Читать книгу Secrets of Amarak (2) - T. Spexx - Страница 10
ОглавлениеDie halbe Nacht hatte Joe wach gelegen und darüber nachgegrübelt, wer hinter Alexanders Entführung stecken könnte. Natürlich war ihm als Erstes José Madrigal La-Porta eingefallen. Vielleicht hatte der den Zusammensturz des Tunnellabyrinths doch irgendwie überlebt – immerhin hatte er mithilfe der Phiole des ewigen Lichts schon neun Leben gelebt. Möglicherweise hatte ihn das irgendwie auch gegen Verletzungen immun gemacht.
Allerdings hatte die Polizei unter Leitung von Inspektor Clash die unterirdischen Gänge gründlich untersucht. Es war ihnen zwar nicht gelungen, alle eingestürzten Tunnel auszugraben; aber immerhin hatten sie LaPortas Höllenhund Xolotl unter den Erdmassen gefunden.
Joe stutzte. Xolotl war gemeinsam mit LaPorta aufgetaucht, kurz bevor der Tunnel zusammenstürzte. Joe erinnerte sich genau daran, dass die beiden nebeneinandergestanden hatten. Wieso hatten Clashs Leute dann nur die Leiche des Hundes, aber nicht die seines Herrn gefunden?
Tock! Tock! Tock!, klopfte es an der Tür, die gleich darauf geöffnet wurde. Joes Dad steckte den Kopf herein.
»Morgen, Jonathan«, sagte er und gähnte. »Fast halb sieben. Raus aus den Federn, die Schule brennt.«
Ruckartig richtete sich Joe im Bett auf. »Was?«, fragte er entsetzt. »Die Schule brennt?«
»Wartet«, korrigierte sich sein Dad rasch. »Die Schule wartet, wollte ich sagen. Hab mich versprochen. Sorry.« Er kratzte sich am unrasierten Kinn. »War wohl ein bisschen spät gestern Abend. Da hab ich das verwechselt.«
»Warten und brennen?« Joe schüttelte den Kopf.
»Ich schreibe ein neues Buch«, erklärte sein Dad. »Da spielt der große Brand von London im Jahre 1666 eine Rolle …« Er unterbrach sich selbst. »Was rede ich … Du musst dich beeilen! Also aufstehen, Joe!«
»Morgen, Becca«, begrüßte Joe seine Schwester, als er an den Frühstückstisch kam.
»Kommst du auch noch«, erwiderte sie spitz. »Dachtest du, heute ist Feiertag?« Rebecca war morgens oft schlechter Laune.
Joe setzte sich, nahm die Karaffe mit dem Saft und schenkte sich ein Glas ein. »Wo ist Dad?«
»Rasiert sich«, sagte Rebecca und schaufelte sich eine Portion Baked Beans in den Mund.
»Und Mum?«, fragte Joe.
Seine Schwester drehte sich suchend um. »Also ich seh sie nicht«, erwiderte sie noch immer etwas herablassend.
Joe seufzte. Seine Mum war Anwältin und arbeitete seit ein paar Wochen in einer Kanzlei in London. Ihr neuer Job war auch der Grund für den Umzug gewesen. Manchmal sehnte sich Joe nach seiner alten Heimat und seinen Freunden zurück. Ganz abgesehen davon, dass seine Mutter sehr viel arbeiten musste und fast nie mit ihnen zusammen aß.
»Ist dir noch was eingefallen?«, fragte Joe. »Zu Alex und seiner Entführung?«
Seine Schwester schüttelte den Kopf. »Bin die halbe Nacht alles noch mal durchgegangen, aber es ergibt keinen Sinn, außer … LaPorta ist noch am Leben.«
»Genau das habe ich auch gedacht«, sagte Joe. »Er hat den Einsturz des Tunnels überlebt und dann Alex entführt, um an die Phiole des ewigen Lichts zu kommen.«
»Es gibt bloß ein Problem«, sagte Rebecca und reichte Joe die Zeitung, die neben ihr auf dem Tisch lag. »Sie haben gerade seine Leiche gefunden.«
»Was?«, rief Joe aus und schnappte sich die Zeitung. In Windeseile überflog er den Artikel, in dem über den Vorfall am Flughafen berichtet wurde. Die Entführung wurde jedoch mit keiner Silbe erwähnt.
»Inspektor Clash von Scotland Yard hält es für wahrscheinlich, dass eine internationale Schmugglerbande aus Panik die Flucht ergriffen und sich den Weg durch die Toilettenrückwand freigeschlagen hat«, las Joe laut vor. »Was ist das denn für ein Quatsch?«
»Lies weiter«, forderte ihn Rebecca auf.
»Clash zeigte sich zuversichtlich, die Täter bald zu schnappen, und verwies in diesem Zusammenhang auf einen weiteren Erfolg der Londoner Polizei. Nach intensiver Suche in dem vor fünf Wochen eingestürzten Tunnelsystem im Stadtteil Rotherhithe wurde die Leiche eines Mannes gefunden. Noch konnte die Identität des Toten nicht geklärt werden, doch der Inspektor gab zu verstehen, dass es einen Verdacht gebe. Sobald sich dieser erhärte, würde die Presse informiert.« Joe lies die Zeitung sinken. »Aber das … Wieso hat er uns davon nichts gesagt?«
»Vielleicht hat er es erst erfahren, als wir schon weg waren«, überlegte Rebecca.
Joe kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe. »Und wieso sagt er der Zeitung nichts über die Entführung und spricht stattdessen von Schmugglern?«
»Vielleicht, um Alexander zu schützen«, sagte Rebecca. »Möglicherweise will er erst einmal abwarten, ob sich der Entführer meldet. Vielleicht hat der das sogar schon getan und verlangt, dass die Presse aus dem Spiel gelassen wird.«
»Ein bisschen viel vielleicht«, sagte Joe und nahm noch einmal das Bild des Inspektors unter die Lupe. »Was ist denn das?«
»Was denn?«, fragte Rebecca.
Joe reichte ihr die Zeitung. »Sieh dir das Bild an«, sagte Joe. »Der Inspektor steht vor dem Hafenbecken. Und an das Hafenbecken grenzen die Toiletten.«
Rebecca kniff die Augen zusammen und studierte das Foto. Doch sie konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. »Worauf willst du hinaus?«
»Auf den Taucher«, sagte Joe und wies auf den Kopf mit dem Atemgerät, der aus den dunklen Fluten schaute. »Clash hat doch ziemlich eindeutig gesagt, dass ihm der Einsatz eines Tauchers zu aufwendig ist und er außerdem glaubt, dass so etwas nichts bringt.«
Rebecca ließ die Zeitung sinken. »Und was schließt du daraus?«
Joe nahm das Glas mit dem Saft in die Hand. »Dass er uns nicht die Wahrheit sagt. Weder der Presse noch uns. Und dabei sind wir Alexanders Freunde. Es gibt keinen Grund, uns anzulügen. Clash tut es trotzdem.« Er nahm einen tiefen Schluck. Plötzlich verzerrte sich sein Gesicht zu einer Fratze. »Was ist das denn?«, rief er entsetzt aus und starrte auf das Glas in seiner Hand.
»Was ist los?«, rief sein Dad und kam aus dem Badezimmer gestürzt, das Gesicht voller Rasierschaum.
Joe hielt ihm das Saftglas entgegen. »Das ist ja Zitronensaft!«
»Zitronensaft?«, fragte sein Vater.
»Was machst du da?«, fragte Rebecca und zeigte verwirrt auf seine Hand.
»Ich rasiere mich«, erwiderte ihr Dad.
»Mit einem Kamm?«
Er senkte den Blick auf einen Kamm voller Rasierschaum. »Und ich habe mich schon über die stumpfe Klinge gewundert«, sagte er kopfschüttelnd. »Es sind komische Zeiten. Wirklich komische Zeiten.«
Der Weg in die Schule wurde immer schwieriger. Nach den Ereignissen der vergangenen Wochen hatte die Polizei immer wieder einzelne Straßen gesperrt, sodass man Umwege in Kauf nehmen musste. Nach dem Sturz des London Eye wurden die Sperrungen noch einmal ausgeweitet. Im Metro-TV hatte es zwar geheißen, dass ein Konstruktionsfehler die Ursache gewesen sei – aber das glaubte die Stadtverwaltung vermutlich selbst nicht. Wie sonst war das massive Polizeiaufgebot zu erklären?
Das zerstörte Riesenrad war natürlich auch auf dem Schulhof Thema Nummer eins, als Joe mit Kevin, Robin und Mike in der Pause zusammenstand.
»Nie und nimmer war das ’n Konstruktionsfehler«, sagte Kevin. »Mein Onkel is Schausteller und hat wirklich Ahnung von so Dingern. Der meint, so ’nen Konstruktionsfehler kann’s gar nicht geben, dass ’n ganzes Riesenrad umkippt.«
»Was war’s dann?«, fragte Robin. »Der Wind oder was?« Er und Mike lachten.
»Da muss jemand dran rumgemacht haben«, sagte Kevin. »Und zwar heftig! Solche Riesendinger werden total streng kontrolliert. Wenn da nicht alles einwandfrei ist, kriegen die keine Erlaubnis zu öffnen.«
»Und wer soll das gewesen sein?«, fragte Joe. »Etwa die Jugendlichen, die hochgeklettert sind?«
»Quatsch«, sagte Robin. »Die wollten doch nur Selfies machen und sich damit Klicks holen. Die klempnern doch nicht an dem Ast rum, auf dem sie sitzen.«
Mikes Miene verdüsterte sich. »Einer von denen hat im Fernsehen gesagt, dass sich das Gestänge wie Gummi verbogen hat. So, als sei es weich geworden.«
»Wie soll das denn gehen?«, fragte Kevin. »Gestänge wird doch nicht weich. Außer, es wird erhitzt.«
»Die meinten auch, dass es warm wurde«, sagte Mike. »Und dass da so ’n komischer Ton war – so ’ne Art Summen.«
»Jetzt hör aber auf«, schimpfte Robin. »Das war wahrscheinlich bloß der Wind. Und die Wärme war ihr Angstschweiß.«
»Trotzdem ist es merkwürdig«, sagte Kevin. »Und noch merkwürdiger ist, dass die Polizei nichts dazu sagt.«
Nach der Schule rannte Joe Kevin hinterher. »Warte doch mal!«
Sein Klassenkamerad drehte sich um. »Was denn?«
»Gehst du wieder zu Madame Tussauds?«, fragte Joe.
Kevin nickte. »Willste mit?« Kevins Tante arbeitete in dem Wachsfigurenkabinett und ihr Neffe war nachmittags oft dort.
»Keine Zeit«, sagte Joe. »Aber … Ist Gerd auch da?«
»Gerd?«, fragte Kevin. Der Deutsche war als Türsteher bei Madame Tussauds angestellt und hatte Joe, Rebecca und Alexander mal aus der Patsche geholfen. »Glaub schon«, sagte Kevin. »Was willste denn von ihm?«
»Ich brauche seine Stimme«, sagte Joe und nahm den Rucksack von seiner Schulter.
»Seine Stimme?«, fragte Kevin. »Wozu?«
»Kann ich dir nicht sagen«, erwiderte Joe. »Aber es ist sehr wichtig.«
»Hat es was mit diesen komischen Typen zu tun, die euch vor ein paar Wochen verfolgt haben?«
Joe nickte.
»Und was soll Gerd machen?«, fragte Kevin.
Joe stellte seinen Rucksack ab und zog ein Heft hervor. Er riss ein Stück Papier heraus und schrieb einen kurzen Text darauf. Als er fertig war, reichte er Kevin den Zettel.
»Er soll um Punkt vier Uhr diese Nummer anrufen und diesen Satz sagen.«
Kevin las die kurze Nachricht. Sein Gesicht wurde ernst. »Dafür kann er ’ne Menge Ärger kriegen.«
»Wird er nicht«, widersprach Joe. »Das verspreche ich. Es ist auch wirklich nichts Schlimmes. Aber es ist enorm wichtig.«
Kevin faltete den Zettel und verstaute ihn in seiner Hosentasche. »Keine Ahnung, ob er das macht«, sagte er. »Aber falls doch, hab ich was gut bei dir.«
»Hast du«, sagte Joe und schulterte seinen Rucksack. »Und Gerd auch.«