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3. Kapitel

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Am nächsten Tag kam Claire, natürlich wieder, ohne anzuklopfen, in mein Zimmer gestürmt und warf sich auf mein Bett. Sie legte beide Hände hinter den Kopf und starrte einen Moment schweigend an die Decke. Und dabei blieb sie tatsächlich stumm. Also konnte sie nur krank sein.

„Wie war es denn auf dem Jahrmarkt?“

Ich staunte. Dass Claire einmal Interesse an jemand anderem als Claire bekundete, war neu. Absolut neu.

Verblüfft starrte ich sie an. Einen Moment lang herrschte Schweigen.

Dann sah sie mich ungeduldig an. „Was ist denn? Hat es dir die Sprache verschlagen? Sonst redest du doch ohne Punkt und Komma, und ich komme gar nicht zu Wort.“

Das durfte ja wohl nicht wahr sein. Was war denn mit ihr los? Hatte sie etwas Falsches gegessen, oder hatte Onkel Henry ihr etwas sehr Wertvolles versprochen?

„Es … es war schön“, fing ich mich allmählich wieder. „Ich glaube, Peter hat es sehr genossen.“

„Ach, der ist doch noch ein Baby. Wo hat der nicht seinen Spaß, wenn du in der Nähe bist.“

Das war jetzt wieder einer ihrer gewohnten Seitenhiebe. Mir wurde wieder wohler in meiner Haut. Eine einfühlsame, interessierte und sogar mal schweigende Claire war mir viel zu unheimlich.

„Was hast du denn gemacht?“

Diese Frage hatte sie mir noch nie gestellt. Wieder sah ich sie an. Da explodierte sie fast wie in ihren besten Zeiten.

„Also, Vicky, wirklich. Was ist denn heute nur mit dir los? Man kann dich fragen, was man will, und du glotzt einen nur an wie eine Kuh. Bist du krank?“

Da musste ich loslachen, denn diesen Gedanken hatte ich ja auch von ihr gehabt, und in meiner Lachsalve, die ich ihr sofort erklärte, rutschte es mir dann heraus. „Ich war bei der Wahrsagerin.“

Durch Claire ging ein Ruck. Sie setzte sich auf und starrte mich neugierig an. „Nein!“

Ich bereute es schon wieder, dass ich ihr etwas gesagt hatte, denn Claire konnte grundsätzlich nichts für sich behalten.

„Was hat sie gesagt? Hat sie dir aus der Hand gelesen?“

„Das sage ich dir nur, wenn du mir etwas versprichst.“

„Was denn?“

„Deine Mutter darf davon nichts erfahren.“

„Pff“, äffte sie ihre Mutter nach. „Als würde die so was interessieren. Vielleicht sollte sie auch mal hingehen, damit sie erfährt, ob sie sich noch mal verliebt.“

„Ach, Claire.“

„Ja, ja. Ich verspreche es. Ich werde schweigen wie ein Grab.“

Da mir völlig klar war, dass ich hier das redseligste Mädchen von ganz England vor mir sitzen hatte, beschloss ich, ihr nur Harmlosigkeiten zu erzählen, wenn ich schon so blöde gewesen war, es überhaupt zu erwähnen.

„Sie hat gesagt, dass Peter sein ganzes Leben mit mir verbunden bleiben wird.“

Claire gähnte ostentativ gelangweilt. „Um das zu erfahren, brauchst du zu keiner Wahrsagerin zu gehen. Hätte ich dir auch sagen können.“

„Und dass seine Schwester bald heiratet.“

Das stimmte zwar nicht, aber jetzt würde sie nicht mehr weiter nachfragen.

„Was?“, kreischte sie. „Das hat sie gesagt? Obwohl es um dich ging?“

„Ja. Hat mich auch gewundert.“

Und schon hatte sie jedes Interesse daran verloren, was Ruthelma noch vorhergesagt hatte. Sie rannte in meinem Zimmer auf und ab und konnte sich gar nicht darüber beruhigen, dass eine Wahrsagerin prophezeit hatte, dass sie bald heiraten würde.

„Siehst du. Ich sage es dir doch die ganze Zeit. Beim Ball für die Debütantinnen werden mir so viele Männer einen Antrag machen, dass ich mich nicht entscheiden können werde. Bitte sehr. Sie sagt es ja auch.“

Zwar hatte Ruthelma davon überhaupt nichts gesagt, aber ich beließ sie in ihrem Glauben.

Nach einem Endlosmonolog darüber, wie begehrt sie doch als Ehefrau wäre, setzte sie sich noch einmal auf mein Bett.

„Ach, übrigens, was ich dir sagen wollte. Weißt du, dass ein neuer Vikar in Bessingford angefangen hat?“

Perplex über ihre Gedankensprünge sah ich sie an. Bessingford war die angrenzende Stadt, in die wir aber nicht sehr häufig kamen.

„Nein, wusste ich nicht. Wieso interessiert dich das denn?“

„Na, hör mal, man muss doch Bescheid darüber wissen, was in seiner Umgebung so vor sich geht.“

Dieser Satz stammte eins zu eins aus dem Mund ihrer Mutter.

„Ah, ja. Und was ist mit diesem Vikar? Ist er reich, jung und attraktiv?“

Jetzt sah sie mich perplex an. „Wie kommst du denn darauf?“

„Ach, Claire. Sonst würdest du mir kein Sterbenswörtchen über ihn erzählen, weil er für dich gar nicht existieren würde.“

„Victoria, du bist blöd.“ Damit zog sie eine Schnute.

Aber ich wusste, dass dieser Zustand ganz bestimmt nicht lange anhalten würde. Und ich hatte recht.

„Heute war ich mit Mom bei ihm, sozusagen zum Antrittsbesuch. Sie konnte es kaum erwarten, ihn kennenzulernen. Na ja ...“

„Und? Nun lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.“

„Er hat einen Sohn. Aaron heißt der.“

Jetzt wurde ich hellhörig. Sie kam zum Punkt. Deshalb all das Theater vorher. Das war typisch Claire. Jetzt musste ich vorsichtig sein. Nur kein falsches Wort. Sonst würde sie mir gar nichts mehr erzählen. Ich sah sie interessiert an.

„Er ist ein Jahr älter als ich und sieht wirklich gut aus.“ Dabei blickte sie verträumt aus dem Fenster.

Ich verstand überhaupt nichts mehr. Für Claire kam grundsätzlich nur ein reicher Mann infrage, damit sie ihn überhaupt erwähnte. Und jetzt ein Vikarssohn, üblicherweise Hungerleider, da konnte etwas nicht stimmen.

„Wir sind zusammen in den Garten gegangen und haben uns unterhalten. Weißt du, was er dann zum Abschied zu mir gesagt hat?“

Jetzt wurde es wirklich interessant. „Nein“, erwiderte ich ganz sanft.

Fast schon verschämt senkte Claire den Blick, eine Geste, die ich von ihr überhaupt nicht kannte, von ihr, die die Hochnäsigkeit und Überheblichkeit in Person war.

„Er hat gesagt, ich sei das schönste Mädchen, das er jemals kennengelernt hat.“

Ich war verblüfft. „Nein!“

„Doch. Glaubst du mir etwa nicht?“

„Doch! Doch, natürlich.“ Ich war ganz verwirrt. So was hatte mir Claire noch nie geboten.

Aber kurz darauf war sie dann schon wieder die alte Claire.

Sie erhob sich, strich ihr Kleid glatt und sah mich von oben herab an. „Ich bin nun einmal das attraktivste Mädchen weit und breit. Das wissen wir doch beide, oder?“ Damit rauschte sie aus meinem Zimmer und ließ mich in einem wirklich verwirrten Zustand zurück.

Was hatte das denn zu bedeuten? Irgendwas konnte mit Claire nicht stimmen. Nur was? Einen Aaron hätte sie noch am Tag zuvor nicht einmal wahrgenommen. Er wäre für sie ein Nichts gewesen. Hatte sich meine Cousine etwa verliebt und merkte es selbst nicht einmal? Aber diesen Gedanken schob ich sofort wieder beiseite. Zu solchen Gefühlen war sie nicht fähig.

Claire liebte nur Claire, und sie war nur auf eines aus, das war ihr eigener Vorteil. Dem hatte sich jeder unterzuordnen. Ich habe noch nie in meinem Leben einen ichbezogeneren Menschen kennengelernt als Claire, und von ihrer Mutter wurde sie darin jeden Tag aufs Neue bestärkt. Ihr Vater besah sich dieses grandiose Theater wohlwollend, bestärkte sie aber letztlich auch in ihrer Überheblichkeit.

Nur bei Tante Morvenna konnte sie nicht punkten. Die zeigte ihrer Nichte offen, was sie von ihr hielt. Ein hässliches, verzogenes, egoistisches Kind. Das sagte sie ihr auch bei jeder Gelegenheit ins Gesicht.

Das Komische daran war, dass Claire Respekt vor ihrer Tante hatte. Sie spurte aufs Wort, wenn Tante Morvenna der Geduldsfaden über ihren Endlosmonologen über ihre Großartigkeit riss und sie ihr einfach das Wort verbat. Sie war sofort ruhig und wirkte schuldbewusst.

Interessanter war natürlich Tante Vitas Reaktion, wenn sie so einen Ausbruch ihrer Schwägerin mitbekam. Dann hieß es: En Garde und die beiden alten Haudegen gingen aufeinander los. Dabei schenkten sie sich nichts, und ich hatte sie in Verdacht, dass sie diese Scharmützel beide sehr genossen. Onkel Henry nahm dann regelmäßig Reißaus. Auch Claire und Edric verzogen sich schnell.

Ich ging nur, wenn Peter zugegen war, denn ihn ängstigten diese Auseinandersetzungen. Wenn er nicht anwesend war, blieb ich ruhig sitzen und lauschte. Denn nirgendwo erfuhr man mehr als bei alten Frauen, die sich erbarmungslos stritten.

Onkel Henry hatte mich zu sich bestellt, um mit mir zu reden.

Worum es dabei gehen würde, wusste ich ganz genau, und ich hatte Angst vor diesem Gespräch. Aber ich konnte mich dem schließlich nicht verweigern. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und ging in die Bibliothek, wo er mich erwartete.

Als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, sah er auf. „Oh, Victoria. Schön, dass du kommst.“ Er stand auf und ging zu dem Kamin. „Komm, wir setzen uns hierher, da ist es gemütlicher.“

Mir sollte es recht sein, also nahm ich ihm gegenüber Platz.

Eigentlich mochte ich ihn, wie er da so vor mir saß, der Inbegriff des englischen Lords: etwas zu dick mit langem grauen Bart, durch den er sich ständig strich, und nicht mehr so vielen Haaren auf dem Kopf. Gutmütig, loyal und liebenswürdig. Leider auch ein williger Untertan seiner dominanten Frau.

Ich harrte der Dinge, die da auf mich zukamen.

„Äh ja, Kind. Jetzt bist du ja schon so lange bei uns, bist ein Mitglied unserer Familie, und wir alle haben dich gern … ja.“ Er machte eine Pause und strich durch seinen Bart.

Seine Aussage traf natürlich nicht zu. Ein Mitglied der Familie war ich, denn mein Vater war sein älterer Bruder gewesen. Aber geliebt wurde ich nur von Peter. Onkel Henry und Claire waren mir zugetan, Tante Morvenna ebenso. Aber Edric war besessen von mir, und Tante Vita hasste mich.

„Ja. Kind. Ähm. Für Claire wird ja bald der Ball gegeben, und danach geht es dann nach London, um sie bei Hofe vorzustellen. Dort wird sich hoffentlich ein Ehemann finden.“ Er sagte das, als hätte er keinen größeren Wunsch, um seine Tochter loszuwerden.

Ich musste mir ein Grinsen verkneifen.

„Ja, und dir können wir diese Möglichkeit leider nicht bieten, weil du ja nur unsere Nichte bist.“

Tante Vita hätte das auf gar keinen Fall zugelassen. So herum ging die Geschichte. Wer ein Mädchen in die Gesellschaft einführte, war nicht so wichtig. Hauptsache, sie gehörte zum Adel.

Onkel Henry drehte und wendete sich in seinem Sessel, er tat mir fast schon leid. In diese Situation hatte ihn natürlich seine Frau gebracht. Später würde er ihr Rede und Antwort stehen müssen, da war ich mir ganz klar.

„Morvenna wollte es übernehmen, aber sie ist einfach zu alt dafür. Dafür hast du doch Verständnis, oder?“

Das war mir jetzt neu. Davon hatte sie mir nichts gesagt. Ich hatte allerdings auch länger nicht mit ihr gesprochen. Also nickte ich nur leicht.

„Natürlich, Onkel Henry.“

„Ja, also. Deshalb habe ich dich gebeten, zu mir zu kommen. Du kennst die Gepflogenheiten in unseren Kreisen.“

Fragend sah ich ihn an. Natürlich kannte ich die Gepflogenheiten. Nichts ist für ein Mitglied der englischen Aristokratie wichtiger, als ihre Regeln zu kennen und einzuhalten. Nicht Bildung oder Kultur oder Sonstiges. Nur ein peinliches Einhalten aller Gepflogenheiten. Und da konnte man nur hineinwachsen als Kind, es quasi mit der Muttermilch aufnehmen. Sonst hatte man keine Chance, ein akzeptiertes Mitglied zu werden.

Jemand, der erst im Erwachsenenalter in unsere Kreise kam, aus welchem Grund auch immer, konnte sich das alles zwar aneignen, aber man merkte ihm immer an, dass er ein „Neuzugang“ war. Da konnte er machen, was er wollte.

Onkel Henry und Tante Vita hatten sich um meine Erziehung keine großen Gedanken gemacht, aber dass ich in die Regeln und Gepflogenheiten der englischen Aristokratie hineinwuchs, war selbstverständlich. Daran zweifelte sogar Tante Vita keine Sekunde. Wahrscheinlich weil sie so eine in ihrer Familie nicht haben wollte. Was sollten ihre Bridgepartnerinnen sagen?

„Ich muss also einen Ehemann für dich finden, mein Kind.“

Jetzt wurde es unbehaglich.

„Wird nicht leicht werden, weil du nur unser Mündel bist. Aber ich hoffe doch, den Richtigen für dich zu finden.“

Das bedeutete: Mitglied der Aristokratie, mittlerer oder jüngster Sohn, für einen Erben war ich nicht gut genug, und möglichst vermögend. Darauf würde Tante Vita den größten Wert legen, denn schließlich musste Onkel Henry die Hochzeit bezahlen. Dass die in kleinstem Rahmen stattfinden würde, dafür würde meine Tante schon sorgen.

„Na“, erleichtert stand er auf. „Ich freue mich, dass du es mir nicht unnötig schwer machst. Ich wusste doch, dass du ein vernünftiges Mädchen bist.“

Ich blieb sitzen und sah ihn fest an. „Ich werde keinen Mann heiraten, den ich nicht liebe.“

Er plumpste erschrocken in seinen Sessel zurück. „Kind, wovon redest du? Seit wann zählt Liebe bei einer Heirat in unseren Kreisen?“

„Na, bei mir schon. Ich gehöre ja sowieso nicht richtig dazu.“

Das sagte ich, um Tante Vita zu provozieren. Denn ich wusste ja, dass er ihr anschließend alles haarklein übermitteln musste, und über diese in ihren Augen Unverschämtheit und Undankbarkeit würde sie sich am meisten ärgern.

„Aber was sagst du denn da? Natürlich gehörst du zu uns.“

Ich nickte und verkniff mir ein Grinsen. „Aber ohne Liebe heirate ich trotzdem nicht. Unsere Queen hat auch aus Liebe geheiratet.“

Das saß. Nervös strich sich Onkel Henry durch seinen Bart.

„Ja, ja, das ist wohl wahr. Aber du weißt, dass es eine Ausnahme ist. Bei deiner Tante Vita und mir war es auch anfangs keine Liebe. Aber die hat sich im Lauf der Jahre eingestellt. Und bei dir wird es auch so sein, mein Kind.“

Auf dieses Argument war ich vorbereitet und sagte nichts dazu.

Ich hörte fast Tante Vita: Dieses ungehörige Balg. Da zieht man sie groß, steckt enorme Mittel in ihre Erziehung, und wohin führt es? Unverschämte Forderungen. Als hätte ich das nicht von Anfang an gewusst. Aber du musstest sie ja unbedingt hier aufnehmen.

Wieder stand mein Onkel erleichtert auf.

„Also. Geheiratet wird nur, wenn ich ihn liebe. Sonst gehe ich zu Miss Nightingale.“

Auch das war ein Schuss gegen Tante Vitas Kontor, denn Miss Nightingale war für meine Tante ein rotes Tuch. Sie war nicht von Adel und maß sich an, sich wie ein Mann aufzuführen und auch noch in den Krieg ziehen zu wollen, „diese impertinente Person“. Und dass ich nun auch noch zu ihr gehen wollte, dafür hatte sie nur einen Ausdruck: Undankbarkeit.

Fast hoffte ich, dass die Tür später wieder einen Spaltbreit offen stehen würde und ich es hören konnte, wie Tante Vita sich fast in die Ohnmacht redete vor Empörung über mich.

„Kind, mach mich nicht unglücklich. Das kann ich deiner Tante nicht sagen.“

„Dann sage ich es ihr.“ Damit war ich auch aufgestanden.

Jetzt strich er sich fast schon hektisch über den Bart. „Oh Kind. Was tust du mir da an?“

„Na, noch nichts. Vielleicht verliebe ich mich ja in deine Wahl. Wir werden sehen.“

Damit verließ ich die Bibliothek und stolperte draußen fast über Tante Morvenna, die schamlos gelauscht hatte. Ich musste mir einen Lachanfall verkneifen, sie offensichtlich auch.

Sie packte mich am Arm. „Komm mit zu mir.“

Auf dem ganzen Weg zu ihren Räumen mussten wir uns beide beherrschen, um nicht loszuprusten. Ich stellte mir Tante Vitas Gesicht vor, wenn der arme Onkel Henry Bericht erstatten musste.

Als wir angekommen waren, schloss Tante Morvenna die Tür und drückte sich mit dem Rücken dagegen. Ihre Krinoline hing wie immer schief, ihr Mieder war falsch geschnürt, und ihre Haube auf dem Kopf drohte abzustürzen.

Tante Morvenna und Onkel Henry stammten aus einem uralten kornischen Landadelsgeschlecht. Daher kam auch ihr ungewöhnlicher Name. Morvenna hießen in Cornwall immer wieder Mädchen, denen man schon bei der Geburt ansah, dass sie anders waren und eine Verbindung zu dem sagenhaften Avalon mitbrachten. Bei ihr war das ganz sicherlich der Fall. Sie konnte Dinge in der Zukunft sehen, die auch wirklich so eintraten, und sie durchschaute Menschen auf den ersten Blick, sicherlich genau wie die Priesterinnen auf der mystischen Insel. Ihr Ehemann war auch für sie ausgesucht worden, aus altem Landadel in Kent. Ob die Ehe glücklich gewesen war, darüber verlor sie nie ein Wort. Kinder hatte es nicht gegeben. Tante Morvenna mit Kindern konnte ich mir auch wirklich nicht vorstellen.

Nach dem Tod ihres Ehemannes überließ sie das Schloss der Schwester ihres Mannes, die immer mit dort gewohnt hatte. Sie selbst zog es mit Macht zurück nach Cornwall. Da ihr Mann wegen seiner riesigen Ländereien steinreich war, brachte sie außer ihrer Zofe Rahel enorm viel Geld mit. Das meiste bekam Onkel Henry, aber bei Weitem nicht alles. Was sie mit dem Rest gemacht hatte, davon wusste ich nichts. Jedenfalls hatte sie sich vorgenommen, im Schloss ihrer Kindheit zu sterben.

Das würde aber noch ein wenig dauern, denn sie erfreute sich bester Gesundheit.

Mit ihrem Bruder verstand sie sich schon als Kind gut, und das hatte sich bis heute nicht geändert, sehr zum Missfallen ihrer Schwägerin.

„Meine Güte. Ich hatte mir doch fest vorgenommen, nicht mehr an Türen zu lauschen. Aber das konnte ich mir ja nun nicht entgehen lassen, oder?“ Sie schüttelte sich vor Lachen. „Jetzt muss er zu ihr und Rapport geben. Mein armes Brüderchen. Sie wird vor Aufregung Schaum vor den Mund bekommen und sicher Gift und Galle spucken. Was meinst du, sollen wir heimlich hinschleichen und sie belauschen? Das wäre ein Spaß.“

Rahel erschien. Sie kannte ihre verschrobene Herrin und zeigte keine Regung angesichts der beiden Frauen, die sich vor Lachen schier verschluckten.

„Rahel, bring uns bitte Tee. Den haben wir uns jetzt redlich verdient. Komm, Kind, jetzt setzen wir uns erst einmal.“

Bald darauf wurde uns der Tee serviert, und wir hatten uns so weit beruhigt, dass wir ihn in Ruhe trinken konnten.

„Der Drachen wird Gift und Galle spucken, und ich bekomme es nicht mit. Das ist wirklich eine Ungerechtigkeit. Ich liebe sie, wenn sie so loslegt. Aber man darf es ihr ja nicht zeigen. Sonst lässt sie es. Und um dieses Vergnügen wollen wir uns doch nicht bringen, meine Kleine, oder?“ Damit langte sie nach gebuttertem Toast und biss herzhaft hinein. „Also die Drohung mit dieser Nightingale war genial. Das hätte von mir sein können.“

Ich reichte ihr eine weitere Tasse Tee, schwieg aber beharrlich und ließ Tante Morvenna ihre Tiraden halten.

„Was glaubt sie nur, wer sie ist? Kannst du mir das mal sagen? Die war für Henry erst die vierte Wahl, ich bitte dich, wer wollte die denn! Sah damals fast schon genauso aus wie heute. Und viel was mitgebracht hat sie ja nicht. Aber wehe, man sagt was. Tz! Aber sie ist einfach lustig, wenn sie loslegt. Dann ist wenigstens mal bisschen Leben in der Bude. Also, Schätzchen, was dein Ballkleid anbelangt, das wird natürlich vom Allerfeinsten. Du wirst die unumstrittene Ballkönigin werden, da bin ich mir ganz sicher. Und wenn ich dann nur an ihr Gesicht denke, wenn sie das merkt!“

Das Lachen darüber blieb mir im Hals stecken, denn ich würde es ausbaden müssen. Zu diesem Zeitpunkt war mir das aber egal.

„Demnächst gehen wir zusammen zur Schneiderin. Ich brauche auch ein Kleid für den Ball.“

Sie biss in ein Gurkensandwich.

„Das Gesicht lasse ich mir nicht entgehen, wenn sie deiner ansichtig wird. Oh, was für ein Spaß. Der arme Henry hat es nicht leicht mit ihr. Aber wenn er sie heiratet, muss er auch mit ihr leben. Glaub bloß nicht den Unsinn mit der Liebe. Er brauchte damals eine Frau, weil ihn keine wollte, und sie war schon ein spätes Mädchen, weil sie auch keiner wollte. Das war ein Arrangement. Sie respektieren sich, aber Liebe ist da garantiert nicht im Spiel. Schließlich habe ich meine Augen und Ohren überall.“

Sie wollte noch eine Tasse Tee, die ich ihr reichte.

„Aber was ist mit Claire?“

„Was soll denn mit ihr sein? Sie glaubt, sie wäre die Allerschönste. Dann wird sie mal sehen, wer hier in diesem Schloss die Allerschönste ist. Sie muss mal runter von ihrem hohen Ross, auf das sie gar nicht gehört. Das ist alles Vitas Schuld. Hat aus ihr ein verwöhntes, egoistisches, unerträgliches Balg gemacht. Sehr peinlich, dieses Getue. Eine Schönheit wie du ist sie ja nun nicht. Das soll sie ruhig mal merken.“

Auch das gefiel mir nicht. Denn wer würde Claires Absturz anschließend ausbaden müssen? Natürlich ich.

Sie war endlich fertig mit Tee und Gebäck.

„Jedenfalls hast du es Henry erst einmal ordentlich gezeigt. Da kommt demnächst garantiert noch ein Gespräch mit ihr. Du musst mir unbedingt Bescheid sagen. Versprich mir, dass du die Tür hinter dir nicht zumachst, damit ich auch wirklich alles mitbekomme!“

Ich nickte und lachte lauthals. Tante Morvenna hatte auf ihre alten Tage noch einmal einen Heidenspaß, und der wurde ihr ausgerechnet von ihrer Schwägerin geliefert.

„Vicky?“

„Ja, mein Liebling?“

Peter hatte sich wie so oft auf meinen Schoß gesetzt und sah mich erwartungsvoll an. „Ich habe ihn heute Nacht wieder gehört, du auch?“, flüsterte er mir ins Ohr.

„Wen denn, Liebling?“

„Na, du weißt doch. Den Geistervogel.“

„Oh. Das ist aber lange her, dass du ihn zuletzt gehört hast.“

Er nickte eifrig. „Glaubst du, er hat sich wehgetan im Kamin?“

„Sag bloß, er ist wieder in den Kamin gestürzt?“

Wieder nickte Peter. Die Geschichte vom Geistervogel hatte er irgendwo einmal aufgeschnappt, und jetzt begleitete sie uns. Es war eine uralte kornische Sage, die besagte, dass es Unglück brachte, wenn der weiße Geistervogel in den Kamin flog.

„Konnte er dir denn noch etwas sagen?“

Und auch jetzt nickte Peter vielsagend.

„Was denn?“

„Ja, aber das darf ich nicht sagen. Ich hab‘s ihm versprochen.“

„Na, dann musst du es wirklich für dich behalten. Sonst bringt es Unglück.“

„Aber Unglück bringt er doch sowieso, wenn er kommt. Das sagt Tante Morvenna auch immer.“

Ich horchte auf. Davon wusste ich gar nichts.

„Ja“, sagte Peter altklug. „Und sie sagt, es würde zu Mama kommen.“

„Na, da kann sich deine Tante Morvenna auch mal irren.“

„Nein, sie irrt sich nie.“

Ich wiegte mit meinem Kopf hin und her. „Na, da bin ich mir nicht so sicher.“

Verwirrt sah mich Peter an. Aber ich sah keinen Grund, ihn von Tante Morvenna verschrecken zu lassen. Sie konnte Spukgeschichten so drastisch erzählen, dass die Dienstmädchen sich weigerten, allein mit einer Kerze zu Bett zu gehen. Sie gingen dann immer zusammen, und die am wenigsten Furchtsame brachte erst alle in ihre Räume, ehe sie selbst in ihren ging.

Tante Vita verurteilte das aufs Heftigste, konnte aber nichts machen. Also erzählte Tante Morvenna an düsteren Abenden von Geistern, die spukten, und vom weißen Geistervogel, der Unglück brachte.

Die Braut von Ashwood Hall

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