren das überhaupt für eigenartige Zeichen gewesen, die ich da auf dem Boden und auf den Büchern gesehen hatte? Ich sah sie klar vor mir. Vielleicht fand ich ja im Internet irgendeinen Hinweis auf diese Zeichen! Ich schaltete den Computer ein, tippte den Namen Mertenburg bei Google ein und in Sekundenschnelle erschienen Dutzende Seiten. Nachdem ich ungefähr fünfzig durchgesehen hatte, war klar, dass es dabei immer nur um den An- und Verkauf von alten Büchern ging. Antiquariate arbeiteten offensichtlich auch längst über Online-Verkäufe. Sonst fand ich nichts Interessantes zum Namen Mertenburg, nichts, das auf irgendeine eigenartige Sekte oder Ähnliches hinweisen würde. Im Grunde war mir das schon vorher klar gewesen, denn wer wäre so blöd und würde so etwas ins Internet stellen, so in der Art wie: „Heute großes Hühnerschlachten bei unserer magischen schwarzen Messe. Danach gibt es gemeinsames Brötchen essen. Bitte Hausschuhe mitbringen.“

Ich versuchte mich wieder an die verschlungenen Zeichen zu erinnern und tippte alle möglichen Varianten, die mir einfielen, in die Tastatur ein. Es kam nichts, was auch nur irgendwie passen konnte. Enttäuscht und frustriert schaltete ich den Computer wieder aus und merkte, wie mir neuerlich die Tränen kamen. Ich legte meinen Kopf in die Arme, um mich meinen Gefühlen hinzugeben und mich ein bisschen selbst zu bemitleiden. Ich war traurig und auch zornig. Traurig, weil ich meinen Marius-Traum begraben konnte, zornig, weil ich mich so schnell an ihn herangeworfen hatte. Wenn ich es allerdings genau überlegte, konnte ich ihm gar nichts vorwerfen. Er war es nicht gewesen, der drei Mal ungebeten bei mir erschienen war.

Ich ging in die Küche, nahm mir ein Karamell-Eis aus dem Gefrierschrank und begann lustlos darin herumzustochern. Wieso war ich nur so blöd gewesen? In mir stieg das Bild hoch, als Marius mich angeschrien hatte. Niemals hätte ich dem sonst so kontrollierten Marius einen solchen Ausbruch zugetraut. Und irgendwie war es mir so vorgekommen, als wäre er selbst überrascht gewesen von seiner so heftigen Reaktion.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Wer war denn das? Besuch konnte ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Ich schniefte und wischte mir mit meinem zerknüllten, nassen Taschentuch über die Augen. Mein Make-up war garantiert völlig verschmiert, aber es war mir egal, dass ich aussah wie einst Alice Cooper, es war mir momentan alles egal. Das Klopfen wurde lauter.

„Helena, mach auf. Bitte!“

Mein Herz machte einen Sprung. Das war Marius’ Stimme. Was machte er vor meiner Tür? Ich hatte überhaupt keine Lust, ihn zu sehen. Der konnte mir den Buckel runterrutschen, ich würde die Tür einfach nicht öffnen. Ich merkte, wie der Zorn in mir wieder die Oberhand bekam.

„Helena, bitte! Lass es mich erklären! Bitte!“ Seine Stimme klang leise und eine Spur flehend.

Ich schimpfte mich selbst ein Weichei, aber seine Stimme zog mich magisch zur Tür hin. „Was willst du?“, rief ich wütend.

„Helena, bitte. Mach auf. Ich glaube, die Nachbarn schauen schon, aber wenn du willst, erkläre ich es dir auch von hier draußen, durch die geschlossene Tür.“

Etwas undamenhaft wischte ich mit meinem Kleiderärmel über mein verschwollenes Gesicht; dass ich geheult hatte, würde er so oder so sehen. Sollte er nur, der Mistkerl! Vielleicht bekam er dann wenigstens ein schlechtes Gewissen darüber, was er mir angetan hatte.

Zögernd öffnete ich die Tür.

Wie jedes Mal, wenn ich ihn sah, durchfuhr mich der Gedanke, dass er der wahrscheinlich schönste Mann im gesamten Universum war. Neuerlich schossen mir bittere Tränen in die Augen, als mir klar wurde, dass es nun keine gemeinsame Zukunft mit ihm mehr geben würde. Wahrscheinlich hatte es die so oder so nie gegeben, wahrscheinlich war das nur ein dummes Hirngespinst von mir gewesen. Von wegen taffe Reporterin! Mein Herz konnte man doch tatsächlich formen und verdrehen wie weiches Plastilin. Ich schniefte.

„Hast du geweint?“, fragte er und sah dabei ziemlich bekümmert aus.

„Was denkst du denn, wie man sich fühlt, wenn man entdeckt, dass der Mann, mit dem man sich auf ein Abendessen treffen wollte, zu einer Sekte gehört und offensichtlich grausliche, ekelige schwarze Messen feiert. Ich will mir gar nicht ausmalen, was du dort in diesem Raum tust“, stieß ich hervor. Ich war jetzt wieder richtig wütend und das war gut so. Er sollte meine Wut so richtig zu spüren bekommen.

„Das denkst du? Dass ich zu einer Sekte gehöre?“

„Was soll ich denn sonst denken? Wie die Dekoration für einen Kindergeburtstag hat es nicht ausgesehen, dazu war es zu sehr in Schwarz gehalten!“ Giftig funkelte ich ihn an.

Verwirrt sah er mich an. „Nein, Helena. Da liegst du völlig falsch. Glaube mir bitte, es hat nichts mit einer Sekte zu tun. Auch nicht mit schwarzer Magie.“ Den letzten Satz hatte er nur noch gemurmelt.

„Ich weiß, was ich gesehen habe“, beharrte ich. „Da waren Formeln und Sprüche und eigenartige Symbole. Das waren keine christlichen Zeichen oder so, ich weiß auch nicht. Jedenfalls sah es für mich aus, als ob in diesem Raum schwarze Messen abgehalten würden. Mit diesen ganzen Kerzen, dem Altar und den Büchern.“ Mir liefen wieder die Tränen über die Wangen. Ich fühlte mich hilflos und verwirrt, hatte keine Ahnung, welches Spiel er da mit mir spielte.

„Helena, glaub das nicht!“ Er sah mich verzweifelt an und machte einen Schritt zu mir, bis er knapp vor mir stand. „Ich verspreche dir, ich mache keine schwarzen Messen. Helena, bitte!“ Er griff mit seinem Zeigefinger unter mein Kinn und zog es sanft nach oben.

Ich zeigte ihm mein verschwollenes Gesicht und sah ihn trotzig an.

„Was war es dann?“, wollte ich wissen und meine Stimme war nur noch ein Hauch, weil er so bedrohlich nahe bei mir stand, was meinem Verstand wieder einmal nicht gut tat.

„Ich kann es dir nicht sagen. Es tut mir so leid.“ Er wirkte geknickt und senkte ein wenig seinen Kopf. Seine Lippen kamen meinen bedrohlich näher. „Helena, glaub mir! Ich finde dich so süß, ich denke die ganze Zeit an dich“, sagte er, senkte seinen Kopf das letzte, fehlende Stück, bis sich unsere Lippen berührten.

Ich hatte mir in meinen Tagträumen oft vorgestellt, wie es sein würde, wenn wir uns das erste Mal küssen würden. Aber meine Fantasie war für das hier einfach nicht ausreichend gewesen. Ein Stromstoß fegte durch meinen Körper, schlagartig fing mein Puls an, wie verrückt zu rasen, und ich wollte nichts mehr, als meine Arme um seinen Hals schlingen und von ihm bis zum Sankt Nimmerleinstag geküsst werden. Ich war nur eine Winzigkeit davon entfernt, es zu tun. Mein ganzer Körper sehnte sich fieberhaft danach, als eine aufmüpfige Minizelle in meinem Gehirn dem Einhalt gebot. Was ist denn mit dir los? Seit wann lässt du dich so leicht einwickeln? Mühsam beherrscht drückte ich ihn weg von mir, was mir zugegebenermaßen nicht ganz so leicht fiel. Ich merkte, dass auch er etwas keuchte, was es noch schwerer machte. Sekte, dachte ich, er ist bei einer Sekte. Lass dich nicht so leicht einfangen!

„Entweder du sagst mir, was ich da gesehen habe, oder du kannst gleich wieder verschwinden, und zwar für immer. Durch diese Tür“, sagte ich, wobei ich dramatisch auf meine Wohnungstür zeigte.

„Helena, bitte. Ich kann es nicht sagen! Mein Vater würde mir das nie verzeihen!“ Seine Verzweiflung wirkte aufrichtig.

„Dein Vater ist mir egal. Was hat der überhaupt damit zu tun? Gehört er auch dazu?“

Aber natürlich. Es war ja sein Antiquariat, selbstverständlich war er auch der Boss der schwarzen Messen.

„Helena, nein! Es ist nicht so, wie du glaubst. Ich kann es nicht sagen, nicht ohne massiv Ärger zu bekommen.“

„Massiv Ärger bekommst du auch mit mir. Du wirst mich nämlich nie wiedersehen, wenn du es nicht sagst.“ Ich wusste nicht, wie weit ihn diese Drohung traf, aber etwas Besseres hatte ich nicht zu bieten.

„Helena, ich kann nicht!“, rief er.

Ich überlegte, ob ich meine Taktik ändern sollte, denn mittlerweile wollte ich es unbedingt wissen – einmal Reporterin, immer Reporterin. Ich lehnte mich an ihn, hob den Kopf und sah ihn an. Flehend, wie ich hoffte.

„Marius, bitte sag es mir“, schluchzte ich, wobei ich zu meiner Überraschung feststellte, dass mir tatsächlich wieder die Tränen kamen. Ich stelle mich etwas auf die Zehen und drückte meine Lippen auf seine.

Wenn ich ihn damit hatte treffen und quälen wollen, dann hatte es umgekehrt die gleiche Wirkung. Er erwiderte meinen Kuss und seine Lippen waren dabei so süß und warm und schmeckten so gut, dass ich mir sicher war, mich nie wieder von ihm lösen zu können.

„Bitte“, flüsterte ich.

„Helena, ich … “, stammelte er, wobei wir uns immer wieder sanft küssten, „… ich weiß nicht … es ist schwer zu verstehen … ich bin …“

„Was?“, keuchte ich zwischen unseren immer heftiger werdenden Küssen. Langsam kamen wir ganz schön in Fahrt.

„Ich bin nicht normal“, presste er hervor.

„Was bist du dann?“

„Ich bin … ich bin … ein Zauberer. Die Bücher, die du gesehen hast, waren voll mit Zaubersprüchen.“

Ich wusste nicht, wie man üblicherweise auf solche Geständnisse reagierte. Ich jedenfalls spürte, wie unbändiger Zorn in mir hochstieg. Mit aller Kraft löste ich mich von seinem so verdammt süßen Kuss und stieß ihn weg von mir.

„Verarschen kannst du wen anderen!“, rief ich außer mir. Was glaubte er eigentlich? Dass ich völlig blöde war? Offensichtlich, denn sonst würde er mir nicht mit solchen völlig durchgeknallten Schauermärchen kommen.

„Ein Zauberer“, schrie ich, „spinnst du?“

Marius stand wie vom Donner gerührt da. Mühsam versuchte er seinen Atem wieder unter Kontrolle zu kriegen. Als er wieder ordentlich Luft bekam, sagte er: „Du wolltest es wissen.“

„Vielleicht glauben dir ja deine sonstigen Eroberungen. Ich jedenfalls nicht! Verschwinde hier, ich will dich nie mehr sehen!“, brüllte ich. Ich war völlig außer mir, ich spürte, dass ich nicht weit davon entfernt war, zu hyperventilieren. Wahrscheinlich hatte ich sogar schon Schaum vor dem Mund. Ich deutete vielsagend mit spitzem Zeigefinger auf die Wohnungstür.

Marius sah mich an. „Du wolltest es ja unbedingt wissen“, murmelte er und ging.

Sex, Magie und Nusslikör

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