Читать книгу Secrets of Amarak (1) - T. Spexx - Страница 11

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Nachdem sie die Haustür hinter sich geschlossen hatten, nahm Rebecca das Einschreiben sofort unter die Lupe. »Der Umschlag sieht ziemlich alt aus«, stellte sie mit Kennermiene fest. »Die Adresse ist mit Schreibmaschine getippt. Und verschlossen ist der Brief mit einem Wachssiegel.« Sie hob den Kopf. »So was benutzt doch heute kein Mensch mehr! Es sieht aus, als sei der Brief hundert Jahre alt.«

Joe hob eine bunte Postkarte vom Boden auf, die der Postbote anscheinend kurz zuvor durch den Briefschlitz geworfen hatte. Sie war von Aunt Rose, die gerade Urlaub in Spanien machte. »Ist bestimmt so eine Art Spiel«, sagte er. »Und der Brief ist absichtlich auf alt gemacht.« Er legte die Postkarte auf das Schränkchen neben der Garderobe. Dabei fiel sein Blick auf einen Zettel, der dort lag. »Dad ist im Baumarkt und gegen fünf wieder zurück«, überflog er den knappen Inhalt. Er sah auf die Uhr an seinem Handgelenk. »Wir haben also eine halbe Stunde Zeit, den Schlüssel zu suchen. Auf geht’s!«

Rebecca nahm sich das Wohnzimmer vor, Joe die Küche. Falls der Schlüssel bei der Renovierung des Hauses gefunden und ihren Eltern übergeben worden war, hatten sie ihn sicher an irgendeinen Platz getan, der ihnen sinnvoll erschienen war. Ihr Vater hatte die Angewohnheit, Dinge, von denen er nicht wusste, wohin sie gehörten, in Schubladen zu legen, wo er sie dann vergaß. Also widmete sich Joe zuerst den Küchenschränken und durchsuchte eine Schublade nach der anderen. Ohne Erfolg. Er sah die Schränke mit dem Geschirr durch, durchstöberte die Vorratskammer und warf sogar einen Blick in den Brotkasten. Aber einen Schlüssel fand er nicht.

Gerade wollte er die Suche im Arbeitszimmer seines Vaters fortsetzen, als ihn ein Geräusch aus dem Wohnzimmer zurückhielt: ein lautes Knacken, als würde Holz zersplittern.

Schnell lief Joe in den Nachbarraum. Seine Schwester lag bäuchlings auf dem Boden und hielt ein Stück Fußleiste in der einen Hand, während ihre andere in einem Loch in der Wand steckte. Joe erstarrte.

»Bist du verrückt?«, rief er aus. »Du machst ja alles kaputt! Die Fußleiste war frisch renoviert. Wenn das Mom und Dad sehen …«

Doch statt zu antworten, schob seine Schwester ihren Arm nur noch tiefer in die Öffnung hinein. Ihr Gesicht war vor Anstrengung ganz rot. »Ich hab’s gleich«, ächzte sie. »Gleich … hab … ich’s …«

Mit einem Ruck versuchte Rebecca, noch tiefer zu gelangen, doch im selben Augenblick schrie sie auf. Dann hörte man, wie etwas polternd einen Schacht hinter der Wand herunterfiel. Rebecca zog den Arm aus dem Loch. Ihre Haut und ihr Shirt waren total verdreckt.

»War das der Schlüssel?«, fragte Joe. Rebecca rappelte sich auf. »Ich weiß nicht. Möglich. Aber was auch immer es war: Jetzt ist es runtergefallen.«

Joe betrachtete den Schaden. »Wie bist du überhaupt darauf gekommen, dass hinter der Fußleiste ein Loch sein könnte?«

»Ich bin aus Versehen mit dem Fuß dagegengekommen«, erklärte Rebecca, »da hat die Leiste etwas nachgegeben. Also habe ich dagegengeklopft, und als es hohl klang, habe ich sie rausgerissen.« Sie sprintete Richtung Treppe. »Auf geht’s, holen wir uns das Ding!«

»Holen?«, wollte Joe wissen. »Woher?«

»Aus dem Tunnel natürlich«, rief Rebecca und stürmte die Stufen in den ersten Stock hinauf. »Wohin sonst soll das Geheimfach führen …«

Das Klingeln an der Haustür ließ sie mitten in der Bewegung stoppen.

»Wer kann das sein?«, flüsterte Rebecca. »Der Kerl aus dem Tunnel?«

Joe schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht. Vielleicht hat Dad seinen Haustürschlüssel vergessen. So oft, wie das passiert …« Mit ein paar großen Schritten sprang er zur Haustür und riss sie mit Schwung auf.

»Na, hast du mal wieder den Schlüssel …« Joe verstummte. Vor ihm stand ein Mann, groß, schmal und mit einem dunklen Anzug bekleidet. Seine Haare waren mit Gel zu einem eher hilflos wirkenden Scheitel an seinen Kopf geklebt. Und seine Augen starrten finster drein. Joe zuckte zurück und war kurz davor, die Tür wieder zuzuschlagen.

»Familie Bookman?«, fragte der Mann mit Grabesstimme.

Joe nickte.

»Ich habe eine Nachricht in unserem Briefkasten gefunden, dass Sie ein Einschreiben für den jungen Herrn entgegengenommen haben. Ich möchte es abholen.« Er streckte seine Hand aus. Sie war alt und fleckig und voll dunkler Adern, die sich aus der faltigen Haut herausdrückten.


»Und wer sind Sie?«, fragte Rebecca, die sich hinter Joes Rücken verschanzt hatte.

»Mein Name ist Einar Stein«, sagte der Mann tonlos.

Joe war so überrascht, dass er sich beinahe an seiner eigenen Spucke verschluckte. Hatten seine neuen Mitschüler nicht von einem Angestellten namens Einstein gesprochen? Aber wieso behauptete dieser Kerl dann, er heiße Einar Stein? Glaubte er wirklich, dass er sie so leicht hinters Licht führen konnte?

»Wen meinen Sie mit junger Herr?«, fragte er sein Gegenüber misstrauisch.

»Alexander Mercurius«, antwortete der hagere Mann. »Er wohnt im Haus am Ende der Straße.«

»Und geht nicht zur Schule«, fügte Rebecca hinzu. »Leugnen ist zwecklos, wir wissen Bescheid! Aber wenn er nicht zur Schule geht, wieso hat er dann nicht die Tür geöffnet, als der Postbote geklingelt hat?«

Der Fremde zögerte einen Moment. Dann beugte er seinen langen Oberkörper etwas vor und sagte mit einer Stimme, die Wasser zu Eis gefrieren lassen könnte: »Wir waren im Keller beschäftigt.«

RUMS!

Rebecca ließ die Tür ins Schloss krachen.

»Was machst du denn?«, rief Joe erschrocken.

»Hast du nicht gehört, was er gesagt hat? Sie waren im Keller beschäftigt. Und womit? Dem Zersägen von Alexanders Eltern natürlich!« Rebeccas Augen waren weit aufgerissen.

»Jetzt krieg dich wieder ein«, versuchte Joe, sie zu beruhigen. »Er will doch bloß den Brief holen.«

DING, DONG klingelte es erneut. Joe öffnete die Tür einen Spaltbreit. »Sekunde noch«, sagte er und ließ sie zurück ins Schloss fallen. »Und selbst wenn sie Leute im Keller zersägen, kann uns das doch egal sein. Wir sind nur die Nachbarn. Wir geben ihm den Brief und fertig. Außerdem weiß kein Mensch, ob diese ganzen Storys überhaupt stimmen.«

»Und wenn doch? Was ist mit diesem Alexander?«, fragte Rebecca. »Willst du ihn einfach im Stich lassen?«

Joe zog die Stirn kraus. »Wieso im Stich lassen?«

»Vielleicht ist er es ja, der im Keller zersägt wird«, sagte Rebecca mit hochrotem Kopf. »Und wir sind seine letzte Rettung. Weil wir den Brief haben. Den Brief an ihn.«

Joe kam ins Grübeln. Er glaubte zwar nicht, dass dieser Alexander wirklich zersägt wurde, aber diesem komischen Diener traute er auch nicht über den Weg. »Okay, wir gehen auf Nummer sicher«, sagte Joe und öffnete die Tür. Der hagere Mann wirkte ein wenig gereizt. »Der Brief …«, begann er und streckte die Hand aus.

»… ist für Alexander Mercurius«, sagte Joe mit fester Stimme. »Und nur ihm werden wir ihn übergeben. Persönlich!«

»Das ist nicht notwendig«, gab der Mann kühl zurück. »Ich bin der Angestellte von Mr Mercurius und verfüge über alle diesbezüglichen Vollmachten. Es genügt, wenn Sie mir den Brief aushändigen …«

»Persönlich!«, beharrte Joe und hob das Kinn. Angriffslustig starrte er seinem Gegenüber ins Gesicht.

Der Mann presste die Lippen aufeinander. Dann nickte er. »Also schön.« Er drehte sich um und ging die Stufen der schmalen Treppe hinunter. »Sie nehmen uns mit?«, fragte Joe überrascht.

Der Mann wandte sich um. »Das wollten Sie doch. Den Brief meinem Herrn persönlich übergeben. Er ist zu Hause. Also folgen Sie mir jetzt bitte … nach Amarak.«


Joe war etwas mulmig zumute, als er und Rebecca hinter dem großen, hageren Mann die Straße hinuntergingen. Was, wenn dort wirklich Verbrechen begangen wurden? War es nicht total verrückt, einem Fremden in ein finsteres Haus zu folgen, besonders nach all den Schauergeschichten, die sie in der Schule gehört hatten? Auf der anderen Seite konnten sie vielleicht ein Verbrechen verhindern, indem sie Alexander aus den Fängen dieses komischen Typen befreiten. Zumindest würden sie einen Blick ins Haus werfen und sich einen eigenen Eindruck verschaffen können. Außerdem glaubte Joe nicht, dass Einar Stein eine Chance hatte, ihn oder Rebecca im Laufen zu schlagen. Dazu war er einfach schon zu alt.

Sie passierten das große schmiedeeiserne Tor und gingen über einen breiten Kiesweg Richtung Haus. Es handelte sich um einen dreistöckigen Klinkerbau mit einer verwirrenden Architektur aus ineinanderfließenden Schrägen. Kleine Türme erhoben sich aus den Dachschindeln und ein großer, runder Schornstein schob sich weit in den Himmel hinauf. Die Fenster waren schmal und hoch und lediglich die Satellitenschüssel auf der Dachmitte zeugte davon, dass das Haus in der Gegenwart angekommen war.

Das Grundstück war riesig. An den Längsseiten zog sich ein großzügiger Garten bis zur Rückseite des Gebäudes, wo ihn ein dichter Tannenwald begrenzte. Zur linken Seite hin erstreckte sich der alte Friedhof, zur rechten stieg das Gelände leicht an, bis es von der nächsten Querstraße begrenzt wurde. Rechts neben dem Gebäude befand sich eine breite Garage, die deutlich jüngeren Baudatums war als der Rest des Hauses. Eine ihrer drei Schwingtüren stand offen und es brauchte keinen Kennerblick, um zu sehen, dass der Wagen darin ein Oldtimer war.

Als sie Einar Stein die breite Steintreppe zum Eingang hinauf folgten, bemerkte Joe, dass auch die Türen größer als normal waren. Alles an diesem Haus wirkte so, als sei es für übergroße Menschen gemacht worden.

Einar Stein zog einen langen Eisenschlüssel mit Metallverzierung aus der Tasche seines Jacketts und ließ ihn im Türschloss verschwinden. Joe stieß Rebecca mit dem Ellenbogen an.

»Genau so einen braucht man für die Tür im Keller«, flüsterte er.

»Du meinst, er ist der Kerl aus dem Keller?«, fragte Rebecca hinter vorgehaltener Hand und zeigte auf den schlaksigen Diener.

Einar Stein fuhr herum. »Bitte?«

Rebecca schüttelte den Kopf. »Ich habe mich nur über den Schlüssel gewundert«, sagte sie rasch. »Der ist ganz schön groß.«

Der Diener senkte den Blick. »Ein alter Schlüssel für ein altes Haus«, raunte er. »Passt genau.«

Er öffnete die Tür und führte die beiden Besucher in eine geräumige Eingangshalle. »Warten Sie hier«, bat er. »Ich teile dem jungen Herrn Ihr Begehr mit.« Daraufhin schritt er die breite, geschwungene Treppe empor, die zu ihrer Linken in den ersten Stock führte.

»Ich teile dem jungen Herrn Ihr Begehr mit«, äffte Rebecca ihn nach. »Der ist ja genauso verstaubt wie das Gemäuer hier.«

Joe sah sich staunend um. Die Halle sah aus wie der Eingangsbereich zu einem Museum aus längst vergangenen Zeiten. Schwere Vorhänge hingen von der rund fünf Meter hohen Decke herab. Großformatige Bilder mit breiten Holzrahmen und Abbildungen in dunklen Farben waren an den aus grob bearbeiteten Steinen bestehenden Wänden angebracht. Darunter hockten breite Kommoden wie zum Sprung bereite Raubtiere. Auf dem Marmorboden lagen dicke Teppiche mit orientalischen Mustern. Und unter der Decke baumelten ausgestopfte Vögel mit breiten Schwingen.

»Wo kommt bloß dieses ganze Zeug her?«, staunte Joe.

»Das haben meine Eltern gesammelt«, sagte eine Stimme. Rebecca und Joe fuhren herum. Am oberen Treppenabsatz stand ein Junge und sah zu ihnen herab. Er trug eine dunkle Jeans und ein etwas altmodisch aussehendes rotes Hemd. Seine Haare bedeckten die Stirn und hingen fast bis über seine Augen, die einen traurigen Ausdruck hatten. Um den Hals hing an einem dünnen Lederband ein flach geschliffener blauer Stein. »Sie sind Archäologen und haben von jeder ihrer Reisen kistenweise Sachen mitgebracht«, fuhr er fort, während er die Treppe herunterkam. »Sie dachten wohl, in Amarak gäbe es genug Platz. Aber ihre Sammelleidenschaft ist so groß, dass es langsam eng wird.«


Er erreichte den Eingangsbereich und streckte seine Hand aus. »Ich bin Alexander«, sagte er und lächelte.

»Hi, ich bin Rebecca«, stellte sich Rebecca vor und schüttelte ihm die Hand.

»Joe«, sagte Joe knapp. »Du sagst, deine Eltern sind Archäologen? Das heißt, sie sind nicht tot?«

»Nein«, erwiderte Alexander. »Ich weiß, was da draußen geredet wird. Aber es ist nicht wahr. Nichts davon. Meine Eltern wurden weder umgebracht, noch sind sie bei einem Unfall gestorben. Und schon gar nicht wurden sie von einem Magier zersägt.«

Rebecca seufzte erleichtert. Aber Joe war nicht so einfach zufriedenzustellen.

»Wo sind sie denn dann?«, fragte er.

»Verschwunden«, sagte Alexander. »Aber kommt doch erst mal mit. Dann erzähle ich euch alles.«

Secrets of Amarak (1)

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