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Kapitel 1
ОглавлениеVorwort.
Die Sagen der afrikanischen Neger sind ein überraschend
reichhaltiger literarischer Schatz, welcher die
alte Annahme bestätigt, daß das Geistesleben aller
Völker und Rassen das gleiche ist, so lange es in der
Kindheit seiner Entwickelung sich befindet. Was sich
in vielen Jahrhunderten auf dem schwarzen Kontinent
an Literatur seiner Eingeborenen durch Tradition erhalten
hat, steht den europäischen alten Fabeln und
Sagen nicht nach; der einzige Unterschied ist, daß
diese einen steten Fortgang des Innenlebens, der Kultur
der kaukasischen Rassen bekunden, während der
Afrikaneger sich noch heute in seiner Kindheit befindet.
Es läßt sich nicht einmal ungefähr angeben, wieviel
verschiedene Stämme und wieviel Sprachen auf
dem afrikanischen Festlande leben; nur soviel ist sicher,
daß beider Zahl enorm ist. Sind doch allein auf
deutsch-ostafrikanischem Gebiete gegen fünfzig
scharf voneinander getrennte Zungen anzutreffen. Um
so sonderbarer ist die Tatsache, daß die Verschiedenheit
der Sprachen eine nicht dem entsprechende Verschiedenheit
der Literatur der Völker Afrikas zur
Folge hat. Wir finden die Erzählungen des Nordens
im Süden wieder, in veränderter Gestalt zwar und sich
den verschiedenen Lebensgewohnheiten und Umge-
bungen anpassend, aber unverkennbar dieselben Ideen
in sich tragend. Auffallend tritt diese geistige Verwandtschaft
der Geschichten hervor in folgenden:
Wie der Tod in die Welt kam. (Zulusage.)
Wie es kommt, daß die Nase des Hasen gespalten
ist. (Hottentottenfabel.)
Warum es gut ist, daß die Menschen sterben.
(Sage der Eingeborenen am Viktoriasee.)
Die Sage vom Chamäleon. (Sage der Haussaneger
im Innern Afrikas.)
Warum der Mensch stirbt. (Sage von der Goldküste.)
Die große Familie der Bantuvölker, d.h. der südlich
vom Äquator lebenden Afrikaneger, zu denen indessen
die Hottentotten nicht zu rechnen sind, da sie
eine Familie für sich bilden, besitzt eine beträchtliche
Anzahl von Sagen, deren Hauptperson ein Kind ist,
das irgend eine Sache verschenkt oder verleiht, dieselbe
wiederfordert und findet, daß sie verloren oder zerbrochen
ist. Als Schmerzensgeld bekommt es dann
einen anderen Gegenstand, mit dem es dieselbe Erfahrung
macht. Die Sache wiederholt sich mehrmals und
wirkt dadurch schließlich lähmend auf das Interesse.
Was aber von Interesse ist, das ist ihre Verbreitung
über den ganzen afrikanischen Kontinent und über ihn
hinaus auf seine Inseln. Man kann nur annehmen, daß
ein großer Kreis der afrikanischen Sagen einem vorgeschichtlichen
Zeitalter angehört und sich langsam
weiter und weiter verbreitet hat, allmählich seine Farben
und Gewänder ändernd. Ein hervorragendes Beispiel
von Geschichten dieser Art, ist:
Eine Geschichte der Neger von Damaraland;
Eine Erzählung aus Madagaskar;
Eine Geschichte von der Sierra Leonaküste;
Eine Geschichte der Zulus.
In allen vier Erzählungen handelt es sich um geschenkte,
vertauschte und zerbrochene Sachen. Die
Otyiherero- oder Damaraerzählung und Madagaskarsage
sind in vielen Punkten verschieden, weisen aber
auch augenscheinliche Übereinstimmungen auf. So ist
der erste Tauschgegenstand in beiden eine Nadel, ihr
folgt in der Damarageschichte eine Frucht, in der der
Malagassen eine Pflanze, dann finden wir in beiden
die Axt. In beiden Fabeln sind außer Lebensmitteln
immer eiserne Gegenstände die Tauschobjekte, und
sie werden stets weitergegeben an Leute, denen vorher
der Nutzen des Eisens unbekannt schien. So kann
man wohl annehmen, daß diese Fabeln entstanden zur
Zeit, da das Eisen den Stein zu ersetzen anfing, und
somit dürften diese Erzählungen zu den frühesten literarischen
Erzeugnissen der Eingeborenen Afrikas zu
rechnen sein; denn die Kunst des Eisenschmelzens
und der Eisenarbeit war offenbar zur Zeit der ersten
Europäer in Afrika nicht neu, da bereits die ältesten
Kunden von ihrem Vorhandensein berichten. Was annehmen
läßt, daß die Sage ihr erstes Entstehen sogar
einer Zeit verdankt, in der der Eisengebrauch noch unbekannt
war, ist der Umstand, daß die Version an der
Sierra Leonaküste nichts vom Eisen weiß. Während
in der Zulu- und Madagaskargeschichte nur Personen
eine Rolle spielen, sind bei den Herero- und Sierra
Leonavölkern Tiere und Gegenstände die Träger der
Handlung. Die Sprache der Bewohner Madagaskars
ist polynesischen Ursprungs, hat also nichts mit den
Bantusprachen gemein. Für das Auftreten jener Sage
auf der Insel läßt sich aber leicht eine Erklärung finden.
Der nahen Afrikaküste sind viele Worte im täglichen
Sprachgebrauch der Malagassen entehnt, da der
Verkehr zwischen dem Festlande und der Insel seit
Urzeiten ein reger war. Mit der Übernahme von Teilen
der Sprache hat sich wohl auch ein Teil der Literatur
eingeschlichen. – Der deutsche Reineke Fuchs hat
in den Negersagen Afrikas sein würdiges Gegenstück
gefunden; er tritt in Gestalt des Kaninchens, Hasen,
Schakals, ja der Schildkröte auf und ist stets mit der
verschlagenen Schlauheit ausgestattet, die wir an
Freund Reineke kennen. Der Hase und die Schildkröte
(Kamerunmärchen) und der Löwe und die Schildkröte
(Yaosage) sind die treusten Reinekegeschichten
und haben nebenbei eine unverkennbare Ähnlichkeit
mit unserem braven Swinegel, der sich auf einen
Wettlauf mit dem Hasen einließ. – Von großem Interesse
für Völkerkundige ist der Umstand, daß die Hottentotten
eine so reichhaltige Tierfabelkollektion besitzen.
Man hatte sich gewöhnt, gerade dieses Volk
für ein so untergeordnetes anzusehen, daß die Entdekkung
einer Literatur, die den ersten Platz in der der
farbigen Völker Afrikas einnimmt, eine Überraschung
ist. Über das Origin des Hottentottenvolkes schwebt
tiefstes Dunkel; doch ist gerade der Fabelschatz dieses
Volkes, und mehr noch die Ähnlichkeit der Fabeln
mit unseren eigenen, eine Bestätigung der oft ausgesprochenen
Annahme, daß die Hottentotten nordafrikanischen
Ursprungs sind und bereits in alten Zeiten
mit den Völkern Europas Fühlung hatten. Sprachforscher
weisen überdies zwischen der Sprache der Hottentotten
und der alten Ägypter Ähnlichkeiten nach.
Über die Verwandtschaft der afrikanischen Negerliteratur
untereinander läßt sich viel sagen; doch ist eine
Abhandlung darüber weder der Zweck der vorliegenden
kleinen Sammlung, noch ist meine Kenntnis der
Sprachen und Völker Afrikas eine annähernd genügende,
um mich weiter auf dieses hochinteressante
Thema einlassen zu können. Diese Sammlung der
afrikanischen Literatur soll lediglich dazu beitragen
zu unterhalten und Erwachsenen wie Kindern daheim
den Erdteil und seine Bewohner näherzubringen, in
dem so viele unserer Interessen liegen, und der hoffentlich
mehr und mehr ein Faktor in der deutschen
Weltstellung und Macht sein wird.
Einen ganz besonderen Dank schulde ich dem Vorstände
der Kapstädter Stadtbibliothek, der mir in entgegenkommendster
Weise gestattete, aus alten Zeitschriften,
Magazinen usw. für meinen Zweck zu
schöpfen. Professor Cameron aus Kapstadt ließ mich
liebenswürdig von seiner Kenntnis der Madagaskarliteratur
profitieren, wie auch Mr. Ritchie aus Port Elisabeth
und viele deutsche und englische Freunde mich
in jeder Weise bei meiner Arbeit unterstützt haben,
indem sie mir erzählten, was sie beim nächtlichen
Feuer auf Wanderungen tief im Innern oder an der
Küste von Eingeborenen zu hören bekommen haben.
Die Geschichten »Vom Vogel, der Milch gab« und
vom »Cakyane-bo-Cololo« sind mir von den Mönchen
der Missionsstation Marianhill in Natal zugegangen,
und schließlich hat das Seminar für orientalische
Sprachen in Berlin in sehr freundlicher Weise
ein Interesse an der Arbeit gezeigt, indem es mich mit
verschiedenen Yao-Erzählungen, also des Stammes
aus dem Süden unseres ostafrikanischen Schutzgebietes,
versorgte.
Ich gebe mein Manuskript mit dem Wunsche aus
der Hand, daß es daheim das Interesse finden und
dem Zwecke dienen möge, die von mir angestrebt
sind.
K a f f r a r i a in Südafrika, März 1904.
T. v. Held.
Sikulume.
Ein Negermärchen der Kaffern in der Kapkolonie.1
In einem Kaffernkraal2 lebte vor Zeiten ein alter
Mann, der war sehr arm. Wenige Stück Vieh nur
nannte er sein eigen, und Töchter, deren Heirat ihm
Besitz zuführen konnte, hatte er nicht. Eines Tages
saß er im hellen, klaren Sonnenschein vor seiner
Hütte, rauchte Tabak und starrte ins Freie. Plötzlich
erregte das Gezwitscher einiger Vögel in einem nahen
Dornbusch seine Aufmerksamkeit. Er blickte auf und
sah sieben Vögel von ungewöhnlicher Schönheit vor
sich; auch ihr Gesang unterschied sich von allem, was
er Ähnliches bisher gehört hatte.
Da ging der alte Mann zu dem Häuptling seines
Stammes und sagte ihm, was er gesehen hatte.
Dieser hörte schweigend zu; dann sprach er: »Wieviele
Vögel, sagtest du, waren es?«
Der alte Kaffer antwortete: »Sieben«.
»Du hast recht getan, mir davon zu sagen«, fuhr
der Häuptling fort. »Zum Lohne dafür sollst du meine
sieben fettesten Kühe haben. Ich habe sieben Söhne
im Kriege verloren. Die sieben Vögel sollen sie mir
ersetzen; denn wer sagt mir, daß sie nicht meine getöteten
Söhne sind? Die kommende Nacht darfst du
nicht schlafen, sondern mußt wachen und Sorge tragen,
daß die Vögel nicht fortfliegen. Morgen früh
werde ich sieben Knaben erwählen, die sollen die
Vögel fangen.«
Der alte Mann tat, wie sein Häuptling ihm geboten
hatte.
Am folgenden Morgen sammelte dieser seinen
Stamm um sich und erzählte von den Vögeln. Hierauf
wählte er sechs der mutigsten Knaben, gesellte ihnen
seinen Sohn bei, der stumm war, und hieß sie gehen,
um die Tiere zu fangen. Bei seinem Zorn verbot er
ihnen, ohne dieselben vor seine Augen zu treten.
Dann gab er ihnen Waffen und befahl ihnen, jedermann
zu töten, der sich ihnen etwa wiedersetzen wollte.
Mehrere Tage hintereinander verfolgten die Knaben
nun die Vögel, ohne sie fangen zu können. Endlich
aber fielen sie erschöpft zur Erde und ließen sich
willig aufheben. An der Stelle, wo die Knaben ihre
Aufgabe gelöst hatten, blieben sie über Nacht.
Am nächsten Morgen machten sie sich auf den
Heimweg. Sie kamen zu einer Hütte, in der ein lustiges
Feuer brannte; aber es war niemand darin. Da gin-
gen sie hinein und legten sich schlafen.
In der Nacht aber wachte der eine der Knaben auf
und hörte eine Stimme sagen:
»Hier ist ja schönes Fleisch! Zuerst werde ich diesen,
dann jenen, dann den dort nehmen; zu allerletzt
soll der mit den kleinen Füßen dran kommen.«
Der »mit den kleinen Füßen« aber war der Sohn
des Häuptlings. Sein Name war Sikulume. Bis zu
dem Tage, an dem er den Vogel gefangen hatte, war
er stumm gewesen, nun war seine Zunge durch ein
Wunder gelöst.
Der Knabe, welcher die unheimliche Stimme gehört
hatte, lag mehrere Minuten ganz still. Dann sah
er beim schwachen Strahl des Mondes, daß der Sprecher,
ein breitschultriger, großer Mann, zur Hütte hinausging,
wahrscheinlich, um seine Freunde zum
Mahle zu laden. Sofort weckte der Knabe seine Kameraden
und teilte ihnen mit, was er gehört hatte. Sie
verlachten ihn aber und meinten:
»Du hast geträumt. Es ist niemand in der Hütte gewesen.
«
Er antwortete: »Geträumt habe ich nicht; ich rede
die Wahrheit.«
Sie verabredeten nun, daß einer von ihnen wachen
solle, und sobald dieser ein verdächtiges Geräusch
höre, die anderen wecken müsse.
Nach einer kleinen Weile waren sie bis auf einen
wieder in festen Schlaf gefallen. Es währte gar nicht
lange, so ließen sich Schritte vernehmen und gleich
darauf dieselben Worte wie vorhin.
»Sie werden alle gleich hier sein,« schloß der Kannibale
seine Rede und rieb sich vergnügt die Hände,
indem er wieder zur Tür der Hütte hinaustrat.
Der zum Tode erschrockene Knabe rief seine Gefährten,
und in wenigen Sekunden befanden sie alle
sich auf der Flucht.
Als der Kannibale aber mit seinen Freunden die
Hütte betrat, die jetzt leer war, fielen die Betrogenen
über den Betrüger her – denn sie glaubten seinen Beteuerungen
nicht – und verspeisten ihn.
Sikulume war geflohen, ohne in der Hast an seinen
Vogel zu denken. Als er dies bemerkte, beschloß er
sofort umzukehren; denn er fürchtete den Zorn seines
Vaters mehr als die Blutgier der Kannibalen.
Seine Gefährten suchten umsonst, ihn von seinem
Vorhaben zurückzuhalten.
»Seht her,« rief Sikulume und bohrte seinen Assegai3
in die Erde, »wenn dieser fest und still steht,
dann sollt ihr wissen, daß ich in Sicherheit bin; bewegt
er sich hin und her, so wißt, daß ich fliehe, fällt
er aber hin, so sei es euch das sichere Zeichen meines
Todes.«
Damit ging er von ihnen und wandte sich der Hütte
der Menschenfresser zu.
Auf dem Wege dorthin traf er ein altes Weib; das
saß auf einem großen Steine und rief ihm zu:
»Wohin gehst du?«
Er sagte es ihr.
Da nahm die Frau aus einem Korbe etwas Fett und
gab es dem Sohne des Häuptlings.
»Nimm dies,« sprach sie. »Wollen die Kannibalen
dir etwas anhaben, so wirf ein wenig davon auf einen
Stein.«
Dann war die Alte verschwunden, Sikulume ging
weiter. Als er zu der Hütte kam, fand er sie leer; nur
sein Vogel saß mit hängenden Flügeln am Eingange.
Schnell nahm er ihn auf. In demselben Augenblick
aber hatten die Kannibalen von weitem den Knaben
bemerkt und kamen mit lautem Geschrei auf ihn zugerannt.
Sikulume floh, so schnell seine Füße ihn tragen
wollten; aber seine Verfolger verstanden das Laufen
gut, und in wenigen Minuten hatten sie ihn fast eingeholt.
Da warf Sikulume etwas von dem Fett, welches die
Alte ihm gegeben hatte, auf einen Stein. Kaum sahen
dies die anderen, als sie sich in wilder Gier auf den
Stein warfen. Es entstand ein Handgemenge unter
ihnen, bis einer den Stein verschluckt hatte. Dann erst
setzten sie ihre Verfolgung fort. Wieder waren sie
nahe an Sikulume herangekommen, als dieser abermals
von dem Fett, was er noch hatte, auf einen Stein
warf. Dasselbe Schauspiel wie vorhin wiederholte
sich. Schließlich stürzten die Kannibalen über den,
welcher den Stein verschlungen hatte, her und töteten
ihn. Sikulume hatte inzwischen einen guten Vorsprung
bekommen; dennoch sah er mit Schrecken,
daß seine Feinde sich ihm immer mehr näherten.
Um besser rennen zu können, warf er das Tuch,
welches er um seine Hüften geschlagen hatte, von
sich. Dasselbe fing an zu laufen und schlug eine andere
Richtung ein. Sofort ließen die Kannibalen von der
Verfolgung Sikulumes ab und wandten sich dem
Tuche zu. Ehe sie dasselbe erreicht hatten, war der
Knabe bei seinen Gefährten. Mit ihnen zusammen
eilte er nun dem Kraal seines Vaters zu. Bald gewahrten
sie ihre Verfolger wieder hinter sich und sahen zu
gleicher Zeit einen kleinen Mann neben einem großen
Steine sitzen.
Der Kleine rief ihnen, als sie an ihm vorübereilen
wollten, zu:
»Ich kann diesen Stein in eine Hütte verwandeln.«
»So tue es!« erwiderten die Knaben.
Er tat es, und die Knaben gingen alle in die Hütte;
der kleine Mann ebenfalls.
In der Hütte spielten sie allerlei Spiele.4
Als die Kannibalen nahe herzugekommen waren,
witterten sie Menschenfleisch; aber sie sahen nichts
als einen großen Stein; denn von der Verwandlung
desselben in eine Hütte konnten sie nichts bemerken.
Da wurden sie sehr zornig und fingen an, den Stein
zu beißen, bis ihre Zähne zerbrochen waren. Laut
heulend traten sie dann den Heimweg an.
Als sie weit fort waren, kamen die sieben Knaben
und der kleine Mann aus der Hütte, die eigentlich ein
Stein war.
Die Knaben setzten nun ihren Weg fort.
Endlich erreichten sie ihre Heimat; aber sie sahen
niemanden, außer einem alten Weibe; dasselbe kam
scheu und angstvoll um sich spähend unter einem
Aschenhaufen hervorgekrochen. Es zitterte am ganzen
Leibe und sprach:
»Ich meinte, es wäre niemand übrig geblieben.«
Sikulume sprach: »Wo ist mein Vater?«
Die Alte antwortete: »Alle Leute sind von dem Inabulele5
verschlungen worden.«
Er fragte: »Wohin ist das Ungeheuer gegangen?«
»Zum Flusse,« war die Antwort.
Da gingen die Knaben an das Wasser.
Sikulume sprach: »Ich werde in das Flußbett steigen
und diesen Assegai hier mit mir nehmen. Seht ihr
das Wasser stark bewegt, so wißt, daß ich im Magen
des Ungeheuers bin; ist es rot, so habe ich es getötet.«
Nach diesen Worten sprang Sikulume in das Wasser
und verschwand. Kaum war er in der Tiefe, so verschlang
ihn das Ungeheuer, ohne ihm jedoch dabei
ein Leid zu tun. Sikulume sah in dem Magen des Tieres
seinen Vater, seine Mutter, alle Leute seines
Stammes und ihr Vieh.
Da nahm er seinen Assegai und durchstach von
innen nach außen das Ungetüm. Das Wasser bewegte
sich und schlug in hohen, lauten Wellen an das Land,
bis der Inabulele tot war; dann wurde es blutrot und
still.
Als die sechs Knaben das sahen, schafften sie den
Leichnam an das Ufer, schnitten ein tiefes, breites
Loch hinein und befreiten so, was gefangen gewesen
war.
Eines Tages sprach Sikulume zu einem anderen
Knaben:
»Es ist Zeit, daß ich von meinem Stamme, den ich
beherrschen werde, zum Manne erklärt werde. Dazu
muß ein großes Fest gefeiert werden. Sage meiner
Schwester, daß sie gute Speise für mich bereiten
soll.«
Die Schwester tat es.
Darauf sprach Sikulume zu ihr: »Bringe mir ein
Stück von der Haut des Inabulele, welches ich getötet
habe; ich will mir einen Mantel davon machen.«
Darauf rief das Mädchen seine Freundinnen und
ging mit ihnen an den Fluß.
Dort sang sie:
»Inabulele. Dich rufe ich!
Inabulele! Sikulume, der sendet mich.«
Da kam der tote Körper des Ungetüms aus dem
Wasser.
Das Mädchen schnitt zwei kleine Stücke der Haut
ab, groß genug, um Sandalen daraus zu machen, und
ein großes für einen Mantel.
Nun Sikulume von seinem Stamme zum Manne erklärt
worden war, sprach er zu seinen Freunden:
»Ich werde die Tochter von Mangangezulu heiraten.
«
Sie erwiderten:
»Zu dem mußt du nicht gehen; Mangangezulu wird
dich töten.«
Er aber sprach:
»Ich werde dennoch gehen.«
Und er versammelte um sich seine Altersgenossen
und befahl ihnen, ihn zu begleiten.
Der Weg zu Mangangezulu führte durch hohes
Gras. Eine Maus kam daraus hervor und fragte Sikulume:
»Wohin des Weges?«
»In den Kraal Mangangezulus,« war die Antwort.
Da sang die Maus:
»Häuptling Sikulume, kehr heim, kehr heim;
Bei Mangangezulu darf niemand sein.«
Sikulume aber sprach: »Ich werde dennoch hingehen.
«
»Wie du willst,« sagte die Maus; »ehe du aber weiter
gehst, töte mich, ziehe mir das Fell ab und wirf es
hoch in die Luft.«
Er tat, wie die Maus ihm geboten hatte.
Das Fell sprach:
»Gehe nicht in das Dorf Mangangezulus durch den
großen Eingang; setze dich auf keine neue Matte6,
wenn man dir zu essen anbieten wird, und schlafe in
keiner Hütte, die leer ist.«
Die Knaben schritten weiter und kamen zum Dorfe
Mangangezulus.
Sie betraten es von der Seite, welche die Maus
ihnen gewiesen hatte. Die Leute, die nicht gewöhnt
waren, Fremde anders als durch den großen Eingang
zum Kraal kommen zu sehen, fragten verwundert:
»Warum tun sie dieses?«
Sie entgegneten:
»Es ist unsere Sitte.«
Man brachte ihnen Speise und gab ihnen eine neue
Matte zum Niedersitzen.
Sie aber sprachen:
»Unsere Sitte ist, beim Essen auf einer alten Matte
zu sitzen.«
Man gab ihnen eine leere Hütte zum Schlafen; sie
aber sagten: »Unserer Sitte gemäß schlafen wir nur in
einer Hütte, in der Geräte sind.«
Am folgenden Tage sprach der Häuptling Mangangezulu
zu seinen Gästen:
»Geht und seht euch mein Vieh an und hütet es.«
Sie gingen. Ein heftiger Gewitterregen überraschte
sie, und Sikulume breitete seinen Mantel aus auf die
Erde, da wurde er zu einer Hütte, die hart war wie
Stein; in diese traten sie alle hinein und waren geschützt
vor dem Regen.
Als sie des Abends mit dem Vieh heimkehrten,
kam die Tochter Mangangezulus ihnen entgegen und
blieb an Sikulumes Seite. Da die Mutter des Mädchens
dies sah, stellte sie ihren Fuß in die Fußtapfen
Sikulumes, und er verwandelte sich sofort in ein Elentier.
Das Mädchen aber liebte den jungen Häuptling
sehr, und da sie sah, was ihre Mutter getan hatte,
machte sie ein großes Feuer und trieb ihn hinein. Da
verbrannte er und wurde zu einer ganz kleinen Kohle.
Das Mädchen nahm die heiße Kohle, legte sie in
einen Topf mit kaltem Wasser, und in wenigen Minuten
stand Sikulume wieder vor ihr.
Sikulume und Mangangezulus Tochter verließen
den Platz; denn der Häuptling trachtete beiden nach
dem Leben. Das Mädchen hatte ein Ei, eine Kalabas-
se7, einen Topf und einen glatten Stein mit sich genommen.
Als sie nun sahen, daß Mangangezulu ihnen folgte,
warf das Mädchen das Ei zur Erde. Aus ihm wurde
ein dichter Nebel.
Mangangezulu irrte in dem Nebel umher, bis er
sich endlich zerteilte, dann verfolgte er Sikulume und
seine Tochter weiter.
Da warf sie die Kalabasse zur Erde, und sie verwandelte
sich in eine breite, tiefe Wasserfläche. Mangangezulu
mußte warten, bis die Erde das Wasser
verschlungen hatte, dann setzte er seinen Weg fort.
Das Mädchen warf nun den Topf zur Erde. Er zerbrach
und verbreitete tiefe Dunkelheit. Wieder mußte
der Vater eine lange Zeit warten, bis es Licht wurde;
dann eilte er weiter und kam nahe an die Fliehenden
heran.
Da warf seine Tochter den glatten Stein auf die
Erde. Er wuchs und wurde zu einem riesigen Gebirge,
dessen eine Seite eine steile Mauer war. Mangangezulu
konnte die Felsen nicht erklettern und mußte umkehren
und in seinen Kraal gehen.
Sikulume aber zog mit seinem jungen Weibe weiter,
und als er heimkam, sagte er zu den Leuten seines
Stammes:
»Dies ist Mangangezulus Tochter. Ihr rietet mir,
nicht in ihres Vaters Kraal zu gehen, weil Ihr glaub-
tet, ich würde getötet werden. Ich habe Eure Warnung
verachtet, und nun bringe ich mein Weib heim.«
Sikulume wurde nun zu einem großen und mächtigen
Häuptling, und alle Leute bewunderten ihn und
sagten:
»Niemand kann tun, was Sikulume getan hat.«
Fußnoten
1 Die Kapkaffern sowohl wie die Zulus schätzen
ihren Reichtum nach der Anzahl ihrer aufwachsenden
Töchter. Die Geburt einer Tochter bedeutet für die Eltern
eine Besserung ihres Wohlstandes; denn das Liebeswerben
jedes Kaffernfreiers muß durch ein Angebot
von Ochsen, die er dem erwünschten Schwiegervater
als Entgelt für die Dame seiner Wahl bietet, unterstützt
werden. Da nun bei den südafrikanischen
Völkern der Reichtum nicht in klingender Münze,
sondern in blökendem Vieh besteht, so hat der Meistbietende
die besten Aussichten auf Verwirklichung
seiner Wünsche.
2 Ein Kraal ist ein Negerdorf. Kaffern leben in Hütten,
welche in Gestalt von Halbkugeln, aus starkem
Geäst geflochten und mit Pfählen in den Boden befestigt
sind. Sie sind vollkommen vor den Unbilden des
Wetters geschützt. Die größten dieser Hütten haben
einen Durchmesser von 25 Fuß und eine Höhe von 8
Fuß. Der einzige Zugang ist eine schmale, niedrige
Öffnung, welche Tür, Fenster und Rauchfang zugleich
ist. Das Innere ist immer rauchig und meist schmutzig.
Gewöhnlich bauen die Kaffern ihre Kraale oder
Dörfer auf einer Anhöhe, die eine weite Aussicht bietet.
3 Ein Assegai ist die gewöhnliche Wurf- und Stoßwaffe
der südafrikanischen Eingeborenen. Es ist dies
ein lanzettenförmiger, lanzenartiger Speer, den die
Schwarzen mit großer Geschicklichkeit zu handhaben
wissen und bei schier unglaublichen Entfernungen
todbringend werfen können. Das Benutzen, ja selbst
der Besitz dieser Waffen ist dem Eingeborenen jetzt
strengstens untersagt; dennoch haben sie meist Verstecke,
wo sie diese Schätze aufheben.
4 Die Kaffern besitzen einen großen Reichtum althergebrachter
Spiele, bei denen es zumeist auf eine große
Beweglichkeit und Geschicklichkeit ihres Körpers ankommt.
Daher kommt es auch, daß, wenn sie in Berührung
mit europäischen Einrichtungen kommen, sie
sich meist vorteilhaft mit sportlichen Spielen, wie tennis,
Fußball und cricket befassen.
5 Inabulele ist ein sagenhaftes Ungeheuer.
6 Matten sind bei allen afrikanischen Negern vielfach
im Gebrauch zu den verschiedensten Zwecken; sie
rauchen, sitzen, schlafen auf ihnen. Wohl am meisten
ausgebildet ist der Gebrauch und die Anfertigung der
Matten im deutschen Ostafrika, wo die Mattenflechterei
zu einer wahren Kunstfertigkeit gediehen ist. Sie
hat die südafrikanische Fertigkeit im Mattenflechten
bei weitem überholt. Die Ostafrikaneger haben daher
auch eine große Mannigfaltigkeit in ihren Matten,
denen vielfach sehr komplizierte Muster zugrunde liegen.
Gemusterte Mattenstreifen flechten zu können,
gilt bei den Suahelis für ein Zeichen hoher Bildung.
Von den verschiedenen Matten der Neger Ostafrikas
seien hier genannt: Ritanga, Plur. vitanga, runde
Matten zum Ausbreiten der Nahrungsmittel, die zum
Verkauf kommen, Jamoi, Plur. majamvi eine Matte
für den Fußboden, länglich oder quadratisch, je nach
Bedarf. Mkeka, Plur. mikeka, Schlafmatte; doch gibt
es noch eine ganze Anzahl anderer Gebrauchs- und
Ziermatten.
7 Kalabasse ist gebraucht zum Aufbewahren und Fermentierenlassen
der Milch, die amassi genannt wird
und ein beliebtes Getränk der Kapkaffern ist. Eine
Kalabasse ist nichts anderes als ein großer ausgehöhlter
Flaschenkürbis.
Wie der Tod in die Welt kam.
Zulusage.
Die Erde, der Mond, die Sterne und die Sonne sind
immer gewesen; aber der Tod war nicht immer in der
Welt.
Vor langen, langen Jahren kamen zu den Menschen
zwei Boten, die ihnen der große Geist1 geschickt
hatte, dem Himmel und Erde gehören.
Es waren das Chamäleon und der Salamander.
Der große Geist hatte zu dem Chamäleon gesagt:
»Gehe hin und sage den Bewohnern der Erde, sie
sollen glücklich sein und ewig leben.«
Dem Salamander aber hatte er befohlen: »Eile zu
den Menschen und sage ihnen, daß sie sterben müssen.
«
Da machten sich diese Boten des Glückes und des
Unglückes auf den Weg, um dem Befehle des großen
Geistes zu gehorchen.
Ohne nach rechts oder links zu blicken, eilte der
Salamander dahin, und als er zu den Menschen kam,
sprach er:
»Was seid Ihr so sorglos? Wißt Ihr nicht, daß Ihr
sterben müßt?«
Da erschraken die Menschen sehr; denn nun lernten
sie die Sorge und den Tod kennen.
Das Chamäleon aber war von seinem Wege abgekommen,
hatte hier eine Fliege und dort ein Insekt gefangen,
und als es sich seines Auftrages erinnerte, war
es spät geworden. Als es zu den Hütten der Menschen
kam, fand es dort schon den Salamander vor und mit
ihm die Sorge und den Tod.
Fußnoten
1 »Der große Geist«, Qamata genannt, ist den Kaffern
der Ausdruck für die unbestimmte Vorstellung eines
höheren Wesens, welches die Welt regiert. Dennoch
haben diese Neger keinerlei Glauben an ein Leben,
welches nicht von dieser Welt ist; sie glauben nicht
an eine Unsterblichkeit ihrer Seele. Eine vage Idee
haben sie, daß ihre Großen, ihre Häuptlinge, ein
Leben haben, welches über dieses hinausreicht. Daher
ihr Glauben an Geister und ihre Furcht vor ihnen, da
diese sämtlich der Welt und ihren Bewohnern abhold
sind. Ihren Glauben an Qamata können die Kaffern in
keiner Weise definieren. Er entspringt wohl lediglich
aus dem dunklen Gefühle, daß die Weltordnung eines
Ordners bedarf.
Die Braut des Häuptlings.
Eine Kafferngeschichte.1
Es war einmal ein Mann, der hatte zwei Töchter, die
alt genug waren, um sich zu verheiraten.
Eines Tages ging der Mann in ein anderes Dorf, in
welchem ein mächtiger Häuptling lebte.
Als er dort bei seinen Freunden war, fragten diese
ihn nach den Neuigkeiten von seinem Kraal. Doch er
wußte ihnen nichts zu erzählen, sondern wollte von
ihnen wissen, was es in ihrem Stamme Neues gäbe.
Da erzählte man ihm, daß der Häuptling ein Weib
suche.
Der Mann ging heim und sprach zu seinen Töchtern:
»Welche von euch möchte einen Häuptling heiraten?
«
Da sagte die Älteste:
»Ich, mein Vater!«
Ihr Name war Mpunzikazi.
Der Mann sprach:
»Ich komme aus einem Dorfs, in welchem der
Häuptling ein Weib sucht; du, meine Tochter, sollst
zu ihm gehen.«
Darauf berief er eine Anzahl von Leuten, die mit
seiner Tochter ziehen sollten; sie aber sagte:
»Ich will allein gehen.«
Da sprach ihr Vater:
»Wie kannst du, meine Tochter, solch unverständige
Worte sagen? Ist es denn nicht unsere Sitte, daß
ein Mädchen, wenn es zum Manne kommt, von
Freunden dorthin begleitet werde? Sei nicht töricht,
mein Kind!«
Das Mädchen aber sprach:
»Ich will allein gehen.«
Da ließ ihr Vater sie gewähren.
Auf dem Wege zu dem Kraal des Häuptlings traf
sie eine Maus. Diese sprach:
»Soll ich dir den Weg weisen?«
Mpunzikazi entgegnete:
»Gehe mir aus den Augen.«
Da sagte die Maus:
»Wenn du so unfreundlich bist, wirst du deine
Wünsche nicht erfüllt sehen.«
Als Mpunzikazi etwas weiter geschritten war, kam
ihr ein Frosch entgegengehüpft.
»Soll ich dir den Weg zeigen?« fragte der.
Sie aber wandte sich unwillig ab, indem sie sagte:
»Du? Du bist nicht wert, mit mir zu reden. Weißt
du nicht, daß ich das Weib eines Häuptlings sein
werde?«
»Gut denn!« höhnte der Frosch. »Du wirst ja
sehen, was noch alles geschehen wird.«
Als das Mädchen müde geworden war, setzte es
sich unter einen Baum, um auszuruhen. Nahebei war
ein Knabe, der Vieh hütete. Er kam zu Mpunzikazi
und sagte:
»Wohin gehst du, meine Schwester?«
Sie aber ward zornig.
»Wer bist du,« rief sie, »daß du so zu mir sprichst?
Gehe fort von mir!«
»Ich bin hungrig,« sagte der Knabe, »willst du mir
nicht etwas zu essen geben?«
»Mach', daß du fort kommst!« rief sie noch einmal.
Darauf setzte sie ihren Weg fort, und traf ein altes
Weib, welches neben einem großen Steine saß.
»Ich will dir einen guten Rat geben,« rief die Alte
dem Mädchen zu.
»Du wirst an Bäumen vorbeikommen, die werden
dir ins Gesicht lachen; du aber bleibe ernst! Du wirst
einen Sack mit dicker Milch sehen; iß nicht davon!
Du wirst einem Manne begegnen, der wird seinen
Kopf unter seinem Arme tragen; nimm von ihm kein
Wasser an!«
Das Mädchen indes verlachte die Alte:
»Du häßliches Weib, wer bist du, daß du es wagst,
mir einen Rat zu geben?«
Die Frau aber wiederholte ihre Worte.
Kurze Zeit darauf kam das Mädchen an einen
Platz, auf dem Bäume standen. Diese lachten laut,
und Mpunzikazi lachte auch. Am Wege lag ein Sack
mit dicker Milch; sie aß davon. Darauf begegnete ihr
ein Mann, der trug seinen Kopf unter seinem Arme
und bot ihr Wasser an, und sie nahm es.
Als sie an den Fluß kam, der an dem Dorfe des
Häuptlings vorbeifloß, sah sie ein junges Mädchen
Wasser schöpfen.
»Wohin gehst du?« fragte dieses.
»Rede nicht mit mir,« entgegnete Mpunzikazi,
»denn ich werde das Weib eines Häuptlings sein.«
Das Mädchen aber, welches Wasser schöpfte, war
des Häuptlings Schwester.
Sie sagte:
»Warte; denn ich will dir einen Rat geben. Betritt
das Dorf nicht von dieser Seite!«
Mpunzikazi aber eilte weiter, ohne auf die Worte
zu achten.
Sie kam zum Dorf, und die Leute dort fragten sie,
woher sie käme, und was sie wolle.
Sie erwiderte:
»Ich bin gekommen, um das Weib eures Häuptlings
zu werden.«
Die Leute blickten sie verwundert an und riefen:
»Wie kann ein Mädchen ohne seine Freunde zur
Hochzeit kommen!«
Dann fuhren sie fort:
»Der Häuptling ist nicht zu Hause. Gehe aber in
seine Hütte und bereite ihm ein Mahl, damit er seinen
Hunger stillen kann, wenn er heimkommt.«
Man gab ihr Kafferkorn und Mais. Sie bereitete
Mehl daraus; aber es war so grob, daß das Brot, welches
sie buk, nicht zu genießen war.
Am Abende hörte sie das Sausen eines mächtigen
Windes. Dies zeigte ihr die Heimkehr des Häuptlings
an. Er war aber eine große Schlange2 mit fünf Köpfen
und blitzenden Augen. Mpunzikazi erschrak sehr, als
sie ihn sah. Die Schlange ringelte sich vor die Tür der
Hütte, und befahl dem Mädchen, Essen zu bringen.
Der Name des Häuptlings war Makanda Mahlanu,
d.i. Fünfköpfiger.
Als das Mädchen die Speise brachte, die es bereitet
hatte, wurde Makanda Mahlanu sehr böse und sprach:
»Du sollst nicht mein Weib sein!« Dann schlug er
sie mit dem Schwanz, und sie starb.
Späterhin sagte die Schwester Mpunzikazis zu
ihrem Vater:
»Ich will auch das Weib eines Häuptlings werden.«
Der Vater entgegnete:
»Es ist billig, meine Tochter, daß du es wünschest.
«
Er berief seine Freunde, und sie alle begleiteten das
Mädchen auf dem Wege zu Makanda Mahlanu. Ihr
Name war Mpunzanyana.
Auf dem Wege trafen sie eine Maus.
Diese sprach: »Soll ich euch den Weg weisen?«
Mpunzanyana erwiderte:
»Bitte, tue es.«
Und die Maus tat es.
Der Weg führte durch ein Tal. Dort sah
Mpunzanyana ein altes Weib bei einem Baume stehen.
Dieses sprach:
»Du wirst zu einem Pfade kommen, der sich in
zwei Wege teilen wird. Wähle den kleineren; denn der
größere würde dir kein Glück bringen.«
Das Mädchen dankte und schritt weiter.
Da kam ein Kaninchen des Weges gelaufen. Das
sprach:
»Ihr seid nahe dem Dorfe des Häuptlings.«
Dann wandte es sich zu Mpunzanyana und sprach:
»Du wirst ein Mädchen sehen, das schöpft Wasser
aus dem Flusse. Sprich freundlich mit ihr. Man wird
dir Kafferkorn und Mais zum Mahlen geben; mache
deine Arbeit gut. Wenn dein Gatte zu dir kommt,
fürchte dich nicht.«
»Danke dir, Kaninchen,« sagte Mpunzanyana, »ich
werde deinem Rate folgen.«
Am Flusse traf sie des Häuptlings Schwester; diese
fragte: »Wohin wanderst du?«
Mpunzanyana sprach:
»Ich bin am Ziele meiner Reise.«
»Warum kommst du hierher?« fragte das Mädchen
weiter.
»Ich komme mit meinem Hochzeitsgeleite.«
Da sagte die Schwester des Häuptlings:
»Das ist recht! Aber wirst du dich nicht erschrekken,
wenn du deinen Gatten siehst.«
»O nein!« sagte Mpunzanyana fröhlich.
Darauf wies ihr das Mädchen die Hütte, in der sie
wohnen sollte. Man gab Speise und Trank an die,
welche mitgekommen waren.
Die Mutter des Häuptlings trat zu Mpunzanyana
und sprach:
»Bereite ein Mahl für deinen Gatten. Er wird bald
hier sein.«
Sie tat, wie ihr geheißen war. Am Abend erhob
sich ein starker Wind, welcher die Hütte erzittern
machte, so daß einige Pfähle, welche sie stützten, niederfielen.
Aber Mpunzanyana fürchtete sich nicht.
Darauf kam Makanda Mahlanu herein und forderte
Speise. Mpunzanyana nahm das Brot, welches sie gebacken
hatte, und gab es ihm. Er aß, und da es ihm
mundete, sprach er:
»Du sollst mein Weib sein.«
Dann gab er ihr vielen Perlenschmuck, und sie
freute sich darüber.
Späterhin glitt Makanda Mahlanu aus der Schlangenhaut
heraus und wurde ein großer, stattlicher
Mann. Mpunzanyana blieb von seinen Frauen diejenige,
welche er stets am meisten liebte.
Fußnoten
1 Bei den Festlichkeiten einer Kaffernhochzeit
herrscht viel Zeremoniell, welches strengstens innegehalten
wird. So wird die Braut von ihrer jungen Verwandten
und Freundin zum Kraal ihres zukünftigen
Gatten gebracht. Dabei muß darauf geachtet werden,
daß die Ankunft der Gesellschaft nicht vor Sonnenuntergang
stattfindet. Am nächsten Tage ist die Hochzeit,
welche in Essen, Trinken, Hochzeitstänzen und
der Übergabe der vereinbarten Anzahl von Ochsen an
den Vater der Braut seitens des Bräutigams besteht.
In letzterem Akte besteht das Bindende der Ehe.
2 Schlangen genießen bei den Kaffern hohes Ansehen.
Sie glauben, daß ihre Verstorbenen oftmals als
Schlangen wieder auf Erden erscheinen; bei ihrem
Glauben und Aberglauben an Geister wagen sie es
nicht, einer Schlange ein Leid zu tun. Findet ein Kaffer
in seiner Hütte eine Schlange, so verläßt er dieselbe
und wartet ehrerbietig, bis das Tier sich entfernt
hat, ehe er sie wieder betritt.
Die Sage von den wunderbaren Hörnern.1
Ein Hottentottenmärchen.
Es war einmal ein kleiner Knabe, dessen rechte Mutter
war gestorben, und die anderen Weiber seines Vaters
mißhandelten ihn. Deshalb entschloß er sich, seines
Vaters Kraal zu verlassen. Eines Morgens setzte
er sich auf den Ochsen, den sein Vater ihm geschenkt
hatte, und ließ sich von ihm weiter landeinwärts tragen,
ohne zu wissen, wohin er kommen würde. Als er
mehrere Tagereisen von seinem väterlichen Dorfe entfernt
war, traf er eine Vieherde, bei der war ein Bulle.
Der Ochse sprach: »Ich werde mit dem Bullen
kämpfen und ihn toten.«
Da stieg der Knabe ab. Der Ochse und der Bulle
kämpften miteinander, und es geschah, wie der Ochse
gesagt hatte. Der Knabe ritt nun weiter, und als er
hungrig war, schlug er mit der flachen Hand an das
rechte Horn seines Ochsen; dasselbe öffnete sich und
gab dem Knaben Speise. Nachdem er genug gegessen
hatte und satt war, schlug er an das linke Horn. Es
öffnete sich und verschlang den Rest der Speise. Bald
darauf sah der Knabe eine dunkelfarbige Viehherde in
der Entfernung.
»Steige hier ab von meinem Rücken,« sprach der
Ochse, »ich werde zu der Herde laufen; dort muß ich
kämpfen und werde sterben. Brich mir meine beiden
Hörner ab und nimm sie mit dir. Wenn du hungrig
bist, so sprich zu ihnen; sie werden dich mit Nahrung
versorgen.«
Wie der Ochse gesagt hatte, so geschah es. Er
kämpfte und wurde getötet. Der Knabe nahm die Hörner
und wanderte weiter.
Bald kam er in ein Dorf, in dem hatten die Leute
nur wenig zu essen; denn es war eine Zeit großer
Trockenheit.
Er ging in eine der Hütten des Dorfes, und mit
Hilfe der Hörner hatte er genug Speise für den Besitzer
dieser Hütte und sich selber.
Als er nun in der Nacht fest schlief, nahm ihm der,
mit dem er sein Mahl geteilt hatte, die Hörner fort und
legte statt ihrer andere auf den Platz, an dem sie gelegen
hatten.
Der Knabe, der von dem Betruge nichts ahnte,
stand am nächsten Morgen zeitig auf und zog weiter
seines Weges.
Als er aber hungrig wurde und vergeblich zu den
Hörnern sprach, merkte er, was geschehen war, und
ging zurück zu dem Ort, an dem er geschlafen hatte.
Ehe er noch die Hütte betrat, hörte er den Dieb seiner
Hörner mit diesen reden; aber vergeblich.
Der Knabe nahm seine Hörner und schritt weiter.
Am Abend kam er an eine Hütte. Er klopfte an und
bat, die Nacht über dort bleiben zu dürfen. Aber man
gewährte ihm seine Bitte nicht; denn sein Lendenund
Schultertuch war zerfetzt und sein Körper bestaubt
und schmutzig.
So zog er denn weiter und kam zu einem Fluß, in
welchem er badete. Dann sprach er zu seinen Hörnern.
Diese versorgten ihn mit neuen Tüchern und reichem
Perlenschmuck und Halsketten aus den Zähnen
wilder Tiere.
Nachdem er sich geschmückt hatte, ging er weiter
und kam zu einer Hütte, in welcher ein sehr schönes
Mädchen mit ihrem Vater und ihrer Mutter lebte. Man
empfing ihn mit großer Freude, und er blieb dort.
Seine Hörner gaben reichlich Speise, Trank und Kleidung
für alle.
Kurze Zeit darauf heiratete er das schöne Mädchen
und zog mit seinem jungen Weibe heim zu seinem
Vater.
Wiederum sprach er zu den Hörnern, und sie beschenkten
ihn mit einem schönen, großen Hause; in
das zog er mit seiner Frau und war glücklich mit ihr.
Fußnoten
1 In der Sage von den »wunderbaren Hörnern« finden
wir seltsame Anklänge an unser deutsches Märchen
vom »Tischlein deck' dich«, wie überhaupt die Sagen
aller Völker ganz seltsam gleichartige Grundideen
haben. Überall finden wir sprechende Tiere, überall
die Vorliebe für Rang, Stand und Reichtum.
Der Häuptling der Tiere.
Eine Kaffernsage.
Eine Frau ging einstmals fort von ihrem Hause und
ihren Kindern, um Holz zu sammeln. Sie beauftragte
den Hasen in ihrer Abwesenheit nach dem Rechten zu
sehen, und er versprach, es zu tun. Kaum aber war die
Frau fort, als wilde Tiere an ihre Wohnung herankamen
und den Hasen, der sehr erschrocken war, nach
den Namen der Kinder fragten, die er bewachen sollte.
Der Hase gab Bescheid und bat unter Tränen, daß
die Tiere fortgehen sollten, ohne ihm oder den Kindern
ein Leid zu tun. Da gingen sie denn auch fort.
Aber nach wenigen Minuten kehrte zu des Hasen
nicht geringem Schrecken das größte und fürchterlichste
der Tiere zurück, nannte sich einen Häuptling und
fraß die Kinder alle auf, weil es fürchtete, man würde
seine Würde nicht anerkennen, wenn er dem Flehen
eines Hasen Gehör schenkte.
Als die Frau nach Hause kam und der Hase ihr erzählte,
was vorgefallen war, wurde sie erst sehr traurig,
dann aber über alle Maßen zornig. Sie nahm zwei
Eisenstücke, wetzte sie, bis sie ganz scharf und spitz
wurden, und ging in den Wald, um Holz zu schneiden
und ein großes Feuer zu machen; das sollte die Tiere
des Waldes vertilgen.
Es begegnete ihr aber der Häuptling der Tiere, der
verschluckte sie. Da sie nun im Inneren des Ungeheuers
war, fand sie dort alle ihre Kinder unversehrt vor.
Sie waren sehr hungrig und baten ihre Mutter, ihnen
etwas zu essen zu geben. Die Frau nahm die spitzen
Eisenstücke und schnitt von den Eingeweiden des
Tieres, in dem sie mit ihren Kindern steckte, Stücken
ab. Dann rieb sie Holz gegeneinander; denn auch dies
hatte das Ungeheuer mit verschluckt. Es gab Funken,
und schließlich war ein großes Feuer entstanden, auf
dem röstete sie das Fleisch. Der Häuptling der Tiere
aber hatte große Schmerzen, brüllte laut und warf sich
im Sande hin und her. Er befragte alle Tiere, was er
zur Linderung seiner Pein tun könne, aber keines
konnte ihm einen guten Rat geben. Endlich starb er
unter großen Qualen. Die Mutter aber mit ihren Kindern
arbeitete im Innern des toten Körpers immer weiter,
bis sie ein großes Loch geschnitten hatten, aus
dem kamen sie alle nacheinander hinaus. Es waren
aber in dem Leibe des Ungeheuers auch Tiere gewesen,
die verschluckt worden waren. Sie alle wurden
nun befreit.
Ein Ochse kam heraus und rief:
»Muh, muh! wer hat mir geholfen?«
Darauf ein Hund, der bellte:
»Wau, wau, wer hat mich errettet?«
Dann ein Affe:
»Hi, hi«, lachte er, »wer half mir?«
Darauf kamen Menschen und Vieh überein, daß die
Frau, die sie so wunderbar errettet hatte, ihr Häuptling
sein sollte.
Die Löwin und die Antilope.
(Suahelisage.)
Eine Löwin hatte ein Junges. Da sie es eben zur Welt
gebracht hatte, verspürte sie großen Hunger und
konnte ihn gar nicht stillen. Am siebenten Tage beschloß
sie, auf Raub auszugehen und zu töten, was ihr
in den Weg käme. Auf ihrem Wege traf sie eine Antilope,
die graste friedlich nahe dem Walde. Die Löwin
schlich sich leise und vorsichtig dicht an das Tier
heran. Gerade wollte sie losspringen, als die Antilope
sich umsah und, die Löwin freundlich anblickend,
rief: »Willkommen, Gevatter!« Da schämte sich die
Löwin ihres bösen Vorhabens und verschonte die Antilope,
die sie so freundlich begrüßt hatte.
Goso1
Ein Märchen aus Mombassa.
Es war einmal ein Mann, der hieß Goso. Goso liebte
die Kinder sehr und wurde von ihnen wieder geliebt.
Er versammelte täglich eine Schar von Kindern um
sich unter einem Affenbrotbaum und erzählte ihnen
viele schöne Geschichten. Als er eines Tages wieder
so mit ihnen die Zeit verschwatzte, kam eine Gazelle;
die kletterte auf den Baum, brach eine Frucht ab und
warf sie hinunter. Die Frucht traf Goso an den Kopf
und schlug ihm eine tiefe Wunde, an der er verblutete.
Als er tot war, begruben ihn die Kinder und weinten
bitterlich. Als sie nun so allein unter dem Affenbrotbaume
saßen, sprachen sie zueinander: »Wir müssen
Rache nehmen an dem, der unseren Freund getötet
hat. Laßt uns ausfindig machen, wer die Frucht brach
und warf.«
Als sie darüber nachdachten, wer wohl der Täter
gewesen sei, kamen sie überein, daß kein anderer als
der Südwind zu jener Zeit in den Zweigen des Affenbrotbaumes
gewesen sein könne, und sie beschlossen,
ihn zu schlagen. Deshalb fingen sie ihn und wollten
eben mit der Züchtigung beginnen, als er zu ihnen
sprach: »Ich bin der Südwind! Was tat ich euch, daß
ihr mich fangt und schlagen wollt?« Sie antworteten:
»Wir wissen sehr wohl, wer du bist! Du hast unseren
Freund Goso getötet. Denn du hast von dem Baume
die Frucht gebrochen und mit ihr den tödlichen Wurf
ausgeführt! Wie konntest du!« Da sprach der Wind:
»Wäre ich ein Häuptling, glaubt ihr, daß eine Steinmauer
mir ein Hindernis in meinem Wege sein könnte?
« Da gingen die Kinder zur Steinmauer und schlugen
die. Diese aber sprach: »Was schlagt ihr mich?
Was tat ich euch.« Sie antworteten: »Steinmauer, du
Feindin des Südwindes! Du warst ihm ein Hindernis;
deshalb floh er in den Affenbrotbaum, brach eine
Frucht und tötete mit ihr unseren Freund Goso. Du
solltest dich schämen!« Die Mauer entgegnete:
»Wenn ich ein Häuptling wäre, dürfte keine Ratte ein
Loch in mich bohren.« Da gingen die Kinder hin und
schlugen die Ratte. Sie rief: »Mich schlagt ihr?
Warum? Was habe ich getan?« Man antwortete ihr:
»Du Ratte, hast ein Loch durch die Mauer gebohrt mit
deinen scharfen Zähnen; da hielt die Mauer den Südwind
auf in seinem Lauf, und er stieg auf den Baum,
brach eine Frucht und tötete unseren Freund Goso.
Wie konntest du!« Da rief die Ratte: »Ach, wäre ich
ein Häuptling! Keine Katze dürfte mich fressen!«
Nun war es an der Katze, geschlagen zu werden.
Auch sie fragte: »Was schlagt ihr mich? Was tat ich
euch?« Die Kinder antworteten: »Katzen fressen Ratten;
Ratten bohren Löcher in Mauern; Mauern hemmen
Winde, und ein Wind war's, der unseren Freund
Goso tötete.« Die Katze jammerte: »Kein Strick dürfte
mich binden, wäre ich ein Häuptling!« Sofort gingen
die Kinder zum Strick und schlugen ihn. »Was tut
ihr?« rief der. »Wer bin ich, daß ihr mich schlagt? Ich
tat euch nichts!« Die Kinder aber antworteten: »Du
bist der Strick, der die Katze bindet; die Katze frißt
die Ratte; die Ratte bohrt Löcher in Mauern; Mauern
hemmen Winde, und der Südwind war's, der unseren
Freund Goso tötete. Schäme dich!« Der Strick sprach:
»Nur weil ich kein Häuptling bin, darf mich das Messer
schneiden.« Da wurde das Messer geschlagen.
Das rief: »Wißt ihr denn, wer ich bin, und tat ich euch
etwas?« »Wir wissen, wer du bist,« antworteten die
Kinder; »du bist das Messer, welches den Strick
durchschneidet; der Strick bindet die Katze; die Katze
frißt die Ratte; die Ratte bohrt ein Loch in die Mauer;
die Mauer hemmt den Wind; der Wind warf die
Frucht vom Affenbrotbaum auf unseren Freund Goso,
und Goso starb! Schäme dich!« Das Messer sprach:
»O, wäre ich ein Häuptling! Kein Feuer dürfte mir
etwas anhaben!« Da gingen die Kinder zum Feuer
und schlugen es. »Was schlagt ihr mich?« rief dieses.
»Ich habe euch nichts getan.« Sie antworteten: »Du
bist das Feuer, der Zerstörer des Messers; das Messer
schneidet den Strick; der Strick bindet die Katze; die
Katze frißt die Ratte; die Ratte bohrt ein Loch in die
Mauer; die Mauer hemmt den Wind; der Wind warf
die Frucht vom Affenbrotbaum auf unseren Freund
Goso, daß er starb. Schäme dich!« Das Feuer sprach:
»Wäre ich ein Häuptling, Wasser könnte mir nichts
anhaben.« Da schlugen sie das Wasser. Das sagte:
»Was tat ich, daß ihr mich schlagt? Wißt ihr, wer ich
bin?« Sie antworteten dem Wasser: »Du bist das
Wasser; Wasser löscht Feuer, Feuer zerstört das Messer;
das Messer zerschneidet Stricke; Stricke binden
Katzen; Katzen fressen Ratten; Ratten bohren Löcher
in Mauern; Mauern hemmen Winde, und der Südwind
war's, der mit der Frucht des Affenbrotbaumes unseren
Freund Goso tötete. Schäme dich!« Da murmelte
das Wasser: »Kein Ochse dürfte aus mir trinken,
wenn ich ein Häuptling wäre.« Auch den Ochsen
schlugen die Kinder: »Was schlagt ihr mich?« fragte
er. »Tat ich euch etwas?« Sie antworteten: »Du bist
der Ochse, der Trinker des Wassers; das Wasser ist
der Zerstörer des Feuers, das Feuer der Verderber des
Messers; das Messer schneidet den Strick; der Strick
bindet die Katze; die Katze frißt die Ratte; die Ratte
bohrt ein Loch in die Mauer; die Mauer hemmt den
Wind; der Wind aber hat unseren Freund Goso getötet;
denn er warf die Frucht des Affenbrotbaumes auf
ihn.« »Kein Holzbock würde mich stechen, wäre ich
ein Häuptling,« sagte der Ochse. Da gingen die Kinder
zum Holzbock und schlugen ihn. »Ihr schlagt
mich?« rief der. »Warum? Was tat ich euch?« Sie
sprachen: »Du stichst den Ochsen; der Ochse säuft
das Wasser; das Wasser löscht das Feuer; das Feuer
verdirbt das Messer; das Messer zerschneidet den
Strick; der Strick bindet die Katze; die Katze frißt die
Ratte; die Ratte bohrt ein Loch in die Mauer; die
Mauer hemmt den Wind, und er war's, der mit der
Frucht des Affenbrotbaumes unseren Freund Goso tötete.
« Da jammerte der Holzbock: »Keine Gazelle
würde mich fressen, wenn ich Häuptling wäre!« Da
gingen die Kinder und suchten, bis sie die Gazelle
fanden. Sie schlugen sie, und sie rief: »Was tat ich
euch, daß ihr mich schlagt?« Sie sagten: »Du bist die
Gazelle, die den Holzbock frißt; der Holzbock sticht
den Ochsen; der Ochse säuft das Wasser; das Wasser
löscht das Feuer; das Feuer verdirbt das Messer; das
Messer schneidet den Strick; der Strick bindet die
Katze; die Katze frißt die Ratte; die Ratte bohrt ein
Loch in die Mauer; die Mauer hemmt den Wind; der
Wind war es, der mit der Frucht des Affenbrotbaumes
unseren Freund Goso tötete. Schäme dich, Gazelle!«
Die Gazelle schwieg. Die Kinder aber riefen: »Sie
war es, die ihn getötet hat! An ihr wollen wir Rache
nehmen!«
Und sie töteten die Gazelle.
Fußnoten
1 In dem Märchen von »Goso«, dessen Moral leicht
ersichtlich ist, was durchaus nicht bei vielen Negermärchen
der Fall ist, wird für alle diejenigen, welche
englische Sagen kennen, eine große Ähnlichkeit mit
»The House that Jack built« an den Tag treten.
Der Hase, die Hyäne und der Löwe.
Märchen aus Mombassa.
Ein Hase1, ein Löwe und eine Hyäne hatten sich
einen Garten angelegt. Eines Tages berieten sie miteinander,
daß sie hingehen wollten, um zu sehen, wie
alles in dem Garten gediehen wäre; denn es war die
Jahreszeit, von der sie reiche Ernte erhofften. Da der
Weg, den sie zurückzulegen hatten, weit war, so
schlug der Hase vor, man solle unterwegs nicht stehen
bleiben, sondern rüstig vorwärts wandern.
»Wer stehen bleibt,« fügte er hinzu, »den sollen die
anderen auffressen.«
»Gut,« sagte der Löwe und die Hyäne, »wir stimmen
dir bei.«
So schritten sie voran und hatten bereits eine gute
Strecke hinter sich, als der Hase plötzlich stehen
blieb.
Da rief die Hyäne:
»Seht, seht! Der Hase bleibt stehen! Er hat sein
Leben verwirkt.«
»Ich denke nach!« sagte der Hase.
»Worüber?« fragten seine Kameraden.
»Ich denke nach über jene beiden Steine. Der eine
ist groß, der andere klein; warum wächst der kleine
nicht, daß er ebenso groß wird, wie sein Nachbar?«
»Er tut gut daran, darüber nachzudenken,« sagte
der Löwe, und die Hyäne stimmte bei.
Dann schritten sie weiter.
Wieder blieb der Hase stehen.
»Seht, seht,« sagte der Löwe, »der Hase ist stehen
geblieben! Er hat sein Leben verwirkt!«
»Ich denke nach,« sagte der Hase.
»Worüber?« fragten seine Kameraden.
»Wenn die Menschen sich neue Kleider antun, was
wird aus den alten?« sagte der Hase.
»Er tut gut daran, darüber nachzudenken,« sagte
die Hyäne, und der Löwe gab ihr recht.
Wieder gingen sie weiter.
Da blieb die Hyäne stehen.
»Sie ist stehen geblieben! Sie darf nicht weiterleben!
« rief der Hase.
»Ich denke nach!« sagte die Hyäne.
»Worüber?« fragten ihre Genossen.
»Über nichts!« antwortete sie.
Da fraßen der Löwe und der Hase die Hyäne auf.
Der Löwe und der Hase wanderten weiter. Da blieb
abermals der Hase stehen.
»Du mußt sterben!« sagte der Löwe.
»Ich denke nach!« entgegnete der Hase.
»Worüber?« fragte der Löwe.
Der Hase wies auf eine Felsenspalte und sagte:
»Siehst du jene Spalte? Unsere Vorfahren pflegten
dort ein- und auszugehen; denn das Innere des Felsens
ist eine geräumige Halle. Ich werde hineingehen, und
wenn ich wiederkomme, sage ich dir, ob es ratsam ist
für dich, und ob die Halle groß genug ist, daß du auch
hineingehen kannst.«
Der Hase ging hinein, und als er wiederkam,
sprach er zum Löwen: »Gehe du auch hinein.«
Da ging der Löwe; aber die Spalte war so eng, daß
er stecken blieb und weder vor- noch rückwärts gehen
konnte.
»Du bist stehen geblieben, Löwe!« rief der Hase.
»Du hast dein Leben verwirkt; aber ich schenke es
dir!«
Damit verließ er den Löwen und ging weiter bis zu
dem Garten, der ihm nun allein gehörte.
Fußnoten
1 Die Persönlichkeit des Fuchses ist in den Suahelimärchen
durch den Hasen vertreten, dem von den ostafrikanischen
Negern dieselben Attribute beigelegt
werden, wie im deutschen Märchen dem Fuchs. Der
Grund hierfür liegt in der Gewohnheit des Hasen, wie
seines Vetters, des Kaninchens, fortwährend die Lippen
zu bewegen. »Er weiß überall Bescheid und
möchte gern sprechen,« sagen die Eingeborenen. So
wie im Deutschen die Redensart »du Fuchs du« ihre
besondere Meinung hat, so braucht der Suahele die
Worte: »Ee Sungura wee, du Hase oder Kaninchen
du«. So erzählt eine Suaheligeschichte, deren Inhalt
mir teilweise entfallen ist, von der Schlauheit des Kaninchens
bei dem Bau eines tiefen Brunnens. Alle
Tiere beteiligten sich an der Arbeit, nur das Kaninchen
nicht. Als der Brunnen fertig war, paßten die
Tiere genau auf, daß das träge Kaninchen nun auch
kein Wasser daraus bekommen sollte. Das Kaninchen
aber wußte alle, außer der Spinne, zu hintergehen.
Tiere und Menschen.
Eine Suahelisage.
Es war einmal ein Mann, der für sich und die Seinen
die Tiere des Waldes und Feldes fing in Fallen, damit
sie Fleisch zu essen hatten. Er war sehr geschickt im
Erfinden neuer Fallen; daher konnte er täglich Fleisch
essen; denn sobald er eine Falle gestellt hatte, fing
sich ein Tier darin.
Eines Tages, als er wieder hinging, um zu sehen,
was sich in seiner Falle gefangen hatte, fand er einen
Affen darin. Er wollte ihn töten; aber der Affe sprach:
»Schone meiner, du Kind des Menschen; laß mir das
Leben. Rette du mich vor dem Regen, so kann ich
dich vielleicht vor der Sonne erretten.«
Da nahm der Mann ihn aus der Falle und ließ ihn
laufen. Ehe er aber in dem Dickicht der Bäume verschwand,
sprach der Affe zu dem, der ihm das Leben
geschenkt hatte:
»Höre meinen Rat! Tue keinem Menschen Gutes;
denn unter den Menschen gibt es keine Dankbarkeit.
Tust du einem heute Gutes, so erweist er dir morgen
Böses.«
Am folgenden Tage saß eine Schlange in der Falle.
Da wollte der Mann hinlaufen und seine Freunde
rufen, daß sie ihm helfen sollten, die Schlange zu
töten.
Sie rief ihn aber zurück und sprach:
»Komm zurück, du Kind der Menschen, rufe sie
nicht, die mich töten würden. Schenke mir heute das
Leben; du weißt nicht, welchen Dienst ich dir vielleicht
schon morgen erweisen kann. Nur Menschen
vergelten Gutes mit Bösem.«
Da ließ er ihr die Freiheit und das Leben.
Als der Mann am folgenden Tage zu seiner Falle
kam, war ein alter Löwe darin. Den wollte er töten.
Da sagte der Löwe:
»Errette mich vor der Sonne, so will ich dich vor
dem Regen schützen.« Der Mann gab ihm die Freiheit.
Ehe der Löwe fortlief, sagte er:
»Du hast mir Gutes erwiesen und sollst es nicht bereuen;
denn ich bin kein Mensch. Menschen sind nie
dankbar.«
Am anderen Tage war ein Mensch in die Falle geraten,
den befreite der Mann.
Kurze Zeit darauf brach im Lande eine Hungersnot
aus. Als der Mann, welcher so gut verstand, Fallen zu
stellen, sah, daß er und die Seinen bald arg würden
hungern müssen, sprach er zu seiner Mutter:
»Backe mir sieben Kuchen. Dann will ich fortgehen
und sehen, wo ich etwas Speise finden kann.
Vielleicht kann ich etwas Wild erlegen oder in der
Falle fangen; vielleicht finde ich Früchte.«
Sie tat, wie er gebeten hatte, und er ging fort. Im
Walde aber verirrte er sich, und es verging Tag um
Tag und Nacht um Nacht, ohne daß er seinen Weg
wiederfand. Von seinem Vorrat hatte der Mann schon
sechs Kuchen verzehrt, und nur einer war ihm noch
geblieben. Um ihn herum wurde der Wald immer dikker,
die Wildnis immer undurchdringlicher. Was sollte
daraus werden? Da begegnete ihm ein Affe.
»Wo gehst du hin, du Sohn der Menschen?« redete
der den Verirrten an.
»Ich kann meinen Weg nicht finden; ich weiß nicht
ein, noch aus!« antwortete der Mann.
»Ruhe dich hier aus,« sagte der Affe. »Jetzt will ich
dir das Gute lohnen, was du mir tatest; denn ich bin
es, den du aus der Falle ließest.«
Da ging der Affe in die Gärten und Plantagen der
Menschen und stahl reife Bananen und brachte sie
dem Manne.
»Nimm und iß,« sagte er zu ihm; »ich werde dir
auch noch Wasser bringen.«
Als nun der Mann sich geruht hatte und sein Durst
und Hunger gestillt war, nahm er Abschied von dem
Affen.
Einige Stunden später traf er einen Löwen. Sein
Schreck war anfänglich groß, doch er konnte bald
sagen, daß der Löwe ihm kein Leid tun wollte; denn
er redete den Mann an und sprach:
»Woher kommst du, Sohn eines Menschen, und
wohin willst du?«
Er antwortete:
»Ich habe mich im Walde verirrt und kann meinen
Weg nicht finden.«
»Setze dich nieder,« sagte der Löwe, »und ruhe
dich aus, daß ich dir vergelten kann, was du an mir
getan hast; denn ich bin es, den du aus der Falle befreit
hast. Jetzt will ich dir helfen.«
Da ruhte der Mann sich aus, indessen der Löwe
fortging und Wild zur Speise seines Schützlings fing.
»Iß dies,« sagte er, als er zurückkam und zeigte
dem Mann eine Stelle im Walde, wo er Feuer machen
und das Fleisch rösten konnte. »Ich bin kein Mensch,
deshalb bin ich dankbar für empfangene Guttaten.«
Der Mann aß, und dann nahm er Abschied von dem
Löwen.
Wieder war er eine weite Strecke Weges gewandert,
da kam er auf eine große Plantage. Dort traf er
ein altes Weib, die sprach ihn an:
»Wir haben bei uns einen Mann, der krank ist und
den Tod fürchtet. Kannst du Medizin bereiten, so
komm mit zu ihm.«
Er antwortete:
»Ich kann es nicht!«
Auf der Plantage fand er einen tiefen Brunnen, und
da er sah, daß Wasser darin war, wollte er trinken, in
dem Augenblick aber, als er sich niederbückte, sah er
eine große Schlange in dem Brunnen, die rief:
»Du Sohn eines Menschen, warte auf mich.«
Die Schlange kam aus der Tiefe heraufgekrochen
und sagte zu dem Manne:
»Entsinnst du dich meiner? Ich bin es, die du aus
der Falle errettet hast. Damals sagte ich zu dir: Schütze
mich vor dem Regen, so will ich dich vor der
Sonne schützen! Meine Zeit ist gekommen; denn ich
kann dir meine Dankbarkeit beweisen. Du sollst einsehen,
daß du deine Wohltat nicht an einen Menschen
verschwendet hast. Bringe mir deine Tasche, daß ich
sie dir fülle mit Dingen, die dir von Nutzen sein werden.
«
Da gab der Mann ihr seine Tasche, und sie füllte
sie mit goldenen und silbernen Ketten. Als sie gefüllt
war, sprach die Schlange: »Nimm dies und sei freigiebig
damit.«
Dann wies sie ihm den Weg, den er einzuschlagen
hatte, um nach seinem Hause zu kommen. Als er nahe
dabei war, traf er den Mann, den er aus der Falle befreit
hatte. Der nahm ihm die Tasche ab und lud ihn
zu sich in sein Haus, und seine Frau bereitete Speise
für ihn. Während er davon aß, ging der Mann, dem er
das Leben gerettet hatte, zum Sultan und sprach:
»Ein Fremder ist bei mir eingekehrt, aber er ist keines
Menschen Sohn, sondern eine Schlange, und lebt
in einem Brunnen. Er hat Macht, sich Gestalt zu
geben, welche er will. Laß ihn festnehmen und nimm
seine Tasche von ihm; die ist gefüllt mit Ketten aus
Gold und aus Silber.«
Der Sultan tat, wie ihm geraten war. Er ließ den
Mann, der sich gegen Menschen und Tiere so freundlich
gezeigt hatte, festnehmen und seine Hände binden;
dann ließ er ihn in das Gefängnis werfen. Als er
so gebunden und seiner Freiheit beraubt in dem Kerker
saß, kam die große Schlange aus dem Brunnen
und bedrohte die Stadt. Da fürchteten sich die Menschen
und sagten zu dem Gefangenen:
»Sage der Schlange, sie soll uns verlassen!« Und
sie ließen ihn frei und nahmen die Fesseln von ihm.
Er ging zur Schlange und befahl ihr, fortzugehen. Die
sprach:
»Nun du frei bist, werde ich gehen. Versprich aber,
daß du mich rufst, sobald dir jemand ein Leid zufügen
will.«
Das versprach der Mann.
Fortan wurde er hochgehalten und geehrt im ganzen
Lande. Und man fragte ihn:
»Warum hat der, dessen Gast du warst, dir Übles
getan?«
Er erwiderte:
»Die Schlange, der Löwe und der Affe haben mich
gewarnt vor den Wohltaten, die ich einem Menschen
erweisen würde. Sie haben recht gehabt und die
Wahrheit gesprochen, wenn sie sagten, daß von allen
lebenden Wesen der Mensch das undankbarste ist.
Diesem Manne tat ich Gutes, und er hat es mir mit
Bösem gelohnt.«
Der Sultan, da er diese Worte erfuhr, befahl, daß
man den Mann, der sie gesprochen hatte, zu ihm
brächte. Und er befragte ihn um die Meinung dessen,
was er gesagt hatte. Als er nun erfuhr, wie sich alles
verhielt, wurde er sehr böse und sprach:
»Dieser Undankbare verdient, daß man ihn in eine
Schlafmatte lege und er ertränkt werde; denn er hat
Gutes mit Bösem belohnt.«1
Fußnoten
1 Eine Matte, deren sich die Suahelis und die Araber
an der Küste Ostafrikas bedienen, um darin zu schlafen,
heißt Tumba. Sie hat die Form eines Sackes, der
an einer Längsseite offen ist. Um sie während der
Nacht zu benutzen und vor Kälte und Insekten geschützt
zu sein, kriecht man vollständig in sie hinein,
wickelt sie fest um den Körper und liegt schließlich
auf der offenen Seite. Tumbas werden häufig als
Särge benutzt, indem man den Leichnam in sie
einnäht.
Der träge Mahomed.1
Ein Sansibarmärchen.
Eines Tages kam zu dem Sultan Harun al Raschid ein
junger Sklave, der sprach:
»Meine Herrin Zubede sendet dir durch mich ihre
Grüße und läßt dir sagen, sie habe eine Krone gefertigt,
zu der ihr noch ein Stein fehle. Sie fragt bei dir
an, ob du ihr den fehlenden geben kannst.«
Da suchte Harun al Raschid in seinen Schatzkammern;
aber wie sehr er auch suchte, es fand sich kein
Stein, der groß genug gewesen wäre.
Endlich sagte Harun zu dem Sklaven:
»Bringe mir die Krone, damit ich selber sehe, ob
ich das Gewünschte nicht herbeischaffen kann.«
Als die Krone gebracht wurde, sah er, daß sie aus
kostbaren Steinen gefertigt war. Er zeigte sie allen
Großen des Reiches und sprach zu ihnen:
»Sucht in euren Schätzen, bis ihr einen Stein findet,
der groß genug ist, um das Mittelstück dieser Krone
zu bilden.«
Sie taten, wie ihnen befohlen war; aber vergebens.
Da berief Harun al Raschid alle Kaufleute seines
Reiches, versprach ihnen viel Gold und Silber, konnte
aber auch von ihnen keinen Stein bekommen, der
groß genug gewesen wäre.
Fast verzweifelte er daran, je zu erlangen, was er so
eifrig suchte, als ein Mann zu ihm kam, der sprach:
»In der Nähe von Bagdad wirst du nicht finden,
was du suchst. Aber sende nach Bassara; dort lebt ein
Jüngling Namens Mohamed, mit Beinamen der Träge,
der kann dir einen Stein geben, welcher groß genug
ist, um die Mitte der Krone zu zieren.«
Da berief der Sultan seinen Vertrauten Mesruri
Sayafi. Zu dem sprach er:
»Nimm diesen Brief und reise nach Bassara; dort
gehe zu meinem Minister Mohamed Zabidi.«
Mesruri Sayafi machte sich alsbald auf den Weg
und nahm ein großes Gefolge mit sich. Sein Weg
führte ihn durch eine weite Wüste; als er die durch-
reist hatte, kam er nach Bassara. Da begab er sich sofort
in das Haus Mahomed Zabidis; dem gab er den
Brief, und er las ihn. Sobald er gelesen hatte, bat er
Mesruri Sayafi in sein Haus zu kommen und sein
Gast zu sein; er befahl, daß man ein großes Mahl bereite
und setzte sich mit ihm hin und aß.
Als das Mahl beendet war, sprach Mesruri Sayafi
zu seinem Gastgeber:
»Ich muß jetzt von dir scheiden; denn mir war befohlen,
dir den Brief meines Herrn zu geben und
gleich weiter zu ziehen nach dem Hause Mahomeds
des Trägen. So laß nun mich und mein Gefolge weiter
ziehen.«
Da nahmen sie Abschied voneinander, und Mesruri
Sayafi zog weiter.
Als er nun zu Mahomed kam, gab er ihm den Brief
Harun al Raschids. Ehe dieser ihn gelesen hatte,
sprach er zu dem Boten:
»Tritt ein in mein Haus und trinke mit mir eine
Tasse Kaffee!«
Mesruri Sayfi antwortete:
»Mein Auftrag war, dir den Brief meines Herrn abzuliefern
und weiterzureisen, sobald du ihn gelesen
haben würdest.« Denn der Sultan befahl mir: »Verweile
nicht, gib den Brief und laß Mahomed mit dir
kommen!«
Als Mahomed dies gehört hatte, sprach er:
»Ich höre, und dem Wunsche des Sultans werde ich
folgen. Erst aber bitte ich dich, in meinem Hause Kaffee
zu trinken.«
Mesruri Sayafi aber sprach:
»Mir wurde nicht befohlen, Kaffee bei dir zu trinken.
«
Mahomed antwortete:
»Du mußt von meinem Kaffee trinken.«
Und er bat ihn inständig, bis er einwilligte und in
das Haus trat und in das Empfangszimmer ging. Dorthin
brachte man kleine Schalen starken Kaffees. Als
nun Mahomed getrunken hatte, kam ein Sklave und
legte ihm einen Beutel mit fünfhundert Denaren in
den Schoß.
Mahomed sprach zu Mesruri Sayafi:
»Du bist tagelang in der Wüste gewesen und mußt
dich ermattet fühlen. Erfrische deine Glieder in einem
Bade.«
Mesruri Sayafi ging in den Baderaum und fand die
Luft dort voll süßen Rosenduftes; denn das Bad, welches
man ihm bereitet hatte, war nichts anderes als
feinstes Rosenwasser. Eunuchen kamen und bedienten
ihn mit seidenen, weichen Handtüchern. Danach
brachten ihm Sklaven neue kostbare Kleider, die gewebt
waren aus seidenen und goldenen Fäden. Die tat
er an. Danach ging er wieder in den Empfangsraum
und setzte sich nieder auf kostbare, weiche Polster.
Als er sich alles ansah, was in dem Raume stand und
auf dem Fußboden lag, sprach er zu sich selber:
»Sogar meines Sultans Haus ist nicht eingerichtet wie
dieses! Es ist das Schönste, was ich je sah!«
Man brachte Wasser in goldenen Schalen, und
Mesruri Sayafi, sein Wirt und die Gäste, die anwesend
waren, wuschen sich die Hände; denn es war ein
Mahl bereitet worden, und junge Sklaven trugen es
auf.
»Dergleichen aß ich noch nie!« dachte Mesruri
Sayafi, indem er sich die Speisen munden ließ.
Darauf führte man ihn in ein Schlafgemach, und als
Sklaven ihm sein Lager bereitet hatten, traten schöngekleidete
Mädchen ein, die spielten auf wohltönenden
Instrumenten und sangen Lieder, in denen sie
Mesruri Sayafi priesen. Er schlief ein und wachte gestärkt
wieder auf, als die Sonne am Himmel stand.
Sklaven standen an der Tür seines Schlafgemaches,
die warteten, damit sie ihn in den Baderaum führten.
Wieder fand er dort ein duftendes Bad bereitet, wieder
brachte man ihm neue, goldgewirkte Kleider und
führte ihn dann zu seinem Wirt in den Empfangssaal;
dort speiste er zur Nacht, und als es spät und er müde
war, wies man ihm ein Schlafgemach, dessen Einrichtung
noch köstlicher war, als die des Raumes, in dem
er vorher geruht hatte. Und er schlief bis zum andern
Morgen. Als er seine Augen aufschlug, fand er, daß
bereits Sklaven warteten, damit sie ihn zu seinem
Bade führten. Als er gebadet hatte, gab man ihm neue
Kleider und brachte ihm einen Beutel mit fünfhundert
Silberstücken. Nachdem Mesruri Sayafi mit Mohamed
den Morgenimbiß genommen hatte, sprach er:
»Ich habe mich länger bei dir aufgehalten, als recht
ist. Laß uns zu meinem Herrn ziehen.«
Aber Mohamed sprach:
»Verweile noch einen Tag; damit ich meine Maultiere
beladen lassen kann mit Geschenken, die ich
dem Sultan bringen werde.«
Da verging noch ein Tag für Mesruri genau wie der
vorige. Am folgenden Morgen war alles bereit zur
Reise. Vierhundert Maulesel waren beladen worden.
Mahomed ließ zwei Tiere satteln mit Goldsätteln und
reich mit Steinen verzierten Zäumen und starken seidenen
Zügeln; diese ritten er und sein Gast, und so
zogen sie mit großem Gefolge gen Bagdad.
Als die Sonne untergegangen war, wurden Zelte
aufgeschlagen für die Nacht. Das Zelt, in dem Mohamed
und Mesruri Sayafi schliefen, war aus Seide, und
die Pfähle, über welche der kostbare Stoff gespannt
war, waren von Holz der Aloe geschnitzt.
Am andern Tage zogen sie weiter, und nach etlichen
Tagen erreichten sie das Ziel ihrer Reise.
Mesruri Sayafi aber dachte:
»Wenn ich den Sultan spreche, so muß ich ihn fra-
gen, wie dieser Mann zu seinem großen Reichtum gekommen
ist; denn ich entsinne mich, daß sein Vater
noch ein öffentliches Bad hielt.«
Als sie den Palast des Sultans erreicht hatten und
Harun al Raschid ihnen entgegentrat, fiel Mohamed
zur Erde und fragte:
»Darf ich zu dir sprechen?«
Da sagte Harun al Raschid:
»Sprich!«
Als Mohamed seine Augen aufhob und seine Lippen
öffnete, tat sich das Dach des Hauses auf, und es
erschienen Paläste und Gärten mit herrlichen Bäumen,
deren Blätter Perlen und deren Früchte Korallen
waren.
Der Sultan war sehr verwundert, als er das sah, und
fragte:
»Woher kommt all dieser Reichtum? Wir wissen,
daß du derselbe Mohamed bist, den die Leute den
Trägen nennen, und dein Vater hielt ein öffentliches
Bad. Wie also ist es gekommen, daß du zu so unermeßlichen
Gütern gelangt bist?«
Mohamed erwiderte:
»Wenn du es befiehlst, so werde ich dir meine Geschichte
erzählen. Ich habe all diese Geschenke dir
mitgebracht, nicht, weil ich dich fürchte, sondern weil
ich außer dir keinen Menschen weiß, der ihrer würdig
ist. Jetzt laß mich dir erzählen, was mein Leben war.
Als ich jung war, starb mein Vater und ließ meine
Mutter und mich in tiefer Armut. Ich war zu faul, um
zu arbeiten, ja zu faul, um zu essen; deshalb tat meine
Mutter mir jeden Bissen in den Mund. Wenn ich lag,
war ich zu faul, mich von einer Seite auf die andere zu
wenden; meine Mutter tat es für mich. Die Speise
aber, die wir aßen, mußte meine Mutter erbetteln, und
das währte fünfzehn Jahre.« Eines Tages kam sie
heim und brachte fünf Silbermünzen mit, die man ihr
geschenkt hatte. Diese gab sie mir und sprach:
»Nimm diese Münzen und gib sie dem Scheik Abalmathfar,
der sein Schiff rüstet, um damit nach China
zu reisen. Bitte ihn, daß er dir für das Geld Waren
kaufe, die du hier mit Vorteil verkaufen kannst; denn
der Scheik ist ein frommer Mann, der die Armen liebt.
Gehe nun zu ihm und bringe ihm das Geld.«
Ich aber antwortete:
»Wie kann ich gehen!«
Da wurde sie zornig und drohte.
»Gehst du nicht zu ihm, so bist du nicht länger
mein Sohn. Weder Speise noch Trank werde ich dir
reichen, und wenn du in der Sonne liegst, werde ich
dich liegen lassen. Wenn dich hungert, werde ich dich
sterben lassen!«
Sie schwor bei Allah, zu tun, wie sie sagte; deshalb
willfahrte ich ihr und ließ sie mir meine Sandalen
antun und mein »Kanzu«. Dann ließ ich mir von ihr
einen Stock geben, damit ich mich stützen konnte,
und meine Mutter mußte mich aufrichten. Darauf
sagte ich zu ihr:
»Nun stelle dich hinter mich und schiebe mich, daß
ich vorwärts komme.« So gingen wir nun langsam
voran, bis wir das Ufer erreichten. Dort suchten wir
den Scheik Abalmathfar und fanden ihn, geschäftig
seine Güter an Bord bringen. Als er mich sah, rief er
erstaunt:
»Was ist vorgefallen, daß du hierher kommst?« Ich
gab ihm die Münzen und sagte ihm, was mich zu ihm
führte. Er versprach, meine Bitte zu erfüllen, und ich
ging heim, um mein altes Leben weiterzuführen. Der
Scheik begab sich auf die Reise nach China, und er
und seine Freunde machten dort ihre Besorgungen,
vergaßen aber mich und meine fünf Silberstücke.
Zwei Tage war er schon wieder auf der Rückreise, als
ihm plötzlich sein Versprechen an mich einfiel.
»Wir müssen zurückkehren,« sprach er zu seinen
Reisegefährten, »denn ich habe Mahomed dem Trägen
versprochen, Waren für ihn zu kaufen.« Davon
aber wollten die anderen nichts hören, sondern sie beschlossen,
daß jeder der Reisenden einen kleinen Teil
der Einkäufe, die sie für sich gemacht hatten, für mich
hingeben sollten. Das geschah. Als sie weiter reisten,
kamen sie zu einer Insel, die hieß Sunudi. Dort warfen
sie Anker, gingen an Land und sahen sich die
Stadt an. Vor einem der vielen Läden sahen sie einen
Affen, der war festgebunden, und andere Affen kamen
und schlugen ihn. Das tat dem Scheik leid; deshalb
ging er zu dem Eigentümer des Tieres und kaufte es
von ihm mit dem Gelde, welches ich ihm gegeben
hatte. Er meinte, der Affe wäre gut für mich, um
damit zu spielen; denn er wußte, daß ich jeder Arbeit
abhold war.
Wenige Tage später landete der Scheik sein Schiff
bei einer Insel, die hieß Sodani; ihre Einwohner nährten
sich von Menschenfleisch. Als nun das Schiff
ankam, gingen sie an Bord, banden alle, die darauf
waren, töteten sie und fraßen sie auf. Der Scheik Abalmathfar
und zwei andere Männer waren verschont
geblieben; doch am anderen Morgen sollten auch sie
sterben. Aber während der Nacht stand der Affe auf
von seinem Lager, ging zu den drei Männern, löste
ihre Bande, und alsbald machten sie sich eilig auf den
Weg nach ihrem Schiffe. Das fanden sie noch genau
so vor, wie sie es verlassen hatten. Da machten sie es
zur Abreise fertig und flohen. Während der Seereise
tauchten die Männer, welche mit dem Scheik geflohen
waren, nach Perlen, und als der Affe das sah, sprang
er ebenfalls ins Wasser. Der Scheik wurde sehr betrübt;
denn er meinte nicht anders, als daß der Affe ertrunken
sei. Doch als die Männer aus dem Wasser
emportauchten, kam auch der Affe mit ihnen und
brachte Perlen, die schöner und größer waren als alle
anderen. Die gab er dem Scheik.
Dieser sprach:
»Ohne den Affen wären wir alle ums Leben gekommen.
So laßt uns jeder zwölfhundert Silberstücke
geben als den Preis für unser Leben. Das Geld aber,
die Perlen und der Affe gehören Mahomed dem Trägen.
«
Er selber sammelte das Geld ein, legte es zu den
Perlen, band alles zusammen und zeichnete das Paket
mit meinem Zeichen. Als das Schiff nun bald darauf
bei Bassara landete, feuerten seine Insassen fünf
Schüsse ab, damit die Bewohner der Stadt wüßten,
daß sie kämen. Auch meine Mutter erfuhr von der Ankunft.
Sie kam zu mir und sprach:
»Der Scheik Abalmathfar ist gekommen; gehe zu
ihm und frage ihn nach den Sachen, die er dir gekauft
hat.«
Ich sprach:
»Ich kann nicht aufstehen, hilf mir.« Das tat sie;
auch legte sie mir meine Schuhe an, warf mir mein
Kanzu über und schob mich vorwärts; genau so, wie
sie es vordem getan hatte.
Der Scheik empfing mich freundlich, reichte mir
die Hand und fragte mich nach meinem Ergehen.
Dann sagte er, daß meine Güter zu mir gebracht werden
würden. Und wir gingen heim, wie wir gekom-
men waren. Daheim legte ich mich sogleich wieder
hin. Nach einer kleinen Weile kam ein Mann, der
brachte mir einen Affen und sagte:
»Der Scheik Abalmathfar sendet ihn dir und grüßt
dich.« Ich nahm das Tier, und der Mann, der es gebracht
hatte, ging seiner Wege. Ich aber rief meine
Mutter, zeigte ihr den Affen und sprach:
»Siehe, was der Scheik mir mitgebracht hat! Hier
kauft man zehn Affen für ein Silberstück, und er hat
fünf für diesen einen gegeben.« Noch hatte ich diese
Worte nicht beendet, als ein Mann an der Tür stand,
der rief:
»Hodi!«
Ich hieß ihn eintreten, und er kam herzu und händigte
mir einen Bund Schlüssel ein. Hinter ihm her
aber kamen Männer mit großen Kästen, und der Mann
sprach:
»Diese Schlüssel gehören zu den Kästen.«
»Was soll ich mit ihnen?« fragte ich.
»Sie sind dein. Denn sie enthalten, was der Scheik
für dein Geld für dich gekauft hat.«
Ich aber wurde unmutig; denn ich meinte nicht anders,
als daß der Scheik mich armen Mann narren
wollte. Der die Sachen gebracht hatte, rief:
»Bei Allah! Der Scheik ist nicht ein Mann, der mit
der Armut Spott treibt. Er selber wird zu dir kommen
und mit dir reden.«
Schon hörte ich die Stimme des Scheiks »Hodi«
rufen an meiner Tür; da stand ich auf, ging ihm entgegen
und begrüßte ihn. Der Scheik erklärte mir darauf,
wie alles so wunderbar gekommen sei, und ich war
von Herzen froh und ihm dankbar, daß unsere Armut
beendet war. Als er fortgegangen war, sah ich mir den
Inhalt der Kisten und Kästen an und fand meine Erwartungen
weit übertroffen.
Meine Mutter war anfangs stumm vor Staunen und
Freude; dann sprach sie:
»Allah hat meinen Sohn reich gesegnet, ihm sei
Dank! Nun aber, mein Sohn, zeige, daß du seiner
Güte wert bist. Gehe hin, suche dir ein Haus, richte
einen Laden ein mit den Waren, welche der Scheik dir
gebracht hat, und arbeite.«
Das tat ich denn auch. Wenn ich in meinem Laden
saß, so war mein Affe an meiner Seite, oder er ging
des Morgens fort und kam am Abend zurück; dann
hatte er stets einen Beutel mit Silber- oder Goldstükken
im Maule, die legte er vor mich, und ich nahm
das Geld und verwahrte es. Unsere Mahlzeiten teilten
wir miteinander und waren gute Freunde. Auf diese
Weise verging eine geraume Zeit. Da eines Abends
geschah etwas, was mich mit Staunen und Schrecken
erfüllte. Mein Affe war den ganzen Tag über von mir
fort gewesen, und als er heimkam, begrüßte er mich
mit Worten, wie Menschen zu sprechen pflegen. Ich
erwiderte den Gruß, war aber doch unruhig ob solch
seltsamen Vorkommnisses. Der Affe sah meine Besorgnis
und sprach:
»Fürchte dich nicht, Mahomed; denn ich bin kein
gewöhnlicher Affe, sondern der Gott der Gläubigen
hat mich geschaffen, daß ich dir diene und zu Glück
und Reichtum verhelfe. Dein Reichtum ist jetzt groß;
aber eins fehlt dir noch; denn du hast kein Weib. Ich
habe dir im Auftrag Allahs ein Weib ausgesucht, das
du heiraten mußt.«