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Kapitel 4

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Als das Vieh nun spornstreichs zu dem See bei

dem Felsen lief, gingen die Männer des Dorfes ihm

nach und sahen, wie der Ochse schnüffelnd an dem

Ufer entlang ging und schließlich in das Wasser

sprang, untertauchte und gleich darauf mit dem leblosen

Körper Mbulukazis wieder zum Vorschein kam.

Sanft legte er sie auf weiches Gras und leckte sie so

lange am Gesicht und am Körper, bis sie zu neuem

Leben erwachte. Sobald sie kräftig genug war, erzählte

sie, was sich begeben hatte.

Als Breitbrust erfuhr, wie schändlich Malungulaza

an Mbulukazi gehandelt hatte, ward er sehr zornig

und verließ das böse Weib.

»Denn,« sprach er, »ich habe dich gar nicht zum

Weibe begehrt; nur weil deine Mutter darauf bestand,

daß ich dich heiraten solle, habe ich es getan. Nun

aber kehre zurück zu deines Vaters Kraal!«

Da zog Malungulaza beschämt von dannen; aber

Mbulukazi blieb bis an ihr Lebensende die Hauptfrau

ihres Mannes Breitbrust.

Der stolze Schmetterling.

Aus Boilats Grammaire de la langue Wollosse.

Paris 1858.

Ein wunderschöner Schmetterling umflatterte eine

duftende Blume. Da bemerkte er eine häßliche Raupe,

die im Staube dahinkroch. Verächtlich rief der

Schmetterling ihr zu:

»Wie darfst du es wagen, dich in meiner Nähe

sehen zu lassen? Fort mit dir; sieh', ich bin schön und

strahlend wie die Sonne, und meine Schwingen tragen

mich hoch in die Lüfte, während du auf der Erde

herumkriechst. Fort mit dir, wir haben nichts miteinander

zu schaffen!«

»Dein Stolz, du bunter Schmetterling, steht dir

schlecht an,« erwiderte die Raupe ruhig. »All deine

Farbenpracht gibt dir nicht das Recht, mich zu verachten.

Wir sind und bleiben Verwandte; daher

schmähst du dich selber, wenn du mich schmähst.

Bist du nicht früher auch eine Raupe gewesen? Und

werden nicht deine Kinder Raupen sein wie du und

ich?«

Der Storch und die Kröten.

Bornusche Fabel aus »African Native Litterature.«

London 1854.

Einst legte eine Störchin ihre Eier in einen hohlen

Baum und brütete sie aus. Als die jungen Störche ausgekrochen

waren und nach Nahrung schrieen, hatte

Frau Storch nichts, um ihren Hunger zu stillen. Endlich

entschloß sie sich auf Anraten einer Freundin,

einen Versuch zu machen, die Kröten im nahen

Sumpfe zu überlisten. Leise legte sie sich vor Tagesanbruch

im Sumpfe nieder streckte die Beine von

sich, ließ die Flügel schlaff herabhängen, öffnete den

Schnabel und schloß die Augen, – ganz, als ob sie tot

wäre. Der Tag graute; da hob eine Kröte den Kopf

aus dem Wasser hervor und schaute sich um. Schnell

tauchte sie wieder unter und rief allen anderen Kröten

zu:

»Kommt herbei! Vor unserer Haustür liegt ein toter

Körper.«

Eine Kröte nach der anderen hob nun den Kopf aus

dem Wasser und guckte den Storch an. Dann hielt

man Kriegsrat, und auf Anraten ihrer weisen Männer

stiegen die Kröten ans Land und begannen, den

Storch fortzuschleppen. Dabei sangen sie:

»Schlepp' ihn fort und laß ihn liegen,

Schlepp' ihn fort und laß ihn liegen!«

Der Storch ließ alles ruhig mit sich geschehen. Als

die Kröten ihn eine ziemliche Strecke fortgeschleppt

hatten, ließen sie den Körper liegen und machten sich

auf den Heimweg. Da aber sprang der Storch mit Blitzesschnelle

auf und eilte ihnen nach. Bald hatte er

eine eingeholt und verschluckt, und wenn die anderen

auch davoneilten, so schnell sie nur konnten, holte der

Storch doch eine nach der anderen ein und steckte sie

in seinen Sack, den er unter seinen Flügeln versteckt

bei sich trug. Dann eilte er nach Hause, vergnügt,

Nahrung für seine hungrigen Kinder gefunden zu

haben.

Seit der Zeit wurden die Kröten plötzlich still,

wenn jemand sich dem Sumpfe nähert, darinnen sie

sind; denn sie sind bange, der Storch komme wieder.

Eine Geschichte der Neger von Damaraland.

Es war einmal ein Kind, welches eine Eingui (Art

Frucht) hatte. Es zeigte dieselbe seiner Mutter und

sprach:

»Mutter, warum sagst du mir nicht, daß ich dir

diese Frucht geben soll? Glaubst du, ich würde sie dir

nicht lassen?«

Die Frau sprach:

»Mein Kind, gib mir die Frucht,« worauf ihr das

Kind die Eingui gab und davonlief, indessen die Mutter

sie verzehrte. Als das Kind aber wiederkam,

sprach es:

»Mutter, gib mir meine Frucht.«

Die Frau entgegnete:

»Die Eingui habe ich mir wohl schmecken lassen.«

Da weinte das Kind und sprach:

»Warum hast du die Eingui gegessen, die ich von

unserem Baume gepflückt habe? Es war meine Eingui!

«

Um es zu trösten, gab die Mutter ihm eine Nadel;

mit der lief das Mädchen zu seinem Vater. Der war

gerade bei der Arbeit, aus Gras und Binsen Streifen

zu flechten, wie die Damaramänner sie um ihre Hüften

sich schlingen, und zum Flechten brauchte er spitze

Dornen Das Kind sprach:

»Vater, warum läßt du dir nicht vor mir diese

Nadel geben, statt mit Dornen zu flechten?«

»Mein Kind, gib mir doch die Nadel,« sprach darauf

der Vater. Das Mädchen gab sie ihm und lief

davon. Als der Mann mit der Nadel nähte, brach sie

entzwei. Als nun das Kind zurückkam, um sie wiederzufordern,

sprach er:

»Sie ist zerbrochen!«

Da weinte das Kind und sagte:

»Vater, warum hast du die Nadel zerbrochen, die

meine Mutter mir gab, die meine Eingui gegessen hat,

die ich mir von unserem Baum gepflückt habe?«

Zum Trost für die zerbrochene Nadel gab der Mann

seinem Kinde eine Axt, mit der lief es auf das Feld

und traf dort Buben an, die das Vieh hüteten. Die

Knaben waren dabei, Honig aus den Bäumen zu nehmen,

und da sie nicht hoch genug reichen konnten,

sägten sie den Baum um mit einem Steine. Da sprach

das Kind:

»Warum bittet ihr mich nicht um meine Axt?

Glaubt ihr etwa, ich würde sie euch nicht geben?«

»Gib uns deine Axt!« baten da die Knaben.

Das Mädchen gab sie ihnen und lief fort. Als es

aber zurückkam und die Axt forderte, fand es, daß sie

in Stücken war.

Da fing das Mädchen an bitterlich zu weinen und

klagte:

»Warum habt ihr meine Axt zerbrochen, die mein

Vater mir gab, der meine Nadel zerbrach, die ich von

meiner Mutter hatte, die meine Eingui gegessen hat,

die ich von unserem Baume für mich gepflückt hatte.«

Um das Mädchen zu trösten, gaben die Knaben

ihm von ihrem Honig, mit dem lief es eilends weiter

und traf bald ein kleines, altes Weib, das saß auf

einem Stein und aß Insekten:

»Warum bittest du mich nicht um meinen Honig?«

fragte das Kind. »Glaubst du, ich würde ihn dir nicht

geben?«

»So gib ihn mir!« sprach das Weib.

Das Kind tat es und lief davon; bald aber kam es

wieder und wollte den Honig zurückhaben; jedoch

hatte die alte Frau ihn verzehrt. Da fing das Mädchen

wieder an zu klagen und sprach:

»Warum hast du meinen Honig gegessen, den die

Knaben mir gegeben haben, die meine Axt zerbrachen,

die ich von meinem Vater hatte, der meine

Nadel zerbrach, die meine Mutter mir gab, die meine

Eingui gegessen hat, die ich von unserem Baume für

mich pflückte?« Das alte Weib gab dem Kinde etwas

Negerkorn, das nahm es und lief hin zu den Pfauen,

die den Boden scharrten und nach Nahrung suchten.

Die Pfauen aßen alles auf, und als das Kind wiederkam

und das Korn zurückhaben wollte, war nichts

übrig geblieben. Da klagte das Kind:

»Ihr Pfauen, warum habt ihr mein Negerkorn gegessen,

das mir das alte Weib gab, welches meinen

Honig verzehrt hat, den ich von den Knaben bekommen

habe, die meine Axt zerbrochen haben, die mein

Vater mir gab, der meine Nadel zerbrach, die ich von

meiner Mutter hatte, die meine Eingui gegessen hat,

die ich von unserem Baume für mich gepflückt

hatte?«

Als die Pfauen das Mädchen so klagen hörten, flogen

sie in die Luft und warfen ihm schöne, bunte Federn

zu; die nahm es und zeigte sie den Schafhirten,

welche gerade ihren Schafen Wolle ausrupften, um sie

für ihre Bogen und Pfeile zu brauchen.

»Warum bittet ihr mich nicht um diese Federn?«

fragte das Kind dann, »sie sind besser für eure Bogen

als die Wolle. Oder glaubt ihr, ich würde sie euch

nicht geben?«

»Gib sie uns denn doch!« baten die Hirten.

Das Mädchen gab sie ihnen und lief davon. Als es

kam, um die Federn zurückzufordern, waren sie alle

zerbrochen.

»Warum,« schluchzte da das Kind, »habt ihr meine

Federn zerbrochen, die ich von den Pfauen bekommen

hatte, die mein Negerkorn verzehrt hatten, das ich von

dem alten Weibe erhalten hatte, das meinen Honig aß,

den mir die Knaben gegeben hatten, die meine Axt

zerbrachen, die ein Geschenk war von meinem Vater,

der meine Nadel zerbrochen hat, die mir meine Mutter

gegeben hat, die meine Eingui gegessen hat, die ich

für mich von unserem Baume gepflückt habe?«

Da gaben die Schafhirten dem Kinde süße Milch.

Weiter lief es seines Weges und traf einen Hund, der

an einem Knochen nagte; dem stellte es die Milch hin

und ging fort. Als es wiederkam, hatte der Hund jedes

Tröpfchen der Milch getrunken. Da wurde das Kind

sehr böse, schalt den Hund und wollte ihn schlagen.

Doch der kletterte eilends auf einen Baum, und das

Mädchen folgte ihm. Als es oben war, sprang der

Hund hinab; doch das Kind wagte nicht zu springen,

denn der Baum war sehr hoch. Da rief das Mädchen:

»Mein Hund, so hilf mir doch!« Doch der Hund

antwortete:

»Was verfolgst du mich?« und lief davon.

Eine Erzählung aus Madagaskar.

Einstmals ging Ikotafetsy in den Wald, um dort Laingo

zu graben. Als er mit seiner Arbeit fertig war,

brachte er die Frucht der schönen Rafotsibe, die sie in

eine Schale legte. Darauf ging Ikotafetsy davon, kehrte

aber bald wieder in das Haus zurück und fragte:

»Wo ist meine Laingo?«

»Ich habe sie für meine Zähne verbraucht,« erwiderte

Rafotsibe.

Ikotafetsy wurde darauf sehr böse und schalt die

schöne Rafotsibe; diese aber sagte:

»So werde ich dir eine kleine Nadel für deine Laingo

geben.«

Der Knabe war dessen zufrieden, nahm die Nadel

und ging mit ihr zu einem Fischer, dem er sie zeigte.

»Laß uns tauschen!« sprach dieser. »Wenn du mir

die Nadel gibst, so werde ich dir einen Fisch geben.«

»Wirst du mir den Fisch auch wirklich geben?«

fragte der Knabe.

»Ganz bestimmt.«

Da tauschten sie, und Ikotafetsy nahm den Fisch zu

einem Holzfäller, der ihm eine Axt dafür bot. Wiederum

wurde der Knabe handelseinig mit dem Manne,

nahm die Axt und zeigte sie einem Totengräber. Der

sprach:

»Gib sie mir; damit ich mit ihr Vieh töten kann

zum Schlachten.«

Ikotafetsy willigte ein.

»Doch,« sagte er, »ich kann nicht zugeben, daß du

bei deiner Arbeit meine Axt zerbrichst; es ist die einzige,

die ich habe.«

»Wie werde ich sie zerbrechen!« rief der Totengräber

und begab sich an die Arbeit; indessen nach wenigen

Minuten schon war die Axt entzwei.

Da sprach Ikotafetsy:

»Du hast meine Axt zerbrochen, und ist es nur gerecht,

wenn ich das geschlachtete Vieh behalte.«

Da gab der Totengräber ihm, was er haben wollte.

Das Fleisch brachte der Knabe einem alten Manne,

der ihm dafür eine Trommel gab. Mit der Trommel

lief Ikotafetsy nach dem Markt, und auf dem ganzen

Wege trommelte er fortwährend, so daß die Leute stehen

blieben und zueinander sagten:

»Seht, seht, was für eine schöne Trommel Ikotafetsy

hat!« Und einer nach dem anderen nahm die Trommel

und trommelte. Schließlich ging sie entzwei.

Ikotafetsy aber wurde sehr böse und rief:

»Als ich mir Laingo im Walde gegraben hatte,

nahm Rafotsibe es und gab mir dafür eine Nadel, die

gab ich dem Fischer für einen Fisch, den der Holzfäller

mir für eine Axt eintauschte, die der Totengräber

zerbrach, der mir für sie Fleisch gab; das Fleisch gab

ich dem alten Manne, von dem ich diese Trommel

bekam. Nun ihr mir diese zerbrochen habt, seid ihr

alle meine Sklaven und müßt mir gehorchen.«

Da gingen die Leute zu ihrem König und baten ihn,

daß er sie schütze. Doch der König sagte:

»Wenn ihr ihm sein Eigentum zerstört habt, so

kann ich euch weder helfen, noch euch schützen. Ihr

seid sein.«

Eine Geschichte von der Sierra Leonaküste.

Es war einmal ein Kind, welches nahe bei einem

Wasserfall eine Vogelfalle aufstellte. In ihr fing sich

ein Vogel, den das Kind mit sich in die Hütte seiner

Mutter nahm. Es bat:

»Brate mir doch den Vogel, den ich am Wasserfall

gefangen habe, liebe Mutter!«

»Ich will es wohl tun,« entgegnete diese, »wenn du

inzwischen schnell auf das Feld läufst, auf dem meine

Hühner sind, und die Raubvögel dort vertreibst.«

Während nun das Kind auf dem Felde war, rupfte

und briet die Frau den Vogel und aß ihn schließlich

selber auf. Als das Kind wieder nach Hause zurückkam,

fragte es nach dem Vogel.

»Den habe ich gegessen,« sagte die Mutter.

Da weinte das Kind und rief:

»Wie konntest du meinen Vogel essen, den ich bei

dem Wasserfalle fing?«

Als es fortfuhr zu klagen und sich gar nicht beruhigen

wollte, gab die Frau ihm frischen jungen Mais zur

Entschädigung. Den Mais nahm das Kind, legte ihn

auf einen Baumstumpf und ging davon. Da kamen

weiße Ameisen, die fraßen alles auf. Als das Kind zurückkam

und den Mais essen wollte, war kein Korn

davon mehr zu finden.

»Weiße Ameisen,« rief es, »warum habt ihr meinen

Mais gefressen, den ich auf diesen Baumstumpf gelegt

hatte? Meine Mutter hatte ihn mir gegeben, weil

sie den Vogel gebraten und gegessen hat, den ich

nahe bei dem Wasserfall an unserer Hütte gefangen

hatte.«

Alsbald machten die weißen Ameisen eine irdene

Schale für das Kind und gaben ihm die für den Mais.

Mit der Schale ging es zum Bach, um Wasser zu

schöpfen; aber das schnellfließende Wasser zerbrach

die Schale.

»Bach!« rief das Kind, »was zerbrichst du meine

Schale, die ich von den Ameisen hatte, die meinen

Mais gefressen haben, den ich auf den Baumstumpf

gelegt hatte? Den Mais hatte meine Mutter mir gegeben,

weil sie den Vogel gebraten und gegessen hat,

den ich in meiner Falle gefangen hatte nahe dem Wasserfall

bei unser Hütte.«

Als das Kind so klagte, gab der Bach ihm einen

Fisch. Kaum aber hielt das Kind ihn in der Hand, als

ein Habicht aus der Luft herabschoß und ihn in seinen

Krallen davontrug.

»Habicht, Habicht,« rief das erschrockene Kind,

»was nimmst du meinen Fisch, den der Bach mir gab,

weil er meine Schale zerbrochen hat, die mir die weißen

Ameisen gegeben hatten? Die Ameisen hatten

meinen Mais gefressen, den ich auf den Baumstumpf

gelegt hatte; den Mais gab mir meine Mutter, nachdem

sie meinen Vogel gebraten und gegessen hatte,

den ich in meiner Falle fing nahe dem Wasserfalle bei

unserer Hütte.«

Da warf der Habicht dem Kinde eine Feder zu, die

aber trug sofort der Wind davon.

»Wind, gib mir meine Feder zurück!« rief das

Kind; »denn der Habicht, der meinen Fisch genommen

hat, gab sie mir. Den Fisch hatte der Bach mir

gegeben, der meine Schale zerbrochen hat, die die

weißen Ameisen mir geschenkt haben, nachdem sie

den Mais gefressen hatten, den ich auf den Baumstumpf

legte, nachdem meine Mutter ihn mir gegeben

hatte, weil sie den Vogel gegessen hat, den ich in meiner

Falle fing nahe dem Wasserfall bei unserer

Hütte.«

Der Wind trug dem Kinde eine Menge Bohnen zu,

die es eilig aufsammelte und damit heimgehen wollte.

Doch ein Affe kam des Weges, der dachte bei sich:

»Bohnen sind ein schöner Schmaus!« trat hinzu,

nahm sie und fraß sie auf.

Da rief das Kind weinend:

»Affe, du böser, du hast meine Bohnen mir genommen,

die der Wind mir gegeben hatte, weil er die Fe-

dern fortgetragen hat, die ein Geschenk des Habichts

waren, der meinen Fisch fortnahm, den der Bach mir

gab, nachdem er meine Schale zerbrochen hatte, die

die Ameisen für mich gearbeitet hatten, weil sie den

Mais, den ich auf einen Baumstumpf gelegt hatte, gefressen

haben. Den Mais hat meine Mutter mir gegeben;

denn sie hat den Vogel gebraten und gegessen,

den ich für mich in meiner Falle gefangen hatte nahe

dem Wasserfall bei unserer Hütte. Affe, was wirst du

mir für meine Bohnen geben?«

»Ich kann dir nichts geben,« antwortete dieser;

»denn ich habe nichts!«

Da ergriff das Kind den Affen, knebelte ihn und

trug ihn so in die Stadt.

Eine Geschichte der Zulus.

Uxlakanyana ging einstmals zu einer Hochzeit. Nachdem

er dort den Tänzen der Mädchen zugesehen und

sich an Mshvala gütlich getan hatte, ging er heim.

Auf dem Wege kam er an einem Hügel vorbei, auf

welchem die köstliche Wurzel Umdiandiane zu finden

war; die grub er aus, um sie hernach zu verzehren.

Daheim angelangt, gab er sie seiner Mutter mit den

Worten:

»Mutter indessen ich gehe, um unsere Kuh zu melken,

koche du mir diese Umdiandiane, die ich auf dem

Hügel gegraben habe.«

Dann nahm er den Melkeimer und ging davon. Die

Mutter machte sich sofort daran, die Wurzel zu kochen,

und als sie gar war und lieblich duftete, sprach

sie zu sich selber:

»Ich muß doch sehen, wie das Gericht schmeckt.«

Damit fing sie an, davon zu essen, und aß, bis nichts

übrig geblieben war. Als Uxlakanyana heimkam, forderte

er die Wurzel. Seine Mutter sprach:

»Ich habe sie gegessen, mein Sohn.«

Er aber bestand dennoch darauf:

»Ich will meine Umdiandiane haben; denn ich habe

sie für mich ausgegraben, nachdem ich von dem

Hochzeitstanze kam.«

Um ihn zu beschwichtigen, gab seine Mutter ihm

einen Milcheimer, den nahm er und lief damit fort.

Nicht weit fort traf er Hirtenknaben an, die ihre Kühe

melkten. Da sie nichts anderes hatten, so brauchten

sie für die Milch zerbrochene Gefäße. Uxlakanyana

gab ihnen seinen Eimer und sprach:

»Laßt mich hernach etwas von eurer Milch haben.«

Die Knaben nahmen den Eimer und melkten nun in

ihn. Als die Reihe an den letzten zum Melken kam,

stieß der aus Versehen den Eimer um, so daß er zerbrach

und alle Milch auf die Erde floß, die sie gierig

verschlang.

Uxlakanyana rief:

»Was habt ihr meinen Eimer zerbrochen, den

meine Mutter mir gab, die meine Umdiandiane gegessen

hat, die ich mir gegraben hatte, als ich von der

Hochzeit heimging?«

Der Hirtenknabe, der den Eimer umgeworfen und

zerbrochen hatte, trat an Uxlakanyana heran, gab ihm

seinen Assegai und sprach:

»Hier, nimm diesen Assegai für deinen Eimer.«

Uxlakanyana nahm den Speer und ging davon. Als

er an einem Zuckerrohrfelde vorbeikam, sah er dort

Knaben, die sich die Leber eines Ochsen gebraten

hatten und sie nun teilten; da sie aber kein Messer

hatten, nahmen sie die harte Rinde des Rohres und

schnitten das Fleisch damit.

»Nehmt meinen Assegai zum Schneiden,« sprach

Uxlakanyana, »gebt mir aber auch etwas von der

Leber!«

Die Knaben teilten mit dem Assegai die Leber;

aber der letzte zerbrach die Waffe. Da wurde

Uxlakanyana sehr böse, schalt den ungeschickten

Knaben und sprach:

»Warum zerbrichst du meinen Assegai, den mir der

Hirte gab, der meinen Melkeimer umstieß, daß er in

Stücke ging und die Milch ausfloß? Den Eimer hatte

mir meine Mutter gegeben, weil sie die Umdiandiane

gegessen hat, die ich für mich ausgegraben hatte, als

ich nach der Hochzeit an dem Hügel vorbeikam.«

Als Uxlakanyana schalt und schalt und sich gar

nicht beruhigen wollte, gaben die Knaben ihm eine

Axt für den Assegai. Mit der Axt ging er seiner Wege

und traf alsbald einige Weiber, welche Holz zum Feuern

holten.

»Womit schneidet ihr denn das Holz?« fragte

Uxlakanyana.

»Wir schneiden es nicht,« war die Antwort, »wir

brechen es; denn wir haben weder eine Axt noch ein

Messer.«

»So nehmt diese Axt, schneidet euer Holz mit ihr

und gebt sie mir dann wieder!«

Die Weiber gebrauchten die Axt, eins nach dem anderen,

und als das letzte sie zur Hand nahm, zerbrach

sie.

»Ihr habt meine Axt zerbrochen,« schalt da

Uxlakanyana; »warum habt ihr das getan? Die Axt

haben mir die Knaben für meinen Assegai gegeben,

den sie zerbrochen haben, als sie Leber mit ihm

schnitten. Den Assegai hatte ich von den Hirten bekommen,

die meinen Melkeimer umwarfen, daß die

Milch ausfloß und er zerbrach. Meine Mutter hatte

ihn mir gegeben, weil sie meine Umdiandiane gegessen

hat, die ich mir gegraben hatte, als ich nach der

Hochzeit an dem Hügel vorbeikam!«

Als sie ihn so klagen hörten, gaben die Weiber ihm

ein buntes Lendentuch, das war aus allerlei Gras geflochten.

Uxlakanyana lief damit weiter und traf auf

zwei junge Männer, die schliefen im Walde und

waren nackend. Er weckte sie und fragte:

»Freunde, habt ihr keine Kleidung?«

Sie antworteten:

»Nein.«

»So nehmt dieses,« sprach er und gab ihnen sein

Tuch.

Sie nahmen es und wickelten sich darein. Doch da

es klein war und jeder von ihnen sich damit bedecken

wollte, zerrten und rissen sie daran, bis es in Stücke

ging.

»Was habt ihr getan,« rief Uxlakanyana, »ihr

Bösen? Ihr habt mein Tuch zerrissen, das ich von den

Weibern bekommen hatte, die beim Holzfällen meine

Axt zerbrochen, welche die Knaben mir gegeben hatten,

weil sie meinen Assegai zerbrochen haben, den

ich von den Hirten bekommen hatte, die meinen

Eimer umwarfen, den meine Mutter mir gegeben hat,

weil sie die Umdiandiane aufgegessen hat, die ich für

mich gegraben habe bei dem Hügel, an dem ich nach

der Hochzeit vorbeikam.«

Die Männer, welche das Tuch zerrissen hatten,

gaben Uxlakanyana einen Schild, der war aus Ochsenhaut

gefertigt. Mit diesem Schilde schritt er weiter

und begegnete zwei Männern, welche einen Leoparden

bekämpften. Da sie keinen Schild hatten, gab

Uxlakanyana ihnen den seinen. Sie schlugen den Leo-

parden tot, aber der Handgriff des Schildes brach entzwei.

Uxlakanyana sah es und wurde sehr böse. Da

gaben die Männer ihm einen Spieß und gingen davon.

Masewe.

Eine Naosage.

Es war einmal eine Frau, die hatte keine Kinder. Da

ging sie zu einem Masewebaum, nahm von ihm zwei

Früchte, legte sie in einen Topf und deckte ihn vorsichtig

zu. Nach sechs Tagen hob sie den Deckel auf

und sah, daß aus den Früchten Kinder geworden

waren, die waren sehr schön. Diese Kinder wuchsen

heran und waren bald so groß und kräftig, daß sie

immer ihrer Mutter folgen wollten, wohin diese auch

ging. Eines Tages ging sie aus, um Wasser zu schöpfen.

Als die Kinder sich herzudrängten, um sie zu begleiten,

verbot sie es ihnen, und am anderen Tage wie

den folgenden wollte sie es ihnen auch nicht erlauben.

Da weinten die Kinder und baten so lange, bis die

Frau schließlich nachgab und sie mit zu dem Wasser

nahm. Als sie nun schöpfte, sprach das eine Kind:

»Mutter, gib mir jenes Ding, das dort im Wasser

ist!«

Die Mutter stieg ins Wasser, fing einen Fisch und

gab ihn dem Kinde.

Das Kind aber nahm ihn nicht, sondern sagte:

»Nicht dieses, jenes will ich haben!«

Die Frau stieg wieder in das Wasser und fing ein

Krokodil. Das Kind aber rief wieder:

»Nein, nein, ich will das Ding dort, das schöne.«

Die Mutter stieg noch einmal hinab und fing eine

große Schlange; aber das Kind wollte sie nicht haben,

sondern sagte weinend:

»Ich will jenes schöne Ding,« und dabei wies es

auf den Wiederschein der Sonne im Wasser. Die Mutter

wurde aber sehr zornig und sprach:

»Ihr seid nie und mit nichts zufrieden; das kommt

davon, daß ihr Masewe seid.«

Da weinten die Kinder und liefen in ihr Haus zurück.

Die Mutter suchte sie zu beruhigen, aber weder

ihr, noch den Leuten, die dazu kamen, gelang es. Die

Kinder weinten immer mehr und sagten:

»Warum haft du uns Masewe genannt? Nun kehren

wir zurück, wo wir hergekommen sind.«

Mit diesen Worten liefen sie davon nach dem

Baume, von dem ihre Mutter die beiden Früchte gepflückt

hatte. Viele Leute folgten ihnen, vermochten

aber nicht, sie einzuholen. Am Baume angekommen,

sprang das eine Kind in die Höhe, ergriff einen Ast

und wurde sofort zur Frucht des Sewebaumes, und

dasselbe geschah auch mit dem anderen Kinde.

Der Greif.

Naosage.

Es war einmal ein Mann, der wohnte in der Wildnis

mit seinen zwei Kindern, einem Knaben und einem

Mädchen. Als seine Kinder kaum etwas herangewachsen

waren, ging der Vater eines Tages an die Küste.

In der Nacht erhob sich ein starkes Geräusch; denn

ein Greif kam geflogen, setzte sich auf das Dach des

Hauses, in dem die Kinder allein waren und machte

sie furchtsam, indem er sprach:

»So, ihr Kinder, nun ist mein Essen bereit! Wohin

ist euer Vater gegangen?«

Sie antworteten:

»An die Küste.«

Der Greif sagte:

»Gut! So will ich mein Essen haben.«

Da fürchteten sich die Kinder und zeigten ihm die

Hühner ihres Vaters. Die verzehrte der Vogel und

machte sich davon.

In der zweiten Nacht schlief der Vater an der

Küste. Der Greif kam wieder auf das Dach geflogen

und sprach zu den Kindern die gleichen Worte wie am

Tage vorher. Da waren die Kinder sehr ängstlich und

zeigten ihm die Ziegen ihres Vaters, die verspeiste er

und flog fort.

In der dritten Nacht war der Mann nicht mehr sehr

weit von seinem Hause entfernt. Der Greif kam wieder

auf das Haus geflogen und sprach, wie er vordem

gesprochen hatte. Die Kinder fürchteten sich und

zeigten ihm die Hunde. Die fraß er auf und flog

davon.

Am folgenden Morgen kehrte der Vater heim. Er

begrüßte seine Kinder, fand sie aber krank und abgemagert.

Deshalb fragte er sie:

»Warum seid ihr so mager geworden, meine Kinder?

«

Da berichteten sie, was sich in seiner Abwesenheit

zugetragen hatte. Der Vater hörte schweigend zu und

überlegte, wie er wohl am besten des Greifes habhaft

werden könne. Er hatte an der Küste starke Pfeile gekauft

und hoffte, mit ihnen den bösen Vogel zu erlegen.

Als die Sonne untergegangen war, begab er sich

mit seinen Kindern ins Haus, schloß die Türe zu und

machte eine Luke in das Grasdach. Es dauerte gar

nicht lange, bis der Vogel kam und sich gerade vor

der Luke auf dem Dache niederließ.

Er rief die Kinder und fragte:

»Wohin ist euer Vater gegangen?«

Der Vater aber hatte den Kindern befohlen, den

Greif wütend zu machen; deshalb antworteten sie:

»Du Taugenichts und Bösewicht, warum läßt du

uns nicht in Frieden? Du hast unsere Hühner, Ziegen

und Hunde gefressen, heute bekommst du nichts!«

Da wurde der Vogel sehr zornig und rief:

»Wie kommt es, daß ihr mich heute beschimpft?

Ich werde kommen und euch selber fressen.«

Mit diesen Worten versuchte er, in das Haus einzudringen;

aber der Vater nahm geschwind seinen

Bogen und seine Pfeile und schoß. Da fiel der Greif

blutend zu Boden, und ein zweiter Schuß tötete ihn.

Der Vater ging nun mit seinen Kindern vor die Tür

des Hauses, wo der tote Vogel lag; sie rupften ihn und

bereiteten ihn zu, daß er gebraten werden konnte.

Darauf legten sie das Fleisch an das Feuer, und der

Vater sprach zu den Kindern:

»Ich gehe jetzt auf das Feld. Gebt wohl acht, daß

das Fleisch gut gebraten ist, wenn ich wiederkomme,

und eßt nicht davon, denn ich will es allein essen.«

Der Knabe aber spürte Lust, von dem Gericht zu

kosten, trat herzu, hob den Deckel von dem Topf auf,

in dem das Fleisch war, und wollte eben zulangen, als

er eine Stimme hörte, die rief:

»Iß mich nicht, iß mich nicht!«

Da lief der Knabe davon. Bald aber kehrte er zurück,

ergriff schnell ein Stück des Fleisches und aß.

Da erscholl die Stimme des Fleisches wiederum laut

und deutlich, so daß die Schwester des Knaben sie

hörte, herzulief und fragte:

»Warum hast du von dem Fleisch gegessen?«

Ihr Bruder wurde darauf sehr böse und schalt sie

und gab ihr allerlei Namen. Da lief das Mädchen auf

das Feld zu dem Vater und erzählte ihm alles. Als

beide bald darauf nach Hause zurückkehrten, fanden

sie den Knaben in einen Büffel verwandelt. Der Vater

rief ihm zu:

»Wenn du Säbelantilopen siehst, so folge ihnen

nicht; wenn du Elefanten siehst, folge ihnen nicht;

wenn du eine Herde Büffel siehst, so folge ihnen!«

Da rannte der Büffel davon und verschwand in dem

Walde; der Vater blieb mit der Tochter allein zurück.

Eine Kaffernkindergeschichte.

Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die hatten

zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen. Da die

Mutter der Kinder aber eine Kannibalin war, so hatte

der Vater beide gleich nach ihrer Geburt zu ihrem

Großvater geschickt, bei dem lebten sie und wuchsen

auf. Als sie nun groß waren, sprachen sie eines Tages

zu dem alten Manne:

»Wir sind lange genug hier gewesen; es verlangt

uns heimzugehen, um unsere Eltern zu sehen.«

Der Großvater antwortete:

»Werdet ihr auch zurückkommen? Ihr wißt doch,

daß eure Mutter eine Menschenfresserin ist?«

Die Kinder aber blieben bei ihrem Vorsatz, und so

willigte der Großvater schließlich ein und ließ sie ziehen.

Doch ehe sie sich auf den Weg machten, warnte

er sie noch und sprach:

»Seht zu, daß nur euer Vater um eure Anwesenheit

wisse und nicht eure Mutter. Meidet sie!«

Als die Sonne untergegangen war, sagte Kinazinei,

der Knabe, zu seiner Schwester:

»Laß uns nun gehen, meine Schwester; denn der

Weg ist weit.«

Die ganze Nacht über schritten sie rüstig vorwärts

und erreichten ihres Vaters Hütte kurz vor Sonnenaufgang.

An der Tür der Hütte blieben sie stehen und

horchten, ob sie der Mutter Stimme hören würden.

Als sie sicher waren, daß nur der Vater daheim war,

öffneten sie und traten ein. Kaum sah der Vater seine

Kinder, als er vor Entsetzen die Hände zusammenschlug

und ausrief:

»O meine Kinder, warum seid ihr hierhergekommen?

Wißt ihr denn nicht, daß eure Mutter eine Kannibalin

ist? Sie wird euch töten, wenn sie euch hier

findet.«

Während er noch so redete, hörte man einen gewaltigen

Lärm wie das Rollen von Donner; das war das

Nahen der Menschenfresserin. Schnell nahm der

Mann seine Kinder in einen entlegenen Winkel der

Hütte, bedeckte sie mit Fellen und gebot ihnen, sich

ganz still zu verhalten. Kaum hatte er sie auf diese

Weise sorgfältig versteckt, als die Mutter eintrat; in

der einen Hand hielt sie ein Tier, in der anderen den

toten Körper eines Mannes. Plötzlich stand sie still,

und mit rollenden Augen in dem Raume umherspähend,

sprach sie:

»Hier ist etwas, das gut riecht! Ich glaube, meine

Kinder sind hier.«

Doch der Mann antwortete:

»Du träumst! Wie sollten deine Kinder hierherkommen!

«

Sie aber beruhigte sich nicht, sondern ging von

Ecke zu Ecke, immer dem Geruche nach. Als sie zu

den Fellen kam, hob sie dieselben hoch und fand die

Kinder.

»Es tut mir leid um euch, meine Kinder, euch hier

zu sehen,« sagte sie traurig, »denn mein Gelüst nach

Menschenfleisch ist zuzeiten so groß, daß ich meiner

eigenen Kinder nicht schonen kann. Ihr hättet nicht

herkommen sollen; denn ihr wußtet, daß ich eine

Menschenfresserin bin.«

Darauf bereitete sie für ihren Mann und die Kinder

das Tier zum Essen, für sich aber den toten Mann.

Als es nun Abend geworden war, legten sie alle sich

schlafen. Der Vater aber nahm die Kinder schnell beiseite

und sagte:

»Gebt wohl acht, ihr werdet im Magen eurer Mutter

Menschen tanzen, wilde Tiere brüllen und Hunde

bellen hören. Dann wisset, daß sie schläft. Steht alsbald

leise auf und geht eilends fort; denn wenn sie

euch morgen früh sieht, wird sie euch verschlingen.«

Es währte denn auch gar nicht lange, so hörten sie

einen entsetzlichen Lärm in dem Magen ihrer Mutter,

und hurtig standen sie auf und machten sich auf den

Rückweg. Um Mitternacht erwachte das Weib und

ward sehr zornig, als es fand, daß die Kinder fortgegangen

waren. Schnell stand es auf, nahm eine Axt

und folgte ihnen. Als die Kinder hinter sich sahen, gewahrten

sie mit Schrecken ihre Mutter, die ihnen

schon ganz nahe gekommen war. Sie waren zu müde,

um schnell rennen zu können, und fürchteten sich

sehr. Schließlich sagte der Knabe zu dem Mädchen:

»Vielleicht werden unsere Tränen und Bitten unsere

Mutter rühren. Laß uns stehen bleiben und sie erwarten.

«

Doch das Mädchen erwiderte:

»Sie ist hungrig und wird weder unserer Tränen,

noch unserer Bitten achten.«

Doch der Knabe beharrte:

»Laß es uns versuchen.«

Bald war die Kannibalin ganz nahe gekommen; da

fingen die Kinder an, laut zu klagen und um ihr Leben

zu flehen. Und wirklich wurde die Frau gerührt davon

und kehrte um. Als sie in ihre Hütte trat, ergriff sie

ihren Mann, um ihn zu töten und zu essen; denn sie

war sehr hungrig. Doch der wehrte sich und rief:

»Ho, ho, wenn du mich tötest, wer ist denn dann

dein Mann?«

Da ließ sie ihm das Leben, machte sich aber sofort

auf den Weg, um von nun an ihre Kinder zu verfolgen.

Nahe bei dem Dorf ihres Großvaters holte sie sie

ein und verschlang beide. Dann ging sie in das Dorf

und verschlang Männer, Frauen und Kinder und

schließlich auch alles Vieh, welches sich vorfand.

Gegen Abend machte sie sich auf den Heimweg. Als

sie durch ein tiefes Tal kam, sah sie von weitem einen

schönen, bunten Vogel, der wuchs zusehends und war

schließlich so groß wie ein Haus. Als die Frau ganz

nahe gekommen war, fing der Vogel an mit lauter

Stimme zu singen:

»Ich bin der schönste Vogel dieses Tales; warum

kommst du, mich zu stören?«

Während er so sang, kam er langsam schrittweise

näher und nahm schließlich der Frau ihre Axt fort;

dabei sang er immerzu. Die Kannibalin fing an, sich

zu fürchten, und sprach:

»Vogel, gib mir meine Axt wieder, ich will dein

Fleisch ja nicht!«

Da riß der Vogel ihr einen Arm aus. Sie schrie laut

auf vor Schmerz und sprach:

»Vogel, gib mir, was mein; gib mir zurück, was du

mir genommen hast; dann will ich weitergehen.«

Doch der Vogel schien sie gar nicht zu hören, sondern

sang immer denselben alten Sang:

»Ich bin der schönste Vogel dieses Tales!«

Da rief die Frau wieder mit lauter Stimme:

»Vogel, gib mir wieder, was du mir genommen

hast! Ich muß heimgehen zu meinem Mann und für

ihn kochen!«

Da riß ihr der Vogel ein Bein aus, daß sie zur Erde

fiel. Der Vogel aber sang weiter und weiter die nämlichen

Worte. Als die Frau sah, daß ihr Leben in Gefahr

war, sann sie auf eine List, um zu entkommen.

»Vogel,« sprach sie, »du kannst nicht gut singen.

Ich will dich singen lehren, wenn du mir wiedergibst,

was mein, und mich gehen läßt.«

Da breitete der Vogel seine Flügel aus und riß ihr

mit seinem Schnabel den Magen auf. Aus dem Magen

aber kamen hervor alle Leute und alles Vieh, das die

Frau in den letzten Tagen verschluckt hatte, und sie

selber starb unter großen Schmerzen. Ihre eigenen

Kinder kamen auch wieder zum Vorschein, und die

anderen Leute machten sie zu Herren des Landes.

»Denn,« sprachen sie, »durch euch sind wir wieder

zum Leben zurückgekommen; ihr habt uns alle gerettet.

«

Das Mädchen heiratete einen mächtigen Häuptling

und Kinazinei die Tochter eines Häuptlings.

Warum die Hyäne ein buntes Fell hat.

Haussafabel.

Der Schakal war einst auf Fischfang gegangen und

hatte einen großen Vorrat großer und kleiner Fische

gefangen. Davon aß er, bis er gesättigt war; dann

sprach er bei sich:

»Wer soll nun all die anderen Fische haben?«

Während er noch über diese Frage nachdachte, kam

eine Hyäne des Weges.

»Schau, schau,« rief der Schakal, »du kommst gerade

im rechten Augenblick, liebe Hyäne! Siehst du

all diese Fische?« Sie gehören mir, und du kannst

nach Herzenslust davon essen.

Die Hyäne – gierig wie alle ihrer Familie – ließ

sich das gesagt sein und verzehrte in ihrer Gefräßigkeit

den ganzen Vorrat. Das verdroß den Schakal, der

ihr schweigend zusah. Inzwischen kam ein Perlhuhn

geflogen, ließ sich auf einen nahen Baum nieder und

sang mit lauter, aber unmelodischer Stimme:

»Kilkal, Kilkal!«

Die Hyäne hatte eben den letzten Fisch verschluckt,

als sie des schön gesprenkelten Gefieders des singenden

Vogels ansichtig wurde.

»Ach, wer doch auch solch herrlich geflecktes Fell

hätte!« rief sie neidisch. »Schakal, weißt du nicht, wer

diese bunten Sprenkel macht?«

»Gewiß! Die mache ich,« entgegnete der Gefragte.

»O so schmücke mich,« bat sofort die eitle Hyäne.

»I warum denn nicht,« lachte der Schakal scheinbar

gutmütig. »Nur mußt du mir zu der Arbeit ein scharfes

Messer und etwas weiße Erde holen.«

Bereitwilligst trabte die Hyäne davon, um alsbald

das Geforderte zu bringen. Von dem Zorn des Schakals

wegen ihres gierigen Fressens hatte sie keine Ahnung.

Sobald sie mit dem Messer und der Erde zurückgekehrt

war, gebot ihr der Schakal, vor ihm niederzuknieen.

Kaum hatte sie getan, wie ihr geheißen

war, als der Schakal mit einer Hand ihren Kopf festhielt,

auf ihren Rücken sprang und mit dem Messer

tiefe Einschnitte in ihr Fleisch machte. Dabei sang er

unaufhörlich:

»Du fraßest meine Fische, Fische, Fische;

ich rudre nun auf deinem Rücken, Rücken, Rücken!«

Endlich gelang es der Hyäne, sich loszureißen und

mit ihrem blutgesprenkelten Fell davonzuhumpeln.

Der Schakal aber lachte unbändig.

Sprichwörter der Suaheli.

Haraka, haraka, haina baraka.

Eile bringt keinen Gewinn.

Ulimo hauna mfupa.

Die Zunge hat keine Knochen.

Kipya kinyemi, kigawa kionda.

Eine neue Sache ist gut, selbst wenn sie eine

Wunde ist.

Hakuna msiba asiokuwa mwenziwe.

Es gibt keinen Kummer, der nicht seinen Gefährten

hat.

Angurumapo simba, mteza nani?

Wer kann tanzen, wenn er einen Löwen brüllen

hört?

Abadi, abadi; ukambaa watinda jiwe.

Immerfort, immerfort; die Schnur zerschneidet den

Stein. (Steter Tropfen höhlt den Stein.)

Udongo upate uli maji.

Gebrauche deinen Lehm, solange er naß ist.

(Schmiede das Eisen, so lange es heiß ist.)

Ndovu wawili wakisongana ziumiazo nyika.

Wenn zwei Elefanten miteinander kämpfen, so leidet

das Gras.

Sprichwörter der Damara (Ovaherero).

Tyi ri meyo tya kend' eraka.

Was dem Zahn weh tut, schmerzt die Zunge.

Tya rondo ombaze maaty rondo omupindi.

Was den Fuß entlang kriecht, kriecht später das

Schienbein hinauf.

Ngue ku tarere kongotue, mu tarera kongutue

ngue ku tarere kekoro, mu tarera kekoro.

Sieht jemand dich von hinten an, sieh' ihn auch von

hinten an. Sieht dich jemand von vorne an, sieh' ihn

auch von vorne an.

Otyingundi tyi enda ku matyi orerua.

Ein Armer geht hin, wo ihm zugelächelt wird.

Ouye otyirunduruka onya yohorongo.

Die Welt ist veränderlich wie das Horn des Kuduu.

(Das Horn des Kuduu ist im Ansatz glatt, hernach gebogen

und gedreht.)

Sprichwörter der Herero.

Ache ngu mave hungire mae yaruka muo oveni.

Was man sagt, fällt auf einen selber zurück.

Eyova kombanda, nozondunge moukoto.

Dumm nach außen, klug nach innen.

Ve se ve hungire ete; nanga ve tu hungire outuku

nomutenya, ka pe nokupohoka otyihongo.

Laßt Menschen reden; wenn sie auch Tag und

Nacht von uns reden, so bricht deshalb doch kein Geschwür

auf.

Sprichwörter der Betschuana.

Thlotsa pele ga se shoa pele.

Wer zuerst lahm ist, stirbt nicht zuerst.

Tau go bolaea ee sa dumeng.

Der Löwe, welcher tötet, ist nicht derjenige, welcher

brüllt.

Masa mantsi.

Es gibt viele Morgenanfänge.

Nama tsitela e thuba pitsa.

Wenn der Topf mit Fleisch zu voll gefüllt wird,

bricht er.

Pelo chula e ya mungoa eona.

Ein Herz voller Bitterkeit frißt sich selber auf.

Choene mopalami ga lebale goba.

Der Hundsaffe kann klettern, aber er vergißt nicht,

daß er klettern kann.

Hihing go choara noa ka dikobo.

Wenn es dunkel ist, so haltet einander an den Kleidern

fest.

Sprichwörter der Kaffern.

Isikuni sinyuka nomkwezeli.

Ein Feuer verbrennt den, der es anfacht.

Akuko mpukane inqakulela enye.

Eine Fliege sorgt nicht für die andere.

Izinto azimutaka Ngqika zonke.

Nicht jeder ist Gaikas Sohn. (Gaika war der bedeutendste

und vom Glück begünstigste Häuptling in

Südafrika im Anfange des 19. Jahrhunderts.)

Indonga ziwelene.

Mauern kämpfen miteinander.

Akuko ramnewa lingagqimiyo kowalo umseuma.

Jedes Tier schreit in seiner Höhle. (Jeder ist Herr in

seinem Hause.)

Yimbabala yolwantunge.

Er ist ein Bock in einem endlosen Walde. (Er

bleibt nicht stetig bei einer Arbeit.)

Sprichwörter der Zulu.

Aku 'ndhlela ingayi 'kaya.

Alle Wege führen nach Haus.

Wolibamba lingatshoni.

Wirke, so lange es Zeit ist.

Inhlanzi itshelwa ng 'amanzi.

Der Fisch sitzt auf dem Trockenen.

Zuluschlummerlied.

Tula mtwana!

unyoko kalimanga;

walibala innqoba,

innqoba is 'ematsheni.

Kindlein, laß das Schreien sein,

Mutter wird hübsch bleiben;

Brachte gestern Wurzeln heim,

Wird sie heut' zerreiben.

A. Seidel

Geschichten und Lieder der Afrikaner

Sr. Hoheit dem Herzog

Johann Albrecht zu Mecklenburg

Präsidenten

der Deutschen Kolonialgesellschaft

in tiefster Ehrerbietung

gewidmet

vom

Verfasser

Vorwort

Die Volkslitteratur hat seit einiger Zeit eine erhöhte

Bedeutung gewonnen, die darin zu suchen ist, daß

sich das Denken und Fühlen eines Volkes in seiner

ganzen Reinheit treuer darin widerspiegelt als in der

verfeinerten und ihrer Ursprünglichkeit mehr oder weniger

beraubten Bücherlitteratur. In den letzten Jahrzehnten

ist das Dunkel, das über dem afrikanischen

Kontinent lag, zum guten Teil aufgehellt worden; nur

über das Geistes- und Gemütsleben seiner Bewohner

herrscht noch vielerlei Unklarheit. Ich habe geglaubt,

nicht besser den lange verkannten Afrikanern zu

ihrem Rechte verhelfen zu können, als wenn ich eine

Auswahl aus den Erzeugnissen ihrer Volkslitteratur

zusammenstellte und dem Leser überließe, daraus

selbst den Schluß zu ziehen, wie groß oder wie klein

der Abstand ist, der den Neger in seinem Denken und

Fühlen von dem kultursatten Europäer trennt.

B e r l i n im März 1896

A. Seidel

Einleitung

»Volkslitteratur der Afrikaner!« wird mancher erstaunt

ausrufen, wenn er dies Werkchen in die Hände

bekommt. Scheint doch der Begriff Litteratur mit der

landläufigen Vorstellung von den geistigen Fähigkeiten

des Durchschnittsafrikaners vollständig unvereinbar

zu sein, unvereinbar, selbst wenn man den Begriff

auf die V o l k s - litteratur einschränkt. Ein wilder

Afrikaner! Ein schwarzes Tier! Er sollte denken! Er

sollte fühlen! Seine Phantasie sich als schöpferisch

erweisen! Ja, mehr noch, er sollte Sinn und Verständnis

haben für poetische Formen, für Rythmus und

Reim! Es scheint ganz undenkbar, und doch ist es so.

Als man vor Jahrhunderten zuerst mit dem Neger in

Berührung trat, sah man in ihm ein zähes, gegen harte

Arbeit und mörderische Klimata widerstandsfähiges

Arbeitstier, führte ihn ins Exil, beugte ihn unter ein

schmähliches Sklavenjoch und behandelte ihn wie

eine Bestie, für die man geneigt war, ihn zu halten.

Kein Wunder, daß das Göttliche in ihm allmählich

verkümmerte und vom Tierischen immer mehr überwuchert

wurde. Was erst eine grausame, eigensüchtige

Fiktion der Sklavenhalter gewesen war, die Überzeugung

von des Negers Menschenunähnlichkeit, das

schien jetzt durch die Thatsachen immer mehr ge-

rechtfertigt zu werden. So entstand das Charakterbild

des Negers, wie es noch heute in weiten Kreisen

durch jahrhundertelange Überlieferung eingewurzelt

ist, ein Charakterbild, das kaum noch einen menschlichen

Zug aufweist.

Und selbst in unserm Jahrhundert, als Europa endlich

die Eroberung des dunkeln Erdteils für die christliche

Kultur mit allen Kräften in Angriff nahm, wurde

diese irrige Vorstellung ohne weiteres auch auf die

Neger in ihrem Vaterlande übertragen.

Die Enttäuschung war um so schwieriger, als man

die Sprachen der Eingeborenen nicht verstand und,

von Vorurteilen verblendet, nicht daran dachte, durch

Beobachtung des Geistes- und Seelenlebens des Negers

der Wahrheit nachzuspüren.

Die jammervollen Zustände der amerikanischen

Negersklaven gaben den ersten Anstoß zu einer gerechteren

Würdigung der Schwarzen, die allerdings in

ihren ersten Anläufen, wie jede derartige Bewegung,

fast über das Ziel hinausschoß.

Fleecy locks and black complexion

Cannot forfeit nature's claim:

Skins may differ; but affection

Dwells in white and black the same.

So der Dichter jener Tage! Missionaren, die in

langdauerndem, unmittelbarem, durch Kenntnis der

Landessprachen verinnigtem Verkehr die beste Gelegenheit

hatten, den Neger kennen zu lernen, gebührt

das Verdienst, die Überschwänglichkeiten der Sklavenbefreiungsperiode

auf das rechte Maß zurückgeführt

und zuerst ein zutreffenderes Bild von der natürlichen

Begabung der Schwarzen entworfen zu haben.

Philologen, mit der genauen Kenntnis der Landessprachen

ausgerüstet, dem besten Schlüssel zu Kopf

und Herz der Eingeborenen, halfen die erste Skizze

zurechtrücken und malten die Einzelheiten weiter aus.

Und alle sahen mit Erstaunen, daß der N e g e r

d e n k t u n d f ü h l t , w i e w i r s e l b s t

d e n k e n u n d f ü h l e n .1

Allerdings ist seine D e n k f ä h i g k e i t im

Durchschnitt auf einer verhältnismäßig niedrigen

Stufe der Entwicklung stehen geblieben. Der Geist

des Negers klammert sich noch mehr an das Besondere,

Zufällige der Erscheinungen und übersieht dabei

oft das Gemeinsame, Wesentliche. Freilich zeigen

sich auch Ansätze zu höherem Geistesflug. Am deutlichsten

tritt dies in den Sprachen der Neger zu Tage,

deren es viele Hunderte giebt. Werfen wir beispielsweise

einen Blick auf das Suaheli, die Sprache der

Wasuaheli an der Küste von Deutsch-Ostafrika. Das

Suaheli hat kein eigenes Wort, das generisch »Fisch«

bedeutet, obwohl für jede Fischart, ja für jede Varietät

eine besondere Bezeichnung vorhanden ist. Darin

liegt offenbar der geistige Mangel, daß das W e -

s e n t l i c h e einer Sache zu Gunsten des Z u f ä l l i -

g e n übersehen wird. Diese niedrigste Stufe der geistigen

Potenz hat der Suaheli allerdings heute bereits

überwunden. Er hat gelernt, den Kern einer Sache zu

erfassen, wie sich das auch in seinem Sprichwort

zeigt: Ivushavyo ni mbovu, der Fährkahn ist morsch,

d.h. mag er auch morsch sein, es ist doch ein Kahn,

mit dem man über den Strom setzen kann, und das ist

das Wesentliche. Die Sprache hat daher längst begonnen

zu g e n e r a l i s i e r e n , Bezeichnungen für Gattungsbegriffe

zu bilden, indem entweder die häufigste

Form der den Inhalt des Begriffs bildenden Varietäten

den Namen für die Gattung hergeben muß oder fremde

Sprachen, gewöhnlich das Arabische, in Kontribution

gesetzt werden. So ist z.B. samaki, der Fisch, aus

dem Arabischen importiert, um dem oben berührten

Mangel abzuhelfen. Der Suaheli zeigt sich hier also

auf dem Wege eines gesunden geistigen Fortschritts,

und viele andere sprachliche Erscheinungen stützen

diese Ansicht. Durchgängig hat im Suaheli die nähere

Bestimmung hinter dem zu Bestimmenden zu stehen.

Das W e s e n t l i c h e wird also z u e r s t gedacht

und ausgesprochen, und der Suaheli hat im logischen

Denken einen Vorsprung vor uns, wenn er sagt: mtu

mwema (1. Mann 2. guter) statt: 1. guter 2. Mann;

mtu huyu (1. Mann 2. dieser) statt: 1. dieser 2. Mann;

kisu changu (1. Messer 2. mein) statt: 1. mein 2.

Messer. Der Suaheli setzt das Verbum v o r das Objekt,

andere Afrikaner setzen es dahinter. Er hat ferner

ein besonderes Tempus für die N e b e n h a n d l u n g

ausgebildet. Alles das zeigt eine kräftige, natürlich

unbewußte Logik. Auch das Maß geistiger Anstrengung,

das dem Suaheli die korrekte Handhabung seiner

Sprache in grammatischer Beziehung auferlegt, ist

nicht unbedeutend und überschreitet zum Teil selbst

die Anforderungen, die in dieser Beziehung die bei

den Ausländern wegen ihrer Schwierigkeit verrufene

deutsche Sprache stellt. W i r teilen unsere Hauptwörter

in männliche, weibliche und sächliche, der

Suaheli sondert sie nach ihrer Bedeutung in a c h t

Klassen, deren jede ihre besonderen Artikel (Klassenpräfixe),

ihre besondere Plural- und zum Teil auch

Kasusbildung (Genitiv) hat, und nach denen die Form

der bestimmenden Adjektive und der zugehörigen

Verben variiert. Jeder Klasse entsprechen ferner besondere

Fürwörter. »Mein« kann z.B. je nach der

Klasse des Hauptwortes wangu, changu, yangu,

langu, kwangu, pangu, mwangu heißen. In einzelnen

Negersprachen geht dieser Reichtum noch weiter. So

existieren im Herero, der Sprache der viehzuchttreibenden

Ovaherero in Deutsch-Südwestafrika nicht

weniger als 96 scharf unterschiedene Formen für das

besitzanzeigende Fürwort »sein«, deren Handhabung

dem Europäer recht bedeutende Schwierigkeiten zu

machen pflegen. Eben diese Formenfülle beweist aber

auch andrerseits wieder die geistige Neigung des Herero-

Mannes, überflüssig viele Besonderheiten in seiner

Sprache zum Ausdruck zu bringen, statt sich über

das Chaos der Einzelheiten zu erheben und auf das

Wesentliche zu beschränken. Und so läßt sich diese

Neigung noch auf mancherlei andern Gebieten verfolgen.

Das n a t ü r l i c h e F ü h l e n des Negers beruht

auf denselben Regungen der Seele, die auch im Europäer

Liebe und Haß erwecken. Der Spinozistische

Conatus sui ipsius conservandi, der S e l b s t e r -

h a l t u n g s t r i e b , ist der Ausgangspunkt aller Seelenbewegungen.

Was diesen fördert, l i e b t der Afrikaner;

er h a ß t , was denselben hindert. Und in diesem

dreifachen Grunde wurzelt die ganze Schar der

Affekte, die auch des Europäers Brust durchstürmen.

Nur daß sie der Afrikaner nicht in die strenge Zucht

genommen hat, die die christliche Erziehung dem Europäer

auferlegt. Kaum daß bei den heidnischen Völkerstämmen

gewisse durch die Gewohnheit geheiligte

Rechtsnormen die natürlichen Instinkte bändigen. Bei

den Mohammedanern kommt der geringe sittliche

Halt hinzu, den sie etwa aus den halbverstandenen

und ihrer Eigenart angepaßten Lehren des Islams ge-

wonnen haben. Ihre eigenen religiösen Vorstellungen

sind verworren, kleben am Sinnlichen und leisten für

die Sittlichung ihrer Anhänger so gut wie nichts.2

So sind die Neger von der Natur zwar mit denselben

Anlagen ausgerüstet wie wir, aber sie sind in der

Entwicklung derselben zurückgeblieben. Die Gründe

dafür liegen auf der Hand:3

1. Soweit unsere Kenntnis reicht, hat keine Rasse

oder Nation jemals eine bedeutende Civilisation aus

sich selbst heraus entwickelt, sondern hat den Anstoß

dazu durch das Eindringen fremder Elemente empfangen.

Nun ist Afrika seit den ältesten Zeiten niemals in

direkter und dauernder Verbindung mit einer belebenden

Civilisation gewesen. D a s l i e g t z u m

g r o ß e n T e i l a n d e r A b g e s c h l o s s e n -

h e i t d e s u n g e g l i e d e r t e n K o n t i n e n t s .

Die Sahara hinderte die Berührung mit der Mittelmeer-

Kultur. Durch Jahrhunderte hindurch ist zwar

die Westküste von Angehörigen christlicher Nationen

besucht worden, die aber nicht Kulturträger, sondern

Sklavenhändler waren. Sonderbar ist allerdings, daß

die Kultur der alten Ägypter und der Punas nicht größere

Spuren hinterlassen hat. Wo islamitische Völker

ihren Einfluß geltend gemacht haben, wie z.B. an der

Ostküste Centralafrikas, da ist ein gewisser Fortschritt

nicht zu verkennen.

2. Die Ü p p i g k e i t d e r a f r i k a n i s c h e n

N a t u r versieht den Neger ohne besondere Anstrengung

seinerseits mit des Lebens Nahrung und Notdurft.

Der Anreiz zur Thätigkeit und zur Anspannung

der Geisteskräfte ist daher sehr gering.

3. Das Bestehen der S k l a v e r e i bildet ein drittes

großes Hindernis der Entwicklung. Alle Arbeit ist

Sache der Sklaven und eines freien Mannes daher unwürdig.

4. Die große Masse der afrikanischen Völker hat

weder eigene Schriftzeichen erfunden, noch ein fremdes

Alphabet adoptiert. Hieraus folgt der M a n g e l

e i n e r g e s c h r i e b e n e n L i t t e r a t u r , die bei

anderen Völkern ein so mächtiger Faktor für die Entwicklung

der Civilisation gewesen ist. Daß eine eigene

Schrift sich nicht entwickeln konnte, liegt sicherlich

an dem allgemein verbreiteten Unwesen der Zauberei.

5. Der Einfluß der F e t i s c h m ä n n e r , Medizinmänner,

oder wie sie sonst heißen, steht endlich jedem

Fortschritt im Wege. Jede Offenbarung von Genie,

jede Erfindung wird dem Einfluß von Geistern zugeschrieben.

Das blöde Volk wird gegen den Armen,

der mehr wissen will als andere, aufgehetzt, und mit

dem Leben bezahlt er seine Kühnheit.

6. Das Bestehen der P o l y g a m i e und des Frauenkaufs

in ganz Afrika untergräbt die Sittlichkeit und

schwächt den Zusammenhang der Familie.

Hieraus geht gleichzeitig hervor, wo die Hebel anzusetzen

sind, um die Afrikaner auf den Weg der Entwicklung

zurückzubringen, den nicht mangelnde geistige

Anlagen, sondern die natürlichen Verhältnisse

des afrikanischen Kontinents und einige unglückliche

soziale Institutionen ihnen verlegt haben.

Nach allem Gesagten wird es weniger auffällig erscheinen,

wenn von der Volkslitteratur der Afrikaner

die Rede ist und hinzugefügt wird, daß ihre Erzeugnisse

sich denen anderer Völker dreist an die Seite

stellen lassen. Die Litteraturgattungen, die der Afrikaner

besonders ausgebildet hat, sind das M ä r c h e n

(mit Riesen, Zwergen, Geistern, Hexen, allerhand

Zaubereien wie bei uns), die F a b e l (meist Tierfabel),

die E r z ä h l u n g oder besser A n e k d o t e

(meist mit didaktischer Tendenz), die r e l i g i ö s e

T r a d i t i o n (über den Ursprung der Welt, die Erschaffung

des Menschen, Entstehung des Todes etc.),

h i s t o r i s c h e E r z ä h l u n g e n (aus der Stammesgeschichte),

R ä t s e l und S p r i c h w ö r t e r .4

Hierzu kommen noch P o e s i e n jeglicher Gattung,

Liebeslieder, Spottlieder, Kriegslieder, Epen, Trauergesänge,

religiöse Lieder, Lehrgedichte u.s.w. Alle

Poesie wird stets mit Gesang begleitet, und bei den

unten folgenden Proben sind an einigen Stellen die

Musiknoten hinzugefügt. Das Metrum ist accentuierend.

Die größeren Gedichte sind meist in Strophen

geteilt. Gereimt sind fast alle und oft sehr kunstreich,

wie aus dem bei einigen Gedichten der folgenden

Sammlung angegebenen Originaltext ersichtlich ist.

Die Sprache in den poetischen Stücken ist oft archaisch,

häufig sehr gedrängt und dunkel und der Kürze

wegen schwer in gebundener Form in andere Sprachen

zu übertragen. Ich habe daher mehrere Gedichte

in prosaischer Übertragung geben müssen und muß

einem in rebus poeticis erfahreneren Nachfolger die

poetische Umformung überlassen.

Die einzelnen Stücke der Sammlung sprechen, was

den Inhalt anlangt, im allgemeinen für sich selbst. Wo

es nötig schien, habe ich eine nähere Erklärung in

Fußnoten gegeben. Hinsichtlich der Tierfabeln mag

indessen hier allgemein bemerkt werden,5 daß der

Elefant im allgemeinen der Typus der Stärke und

Weisheit ist. Der Löwe repräsentiert zwar auch die

Stärke, aber meist den Adel der Gesinnung, wie in unsern

Fabeln. Die Hyäne vereinigt brutale Gewalt mit

Dummheit, der Leopard Macht mit Beschränktheit.

Der Fuchs oder Schakal ist das Urbild der Schlauheit,

der Affe das der Verschmitztheit und Gewandtheit.

Der Hase oder das Kaninchen gilt als klug und behend

und vertritt meist die Stelle des Fuchses in unsern

Fabeln. Der Hund personifiziert alles Niedrige,

Knechtische und Verächtliche; die Turteltaube ist das

Sinnbild der Reinheit, Keuschheit und Weisheit

u.s.w.

Größere Sammlungen von Litteraturstücken einzelner

Völkerschaften sind im Laufe der letzten Jahrzehnte

bereits mehrfach veröffentlicht worden, aber da

sie meist linguistischen Zwecken zu dienen hatten, für

ein größeres Publikum so gut wie unzugänglich,

zumal da sie zum Teil ohne Übersetzung sind. Als die

bedeutendsten seien hier genannt die Sammlung von

H e l i C h a t e l a i n über die A m b u n d u ,

B ü t t n e r , T a y l o r , S t e e r e über die S u a -

h e l i , S c h ö n über die H a u s s a , S c h l e n k -

k e r über die T e m n e , C h r i s t a l l e r über die

T s h w i , C a l l a w a y über die S u l u , M c A l l

T h e a l über die K a f f e r n , K o e l l e über die

B o r n u , B l e e k über die H o t t e n t o t t e n etc.

Kleinere Mitteilungen finden sich noch hier und da in

Wörterbüchern, Grammatiken und Zeitschriften versteckt.

Im ganzen ist es noch sehr wenig, was gesammelt

worden ist; viel unveröffentlichtes Material habe

ich selbst noch in der Hand. Aus all diesem habe ich

das Charakteristischste und Interessanteste ausgewählt

und in diesem Werkchen vereinigt.

Vergleicht man alles, was von der afrikanischen

Volkslitteratur bisher bekannt geworden ist, untereinander

und mit den Erzeugnissen der Volkslitteratur

anderer Völker, so gelangt man zu folgenden Schlüssen,

die ich nicht besser formulieren kann, als Heli

Chatelain in seinem vorzüglichen Werke: Folk-Tales

of Angola, es gethan hat:

1. Viele Mythen, beliebte Typen oder Charaktere

und besondere Vorfälle, die man universal genannt

hat, weil sie unter so vielen Völkern vorkommen, finden

sich auch in Afrika vom atlantischen bis zum indischen

Ocean. Die afrikanische Volkslitteratur ist

nicht ein Baum für sich, sondern ein Zweig eines

Weltbaumes.

2. Die afrikanische Volkslitteratur ist besonders

reich an Tierfabeln.

3. Für sich betrachtet, erscheint die Litteratur der

Bantu-Völker (siehe unten) auffallend homogen und

eng zusammenhängend, die entferntesten Stämme zeigen

oft mehr Übereinstimmung oder Ähnlichkeit in

Einzelheiten als benachbarte.

4. Nach Ausmerzung der mit dem Islam verknüpften

Elemente erscheint auch die Volkslitteratur der

Sudanneger als wesentlich der der Bantu gleichartig.

5. Die mythologischen und abergläubischen Vorstellungen

der verschiedenen Stämme lassen sich

leicht auf einen gemeinsamen Urtypus zurückführen,

der den entsprechenden Vorstellungen der Arier und

anderer größerer Völkerfamilien sehr nahe zu stehen

scheint.

Aus diesen wenigen Sätzen geht schon hervor, wie

wichtig das Studium der afrikanischen Volkslitteratur

für die Aufhellung des ursprünglichen Verhältnisses

der verschiedenen großen Völkerrassen zu einander

zu werden vermag. Ich kann das hier nicht weiter ausführen.

Dagegen wird es nötig sein, noch einen Blick auf

die Gruppierung der verschiedenen afrikanischen

V ö l k e r s c h a f t e n zu werfen, von denen im folgenden

die Rede sein soll, sowie auf die verschiedenen

S p r a c h e n , in welche die afrikanische Volkslitteratur

gefaßt ist.

Die Bevölkerung des afrikanischen Kontinents ist

durchaus nicht durchweg gleichförmig weder im körperlichen

Habitus, noch in den sprachlichen Verhältnissen.

Ich sehe dabei von vornherein von den in historischer

Zeit eingewanderten S e m i t e n ab, hauptsächlich

A r a b e r n , die ganz Nordafrika überzogen

und den Islam und die arabische Sprache als Spuren

ihres Eindringens zurückließen. Auch in anderen Teilen

Afrikas haben die Araber großen Einfluß ausgeübt,

an der deutschen Ostküste beispielsweise eine

Mischrasse, die S u a h e l i , hervorgerufen und den

Handel durch ganz Centralafrika lange Zeit hindurch

monopolisiert. Selbst in so weit im Innern und nach

Westen gelegenen Sprachen wie dem Haussa und dem

Kanuri (Sprache der Bornu-Neger) findet man zahlreiche

arabische Fremdwörter eingebürgert.

Andere s e m i t i s c h e Völkerschaften, die schon

vor den Arabern eingewandert zu sein scheinen, wohnen

in Abessynien, wo heute mehrere semitische

Sprachen gesprochen werden. Das alte Gées, das früher

in Abessynien gesprochen wurde, gehört heute zu

den toten Sprachen; die heutigen abessynischen Sprachen,

wie das T i g r e , das Amharische, das Harari

u.s.w. sind Töchtersprachen des Gées.

Den semitischen Völkerschaften scheinen die sogenannten

h a m i t i s c h e n Völker Afrikas verwandt

zu sein. Manche Zeichen deuten darauf hin, daß diese

Völkerschaften gleichfalls aus Asien, lange vor den

Semiten eingewandert sind. Die jüngsten Einwanderer

scheinen die alten Ägypter gewesen zu sein. Die hamitischen

Völker haben den ganzen Nordosten Afrikas

in Beschlag genommen, doch sind einige Stämme

auch in westlichere Gegenden vorgedrungen, wie die

bekannten T u ā r e k . Nach ihrem körperlichen Habitus

bieten sie im Durchschnitt das folgende Bild dar:

lichtbraune Haut, schmale Gesichter, schmale, lange

Nasen, längliche Kopfbildung, geringer Prognathismus

und leicht gewelltes schlichtes Kopfhaar. Ihre

Sprachen gehören unter sich eng zusammen und zeigen

mehr Berührungspunkte mit den Semiten als mit

andern afrikanischen Völkerschaften. Manche Hamiten

haben indessen heute andere, nichthamitische

Sprachen angenommen. Es ist nämlich durchaus nicht

anzunehmen, daß sich somatische und sprachliche Zu-

gehörigkeit stets und unter allen Umständen decken

müßten. Wenn dies auch meist der Fall ist, so gehören

doch Ausnahmen nicht zu den Seltenheiten. Eine

solche Ausnahme sind z.B. die M a s s a i , die in den

nördlichen Teilen unseres deutsch-ostafrikanischen

Schutzgebietes wohnen und ihren körperlichen Eigenschaften

nach ganz entschieden zu den Hamiten gezählt

werden müssen, während sie eine Sprache

haben, die vielmehr gewissen Mischnegersprachen

(s.u.) verwandt zu sein scheint. Weder die Ethnographie

noch die Linguistik haben bisher vermocht, die

verwandtschaftlichen Beziehungen der verschiedenen

afrikanischen Völkerschaften auf ihren Gebieten in

jedem einzelnen Falle festzustellen. Beide Wissenschaften

haben kaum erst gewisse große Grundlinien

festgelegt. Da es sich in diesem Buche um litterarische,

d.h. in S p r a c h e gefaßte Erzeugnisse des

Menschengeistes handelt, so will ich bei der folgenden

Übersicht auch die bisher gewonnene s p r a c h -

l i c h e Einteilung zu Grunde legen.

Danach gehören zu den hamitischen Völkern

I. Die Ä g y p t e r . Die altägyptische Sprache ist

ausgestorben.

II. Die L i b y e r . Hierher gehören einige Völkerschaften:

a) in der Oase S i w a (einst des Jupiter Ammon)

und der Oase D j a l o (Audjila); an einigen Stellen in

T r i p o l i und T u n i s .

b) in A l g i e r , von Nachkommen der alten N u -

m i d i e r , gewöhnlich B e r b e r (Fremdsprachige),

auch M a u r e n genannt. Von ihren zwei Millionen

sprechen etwa 3/4 Millionen K a b ā i l (dieser Name

ist übrigens nur die Mehrheitsform des arabischen

Kabīleh, d.h. Stamm, die Franzosen aber brauchen

Kabyle als Volksbezeichnung) die übrigen 5/4 Millionen

sprechen daneben oder ausschließlich a r a -

b i s c h , wie außer ihnen 1/2 Millionen Einwohner

arabischer Abkunft. Von Kabail werden acht Mundarten

genannt, darunter S u ā w e , zwischen Algier und

Constantine am Meer. Reste vom Lateinischen und

Vandalischen finden sich in Mundarten der Bergbewohner,

auch Spuren ihres einstigen Christenglaubens.

c) In M a r o k k o , dem alten Mauretania, woher

der Name »Maure« und »Mohr« eigentlich stammt,

wird S c h i l h a gesprochen am Mittelmeer (z.B. von

den Rif-Piraten oder seeräuberischen Uferbewohnern,

Rif = ripa, Ufer), ferner im Inlande und in dem Küstenstreifen

von Mogador bis zum Wendekreis.

d) In einem südlichen Streifen inland vom Wendekreis

bis zum mittleren Senegal, auch dem unteren Senegal

entlang bis zum Meer wird das S e n a g a (Zénaga)

gesprochen.

e) In dem weiten W ü s t e n g e b i e t e im S. von

Algier und Tunis bis über den mittleren Niger und in

die Nähe des Tsadsees wird gesprochen das T a -

m ā s h e k der Imōshagh (Einzahl: Amashigh), denen

die Araber den Namen Tuārek geben. Besondere

Mundarten sind die von G h a d a m e s und G h a t ,

den westlichsten Punkten von Tripoli und Fesān.6

III. Die K u s c h i t e n . Diese Völker zerfallen

nach ihren Sprachen in zwei große Gruppen.

A. Völker mit n i e d e r k u s c h i t i s c h e n Sprachen

und zwar

a) die B e d j a oder B i s c h a r i (Mohammedaner),

zwischen dem Nil und dem roten Meer von

Keneh und Kosseir an bis etwa zum 15.° nördl. Breite.

(Dialekte: Ababde, Hadendoa, Beni Amir, Hallenga.)

b) die S a h o und A f a r (Danākil) zwischen dem

abessynischen Gebirgslande und dem roten Meere.

c) die S ó m a l (Einzahl: S o m a ā l i ) und die

G a l l a (auch Oroma), die ersten am Golf von Aden

und von da an der afrikanischen Küste nach Süden bis

zum Äquator, die letzteren westlich davon im Hinterlande

lebend. Die Somal sind Mohammedaner, die

Galla meist Heiden.

B. V ö l k e r m i t h o c h k u s c h i t i s c h e n

S p r a c h e n .

a) die K u n á m a und B a r é a (Heiden), die

B i l i n oder B o g o s (Mohammedaner) im W. und

N. der abessynischen Provinz Tigre.

b) die A g a u und F á l a s c h a (teils Heiden, teils

Juden und Christen) zwischen Tigre und Amhara und

im W. von Amhara.

c) die Kasa u.a. im S. von Abessynien.

Ob die H o t t e n t o t t e n und die B u s c h m ä n -

n e r (in Südwestafrika) gleichfalls zu den Hamiten zu

rechnen sind, steht nicht fest; trotz mancher verwandten

Züge, zeigen sie doch auch sehr viel Divergierendes,

den andern Afrikanern stehen sie allerdings noch

ferner; ich führe sie daher auch hier mit auf.

Im Gegensatz zur hamitischen Gruppe stehen die

eigentlichen Neger, die sogenannten B a n t u - V ö l -

k e r , welche den ganzen Kontinent südlich vom

Äquator einnehmen. Auch sie werden durch gemeinsame,

von den Hamiten abweichende Körperbildung

und nahverwandte Sprachen zusammengeschlossen.

Die Bantuneger zerfallen in viele Hunderte verschiedener

Stämme, deren Sprachen untereinander bei

aller Verwandtschaft größere Unterschiede zeigen, als

beispielsweise Deutsch und Englisch. Die genealogischen

Verhältnisse dieser Stämme zu einander sind

noch so wenig aufgeklärt, daß für ihre Einteilung geographische

Gesichtspunkte in Betracht kommen müssen.

Nur einige Hauptstämme können hier aufgeführt

werden, wobei besonders diejenigen berücksichtigt

sind, von deren Litteratur unten Proben mitgeteilt

werden:

I. W e s t l i c h e B a n t u - V ö l k e r .

a) die H e r e r o in Deutsch-Südwestafrika.

b) die M b u n d u in Angola.

c) die D u a l l a in Deutsch-Kamerun.

II. Ö s t l i c h e B a n t u - V ö l k e r :

a) die P o k o m o am unteren Tana in Britisch-

Ostafrika.

b) die S c h a m b ā l a und B o n d e ï in der

Nordostecke des deutsch-ostafrikanischen Schutzgebietes.

c) die G a n d a nördlich vom Viktoriasee in

Uganda.

d) die S u a h e l i an der deutsch-ostafrikanischen

Küste.

e) die N y a m w e z i in Unyamwezi, einer großen

Landschaft südlich vom Viktoriasee.

f) die N y a s s a - L e u t e am Nyassasee.

g) die K ā f i r (Kaffern) mit den beiden Unterstämmen

der X o s a und der S u l u .

h) die T s c h u a n a mit den Unterstämmen der

S o t o und der R o l o n g .

Zwischen den Hamiten und der nordafrikanischen

Wüste im Norden und den Bantu-Völkern im Süden

sitzt eine dritte große Völkerfamilie mit vielen Hunderten

verschiedener Völker und Sprachen, über deren

ethnologische und linguistische Zugehörigkeit das abschließende

Wort noch nicht gesprochen ist. Vielleicht

sind sie ein Produkt jahrhundertelanger gegenseitiger

Beeinflussungen der beiden vorerwähnten

großen Völker-Familien. Darauf deuten sowohl ethnographische

wie linguistische Momente hin. Ich will

sie daher M i s c h n e g e r nennen. In ihrem körperlichen

Habitus zeigen diese Völker trotz vielfacher Abweichungen

bei einzelnen Individuen und Annäherungen

an den hamitischen Typ viel Verwandtes mit den

Bantu-Negern, so daß man beide Gruppen unter folgendem

typischen Bilde zusammenfassen kann:

Lange Kopfform, vorstehender Unterkiefer, weit auseinanderstehende

Augenhöhlen, daher geringe Entwicklung

oder Flachlegung des Nasenbeines, breite,

stumpfe Nase, wulstige Lippen, kurzwolliges, krauses

Kopfhaar, geringer Bartwuchs, magere Extremitäten,

dunkle Hautfarbe, vom glänzenden Schwarz nüancierend

durch alle Schattierungen von Grau und Braun

etc.

Die verwandtschaftlichen Verhältnisse zwischen

den einzelnen hierher gehörigen Stämmen sind noch

sehr wenig erforscht. Ich ordne die wenigen Stämme,

die ich hier aus ihrer großen Menge aufführen kann,

lediglich nach ihrer geographischen Situation:

I. W e s t l i c h e M i s c h n e g e r - V ö l k e r :

a) Efik, Ibo, Yoruba (westlich vom unteren Niger),

Nupe (am mittleren Niger).

b) Ephe, Gã7 (Akra), Tschwi, Adeli (an der Goldund

Sklavenküste).

c) Temne, Bullom bei Sierra Leone.

d) Kru, Mande (Bei) an der Liberia-Küste.

e) Wolof am Senegal.

II. M i t t l e r e M i s c h n e g e r - V ö l k e r .

a) Pūl (Fula, Fulbe).

b) Sonrai, Tedā (Tubu, Tibbo im N. und NO. vom

Tsadsee), Logonē, Wandalā am mittleren Niger.

c) Kanuri in Bornu am Tsadsee.

d) Bagrima in Bagirmi am Tsadsee.

e) Maba in Wadāi.

f) Kondschāra in Dār-Fūr.

g) Umāle (Tumāle).

h) Haussa.

III. Ö s t l i c h e M i s c h n e g e r - V ö l k e r .

a) Dinka, Schilluk, Bongu, Bari am oberen weißen

Nil.

b) Oigob (Massai), Kwafi westlich und südwestlich

vom Kilimandscharo.

c) Nubier.

Außer diesen größeren Völkergruppen finden sich

noch kleinere Splitter von Z w e r g v ö l k e r n hier

und da eingesprengt, welche Überreste verdrängter

Ureinwohner zu sein scheinen. Hierher gehören die

Akka oder Tiketike westlich vom Albertsee, die Ab-

ongo oder Akoa südlich vom Ogowe, die Bakebake

an der Loangoküste, die Batwa südwestlich von den

Stanleyfällen des Kongo und am Albert-Edwardsee

und die Voko im südlichen Abessynien. Sie handhaben

meist die Sprache ihrer Nachbarn neben der ihrigen,

von der bisher nur wenig bekannt geworden ist.

Fußnoten

1 Vergl. meinen Aufsatz: Zur Charakteristik des ostafrikanischen

Negers in Meineckes »Kolonialem Jahrbuch

« 1892.

2 Vergl. Schneider: Die Religion der Naturvölker.

3 Vergl. H. Chatelain: Some causes of the Retardation

of African Progress. Journ. of Americ. Folklore.

1895.

4 Wie zahlreich diese letztere Gattung entwickelt ist,

geht beispielsweise daraus hervor, daß J.G. Christaller

unter den Tshwi-Negern deren 8000 sammelte.

5 Vergl. H. Chatelain, Folktales of Angola p. 22.

6 Vergl. Christaller, Mitteilungen der Geogr. Ges. zu

Jena. XIII. Bd.

7 sprich: Gan mit nasalem n.

A

Die Völker mit semitischen Sprachen

1. Die modernen Ägypter

Die erste Sure1 des Kora

´ns

(Das Vaterunser der Araber)

Ü b e r s e t z u n g

Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers!

Lob sei Gott, dem Herrn der Welten, dem barmherzigen

Erbarmer, dem Herrn des Gerichtstages! Dich

beten wir an, und zu Dir rufen wir um Hilfe. Führe

uns den geraden Pfad, den Pfad derjenigen, an denen

Du Wohlgefallen gefunden hast und denen Du nicht

zürnst, und nicht den Pfad der Irrenden! Amen!

Fußnoten

1 D.h. Kapitel

Der Gebetsruf des Muezzin


Ü b e r s e t z u n g

Allah ist groß (4 mal). Ich bezeuge, daß es keinen

Gott giebt außer Allah (2 mal). Ich bezeuge, daß Mohammed

Allahs Gesandter ist (2 mal). Auf zum Gebet

(2 mal)! Auf zum Heil (2 mal)! Allah ist groß (2

mal). Es giebt keinen Gott außer Allah!

Die Geschichte von der singenden Nachtigall1

Es war einmal ein Mann, der hatte drei Söhne und

eine Tochter. Als der Vater starb, bauten die Brüder

ein Schloß für die Schwester und ließen sie samt der

Mutter darin wohnen. Die Jungfrau entbrannte in

Liebe zu einem Jünglinge, aber die Brüder wollten

ihre Einwilligung nicht geben. Sie sprach daher zu

einer alten Frau: »Ich liebe einen Jüngling, aber

meine Brüder wollen ihn mir nicht zum Manne

geben.« Die Alte sprach: »Sage zu ihnen, ihr habt

mir ein schönes Schloß gebaut, aber es fehlt etwas.«

Sie werden dir sagen: »Was?« Dann antwortete

ihnen: »Die singende Nachtigall.« »Sie werden sich

aufmachen, sie zu holen, und die Nachtigall wird

Sand auf sie werfen und sie in die siebente Erde versenken.

« Als die Brüder kamen, sprach sie zu ihnen:

»Bringt mir die singende Nachtigall zu meiner Ergötzung!

« Der ältere Bruder war's zufrieden und sprach

zu dem jüngern: »Nimm hier meinen Rosenkranz!

Wenn er vertrocknet, so wisse, daß die singende

Nachtigall mich getötet hat.« Darauf reiste er ab und

zog durch die Wüste. Unterwegs begegnete er einem,

der fragte ihn: »Wohin des Wegs, junger Mann?« Er

antwortete: »Ich suche die singende Nachtigall.« Darauf

erwiderte ihm jener: »Wie viele Leute wie du sind

schon von der singenden Nachtigall getötet! Kommst

du aber an ihren Turm, so verbirg dich in einer Ecke

und laß dich nicht sehen, bis sie herauskommt und in

ihren Käfig geht, um zu schlafen. Dann schließ den

Käfig hinter ihr zu und nimm sie mit dir.« So ging er

hin und verbarg sich in einem Winkel, bis sie herauskam;

er wartete aber nicht, bis sie fest eingeschlafen

war, sondern versuchte den Käfig zu schließen, während

ihre Zehen noch draußen waren. Da sprang sie

heraus, bewarf ihn mit Sand und versenkte ihn unter

die Erde. Der Rosenkranz aber vertrocknete in der

Hand seines Bruders. Darauf sprach der zweite Bruder

zum jüngsten: »Nimm diesen Ring und stecke ihn

an deinen Finger! Wenn du siehst, daß er sich zusammenzieht,

so wisse, daß ich dir im Tode vorangegangen

bin. Ich ziehe jetzt aus, die singende Nachtigall

zu holen und meinen Bruder zurückzubringen.« Darauf

verließ er sie und zog davon. Er wanderte und

wanderte, bis er zur singenden Nachtigall kam. Diese

kam heraus, um in ihren Käfig zu gehen. Er versuchte

den Käfig zuzumachen, aber sie sprang heraus, bewarf

ihn mit Sand, und versenkte ihn unter die Erde.

Da verengte sich der Ring am Finger des Jüngsten,

und dieser ging zu seiner Mutter und sprach zu ihr:

»Ich will meine Brüder aufsuchen und die singende

Nachtigall holen. Nimm diese Rose! Wenn du siehst,

daß sie verwelkt ist, so wisse, daß ich auch tot bin.«

Er wanderte und wanderte, bis er zum Turm der

Nachtigall kam, verbarg sich in einem Winkel, bis

sie herauskam und in ihren Käfig ging. Darauf wartete

er, bis sie fest eingeschlafen war und schloß den

Käfig hinter ihr zu. Die singende Nachtigall sprang

erschreckt auf und sprach zu ihm: »Verschone mich

und setze mich in Freiheit!« Er antwortete: »Gieb mir

meine Brüder wieder, so werde ich dich loslassen.«

Sie sprach zu ihm: »Gut, nimm von dem Sand unter

dem Käfig, streue ihn auf die Erde, und deine Brüder

werden wieder erscheinen.« Er that also, und als er

die Augen erhob, sah er mehr als tausend Männer,

teils Neger und teils Türken, die sprachen zu ihm:

»Du hast die singende Nachtigall gefangen. Wir

waren alle zu demselben Zweck gekommen, konnten

sie aber nicht fangen; wenn es nicht dein Schicksal

gewesen wäre, hättest du sie auch nicht gefangen.«

Darauf suchte er unter ihnen nach seinen Brüdern,

fand sie aber nicht, ging zur singenden Nachtigall

und sprach zu ihr: »Meine Brüder sind noch nicht

wieder da.« Sie sprach zu ihm: »Nimm etwas von

dem weißen Sand und streue es auf die Erde!« Als er

dies gethan hatte, erschienen seine Brüder mit mehr

als fünf Tausend Personen. Er umarmte sie, darauf

nahmen sie den Käfig mit der singenden Nachtigall

und brachen auf, um sie nach dem Schloß ihrer

Schwester zu bringen. Dort sang sie mit so schöner

Stimme, daß die Leute aus ihren Häusern kamen und

unter den Fenstern horchten.

Nun ging der älteste Bruder einmal aus und setzte

sich in einem Bazar nieder. Ein Magrebiner ging vorbei

und sprach zu ihm: »Dein Turban ist schmutzig,

Muhammed; auf! reinige ihn, und dann setze dich

unter die Leute.« Mohammed riß den Turban vom

Kopf, fand ihn aber rein. Da ging er zu seiner Mutter

und sprach zu ihr: »Gieb mir einen anderen Turban,

denn ein Magrebiner ist vorbeigegangen und hat zu

mir gesagt: ›Dein Turban ist schmutzig.‹ Seine Mutter

gab ihm einen andern Turban. Er legte ihn zusammen,

wand ihn um seinen Kopf und ging in seinen

Bazar.« Da kam der Magrebiner wieder vorüber und

sprach zu ihm: »Ich hatte dir doch gesagt, du solltest

deinen Turban reinigen, Muhammed!« Da ging er

wieder zu seiner Mutter und sprach zu ihr: »Sage

mir, mein Turban ist reiner als die Turbane anderer

Leute, die in meiner Nähe in den Läden sitzen;

warum kommt nun dieser Magrebiner und sagt mir,

mein Turban sei schmutzig?« Sie antwortete ihm:

»Ich werde es dir sagen, mein Sohn. Das bedeutet,

daß du eine Schwester hast, die Thorheiten begehen

wird; er rät dir, sie zu erwürgen.« Er antwortete ihr:

»Allah behüte! Meine Schwester erwürgen! Nein, ich

werde sie mit mir in die Wüste nehmen, und Gott

wird für sie und für mich sorgen.« Er nahm sie mit

sich und reiste mit ihr acht Tagereisen weit von der

Stadt. Dann führte er sie zu einem Baum, hieß sie

sich setzen, und sie blieben dort und aßen zusammen.

Er sprach zu ihr: »Hier werden wir bleiben, meine

Schwester; wir wollen Steine herbeiholen und eine

Hütte bauen, ich werde Gazellen für dich jagen, und

du wirst davon essen.« Plötzlich hörte Mohammed

Menschenstimmen. Er stand auf, verließ seine

Schwester und ging dem Schalle nach. Da traf er auf

eine dunkle Höhle. Er ging hinein und fand Räuber

darin, die miteinander sprachen und zu einander sagten:

»Auf, verteilt die Portionen und laßt uns essen!«

Da teilten sie die Portionen, legten sie auf die Erde,

und ihr Hauptmann sprach: »Jeder nehme seine Portion!

« Muhammed mischte sich unter sie und nahm

auch eine Portion. Dadurch blieb einer übrig, der

nichts bekommen hatte, und dieser sprach zu seinen

Genossen: »Ich habe meinen Anteil nicht erhalten.«

Da sprachen sie zu einander: »Laßt uns die Portionen

an die Erde legen und sie zählen!« So geschah's, die

Portionen wurden gezählt, und da Muhammed auch

die seinige zu Boden gelegt hatte, waren es 39. Da

sprach der Hauptmann: »Nehmt, die Portionen sind

richtig.« Muhammed streckte die Hand aus und empfing

wieder eine Portion. Wieder blieb einer übrig

und sprach: »Ich habe meine Portion nicht empfangen.

« Da sprach der Hauptmann (der den Grund

davon merkte): »Wir sichern dir Pardon zu, gieb dich

zu erkennen, der du in unserer Mitte bist, und fürchte

nichts!« Da sprach er zu ihnen: »Ich bin's; ich bin ein

junger Bursch (den ihr nicht zu fürchten braucht).«

Sie fragten ihn, welches sein Gewerbe wäre, da antwortete

er: »Mein Gewerbe ist der Diebstahl; ich

habe euch gesehen und bin zu euch gekommen.« Sie

fragten ihn: »Willst du mit uns nachts oder am Tage

wachen?« Er antwortete: »Warum? Wozu? Laßt mich

hier, damit ich euch diene!« Da waren sie's zufrieden.

Er aber holte heimlich seine Schwester, brachte sie in

einen Winkel der Höhle und versah seinen Dienst

acht Tage lang.

Danach, als sie einmal eingeschlafen waren, nahm

er einem Räuber den Dolch weg, tötete alle 39 und

warf sie in ein Gelaß. Darauf rief er seine Schwester

und sprach zu ihr: »Sieh! ich habe sie alle getötet.

Diese Schätze gehören nun alle dir, meine Schwester.

Ich werde ausgehen und Gazellen jagen, du wirst sie

zubereiten, und wir werden davon essen.« Sie sprach:

»Es ist gut, mein Bruder.« Er ging also auf die Gazellenjagd,

und als er zurückkehrte, fand er zwei kleine

Löwen. Er nahm sie mit, brachte sie seiner Schwester

und sprach zu ihr: »Diese werden dir Gesellschaft

leisten, wenn ich nicht da bin.« Sie antwortete:

»Es ist gut, mein Bruder.« Eines Tages ging er wieder

auf die Jagd. Das junge Mädchen ging in die

Höhle, um sich zu zerstreuen. Da hörte sie die Stimme

eines Menschen, welcher seufzte. Sie öffnete das

Gelaß und sah, daß es ein verwundeter Neger von

den Räubern war, der noch Leben hatte. Da sprach

sie: »Würde doch mein Bruder so getötet, wie er

diese getötet hat.« Sie verband seine Wunden, wusch

sie und gab ihm zu essen, bis er wieder gesund war.

Darauf ließ sie ihn heraus und versteckte ihn in der

Höhle. Ihr Bruder ging täglich auf die Jagd und kehrte

zurück, ohne etwas davon zu merken. Sie vermählte

sich mit dem Neger und schenkte ihm zwei Kinder.

Eines Tages sprach sie zu ihm: »Wir müssen ein Mittel

finden, um meinen Bruder zu töten.« Der Neger

sprach zu ihr: »Stelle dich krank und sag' ihm, du habest

Appetit auf Trauben des Paradieses. Er wird

ausziehen, um sie zu holen, und die wilden Tiere

werden ihn unterwegs fressen.« Sie that wie geheißen,

und ihr Bruder machte sich auf. Als er sechs

Monate in der Wüste gewandert war, begegnete ihm

eine Gule.2 Er sprach: »Essalāmu alêkum3, Mutter

Gute!« Sie dankte und fragte: »Wohin des Wegs, Muhammed?

« Er antwortete: »Ich suche die Trauben des

Paradieses.« Da sprach sie zu ihm: »Wer dich auf

diese Reise geschickt hat, der ist dein Feind.« Er aber

erwiderte: »Nein, es ist eine Freundin, meine Schwester,

meine beste Freundin in der Welt.« Da gab sie

ihm eine Kugel und sprach: »Wirf sie zur Erde und

geh ihr nach, bis du zum Paradiese kommst.« Er

nahm die Kugel, warf sie zur Erde und folgte ihr, bis

er zum Paradiesgarten kam. Da pflückte er die Trauben

und kehrte zu seiner Schwester zurück. Die beiden

Löwen hörten seine Stimme, liefen heraus ihm

entgegen, umarmten und küßten ihn, und er liebkoste

sie gleichfalls. Da sprach seine Schwester zu dem

Neger: »Verbirg dich! Der Unglücksmensch, mein

Bruder, ist wiedergekommen, niemand hat ihn getötet.

« Bei diesen Worten trat er ein, gab ihr die Trauben,

und sie aß. Nun wartete sie eine Woche, dann

sagte sie wiederum zu dem Neger: »Finde für ihn

einen Tod, von dem er nicht wiederkehrt!« Er sprach

zu ihr: »Sag ihm, du würdest nur durch das Wasser

des Lebens gesund werden.« Sogleich stieg er (der

Bruder) auf einen Esel und machte sich auf in die

Wüste zu ziehen. Die beiden Löwen aber liefen ihm

nach, und so oft er sie auch zurückjagte, sie kamen

immer wieder. Da sagte seine Schwester: »So nimm

sie mit dir, sie wollen doch nicht hierbleiben.« Als er

fort war, sprach sie zu dem Neger: »Wenn er wiederkommen

sollte, so wollen wir ihn beide ergreifen und

samt seinen Löwen töten.« So wanderte er denn ein

Jahr in der Wüste umher, bis er das Meer mit dem

Wasser des Lebens fand. Er setzte sich ans Ufer unter

einen Baum. Auf dem Baum saßen zwei Tauben, die

sprachen miteinander und sagten: »Die Tochter des

Sultans ist krank, und die Ärzte können sie nicht heilen.

Jeder Arzt, der sie nicht heilen kann, wird zum

Tode verurteilt.« Die zweite sprach: »Wodurch wird

sie denn gesund?« »Durch das Wasser des Lebens,«

versetzte die erste. Muhammed hörte ihr Worte, füllte

zwei Krüge und einen kleinen Krug mit dem Wasser,

packte sie auf seinen Esel und zog weiter, bis er zum

Palast des Königs kam. Er ging hinein und sprach

zum König: »Ich bin Arzt, und will deine Tochter heilen.

« Der König erwiderte: »Mach dich davon, mein

Junge! Es wäre schade, dich zu töten.« Er antwortete:

»Ich verlange nichts Besseres als die andern; ich

werde sterben, wenn ich sie nicht heile.« Der König

sprach: »Es ist gut! Wenn du sie heilst, sollst du sie

heiraten.« Muhammed ging zu ihr hinauf und sah, daß

man sie schon in die Richtung auf Mekka legte.4 Er

hieß alle hinausgehen, schloß die Thür zu, nahm den

kleinen Krug mit Lebenswasser, und goß es über sie

aus. Da stand sie auf und sprach sofort mit ihm. Die

Leute, welche draußen waren, hörten ihre Stimme,

und die Frauen weinten vor Freude. Als er die Thür

öffnete, begehrte sie zu essen. Ihr Vater ließ sogleich

den Kadi holen, der Heiratskontrakt wurde geschlossen

und die Hochzeit gefeiert. Vierzig Tage blieb er

bei ihr. Dann ließ er ihr einen Krug mit Lebenswasser

zurück und sprach zu ihr: »Ich ziehe aus, um meine

Angehörigen zu besuchen und komme dann wieder.«

Darauf stieg er auf seinen Esel, nahm einen Krug für

seine Schwester mit und wanderte, bis er zu ihr kam.

Als ihn seine Schwester sah, sprach sie zu dem

Neger: »Mein Bruder, der Unglücksmensch, ist wiedergekommen.

Ich will ihn mit Worten hinhalten,

schleich' dich hinter ihn und schlag' ihm den Kopf

ab!« Ihr Bruder stieg ab, begrüßte sie und sprach zu

ihr: »Ich bringe dir das Wasser des Lebens.« Sie

sprach: »Es ist gut, mein Bruder; mein Leben hängt

an deinem Blut in dieser Welt.« Der Neger schlich

sich heimtückisch von hinten heran, durchbohrte ihn

mit dem Dolch und schnitt ihm den Hals ab. Als die

Löwen den Kopf ihres Herrn fallen sahen, liefen sie

heulend in die Wüste. Der Neger schnitt den Leichnam

in Stücke, steckte sie in einen Sack, legte diesen

auf den Esel und jagte den Esel davon. Die Löwen

aber trieben den Esel vor sich her, bis er zum Palast

der Königstochter kam. Sie kletterten auf den Esel,

nahmen den Sack herunter und gingen zur Königstochter

hinauf, während ihnen die Thränen über die

Wangen rollten. Die Königstochter sprach zu ihnen:

»Warum weint ihr? Hat euch euer Herr geschlagen

oder was giebt's?« Darauf steckte sie die Hand in den

Sack, um herauszuziehen, was darin wäre, und sein

Kopf kam in ihre Hände. Da schlug sie sich die Brust

und rief: »Ist es ein Feind oder ein Freund, der dich

getötet hat?« Sie nahm die Stücke, trug sie in ein

Zimmer und paßte sie solange aneinander, bis sie sie

gelegt hatte, wie sie zusammengehörten. Darauf holte

sie den Krug mit Lebenswasser und goß es darüber.

Da fing das Blut in den Adern wieder an zu laufen,

und das Leben kehrte zurück. Und so fuhr sie fort,

acht Tage lang Lebenswasser auf ihn zu gießen, bis er

gesund war und stärker als zuvor. Nun frug sie ihn:

»Wer hat dich getötet?« Er antwortete: »Übermacht

überwindet den Mut. Vierzig Räuber haben mich auf

dem Wege zu meinen Eltern überfallen. Ich habe sie

getötet bis auf einen, der hat mich heimtückisch überfallen.

« Als er sich anblickte, fand er seine Gesundheit

besser als vorher. Darauf schloß er die beiden

Löwen ein, damit sie ihm nicht folgen könnten, und

sprach zu seinem Weibe: »Ich will meine Eltern besuchen.

« Darauf reiste er ab, färbte sich schwarz wie ein

Neger, kaufte einige Ringe und ein wenig Harz und

ging an den Ort, wo seine Schwester sich befand. Er

rief: »Kauft Ringe und Harz (zum Räuchern), ihr

Jungfrauen!« Da sprach seine Schwester zu dem

Neger: »Herr, kauf mir Harz und Ringe, die wir unsern

Kindern anstecken wollen.« Der Neger rief ihn

heran und sprach: »Hast du Harz und Ringe?« Er

sagte: »Ja, Landsmann!« Das Weib beugte sich über

ihn und sprach zu dem Neger: »Beim Propheten!

Herr, wenn wir meinen Bruder nicht zerstückelt und

in den Sack gesteckt hätten, so würde ich sagen, daß

die Augen dieses Negers meines Bruders Augen

sind.« Er aber antwortete: »Wo ist dein Bruder jetzt!«

»Er ist tot, die wilden Tiere werden ihn gefressen

haben.« Und während sie sich zu einander neigten,

zog Muhammed seinen Dolch, stieß den Neger mitten

in den Leib und hieb ihn in zwei Stücke. Darauf ergriff

er die drei Kinder, schnitt sie in Stücke und warf

sie in die Wüste. Endlich ergriff er seine Schwester.

Sie aber flehte um Erbarmen. Er antwortete: »Hast du

Erbarmen mit mir gehabt?« Und er grub ein Loch und

begrub sie lebendig. Darauf kehrte er zum König zurück

und erzählte: »Meine Eltern sind gestorben; gieb

mir hundert Kamele, um ihre Habe zu holen.« Darauf

nahm er hundert Kamele und brauchte acht Tage, um

die Schätze aus der Höhle zu schaffen, die früher den

Räubern gehört hatten.

Fußnoten

1 Aufgezeichnet von W. Spitta-Bey

2 D.i. eine Art Kobold

3 Friede (sei) mit dir (arab. Gruß)

4 Die Muhammedaner legen die Sterbenden so, daß

das Antlitz nach der Gebetsrichtung, nach Mekka,

schaut.

Poesien

Wohlthun1

Dem freien Mann ist Wohlthun heil'ge Pflicht,

Unedlen Schwäche! Merk, Gevatter!

In Muscheln werden Wassertropfen Perlen

Und gährend Gift im Leib der Natter.

Fußnoten

1 Aus der Sammlung Katâ'ìf ellatâ'ìf.

Gedenken1

Sei mir gegrüßt, ich hab dich nicht vergessen,

Nicht müde wird mein Mund, von dir zu sprechen.

Bist du auch fern, du wohnst in meinem Herzen;

Wie könnt' ich der Erinn'rung mich entbrechen!

Fußnoten

1 Aus der Sammlung Katâ'ìf ellatâ'ìf.

Trinklied1

Finde ich kein Liebchen,

Das sich mit mir freut,

Setz' ich mich zum Weine,

Da sind v i e r bereit:

Lieder singt mein M u n d mir,

Für mein O h r ein Schmaus,

Mundschenk sind die H ä n d e ,

H e r z trinkt mit mir aus.

Fußnoten

1 Aus der Sammlung Katâ'ìf ellatâ'ìf.

Liebeszauber1

Deine Schönheit hat mich bezaubert

Und deine schwarzen Augen bethört.

Da sucht' ich Trost im Verseschmieden,

Jetzt bin ich nur noch mehr verstört.

Fußnoten

1 Aufgezeichnet von Lane.

Treue Liebe1

Ob auch Mißgunst mich bedränget,

Um vom Liebchen mich zu scheiden:

Hieben Schwerter mich in Stücke,

Niemals werde ich sie meiden!

Fußnoten

1 Aufgezeichnet von Lane.

Mahnung zur Liebe1

O ihr Schönen, fürchtet Gott,

Und habt Mitleid mit mir Armen!

Meine Lieb' ist Gottes Wille!

Fürchtet ihn und habt Erbarmen!

Die letzten drei Vierzeiler werden nach folgender

Melodie gesungen (der Originaltext der letzten Strophe

ist beigefügt):

Vor und nach jedem Vierzeiler werden als Refrain

nach derselben Melodie folgende Zeilen gesungen:

Dūs, yā lélli, dūs, yā lélli! (bis)

'éschke máhbūbīfeténni.

d.i. Tanz, mein Liebchen! Tanz, mein Liebchen! Die

Sehnsucht nach meinem Liebchen hat mich bethört.

Fußnoten

1 Aufgezeichnet von Lane.

Sprichwörter der Kaïrenser

1. Iß, was d i r gefällt, aber kleide dich, wie es den

L e u t e n gefällt.

2. Mit einem »hätt' ich« baut man kein Haus.

3. Seine Katze ist ein Kamel (d.h. er macht aus der

Mücke einen Elefanten).

4. Ich habe dich betteln gelehrt, und nun kommst du

mir an den Thüren zuvor.

5. Seine Hoffnung ist wie die Hoffnung des Teufels

aufs Paradies.

6. Zwanzig sind bei Nacht neunzig. (Bei Nacht sind

alle Katzen grau.)

7. Die Schläge des Geliebten sind (süß) wie Rosinen.

8. Gieb ihm die Hand, aber zähle (vorher) deine Finger

(d.h. ihm ist nicht zu trauen).

9. Ein Gruß zieht ein Gespräch nach sich und das Gespräch

die Melone (d.h. wenn du ißst, so achte

nicht auf den Gruß eigennütziger Personen, die auf

das Mitessen spekulieren).

10. Sie haben ein »Wenn« auf ein »Vielleicht«-Feld

gesät, und es ist ein »Nichts«-Baum gewachsen.

11. Sie haben den Esel zur Hochzeit geladen? Ja, sagt

er, entweder zum Wasserholen oder zum Holzschleppen.

12. Sie haben einen Blinden zum Lichteranzünden an-

gestellt.

13. Die Tochter der Gans ist eine Schwimmerin (=

der Apfel fällt nicht weit vom Stamme).

14. Wenn dein Freund von Honig ist, lecke ihn nicht

ganz auf (d.h. mißbrauche seine Güte nicht).

15. Du sollst den Toten w a s c h e n und nicht ins Paradies

führen. (= Was deines Amtes nicht ist

u.s.w.)

16. Ein Schiff mit zwei Kapitänen geht unter. (=

Viele Köche verderben den Brei.)

17. Wer das Süße zuerst ißt, muß beim Bittern geduldig

sein.

18. Wer's nicht kennt, sagt, es sind Linsen (d.h. der

Schein trügt).

19. Wen Vater und Mutter nicht erzogen haben, den

erziehen Tage und Nächte (d.h. das Leben).

20. Die verbrühte Katze fürchtet (sogar) das kalte

Wasser (Gebranntes Kind fürchtet das Feuer).

21. Ein Zuckerbrot in der Hand eines Waisenkindes

ist ein Wunder.

22. Das Herz ist ein Bote zum Herzen (d.h. was von

Herzen kommt, geht zu Herzen.)

23. Ein beredter Hahn schreit vom Ei an. (Was ein

Häkchen werden will u.s.w.)

24. Verdorbene Augen sind besser als Blindheit.

25. Die Fliegen kennen das Gesicht des Milchhändlers.

26. Selbst die Eule findet ihre Jungen schön.

27. Ein herrliches Leichenbegängnis, und der Tote ist

ein Hund! (= Viel Lärm um nichts.)

28. Das Alif1 zieht das Bā2 nach sich. (Wer A sagt

u.s.w.)

29. Thue Gutes und wirf es ins Meer.

30 Sei mein Zeuge (in einem Rechtsstreit) um einen

Bissen, so will ich dein Zeuge sein um ein Brot.

(Eine Hand wäscht die andere.)

31. Füttere das Vieh, aber schone das Heu! (Wasch

mir den Pelz, aber mach ihn nicht naß!)

32. Wenn du in ein Land kommst, dessen Eingeborene

ein Kalb anbeten, so raufe Gras aus und füttere

es! (Mit den Wölfen muß man heulen).

Fußnoten

1 Die beiden ersten Buchstaben des arabischen Alphabets.

2 Die beiden ersten Buchstaben des arabischen Alphabets.

2. Tunis und Tripolis

Märchen1

Die drei Muhammed

Es war ein Mann, der hatte drei Söhne und alle drei

hießen Muhammed. Als dieser Mann ans Sterben

kam, da stieg ihm ein Zweifel auf, ob einer von den

jungen Leuten wirklich sein Sohn sei. Deshalb sprach

er (auf dem Totenbette): »Muhammed soll erben, Muhammed

soll erben, und Muhammed soll nicht

erben!« Als der Vater nun gestorben war, ließen sie

zwei Wochen vorübergehen, dann begannen sie über

die Verteilung der Erbschaft zu sprechen. Sie blickten

einander an und sprachen: »Der Vater hat gesagt:

›Muhammed soll erben, Muhammed soll erben, und

Muhammed soll nicht erben!‹« Darüber stritten sie

sich nun und begaben sich schließlich vor den Richter.

Als sie vor den Richter gekommen waren, erschien

ihm die Entscheidung ihrer Sache zu schwierig;

deshalb sprach er: Ȇber euch soll der Kadi

Hiddi Recht sprechen!« Da empfahlen sie sich Gott

und reisten (zum Kadi Hiddi). Als sie des Weges einherzogen,

kamen sie an einen Ausruheplatz der Kamele.

Der erste Bruder blickte auf und sprach: »Das

Kamel, das hier gewesen ist, hat keinen Schwanz gehabt.

« Der zweite blickte auf und sprach: »Das Kamel

war einäugig.« Der dritte sprach: »Die Last, die das

Kamel trug, war auf einer Seite etwas Süßes, auf der

andern Seite etwas Saures.« Als sie weiterzogen, da

begegnete ihnen der Besitzer des Kamels; der suchte

sein Kamel. Er fragte die drei Brüder: »Ist euch ein

Kamel begegnet?« Der erste Bruder sah auf und

sprach: »Dein Kamel hat keinen Schwanz?« Der Besitzer

des Tieres entgegnete: »So ist es!« Der zweite

Bruder fragte: »Dein Kamel ist einäugig?« Der Gefragte

erwiderte: »Gewiß!« Der dritte Bruder forschte:

»Dein Kamel trug auf der einen Seite eine süße, auf

der andern Seite eine saure Last?« Jener bestätigte

dies wiederum.

»Also ihr,« rief er aus, »habt mein Kamel, denn ihr

habt mir seine Kennzeichen angegeben!« Die Brüder

entgegneten: »Junger Mann, wir haben dein Kamel

nicht!« Jener fragte sie: »Wo habt ihr es da gesehen?«

Die Brüder entgegneten: »Wir haben es gar nicht gesehen!

« Da hielt der Besitzer des Kameles die Brüder

fest und wollte sie nicht fortlassen. Jene sprachen:

»Wir wollen gerade zum Kadi Hiddi; drum geh du

mit uns!«

Bald gelangte man zum Kadi; der Besitzer des Kamels

trat zuerst vor und sprach: »Mein Kamel befindet

sich im Besitz jener jungen Leute!« Der Kadi

sprach zu den drei Brüdern: »Gebt ihm sein Kamel!«

Die Brüder erwiderten: »Zwischen ihm und uns sei

Gott Zeuge! Wahrhaftig, wir haben sein Kamel

nicht!« Da blickte der Besitzer des Kameles auf und

rief: »Aber sie haben mir doch genau seine Kennzeichen

angegeben: mein Kamel habe keinen Schwanz;

es sei einäugig und trage auf der einen Seite eine

süße, auf der anderen Seite eine saure Ladung!« Der

Kadi fragte hierauf den ersten der Brüder: »Woran

hast du erkannt, daß es keinen Schwanz hatte?« Der

Gefragte entgegnete: »Wenn das Kamel mistet, so wedelt

es mit seinem Schwanze den Mist auseinander, so

daß derselbe breit gekollert wird. Als ich nun den

Mist sah, fand ich ihn auf einen Haufen gehäuft. Da

erkannte ich sofort, daß das Kamel keinen Schwanz

habe.« Hierauf wandte sich der Kadi an den zweiten

Bruder mit den Worten: »Woher hast du geschlossen,

daß das Kamel einäugig sei?« Jener entgegnete: »Ich

sah, daß es auf der Seite, wo sein Auge (nach meiner

Vermutung) heil war, das Gras abgefressen hatte,

während auf der Seite, wo das Auge des Kamels (nach

meiner Ansicht) erblindet war, das Gras stehen geblieben

war.« Schließlich wandte sich der Kadi an

den dritten der Brüder mit der Frage: »Woher weißt

du, daß das Kamel auf der einen Seite eine süße und

auf der andern eine saure Ladung trug?« Der dritte

Bruder entgegnete: »Auf der Seite, wo ich das Saure

vermutete, schwärmten über dem Heruntergetropften

Mücken; aber auf der Seite, wo ich das Süße vermutete,

summten Fliegen.« Da wandte sich der Kadi an

den Besitzer des Kameles und sprach zu ihm: »Wie

war dein Kamel beschaffen?« Jener entgegnete: »Es

war in der That ohne Schwanz, ferner einäugig und

trug auf der einen Seite Saures und auf der andern

Süßes, auf der einen Seite Essig und auf der andern

Honig!« Da sprach der Kadi: »Nun, dann suche dir

dein Kamel. Die Leute hier haben durch ihre eigene

Schlauheit die Merkmale deines Kameles herausgefunden!

Sie sind kluge Leute!«

Hierauf wandte sich der Kadi an die drei Brüder

und fragte sie: »Was ist eure Streitsache?« Die Brüder

entgegneten: »Herr, als unser Vater ans Sterben

kam, da sagte er: ›Muhammed soll erben, Muhammed

soll erben, und Muhammed soll nicht erben!‹ Wir

wissen aber nicht, wer das ist (der nicht erben soll);

wir heißen alle drei Muhammed!« Der Kadi erwiderte:

»Schlaft heute Nacht bei mir als Gäste! Morgen

will ich euern Streit schlichten!« Hiermit ließ er sie

ins obere Stockwerk kommen, rief dann seinen Hirten

her und befahl ihm: »Geh hin und schlachte für die

Gäste ein Lamm!« Der Hirt schlachtete ein Lamm für

die Gäste, zog es ab und schaffte es nach dem Hause,

damit es der Kadi für jene braten lassen könne. Bald

brachte man den Brüdern das Abendbrot. Sie began-

nen zu speisen; der Kadi aber horchte draußen vor der

Thür des Zimmers ihrem Gespräche zu. Einer von den

Brüdern sah auf und begann: »Dies ist Hundefleisch!

« Der andere sprach: »Die Frau, welche das

Abendbrot bereitet hat, ist krank!« Der dritte rief:

»Der Kadi ist ein unehelicher Sohn!« Die beiden anderen

Brüder aber riefen: »Nein, Mensch, sage nicht,

der Kadi sei ein unehelicher Sohn! Woher weißt du

denn das von ihm?« Der Gefragte erwiderte: »Wer ein

Essen auftragen läßt und nicht mit seinen Gästen

speist, der ist stets ein uneheliches Kind!«

Der Kadi hatte also ihr Gespräch gehört. Dann

ging er weg. Zunächst rief er den Hirten her und fragte

ihn: »Warum bringst du mich, wenn Gäste zu mir

kommen, vor ihnen in Verlegenheit und schlachtest

einen Hund?«

Der Hirte entgegnete: »O nein, mein Herr, bei deinem

Haupte, ich habe nichts anderes als ein Lamm

geschlachtet! Aber des Lammes Mutter starb, als es

noch klein war; da hat es eine Hündin weiter gesäugt!

« Dann begab sich der Kadi ins Haus und fragte:

»Wer von den Frauen hat das Abendbrot für die

Gäste zubereitet?« Eine trat vor und entgegnete: »Ich,

mein Herr!« »Du bist unwohl?« Sie entgegnete: »Ja!«

Hierauf begab er sich zu seiner Mutter, ergriff sie,

warf sie zu Boden und zückte den Dolch über ihr, um

sie zu töten, mit den Worten: »Sage mir die Wahrheit,

wer mein Vater ist! Sonst töte ich dich!« Sie bekam

Angst und entgegnete ihm: »Mein Sohn, dein Vater

war schwach. Da hatten wir einen Fleischer, der

brachte uns das Fleisch; es wurde nun eben von Gott

bestimmt: ich gewährte dem Fleischer meine Gunst,

dann wurde ich guter Hoffnung und brachte dich zur

Welt!« Da ließ der Kadi seine Mutter los.

Am nächsten Morgen begab er sich zur Gerichtssitzung.

Er sprach zu dem von den Brüdern, welcher gesagt

hatte, das Fleisch sei Hundefleisch: »Woran erkanntest

du, daß das Fleisch Hundefleisch war?« Der

Gefragte erwiderte: »Das Hammelfleisch hat keine

Fasern, aber Hundefleisch hat Fasern.« Hierauf wandte

sich der Kadi an den zweiten der Brüder und fragte

denselben: »Woran erkanntest du, daß diejenige, die

das Abendbrot gekocht hat, krank war?« Der zweite

Bruder entgegnete: »Weil das Essen ungesalzen war.«

Dem dritten aber sagte der Kadi nichts, sondern erhob

sich nun und sprach: »Muhammed soll erben, Muhammed

soll erben und Muhammed (indem er auf den

dritten zeigte, der gesagt hatte, der Kadi sei ein unehelicher

Sohn) soll nicht erben!« Jener fragte:

»Warum denn nicht?« Da entgegnete der Kadi:

»Einen unehelichen Sohn findet nur seinesgleichen

heraus.«

Fußnoten

1 Gesammelt und übersetzt von Dr. H. Stumme.

Die schlechte Frau und die gute Frau

Sineddur (von der wir vorher gehört haben) wandte

sich an den Sultan, ihren Schwiegervater und sprach

zu ihm: »O König, die Leute sagen, die Frauen seien

alle schlecht, und doch sind die Frauen nicht alle

überein: da giebt es auch eine gute und eine böse

Art!« (Hierauf erzählte Sineddur folgende zwei Geschichten.)

Von unserem Herrn Salomo (so begann

Sineddur die erste Geschichte) verlangte einst unsere

Herrin Bilkis, er solle ihr einen Pavillon aus Vogeleiern

bauen lassen. Salomo beschied die Vögel zu sich;

dieselben erschienen. Nur die Eule und der Sperling

wollten nicht kommen. Salomo sandte nach ihnen und

ließ sie mit Gewalt herbeibringen. Er fragte beide:

»Warum kommt ihr nicht?« Die Eule blickte Salomo

an und sprach zu ihm: »Ich habe Widerwillen mit

Weibern zusammenzutreffen! Wegen der Verkehrtheit

der Frauen habe ich mich einsam auf den Gipfeln der

Berge eingenistet und schreie.« Salomo fragte: »Was

ist der Grund dieses Widerwillens?« Die Eule begann

nun folgendermaßen zu erzählen:

Es war ein Haus, und ich nistete auf demselben

schon gegen vierzig Jahre, wie vordem mein Vater

und Ahn. Und in diesem Hause, auf dem ich wohnte,

lebten zwei verheiratete Brüder; der eine von ihnen

besaß ein Mädchen, der andere einen Knaben. Als

dieselben der Kindheit entwachsen waren, da verheirateten

die Eltern beide mit einander. Dann starben

ihre Eltern, und jene blieben in treuer Liebe allein

übrig. Einst blickte der junge Mann seine Frau an und

sprach zu ihr: »Wir wollen uns gegenseitig ein Versprechen

geben: wenn ich sterbe, dann sollst du keinen

Mann wieder heiraten, und wenn du zuerst sterben

solltest, so soll ich keine Frau wieder heiraten!«

Die Frau entgegnete: »Gott befohlen!« Beide gaben

sich demgemäß dies Versprechen. Sie lebten noch

längere Zeit, dann starb der Mann, und die Frau blieb

allein übrig. Man nahm und begrub jenen. Sie weinte

und klagte und trauerte über seinen Tod; sie errichtete

über seinem Grabe ein Zelt und äußerte: »Ich werde

hier weilen, bis mich der Tod mit ihm vereint!« In

jener Stadt aber befand sich ein Räuber, der stahl die

ganze Stadt aus, ja sogar aus dem Palast des Sultans

entblödete er sich nicht zu stehlen. Der Sultan verzweifelte

schier, ihn einfangen zu können; er wandte

sich an seinen Wesir und sprach zu ihm: »Wesir, ich

habe dich nur deshalb in deine Stelle eingesetzt, damit

du mich in allen Dingen zufrieden stellst. Wenn du,«

fuhr er fort, »mir diesen Räuber nicht morgen herbringst,

lebendig oder tot, so lasse ich dich hinrichten!

« Der Wesir verließ den Gerichtssaal voll trauriger

Gedanken und sprach zu sich: »Die Wächter und

die Truppen haben sich diesem Diebe gegenüber

machtlos gezeigt, wie kann ich ihn da einbringen?«

So wanderte er denn in Gedanken vertieft umher, ritt

schließlich auf seinem Pferde aus dem Stadtthore hinaus

und auf einen Friedhof los; daselbst erblickte er

ein Zelt, das dort errichtet war. Er stieg vom Pferde ab

und begab sich hin, um in das Zelt zu gucken. Als er

nun hineinguckte, erblickte er eine Frau. Er prallte zurück.

Sie aber sah ihn an und rief ihm zu: »Komm

doch her! Was hast du?« Er entgegnete: »Ich erblickte

ein weibliches Wesen und zog mich zurück.« Sie versetzte:

»Ach, das thut weiter nichts; nimm nur hier

Platz!« Er nahm neben ihr Platz. Sie sah, daß er bekümmert

war und sprach zu ihm: »Was fehlt dir?« Er

entgegnete: »Laß mich! Heute noch kann ich leben

und morgen muß ich sterben!« Sie fragte ihn:

»Warum?« Er entgegnete: »Der Sultan hat an mich

eine Anforderung gestellt, die mir nicht ins Herz hinein

will!« Sie sprach: »Laß mich dir einen Rat geben!

Was ist's mit dir?« Der Wesir erwiderte: »Es weilt ein

Räuber in der Stadt, gegen den können sich die Bürger

nicht schützen. Der Sultan hat mir nun gesagt:

›Entweder bringst du mir jenen her, oder ich lasse dir

den Kopf abschneiden!‹« Die Frau erwiderte hierauf:

»Nimmst du mich zur Gemahlin, wenn ich dir einen

guten Rat gebe?« Der Wesir entgegnete: »Ich werde

dich nehmen; gieb mir aber erst einen guten Rat!« Da

sprach sie: »Hier im Grabe liegt mein Mann, mein

Vetter, der ist seit einem halben Monat tot. Nun, den

wollen wir aus dem Grabe hervorholen und ihm den

Kopf herunterschneiden; dann sprich du zum Sultan:

›Hier ist der Kopf des Räubers!‹; der Sultan kennt

jenen nicht!« Der Wesir blickte sie an und sprach zu

ihr: »Der Dieb ist aber einäugig!« Sie entgegnete:

»Warte nur, laß mich ihm ein Auge herausreißen und

ihn einäugig machen!« Hiermit riß sie ihrem toten

Gemahle ein Auge aus und machte ihn einäugig. Der

Wesir nahm den Kopf, brachte ihn zum Sultan und

sprach zu ihm: »Mein Herr, da ist der Kopf des Diebes!

« Am folgenden Tage sandte die Frau an den

Wesir und ließ ihm sagen: »Du mußt mich nun heiraten!

« Der Wesir aber ließ ihr antworten: »Wäre an dir

etwas Gutes, so hättest du unmöglich deinen Vetter,

den trauten Genossen deines Lebens, aus dem Grabe

hervorholen und ihn seines Kopfes und eines Auges

berauben können! Such nur umher nach Herzenslust:

vielleicht findest du ein paar Schwarze, die kannst du

ja nehmen!«

Der Sperling wandte sich an die Eule und sprach

zu ihr: »Halte nicht alle Frauen für gleich; da giebt es

auch eine gute und eine böse Art!« (Er begann nun

folgendermaßen zu erzählen.)

Ich nistete auf einem Hause, wo schon Vater und

Großvater genistet hatten. Daselbst wohnte eine Frau,

die war mit ihrem Vetter schon als Kind verheiratet

worden. Da er sie sehr lieb hatte, ließ er ihr Bild auf

seine Schnupftabaksdose malen, damit er sie sähe,

wenn er die Dose beim Schnupfen hervorzöge. Er war

ein Großkaufmann; einst mußte er eine Reise machen,

drum nahm er Waren und begab sich nach einer andern

Stadt, um dort zu handeln. Er gelangte nach

jener Stadt, brachte seine Waren in einem Laden unter

und begann sein Geschäft, so wie er begehrte. In dieser

Stadt waren aber viele Diebstähle vorgekommen,

und es befand sich da eine Masse von Dieben und

Räubern. Eines Tages stand er des Morgens auf, um

in der Moschee zu beten; er meinte, der Tag sei schon

weiter vorgeschritten, und es sei nicht mehr früh; da

nahmen ihn die Nachtwächter fest und führten ihn vor

den Richter. Der fragte ihn: »Was ist mit dir, mein

Sohn?« Er entgegnete: »Ich bin ein Kaufmann und

treibe Handel in meinem Laden.« Der Richter fragte

weiter: »Was hat dich so früh aufstehen heißen?«

Jener erwiderte: »Ich dachte, der Tag sei schon ein

gutes Stück vorgeschritten, und der erste Gebetsruf

sei vorüber.« Der Richter sah ihn an und sprach zu

ihm: »Hast du die Verordnung nicht vernommen?«

Der Kaufmann entgegnete: »Nein!« Da fuhr ihn der

Richter an: »Du lügst, du bist ein Dieb und Diebessohn!

Führt ihn ins Gefängnis!«

Als man ihn ins Gefängnis führte, da entfiel ihm

seine Schnupftabaksdose, er tastete nach ihr umher,

konnte sie aber nicht finden.

Der Richter bekam sie zu Gesicht und brachte sie

zu dem Sultan, um ihm das herrliche Bild zu zeigen.

Der Sultan sah die Dose und begann die Einheit Gottes

zu preisen; er blickte seinen Wesir an und befahl

demselben: »Begieb dich zum Eigentümer dieser

Dose und frage ihn, aus welcher Stadt er ist und wie

er heißt!« Der Wesir begab sich ins Gefängnis und

begann mit jenem auf eine freundliche Art und Weise

zu sprechen und ihm Mut zu machen; er sagte zu ihm:

»Wir werden uns für dich verwenden und deine Freilassung

bewirken.« Dann fragte er ihn: »Aus welcher

Stadt bist du?« Der Kaufmann entgegnete: »Aus der

und der Stadt und ich wohne in dem und dem Viertel.

« Hierauf verließ ihn der Wesir und begab sich

zum Sultan, zu dem er sprach: »Ich habe jenen nach

seiner Heimat befragt, und er hat mir mitgeteilt, aus

welcher Stadt er kommt und in welchem Viertel er

wohnt.« Der Sultan sprach: »Höre, Wesir! Ich wünsche,

daß du ein Schiff mit Waren befrachtest und

nach jener Stadt, wo sich die Frau dieses Kaufmanns

befindet, reisest; handle klug und umsichtig und bringe

mir diese Frau!« Der Wesir entgegnete: »Gott befohlen!

der Befehl der Sultane erheischt Gehorsam!«

Der Sultan rüstete dem Wesir ein Schiff aus, und

dieser segelte ab. Er gelangte nach der Stadt, wo sich

die Frau des Kaufmanns befand, kam in dem Hafen

an, schaffte seine Ware nach der Stadt, mietete einen

Laden, brachte seine Waren in diesem Laden unter

und begann sein Geschäft wie die übrigen Leute.

Schließlich kam eines Tages eine alte Frau zu ihm;

die kam, um bei ihm zu kaufen; sie sah ihm an, daß er

erst seit kurzem da war. Sie sprach zu ihm: »Hast du

feine Zeuge, etwa die Stoffe ›Bostra‹ ›Bedrucktes‹

und ›Spinnewebe des Palastes‹?« Er entgegnete ihr:

»Ja, das habe ich?« Er fragte: »Was willst du damit

thun?« Sie entgegnete: »Ich habe bei mir ein kleines

Waisenmädchen, das will ich ausstatten.« Er sprach:

»Gott befohlen!« Er legte ihr Zeug vor und zeigte es

ihr: er legte ihr für den Preis von 4–5000 Piaster vor.

Da rief sie: »Mein Herr, das ist viel zu viel für mich;

ich bin ein armes Weib und habe nicht soviel Geld!«

Er entgegnete: »Nimm es alles umsonst von mir, und

mit diesem Beutel voll 500 Goldstücke thu' dir eine

Güte! Besuche mich ja immer wieder, bleib nicht zu

lange von mir fern!« Die Alte erwiderte ihm: »Gott

befohlen!« Sie nahm die Sachen, kehrte frohen Mutes

heim und brachte jene Gegenstände nach Hause. Sie

merkte, daß jener etwas von ihr wünschte.

Am folgenden Tage begab sie sich wieder hin und

sprach zu ihm: »Mein Herr, wünschest du, daß ich dir

irgend etwas besorge?« Er entgegnete: »Kennst du

das Haus von dem und dem?« Sie entgegnete ihm:

»Ich kenne es!« Er sprach zu ihr: »Nimm dieses Kästchen

hier, und bring es jener schönen Frau, und diese

500 Goldstücke hier sollen für dich sein! Und sage

jener Schönen die Worte: ›Ich möchte gern zwei

Stündchen bei dir zubringen!‹« Die Alte entgegnete:

»Gott befohlen!« Sie nahm das Kästchen und ihre

500 Goldstücke und ging ab. Dann begab sie sich

nach dem Hause der schönen Frau; sie klopfte an die

Thür, da kam die Dienerin heraus und fragte: »Was

willst du?« Die Alte erwiderte: »Geh' zu deiner Herrin

und sage ihr: ›Die Hebamme deiner Mutter möchte

bei dir ein Stündchen verweilen!‹« Die Dienerin ging

ins Haus zurück zu ihrer Herrin und berichtete ihr:

»Die Hebamme deiner Mutter möchte ein Stündchen

bei dir zubringen.« Hierauf trat die Alte ein, und die

schöne Frau bewillkommte sie herzlich. Die Alte begann:

»Du bist mein Töchterchen, ich habe deine

Mutter schon aufgezogen und dich auch, als du klein

warst und auf meinem Schoße saßest.« Sie nahm

neben der schönen Frau Platz, und diese ließ ihr Kaffee

kochen und Essen vorsetzen. Die Alte sprach zu

ihr: »Herrin, du sendest mich doch nicht ohne Hoffnung

wieder weg?« Die schöne Frau erwiderte: »Nur

zu! Gott befohlen! Was du bedarfst, werde ich dir

schon verschaffen!«

Die Alte begann: »Ja, da ist ein reicher Kaufmann

erst seit kurzem hier angekommen; der erkundigte

sich nach deiner Wohnung und fragte nach dir; er sendet

dir dieses Kästchen; das ist ein prächtiges Geschenk,

das du (behalten mußt und) mir nicht zurückgeben

darfst!« Die schöne Frau empfing das Kästchen

von der Alten und barg es in ihrer Truhe. Dann fragte

sie die Alte: »Was beabsichtigt denn jener?« Diese erwiderte:

»O, er will bloß zwei Stündlein bei dir verweilen!

« Die schöne Frau sprach: »Nun gut, dann

geh' zu ihm und sage ihm, er solle zwei Stunden nach

Sonnenuntergang kommen!« Der Wesir freute sich

über diese Kunde, begab sich ins Bad, rasierte seinen

Körper und sein Haupthaar und machte sich fix und

fertig. Die schöne Frau hatte der Alten gesagt: »Wenn

er das Haus nicht kennt, so zeig es ihm und geh dann,

wohin du willst.« Als die Nacht einbrach, machte sich

auch die schöne Frau fix und fertig und richtete eine

Abendtafel her: »Sie bedeutete die Dienerin und

sprach zu ihr: ›Wenn ein Kaufmann zu mir kommt, so

laß ihn hier neben mir fünf oder zehn Minuten sitzen

und poche dann tüchtig an die Thür, schleich dich

hinaus vor die Thür und poche an dieselbe!‹«

Der Kaufmann kam, trat ein, und sie empfing ihn,

sie bewillkommte ihn mit diesen Worten: »Sei gegrüßt!

Willkommen! Segen hat uns aufgesucht!« Er

entgegnete ihr: »Du bist der Ort des Segens!« Dann

nahm er neben ihr Platz. Beide hatten eben erst begonnen,

den ersten oder zweiten Bissen zu genießen,

da erdröhnte die Thür. Der Wesir blickte die schöne

Frau an und fragte sie: »Wer ist das?« Da sprang sie

auf, schlug auf die Schenkel und rief: »Wo verstecke

ich dich jetzt?« Er fragte sie nochmals: »Was ist's

denn?« Sie antwortete: »Das ist der Bruder meines

Mannes, der ist ein Mörder; jeden Tag kommt er so

um diese Zeit, er giebt Obacht auf mich und auf das

Haus seines Bruders!« Er fragte: »Was ist da zu

thun?« Sie erwiderte: »Ich habe ein Kellerloch, in das

werde ich dich hinablassen, und dort wirst du zehn

oder fünfzehn Minuten verweilen müssen; wenn mein

Schwager wieder fort ist, werde ich dich herauslassen!

« Der Wesir entgegnete: »Gott befohlen!« Nun

machte sich die Frau nebst der Dienerin ans Werk,

und die beiden hoben den Stein oben auf dem Kellerloche

ab, banden den Wesir an ein Hanfseil und ließen

ihn hinab in das Kellerloch; dort ließen sie ihn.

Dann deckte sie wieder den Stein oben darauf und

ließ ihn da unten bis zum nächsten Morgen. Am nächsten

Morgen öffnete sie wieder das Kellerloch, in dem

sich jener befand, und rief hinab: »Wie geht dir's?« Er

entgegnete: »Eine Ratte von der Größe einer Katze

und die Nässe hier macht meinen Geist verwirrt!

Auch hatte ich garnichts zu essen,« fuhr er fort; »denn

seit gestern Mittag habe ich nichts genossen!« Die

Frau sprach: »Auf, Magd, bring jetzt die Wolle, eine

Karde und eine Laterne herunter, damit er ordentlich

sehen könne, wenn er arbeitet.« Sie rief ihm zu:

»Wohlan, mein Junge, arbeite nach Herzenslust! Arbeitest

du tüchtig, so sollst du tüchtig zu essen bekommen;

arbeitest du aber wenig, so bekommst du

wenig zu essen!« Er entgegnete: »Das war nicht die

Beschäftigung meines Vaters und Großvaters!« Sie

entgegnete: »Ganz wie du willst! Wenn du ordentlich

kardest, bekommst du zu essen; kardest du nicht, so

kannst du verhungern!« Er entgegnete ihr »Gieb her!

Ich will arbeiten!« Sie ließ ihm ein ordentlich Stück

Brot hinab, acht Oliven und einen Milchnapf voll

Wasser. Er begann die Wolle zu karden; seine Hände

wurden mit Blasen bedeckt, da konnte er nicht tüchtig

arbeiten, sondern nur wenig. Da ließ sie ihm weniger

Essen hinunter und gab ihm nur ein viertel Brot. Er

kam beinah vor Hunger um, der Arme; er umwickelte

seine Hände mit Lappen und kardete die ganze Nacht

hindurch.

Am folgenden Morgen sandte er ihr hinauf, was er

fertig gemacht hatte. Sie fand, daß es die gewöhnliche

Aufgabe überstieg. Da guckte sie hinunter zu ihm und

rief ihm zu: »Wenn du viel arbeitest, gebe ich dir viel

zu essen; arbeitest du aber wenig, so erhältst du nur

viertel Ration!« Von nun an kardete er beständig gut

und bekam gut zu essen.

Die Erzählung möge jetzt zum Sultan zurückführen.

Er wandte sich an seinen zweiten Wesir, der

neben ihm saß und sprach: »Der Wesir, den ich aussandte,

bleibt recht lange aus; jetzt sind es schon drei

oder vier Monate, und er ist noch nicht zurückgekommen!

« Der zweite Wesir entgegnete: »Mein Herr,

vielleicht hat ihm jene Frau gefallen, und er hat sie

mitgenommen und ist mit ihr nach einer andern Stadt

gezogen!« Der Sultan blickte auf und sprach: »Da

werde ich für dich ein Schiff befrachten, wie ich für

jenen eines befrachtet habe; reise du ihm nach und

ziehe Erkundigungen ein!« Der Wesir entgegnete:

»Gott befohlen!« Hierauf beorderte der Sultan ein

Schiff her, befrachtete es für den Wesir mit Waren

und gab ihm, was er an Geld nötig hatte; dann empfahl

sich jener Gottes Schutz und reiste ab.

Er reiste übers Meer und gelangte nach jener Stadt.

Daselbst eröffnete er einen Laden, wie der erste Wesir

und begann zu handeln. Im Verlaufe des dritten Tages

kam die Alte zu ihm und sprach: »Guten Morgen,

mein Herr! Du bist offenbar erst seit kurzem hier: ich

habe dich früher nicht in der Stadt gesehen!« Er entgegnete

ihr: »Ja, ich bin erst seit drei Tagen hier.« Sie

fragte ihn: »Hast du wohl Seidenzeuge, Ambra, Zibeth

und Moschus?« Er entgegnete ihr: »Was du

brauchst, das habe ich.« Er legte ihr Waren vor, damit

sie sich dieselben ansähe. Sie sprach zu ihm: »Mein

Herr, dies ist viel zu viel für mich, ich habe nicht soviel

Geld, um den Preis hierfür bezahlen zu können!«

Er entgegnete: »Das soll ein Geschenk von mir sein,

und diese zwei Beutel voll Goldstücke laß dir ebenfalls

zu Gute kommen!« Sie nahm alles und ging

damit nach Hause. Am folgenden Morgen begab sich

die Alte wieder zu ihm und begann: »Mein Herr, du

bist in dieser Stadt noch fremd, bedarfst du vielleicht

irgend einer Sache? Was du nur wünschest, das soll

dir werden!« Er entgegnete der Alten: »Kennst du das

Haus von dem und dem?« Sie entgegnete ihm: »Das

kenne ich sehr genau.« Der Wesir sprach: »Diese

zehntausend Piaster hier schenke ich dir, und dieses

Kästchen bringe der schönen Frau und sage zu ihr:

›Ein Fremder möchte gern zwei Stündchen bei dir

verweilen?‹« Die Alte entgegnete dem Wesir: »Gott

befohlen!« Sie nahm das Kästchen nebst dem Gelde,

begab sich nach dem Hause der schönen Frau und

klopfte an die Thür; die Magd antwortete: »Wer

ist's?« Die Alte entgegnete: »Sag' deiner Herrin, die

Hebamme ihrer Mutter sei da!« Die Magd begab sich

zu ihrer Herrin. Dieselbe sprach: »Laß jene herein!«

Die Alte trat ein; jene bewillkommte sie und sprach

zu ihr: »Sei willkommen!« Die Alte gab ihr nun das

Kästchen und begann: »Dies ist eine noch wertvollere

Beute, als das erste Mal!« Sie nahm das Kästchen,

legte es zu dem ersten Kästchen in die Truhe und

sprach: »Bring ihn her, wie vordem den andern, eine

Stunde oder anderthalb Stunde nach Sonnenunter-

gang!«

Der Wesir wartete also in seinem Laden; die Alte

kam und sprach zu ihm: »Mein Herr, Gott hat alles

leicht gemacht! Bleibe du,« fuhr sie fort, »hier auf

deinem Platze, bis ich komme und dich hinbringe!«

Der Wesir wartete, bis sie wiederkam; sie sprach zu

ihm: »Komm!« Sie zeigte ihm jene Hausthür. Er faßte

den Klopfer an, da fand er eine Magd dort warten; die

sprach zu ihm: »Komm herein!« Er trat ein und fand

alles fix und fertig. Er fand Lichter angesteckt und

eine Tafel hergerichtet und auf derselben alles, was

getrunken und gegessen wird. Die schöne Frau wandte

sich an den Wesir: »Mein Herr, nimm Platz! Wir

wollen zu Abend speisen!« Beide begannen zu Abend

zu speisen. Sie nahmen eben den ersten oder den

zweiten Bissen ein, da erdröhnte schon die Thür. Sie

rief: »Ach, wo verstecke ich dich nun? Jetzt kommst

weder du noch ich davon!« Der Wesir fragte: »Wer

ist's?« Die schöne Frau erwiderte: »Der Bruder meines

Mannes kommt gewöhnlich um diese Zeit!« Der

Wesir sagte: »Wohin wirst du mich nun stecken? Wo

wirst du mich verbergen?« Sie erwiderte ihm: »Ich

habe da ein Kellerloch!« Dann rief sie die Magd herbei,

beide hoben den Schlußstein weg, banden den

Wesir an ein Seil und ließen ihn hinunter und am

Seile baumeln zwischen Himmel und Erde. Bald hatten

sie ihn ganz hinunter gelassen.

Der erste Wesir saß unten und kardete; er merkte

weiter nichts, als daß auf einmal ein Mann sich neben

ihn hinstellte.


Afrikanische Märchen auf 668 Seiten

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