Читать книгу MAGNETSTURM - T. H. Isaak - Страница 10
ОглавлениеAris Asimoglou
Kurz nach halb elf ist es soweit. Der Tross des Verteidigungsministers fährt ein. Wie eine Soldateska. Aris Asimoglou ist eine kontroverse Gestalt. Jovial, auf Äusserlichkeiten bedacht, immer für einen unpassenden Spruch zu haben. Er pfeift auf politische Korrektheit, nennt den Oppositionsführer schon mal einen Mistkäfer und seine eigenen Parteikollegen Aasgeier, die nur auf seinen Posten aus seien. Zu Frauen hegt er ein unverkrampftes Verhältnis. Kürzlich nannte er auf einer Inspektionstour in Salamis vor laufender Kamera eine Offizierin der Marine ‚Bouboulina’ und kniff sie belustigt in den Po. Ihn umgeben zahlreiche Stiefellecker, die er verachtet, dank derer er aber sein Image aufrechterhalten kann. Asimoglou ist ein neoliberaler Karrieremensch, der den Aufstieg alleine geschafft hat: Ein Selfmademan. Aus einer smyrneischen Immigrantenfamilie stammend. Vater mässig erfolgreicher Textilhändler, dem Raki zugeneigt. Mutter, gute Seele, Hausfrau.
In einem Athener Aussenbezirk aufgewachsen, studiert er Chemie und betreibt nebenbei in einer Lagerhalle seines Vaters ein kleines Labor, wo er Kunststoff herstellt und in Formen presst. Dies geschieht zu einer Zeit, da die meisten Kommilitonen ihre Zeit mit unergiebigen politischen Diskussionen und sinnlosen Demonstrationen vergeuden. Asimoglou hingegen nutzt die beschränkten Freiheiten, die das diktatorische Obristenregime seinen Bürgern bietet. Vor allem die steuerliche Begünstigung für Unternehmer. Er gründet eine Firma, die Plastikteile und Isolationsmaterial produziert. Einfache Produktionsverfahren, tiefe Löhne, fehlender Arbeitnehmerschutz und eine wachsende Nachfrage nach billigen Kunststoffprodukten im In- und Ausland wirken sich positiv auf das Geschäft aus. Aus einer Produktionshalle werden zwei. Dann drei. Erste Kontakte zur ausländischen Geschäftswelt werden geknüpft. Das investitionsfreundliche Klima der jungen, griechischen Republik fördert dann ab 1976 abermals seinen rasanten Aufstieg. Und bald schon besitzt er ein stattliches Fabrikareal von mehreren tausend Quadratmetern ausserhalb Athens in Elefsis. Grossinvestitionen. Die Produktionsprozesse werden rationalisiert. Der Rest ist nur logische Konsequenz: Der Umsatz vervielfacht sich. Geldanlage in Immobilien, Nachdiplomstudium an der New Jersey City University, Executive MBA. Diversifizierung. Danach Einstieg in die Politik. Acht Jahre Abgeordneter der konservativen Nea Dimokratia im Parlament. Und schliesslich – vor drei Jahren – Ernennung zum Verteidigungsminister. Dabei hat er nicht einmal Militärdienst geleistet. Wegen eines längst verheilten Oberschenkelbruchs, den er sich als Jugendlicher bei einem Motorradunfall zugezogen hatte, wurde er dienstuntauglich.
Dass er jedoch über ausgesprochene Führungsqualitäten verfügt, ist unbestritten. Dies hat er mit dem Aufbau seiner Firmengruppe auf eindrückliche Art und Weise bewiesen. Um die eintausend Mitarbeiter zählt die ASIMOGLOU GROUP ABEE. Sein Erfolg und seine grosszügigen Parteispenden verhalfen ihm zum Posten des Verteidigungsministers. Das operative Geschäft hat er seinen Töchtern und deren Familien übertragen. Selbst in Griechenland ist es nicht erlaubt, gleichzeitig Minister und Wirtschaftskapitän zu sein. Obwohl es ansonsten natürlich anzustreben wäre.
Vor dem Eingang zur Intermediate-Care-Abteilung treffen Asimoglou und seine Entourage, begleitet von Klinikdirektor und Chefarzt, auf das Team des Staatsanwaltes und Pavlides.
«Ah, wen haben wir denn da? Traganos (griech.: knusprig), den Staatsanwalt», witzelt Asimoglou, indem er Traianos’ Namen in einen Kalauer packt. Man wird den Eindruck nicht los, dass sich hier das erste einer ganzen Reihe von Fettnäpfchen befindet, in die der Verteidigungsminister zu treten weiss. Die Stiefellecker schmunzeln, lächeln selig oder wiehern belustigt. Die Presseleute sind irritiert. Traianos seufzt. Pavlides lässt sich nichts anmerken.
«Der Chefarzt hat mir soeben von der Tragödie erzählt. Ich bin schockiert. Ein geschätztes Kabinettsmitglied ist von uns gegangen. Ein schmerzlicher Verlust. Steckt menschliches Versagen hinter der Katastrophe?»
Traianos, eingedenk der Tatsache, dass die Presse um sie herumsteht, antwortet diplomatisch: «Noch ist nichts ausgeschlossen, Herr Minister. Wir werden alle Möglichkeiten überprüfen. Ich habe deswegen auch einen erfahrenen Kriminalisten im Team, Herrn Pavlides, Direktor der Kriminalpolizei von Thessaloniki. Er soll strafrechtlich relevante Handlungen im Zusammenhang mit den tragischen Ereignissen aufklären.»
Der Minister grunzt etwas Unverständliches.
«Und selbstverständlich sind die Teams der Spurensicherung und der Flugunfalluntersuchung seit gestern Nacht pausenlos im Einsatz.»
«Gut, gut.» Asimoglou klopft dem Staatsanwalt gönnerhaft auf die Schulter und mustert Pavlides mit einem Lächeln. Dann wendet er sich an den Klinikdirektor, der neben ihm steht. «Und wo ist nun der Pilot? Er soll wissen, dass wir, und ich denke, ich spreche hier für alle Bürger und Steuerzahler dieses Landes, hinter ihm stehen. Trotz der tragischen Umstände ist es ihm gelungen, schlimmeres zu verhindern. Er konnte das teure Flugzeug sicher landen. Eine ganz passable Rettungsaktion, wie mir scheint.» Fettnäpfchen Nummer zwei.
Nicht alle können ins Zimmer des Piloten. Die Kameraleute dreier Fernsehsender drängen sich durch die Tür, kaum haben Asimoglou und der Klinikdirektor das Zimmer betreten. Weitere Reporter und Journalisten stossen nach. Blitzlichtgewitter.
«Mit Würde, meine Herren! Seien Sie nicht so pietätlos», ermahnt Asimoglou die Presseleute und tritt ans Krankenbett des Piloten heran. Dieser öffnet träge seine Augen. Ein Mann neben dem Verteidigungsminister, der wohl zu seinem inneren Kreis gehört, gibt den Journalisten ab sofort Anweisungen, was sie zu tun und wo sie zu stehen haben. «Sie hier, Sie dort! Keine Fotos von hinten oder im Profil! Nicht zu nah heran! Hallo, Sie dort! Abstand!»
Der Minister beugt sich über das Bett und ergreift die rechte Hand des Piloten. Blitzlichtgewitter. Er richtet einige tröstende Worte an den Patienten. Blitzlichtgewitter. Macht eine ernste Miene. Blitzlichtgewitter. Blickt nie in die Kameras, sondern immer auf den verletzten Piloten. Zwischendurch wendet er sich an den Klinikdirektor und stellt ihm ein paar Fragen. Als wäre er selbst Klinikdirektor und der Klinikdirektor ein unbedeutender Abteilungsarzt. Er runzelt die Stirn, hakt nach. Bückt sich runter zum Patienten. Nickt verständnisvoll, als dieser ihm etwas sagen will. Tätschelt seinen Arm. Ein einziges Theater. Aufgeführt für die Medien, deren Vertreter fleissig auf die Auslösetaste drücken. Kaum zwei Minuten später ist der Spuk vorbei und alle stehen wieder im Flur vor dem Krankenzimmer.
«Und wo ist der zweite Überlebende?» will der Minister nun wissen.
«Er wird gerade operiert», antwortet der Staatsanwalt.
Gleichgültiges Schulterzucken.
«Hektor, sieh dir mal die Bilder der Fotografen an. Ist da was Brauchbares drunter, das wir auf unsere Homepage laden und auf Twitter posten könnten?» Der Verteidigungsminister wendet sich an den Mann, der nie von seiner Seite weicht: Hektor. Pavlides’ Blick fällt auf Hektors’ Badge. Hektor Migas, Pressesprecher. Nochmals das Gesicht. Ja. Stimmt. Das ist er. Der Pressesprecher des Verteidigungsministers. Er hat sein Gesicht hie und da mal in den Nachrichten gesehen. Im Zusammenhang mit Medienkonferenzen des Verteidigungsministers. Immer schön zurückhaltend. Nie im Vordergrund. Pavlides’ Prosopognosie. Er kann Gesichter immer und zweifelsfrei erkennen. Auch wenn er sie nur kurz und flüchtig gesehen hat und sein Blick gar nicht auf die Person, sondern auf eine andere daneben gerichtet ist. Hektor Migas, also. Geschätzt 35 Jahre alt. Schütteres, hellbraunes Haar. Graugrüne Augen. Blässliches Gesicht, markante Wangenknochen. Schmächtige Postur. Schlecht sitzender Anzug. Trotzdem strahlt er eine markige Autorität aus. Schart sofort die Fotografen um sich und lässt sich die Bilder auf ihren digitalen Profikameras präsentieren. Mit sicherem Auge sucht er sich einige aus und lädt diese auf sein mitgeführtes Tablet. Die Fotografen fressen ihm aus der Hand. Ihr Name wird unter dem Bild, das auf der Ministeriumshomepage veröffentlicht wird, stehen. Und sie werden dafür auch gutes Geld kassieren. Migas ist äusserst pingelig. Schaut sich alle Fotos an. Hin und wieder lässt er welche auf der Stelle löschen. Solche, die den Verteidigungsminister nicht vorteilhaft zeigen. Wenn er zum Beispiel die Nase rümpft, oder seine Augenlider halb geschlossen sind. Oder wenn er zu sehr im Profil aufgenommen wird. Dann kommt nämlich seine Hakennase zum Vorschein, was natürlich das Gesamtbild stören würde.
Währenddessen versucht Traianos nützliche Informationen vom Minister zu bekommen.
«Worum ging es eigentlich beim Besuch des Vizeministers in Moskau?»
«Routinebesuch. Sie wissen schon. Ehrerweisungen. Beziehungspflege. Nichts Aussergewöhnliches.»
«Wie wir erfahren haben, ist seine Tochter auch unter den Opfern.»
«Ja, das habe ich auch vernommen. Tragisch, tragisch! Die arme Mutter.»
«Wieso reiste sie mit ihrem Vater im Regierungsflieger mit?»
«Da fragen Sie mich aber etwas, Herr Staatsanwalt! Glauben Sie mir: Es ist nicht Usus bei uns, Familienmitglieder mitzunehmen. Diese Katastrophe hat Kranidakis leider selbst zu verantworten. Wäre das Mädchen zuhause geblieben und nicht mit Papa mitgeflogen, wäre es heute am Leben. Üble Sache! Sehr üble Sache!»
«Wir werden der sehr üblen Sache nachgehen», meint Pavlides. Er nickt Penelope Livanou zu, die neben ihm steht und Notizen macht.
«Ihre Sekretärin?» fragt Asimoglou, dessen entzückter Blick, einem Scanner gleich, an Livanou haften bleibt.
«Meine Frau. Und gleichzeitig auch meine Mitarbeiterin.»
«Oh, ein Familienbetrieb, die Polizei von Thessaloniki! Hahaha. Wie charmant! Sehr erfreut, Frau Pavlidou!» Der Verteidigungsminister reicht Livanou die Hand.
«Livanou, Penelope Livanou», antwortet diese umgehend, „ich habe meinen Mädchennamen behalten.»
«Livanou?» Der Minister stockt. Denkt nach. «Da gab es mal einen General Livanos in unserer Luftwaffe.»
«Genau. Mein Vater.»
«Der den Befehl zum Abschuss eines zivilen Hubschraubers gab?»
«Korrekt. Darin sassen die Brüder Mafoutis. Die meistgesuchten Verbrecher Griechenlands.»
«Das gibt’s doch nicht!» lacht Asimoglou laut auf und klopft sich auf den Oberschenkel. «Er wurde aus dem Dienst entlassen. Allerdings noch von meinem Vorgänger, der aufgrund dieser Affäre ebenfalls gehen musste, dieser Esel! Daraufhin wurde ich zum Verteidigungsminister ernannt. Wegen Ihres Vaters! Ich stehe sozusagen in Ihrer Schuld, Frau Livanou!»
«Hören Sie, Herr Minister», fährt Pavlides dazwischen, «wir brauchen für unsere Ermittlungen aus Ihrem Ministerium sämtliche Personaldossiers der Personen, die sich an Bord befanden.»
Asimoglou blickt Pavlides mit einem Gesicht an, in dem sich Unmut über den offensichtlich amüsanten, unterbrochenen Dialog mit Livanou spiegelt. «Wenden Sie sich mit Ihrem Anliegen bitte direkt an Herrn Migas. Er ist für die Details zuständig. Hektor?»
Der Angesprochene blickt auf. «Ja, bitte, Herr Minister?»
«Der Herr Kriminalkommissar möchte was von dir.»
«Und was?»
«Bitte, Herr Pavlides, sagen Sie es ihm gleich selbst.» Dann wendet sich Asimoglou wieder Livanou zu. «Und wie geht es Ihrem Vater? Diesem alten Raubein? Übrigens darf er stolz auf sich sein. Er hat eine wirklich bezaubernde Tochter.»
«Die Passagiere des Unglücksfluges waren doch – bis auf eine Ausnahme – alle Angestellte des Verteidigungsministeriums, nicht?» erkundigt sich Pavlides derweilen beim Pressesprecher.
Migas fixiert Pavlides: «Ja, und?»
«Wir brauchen alle Personaldossiers der Passagiere. Vollständig und ungeschwärzt. Mit sämtlichen Aktennotizen», erklärt Pavlides.
«Ich schaue, was ich tun kann», lautet Migas’ knappe Antwort, bevor er sich wieder seinen Journalisten widmet.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich das Umfeld der Politik und der Diplomatie als abweisend erweist. Dies weiss Pavlides spätestens seit seinem Einsatz im türkischen Konsulat von Thessaloniki vor elf Jahren. Seither hat sich nichts verändert. Zweifelnd blickt er zu Traianos hinüber.
«Seien Sie unbekümmert», sagt dieser halblaut, so dass es nur Pavlides hören kann. «Wir werden schon bekommen, was wir brauchen. Nötigenfalls mit einem Durchsuchungsbefehl für das Verteidigungsministerium.»
Schalk blitzt in seinen Augen auf.
Eine weitere Viertelstunde vergeht mit Small-Talk, wobei sich der Verteidigungsminister ganz wohl zu fühlen scheint. Er plaudert mit Livanou, mit dem Klinikdirektor, mit dem Chefarzt, mit Mitgliedern seines Stabes. Bis schliesslich Migas wieder auf das Parkett tritt und verkündet, dass es Zeit sei, aufzubrechen. Zurück nach Alexandroupolis zur Medienkonferenz. Der Verteidigungsminister wird die versammelte Presse über den Zwischenfall und den derzeitigen Stand der Ermittlungen informieren.
Es ist bereits eins, als der Verteidigungsminister in einem Saal des Luxushotels vor die Pressevertreter tritt. Zuvor isst er noch eine Kleinigkeit in einem Séparée, während er sich von den Leuten des Büros für Flugunfalluntersuchungen über den Fortgang der Ermittlungen briefen lässt. Auch Traianos und Pavlides dürfen ihre bisherigen Erkenntnisse zum Besten geben. Hektor Migas erklärt Asimoglou daraufhin eindringlich, was er zu sagen hat und was er keinesfalls sagen sollte.
«Ist schon gut, Hektor. Ich bin doch kein Geistesgestörter!», quittiert er dessen Belehrungen. Dann tritt er hinaus in den Saal und stellt sich ans Rednerpult. Traianos, Pavlides, Galinis, Leiter der Flugunfalluntersuchung, und Migas stehen in einigem Abstand hinter ihm.
«Die erste Frage, bitte», fordert Asimoglou die Journalisten auf und zeigt als erstes gleich auf den Medienvertreter des staatlichen Fernsehens. Natürlich.
«Herr Minister», fängt dieser an, «was unsere Öffentlichkeit besonders interessiert ist die Frage nach dem Grund des geplanten Besuchs des Vizeministers in Moskau. Können Sie uns darüber mehr sagen?»
«Wie Sie wissen, gibt es zwischen Griechenland, als treuem NATO-Mitgliedsland, das möchte ich betonen, und Russland diverse Kooperationsabkommen. Gerade auch im Bereich der Verteidigungspolitik. Russland stellt bekanntlich seit einigen Jahren einen Botschafter im NATO-Rat in Brüssel. Wir sind bestrebt, die Beziehungen mit der Russischen Föderation freundschaftlich zu gestalten. In diesem Sinn war der Besuch des Vizeministers zur Pflege dieser Kontakte und zur Vertiefung der Zusammenarbeit gedacht. Nächste Frage, bitte!»
«Geht es dabei um Waffenkäufe?» wirft Sokrates Kokkinakis, Journalist des linksliberalen Blattes Eléftherotypia, ein.
«Es geht um eine vertiefte Zusammenarbeit, wie ich bereits gesagt habe. Hören Sie besser hin, Herr Kokkinakis, und schreiben Sie nur das auf, was ich Ihnen sage! Nicht irgendwelche Fantastereien, die Sie üblicherweise in Ihrem Blättchen zum Besten geben. Nächste Frage, bitte!»
«Stimmt es, dass die Tochter des Vizeministers ebenfalls im Flugzeug sass und ums Leben gekommen ist?» meldet sich der Exponent der konservativen Zeitung Kathimerinízu Wort.
«Ja, das kann ich bestätigen. Dieser Umstand erfüllt mich mit tiefer Trauer», antwortet Asimoglou mit ernster Miene.
«Wie kommt es, dass ein Familienmitglied in einem Regierungsflugzeug mitreisen darf?» hakt der Reporter nach.
«Nun, das ist tatsächlich nicht üblich. Wir werden diese fatale Irregularität mit äusserster Akribie untersuchen. Laut bisherigen Informationen flog Sotiría, die Tochter des Vizeministers, aus Gründen der Bequemlichkeit mit ihrem Vater mit. Und zwar deshalb, weil sie ein Austausch-Semester an der Baumann-Universität in Moskau antreten wollte. Gott vergebe ihr. Nächste Frage!»
«Wie sieht die Opferbilanz aus und wie geht es den Überlebenden?» fragt der Vertreter eines Revolverblattes.
«Herr Mitsos, Sie sind ein Schlingel», entgegnet ihm der Minister gönnerhaft, «gleich zwei Fragen auf einmal zu stellen. Aber warten Sie, ich kann Ihnen Auskunft geben.» Er klaubt eine Liste hervor, die ihm Migas zuvor zusammengestellt hat. «Auf dem Flug waren acht Personen. Sechs Personen sind beim tragischen Ereignis ums Leben gekommen, darunter der Vizeminister, seine Tochter, zwei Angestellte des Ministeriums, sowie der Co-Pilot und die Flugbegleiterin. Überlebt haben – logischerweise – der Pilot, sowie ein weiterer Angestellter unseres Ministeriums, der für die Sicherheit des Vizeministers zuständig war.»
«Und der Zustand der Überlebenden?»
«Nicht so stürmisch, Herr Mitsos, ich sage es Ihnen ja gleich», kommentiert Asimoglou dessen nächste Frage. «Der Pilot ist, wie Sie und ihre Kollegen Fotoreporter bereits sehen konnten, noch benommen und steht unter Schock, aber ansonsten wohlauf und in bester Obhut. Er wird in den nächsten Tagen das Krankenhaus verlassen dürfen. Die andere Person wurde während meines Besuches gerade operiert. Wie ich mich aber versichern konnte, sind seine Verletzungen nicht lebensgefährlich.»
«Was kann man zur Ursache des Beinahe-Absturzes sagen? Ein technisches Problem? Menschliches Versagen?» möchte die Journalistin der Makedonía, Aliki Antoniou, Pavlides’ alte Bekannte, wissen.
«Die Flugunfall-Untersuchungsbehörde ist seit gestern Mitternacht in die Ermittlungen involviert. Erste Resultate hierzu sind nach Auslesen der Daten aus den zwei Blackboxes zu erwarten. Es wird mit Sicherheit noch zwei bis drei Wochen dauern. Die Firma Dassault hat bereits zwei Spezialisten aus Paris entsandt, die ab morgen ihre Arbeit mit Unterstützung unserer Behörden aufnehmen werden. Letzte Frage, bitte!»
«Mir liegen Dokumente vor, wonach es sich bei dem Besuch um die Beschaffung eines neuen Kampfflugzeuges, das russische Modell …»
«Ach, verschonen Sie mich mit solchen Spekulationen, Herr Kokkinakis», fährt Asimoglou dem Journalisten der Eléftherotypia ins Wort. «Hier sind unschuldige Mitmenschen von uns gegangen, und Sie kommen uns mit Ihren Verschwörungs-theorien.»
Die Medienkonferenz dauert exakt eine Viertelstunde, dann bricht der Verteidigungsminister die Veranstaltung ab, indem er ein letztes Mal bekundet, dass er den Untersuchungsbehörden vollkommen vertraue, und dass es nun darum gehe, den Vorfall objektiv aufzuarbeiten und den Angehörigen, die in diesem Moment durch schwere Stunden gingen, beizustehen. Zwar rufen die anwesenden Reporter ungeordnet noch zahlreiche Fragen in den Raum, aber der Minister verzieht sich mit einem repetitiven «Danke, das ist alles» ins Hinterzimmer des Saals. Dort wird er sogleich von Migas empfangen.
«Na, wie war ich?» will Asimoglou von seinem Pressesprecher wissen.
«Überzeugend und authentisch. Ein positives Echo von der Öffentlichkeit ist zu erwarten.»
«Ja, das will ich doch hoffen. Ich freue mich schon darauf, die Gesichter der Aasgeier an der heutigen Parteisitzung zu sehen.» Dann wendet sich der Verteidigungsminister an die übrigen Anwesenden im Raum. «So, meine Damen und Herren. Das war’s dann wohl. Ich bedanke mich für Ihre Unterstützung und wünsche Ihnen weiterhin viel Spass bei Ihrer Arbeit.»
Damit ist er auch gleich in das letzte Fettnäpfchen getreten.
Als der Verteidigungsminister mit seiner Entourage dabei ist, in die bereitgestellten Mercedes-Limousinen zu steigen, um zum Flughafen zu fahren, fasst Pavlides den Pressesprecher beim Arm.
«Die Personaldossiers, Herr Migas. Nicht vergessen! Ich erwarte sie morgen Abend auf meinem Schreibtisch.» Er streckt ihm seine Visitenkarte entgegen.
Migas blickt ihn genervt an. «Ja, ist ja schon gut, Herr Pavlides. Sie sehen doch, dass ich auch anderes zu tun habe.»
In der Regel ist es Migas, der Befehle erteilt.