Читать книгу Secrets of Amarak (2) - T. Spexx - Страница 7
ОглавлениеDie drei Gestalten huschten den Queens Walk entlang. Um diese nächtliche Stunde gingen zwar kaum noch Leute am Themse-Ufer spazieren, aber wegen der dramatischen Ereignisse der vergangenen Wochen waren vermehrt Polizeistreifen in Londons Straßen unterwegs. Wichtige Gebäude wie die County Hall, deren imposante Fassade sich rechts von ihnen erhob, wurden besonders gut bewacht. Niemand sollte sie aufhalten, deshalb mussten sie vorsichtig sein. Vorsichtig und schnell.
Als eine Fußstreife um die Ecke bog, drückten sie sich rasch in den Sea-Life-Eingang neben sich und warteten, bis die beiden Bobbies vorübergegangen waren. Dann nahmen sie ihr eigentliches Ziel wieder ins Visier, das direkt vor ihnen in den Himmel ragte: das London Eye, Europas größtes Riesenrad.
»Los geht’s«, flüsterte Matthew seinen Freunden zu. Doch Patrick zögerte.
»Ganz schön hoch das Ding«, murmelte er und legte den Kopf in den Nacken. »Sind doch locker … hundert Meter.«
»Hundertfünfunddreißig, um genau zu sein«, sagte Christin und hob ihr Smartphone in die Höhe. »Bitte lächeln!« Das Blitzlicht erhellte für einen Moment die Dunkelheit.
»Bist du irre?!«, herrschte sie Matthew an. »Willst du, dass uns die Polizei gleich hier schnappt?«
»Wie soll ich denn bitte schön sonst mitten in der Nacht Fotos machen?«, giftete Christin zurück. »Ohne Blitz ist nichts drauf zu sehen und dann ist dein ganzer schöner Plan im Eimer.«
»Dann warte wenigstens, bis wir oben sind«, sagte Matthew. »Wenn wir vorher geschnappt werden, kannst du deine Klickzahlen im Netz gleich vergessen.«
»Klickzahlen«, murmelte Patrick mit sorgenvoller Stimme. »Ist es das wert? Für ein bisschen Aufmerksamkeit im Netz illegal auf das höchste Riesenrad der Welt zu kraxeln?«
»Europas«, muffelte Christin.
»Klar ist es das«, sagte Matthew und funkelte Patrick böse an. »Wenn du Schiss hast, zieh Leine, ja? Gemecker kann ich bei dem Trip hier nicht gebrauchen.«
Patrick hob noch einmal den Blick. Ein flaues Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus. Als sie den Trip geplant hatten, wirkte das London Eye gar nicht so groß, und als sie ihre Aktion mit Google Earth ausarbeiteten, sah es sogar ziemlich klein aus. Aber jetzt, hier vor Ort und mitten in der Nacht, war das Riesenrad wie ein Hochhaus – ein Hochhaus mit dreißig Stockwerken. Dreißig Stockwerke, die sie an der Außenfassade bis nach oben klettern wollten.
»Und wenn wir nur bis zur ersten Kabine hochsteigen?«, schlug Patrick vor und zeigte auf eine der zweiunddreißig ovalen Gondeln.
»Und wen soll das interessieren?«, gab Matthew genervt zurück. »Glaubst du, irgendjemand klickt uns an, wenn wir von fünf Metern Höhe runterwinken?« Er spuckte auf den Boden. »Wir klettern bis ganz nach oben. Christin filmt uns, wie wir mit erhobenen Fäusten auf der obersten Gondel stehen, und dann …« Er boxte Patrick freundschaftlich gegen die Schulter. »Dann kriegen wir Millionen Klicks, Alter. Millionen Klicks!«
Geduckt huschten sie die Rampe zum Eingang hinauf und kletterten über die Absperrung. Keine Minute später hasteten sie auf der Rückseite des Riesenrads die Stufen der Metalltreppe hoch zur ersten Gondel. Dort überwanden sie das Geländer und schon befanden sie sich mitten in der Stahlkonstruktion, die das gewaltige Rad in der Senkrechten hielt.
Wie leicht das alles ging, dachte Patrick und wunderte sich, dass das London Eye nicht besser gesichert war. Allerdings hatte vermutlich auch niemand Lust auf eine Klettertour in schwindelerregender Höhe. Niemand außer ihnen.
Zwischen den Stahlstützen war dann auch Schluss mit der Leichtigkeit. Die breiten Träger, an denen die Gondeln baumelten und über die sich die drei Jugendlichen langsam nach oben zogen, bogen sich mehr und mehr in die Höhe, was den Aufstieg immer schwieriger machte. Als die Streben schließlich steil hinaufführten, stoppte Matthew und schien darüber nachzudenken, wie er den nahezu senkrechten Stahlträger erklimmen sollte.
Knapp unter ihm klammerte sich Patrick an einer Querstrebe fest. Als er einen Blick nach unten warf, wurden seine Knie weich. Obwohl sie noch nicht einmal die Hälfte geschafft hatten, war die Höhe schwindelerregend. Patrick lief der Schweiß über die Stirn und seine feuchten Hände hatten auf dem Metall kaum Halt.
»Lass gut sein!«, rief er Matthew zu. »Wir machen die Bilder hier – reicht doch völlig aus.«
»Reicht überhaupt nicht aus«, widersprach Matthew. »Wir müssen hoch. Und ich weiß auch …«
Ein Ruck ging durch das Rad. Reflexartig klammerte sich Patrick am Träger fest. Unter sich hörte er Christin schreien. Er senkte den Kopf und sah das Mädchen an einem der Querträger hängen.
»Christin!«, schrie Patrick.
»Hilfe!«, brüllte sie.
»Ich komme!«, rief Matthew und kletterte, so schnell er konnte, runter. Während er sich mit der einen Hand am Gestänge festhielt, streckte er die andere so weit wie möglich zu Christin hinab. »Nimm meine Hand!«, rief er. »Ich zieh dich hoch.«
»Bist du irre?«, rief Christin zurück. »Ich lass doch nicht los!«
»Sie hat recht, das geht so nicht«, sagte Patrick. »Wir müssen sie packen.«
»Und wie, du Idiot?«, fragte Matthew. »Was war das überhaupt? Fühlte sich an, als würde das ganze verdammte Riesenrad aus den Angeln gehoben …«
»Ist doch jetzt egal«, sagte Patrick. »Wir müssen Christin helfen. Schnell!« Er hangelte sich nach unten.
»Was hast du vor?«, rief ihm Matthew nach, doch Patrick antwortete nicht. Er hatte einen Plan. Ob er funktionieren würde, wusste er nicht. Aber es war keine Zeit zum Nachdenken.
»Halt durch«, sagte er zu Christin, als er an ihr vorbei nach unten kletterte.
»Ich kann nicht mehr«, ächzte sie erschöpft. »Meine Hände rutschen ab.«
»Nur noch ein paar Sekunden«, bat Patrick und hangelte sich über eine der Streben auf das Dach der Gondel darunter. Christin hing rund vier Meter über ihm. Wenn sie losließ, würde er sie auf dem ovalen Dach vermutlich nicht halten können. Aber wenn er die Luke auf der Gondeloberseite irgendwie aufbekam, konnte sie sich in die Kabine fallen lassen. Ein Sprung aus einer solchen Höhe tat wahrscheinlich weh, war aber immer noch besser als der Tod.
Patrick zog sein Taschenmesser hervor und machte sich an den Schrauben zu schaffen.
»Das klappt doch nie«, rief Matthew von oben und streckte seine Hand aus. »Gib mir deine Hand, Christin!«
Aber das Mädchen war mit ihren Kräften am Ende. »Ich kann nicht mehr …«
In diesem Augenblick vibrierte das Gestänge, als würde das London Eye von einem Riesen geschüttelt. Im selben Moment hatte Patrick zwei Schrauben gelöst. »Nur noch eine«, rief er und zögerte. Das Dach der Gondel wurde warm. Warm und weich, als würde es schmelzen. Patrick spürte, wie er mit den Füßen einsank. Gleichzeitig glaubte er, eine Art tiefes Brummen oder Summen zu hören. Doch ehe er darauf reagieren konnte, schrie Christin wie am Spieß – und dann ging alles ganz schnell.
Matthew rutschte vom Gestänge und riss Christin mit sich in die Tiefe. Beide zusammen prallten mit ungehemmter Wucht zu Patrick aufs Kabinendach, das wie Kaugummi nachgab und riss. Sie stürzten in die Gondel und knallten auf den Boden. Gleichzeitig zerfetzten mit peitschenden Geräuschen die langen Stahlseile, die das London Eye am Boden sicherten. Das dreieckige Haltegerüst, an dem das Riesenrad mit seiner Nabe befestigt war, begann sich langsam zu neigen und mit einem gewaltigen Krachen klatschte das London Eye in das Wasser der Themse.