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Kapitel 3

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»Wie kann ich das sagen? Laß uns dankbar sein,

daß wir es gefunden haben; fürwahr, der Zauberdoktor

ist ein guter und weiser Mann; er wird wohl auch

das Geheimnis dieses kleinen Wesens kennen; uns

aber geht das nichts an, laß uns lieber gar nicht daran

denken. Nicht wahr, fortan ist das Kind unser; wir

wollen dafür sorgen und es wie unser eigenes halten!«

»Wie du willst!«

So hatte denn das Kind der schönen Wanyana seine

Pflegeeltern gefunden, und in ganz Unyoro gab es

keine Mutter, die stolzer auf ihr Kind gewesen wäre,

als Muyanas Weib auf diesen Findling. Der Knabe

wurde mit Ziegen- und Kuhmilch ernährt und gedieh

prächtig. Als Muyana zu dem Zauberdoktor ging, um

diesen zu fragen, wie er das Kind nennen solle, antwortete

der ihm:

»Nenne es Kimyera – den Mächtigen.«

Als Kimyera etwa ein Jahr alt war, ging Wanyana

eines Tages zu einem Töpfer, um für ihr Haus Töpfe

zu kaufen. Sie setzte sich auf die Erde am Eingange in

der Werkstatt und wählte aus, was ihr gefiel. Da

plötzlich hörte sie ein Kind schreien.

»Hat dein Weib kürzlich ein Kind gehabt?« fragte

Wanyana, »ich hörte bisher nichts davon.«

»Nein, Weib unseres Häuptlings,« entgegnete Muyana,

»wir haben das Kind vor Jahresfrist in meiner

Werkstatt gefunden.« Wanyanas Herz schlug höher,

als Muyana nun fortfuhr, die ganze sonderbare Begebenheit

zu erzählen, und im stillen überlegte sie, wie

sie es wohl anfangen könnte, sich der Verschwiegenheit

des Mannes zu vergewissern, wenn sie ihm gestände,

daß sie des Kindes Mutter sei.

»Anfänglich hatte ich gegen mein Weib den Verdacht,

« schloß Muyana, »daß das Kind ihr Eigentum

sei, und daß ich der Betrogene wäre. Aber ich habe

keinen Grund für den schändlichen Argwohn, wennschon

er hin und wieder noch sich in mir regt, denn

mein Weib ist in ganz Unyoro die beste und klügste

Frau.«

Wanyana überlegte einen Augenblick, dann sprach

sie:

»Guter Mann, ich bin nicht so unwissend über des

Kindes Herkunft, wie es dir scheinen mochte; denn

ich weiß, wem es gehört, und wer es hierher brachte!«

»Du?«

»Ja! und wenn du versprechen möchtest bei dem

großen Geist, der uns alle gemacht hat, daß du das

Geheimnis bewahren willst, so werde ich dir die Mutter

des Kindes nennen!«

»Solange das Kind nicht das Kind meines Weibes

ist, verspreche ich Stillschweigen über die Sache. Wer

sonst des Kindes Mutter ist, kann mir gleichgültig

sein. Ich habe es gefunden, und mein ist es als Finderlohn.

Nun nenne mir den Namen der Mutter!«

»Wanyana!«

»Du die Mutter?«

»Du sagst es! Es ist das Pfand meiner Liebe zu Kalimera

aus Uganda. Kalimera gehört zum Stamme der

Häuptlinge Ugandas, welcher der ›Stamm des Elefanten‹

genannt wird. Er ist der jüngste Sohn des verstorbenen

Königs von Uganda. Nach seines Vaters Tode

erhielt er nicht weit von Unyoro ein weites, fruchtbares

Landgebiet mit vielem und schönem Vieh. Als er

in unser Land kam, um hier Ochsen und Kühe einzutauschen,

sah ich ihn, und wir liebten einander. Aus

Furcht vor Unis Zorn floh Kalimera und ließ mich zu-

rück. Als das Kind nun geboren war, brachte ich es

hierher, vertraute mich dem weisen Zauberdoktor an

und hoffte von seiner Klugheit das Beste. Das übrige

weißt du!«

»O Weib unseres Häuptlings! Nie habe ich meine

Frau inniger geliebt als gerade jetzt, da jeder Schatten

des Argwohns gegen sie aus meiner Seele gebannt ist.

Du aber sei ohne Sorge. Mein Weib liebt dieses Kind,

als wäre es ihr eigen Fleisch und Blut, und ich werde

darüber wachen! Wenn königliches Blut den Menschen

zum König machen kann, so ist Kimyeras

Zukunft gesichert, und er wird uns dereinst reichlich

vergelten, was wir an ihm tun. Jetzt komm' zu meinem

Weibe und erzähle noch einmal deine Geschichte;

sie wird sie treu bewahren.«

Wanyana erzählte nun, während sie ihr Kind kosend

im Arme hielt, noch einmal die kurze Geschichte

ihrer Liebe und ließ sich versprechen, daß die braven

Töpfersleute mit Liebe und Sorgfalt sich auch fernerhin

Kimyeras annehmen wollten.

Von nun an verband innige Freundschaft das Weib

Unis mit Muyana und seiner Frau, und fortwährend

fand Wanyana einen Vorwand, um das Pflegekind

dieser Leute zu besuchen.

Muyanas Reichtum wuchs fortan beständig; denn

Wanyana beschenkte ihn unablässig mit schönem

Vieh. Als Kimyera herangewachsen war, besaß sein

Vater große Herden und schöne Weideplätze, und

ihm wurde die Sorge für das Vieh anvertraut; zur

Hilfe wurden ihm starke und kühne Jünglinge zur

Seite gestellt. Mit diesen nun vergnügte sich Kimyera

in mancherlei männlichen Spielen, lernte ringen, den

Speer werfen und Pfeil und Bogen geschickt handhaben.

Seine Geschwindigkeit war größer als die der

Antilope; kein Tier des Feldes konnte ihm entkommen,

wenn er es jagte. Sein Mut und seine Kühnheit,

die er oftmals in Ausübung seines Amtes bewies,

wurden sprichwörtlich im ganzen Lande. Warnte ihn

der Ruf eines der Hirten, daß ein wildes Tier in der

Nähe sei, so begab er sich sofort in die Gefahr, indem

er mit Pfeil und Bogen oder mit seinem Wurfgeschoß

dem Feinde entgegeneilte, und mehr als einmal rettete

er seines Vaters Vieh vor dem Feinde.

Sein Übermut verleitete ihn gar oft, ganze Herden

durch blühende Kornfelder hindurchzutreiben, und

allen Vorstellungen wegen solchen Unfuges begegnete

er lachend mit den Worten:

»Das Vieh gehört Wanyana, dem Lieblingsweibe

Unis. Das Volk gehört ihr ebenfalls und auch die Felder.

Warum also soll Wanyanas Vieh nicht ihr Korn

fressen?«

Aus Furcht vor dem Mut und der Stärke des Jünglings

ließen die Leute ihn gewähren. Mit der Zeit aber

kühlten Unis Gefühle für sein schönes Weib, welches

anfing zu altern, ab, und da nun Wanyanas Freiheit

auch mehr beschränkt wurde, so konnte sie nicht mehr

so oft wie ehedem zu ihrem Sohne gehen. Muyana

fühlte Mitleid mit der armen Mutter; deshalb sandte

er Kimyera oftmals zu den Weibern des Häuptlings,

um Töpfe zu verkaufen, und befahl ihm, stets zu

Wanyana zu gehen. Jedesmal, wenn der Knabe von

diesen Botengängen heimkehrte, war er reich beschenkt

worden mit Leopardenfellen, Krokodilszähnen,

Tierklauen, Muscheln und farbigen Hölzern, die

er mit Stolz seinen Pflegeeltern zeigte. Oft auch

brachte er Geschenke von Wanyana für Muyana und

sein Weib mit. Seiner Mutter Gaben häuften sich bei

ihm so an, daß er bald in der Lage war, sich durch sie

zwei große, schöne Hunde zu erhandeln. Das eine dieser

Tiere war kohlschwarz, deshalb nannte er es

Msigissa, d.h. Dunkelheit, das andere weiß, wie die

Blüte der Baumwollstaude; Kimyera nannte es deshalb

Sema Gimbi, d.h. Weißholz. Mit seinen beiden

Hunden nun zog Kimyera oftmals weit fort von seiner

Heimat und überließ die Sorge für die Herden seinen

Untergebenen. Seine Begier, Land und Leute kennen

zu lernen, wuchs je weitere Streifzüge er unternahm,

und so kam es, daß er sich immer öfter und stets für

längere Zeit von zu Hause entfernte. Wen er unterwegs

antraf, befragte er nach Gegenden, die ihm noch

unbekannt waren, und die kennen zu lernen es ihn

verlangte. So kannte er denn bald wenigstens vom

Hörensagen jeden Weg und Steg, Fluß und Bach,

Dorf und Stamm der ganzen Umgegend. Vor seinen

Pflegeeltern verbarg er sorgfältig all seine Wünsche

und Gedanken, die sich in ihm regten und ihn in die

weite Welt hinaustrieben. Indessen kam auch ihnen

mancherlei zu Ohren über die weiten Wanderungen

des Jünglings, was sie mit Besorgnis erfüllte. Ihre Befürchtungen

teilten sie Wanyana mit und baten diese,

ihren Einfluß auf ihren Sohn geltend zu machen. Sobald

sich ihr dazu eine Gelegenheit bot, sprach sie zu

ihm:

»Sage mir offen, mein Sohn, welches sind deine

Pläne für die Zukunft? Wanderst du, den Spuren des

Wildes zu folgen? Gehst du dem Aufgang oder dem

Niedergang der Sonne entgegen, wenn du wochenlang

deiner Heimat fern bleibst?«

Darauf antwortete Kimyera:

»Zumeist ist es in der Richtung des Sonnenaufgangs,

daß ich dem Wilde folge.«

»Das ist das Land,« sagte Wanyana nachdenklich,

»aus welchem vor Jahren dein Vater kam, um hier

Vieh zu erhandeln.«

»Mein Vater? Und welches ist sein Name?«

»Kalimera.«

»Wo lebte er?«

»Das Dorf, von dem er kam, hieß Willemera und

liegt nicht weit von Bakka; das ganze, große Land ist

Ganda.«

»Bakka! O ich kenne die Stadt wohl! Denn meine

Wanderungen haben mich oftmals nach Uganda geführt,

weil das Land reich ist an Antilopen, die an den

Ufern des Flusses Mylmja grasen. Mehr als eine ist

dort meiner Weidmannskunst zum Opfer gefallen?«

»Kaum kann ich es glauben, mein Kind!« rief

Wanyana in Tränen.

»Dennoch ist es wahr, was ich dir sage, meine

Mutter!«

»Dann bist du nahe bei Willemera gewesen, und es

ist ewig schade, daß du deinen Vater nicht gesehen

und gesprochen hast!«

Wenige Tage nach dieser Unterredung zog Kimyera

mit seinen beiden Hunden fort aus der Hütte seiner

Pflegeeltern und schritt rüstig dem Flusse Mylmja im

Lande Uganda entgegen. Sobald er das Wasser durchschritten

hatte, kam er in ein Dorf, dessen Bewohner

er nach Willemera fragte. Man sagte ihm, daß acht

Stunden Wanderung ihn dorthin bringen würden. Am

folgenden Tage erreichte er sein Ziel und schloß

schnell Freundschaft mit einem der Viehhüter seines

Vaters, bei dem er zur Nacht blieb, und der ihm alle

seine Fragen über Kalimera auf das eingehendste beantwortete.

Nachdem er in Erfahrung gebracht hatte,

was er wissen wollte, zog er wieder heim und erzählte

Muyana und seiner Pflegemutter alles, was er gehört

hatte. Auch Wanyana kam bald und beschwor ihren

Sohn mit Tränen, ihr genauen Bericht zu erstatten.

»In aller Kürze,« sprach der Jüngling, »habe ich

folgendes gehört: Daß Kalimera noch am Leben ist,

weiß ich jetzt bestimmt. In seinem Dorfe wohnen

viele Leute; auch besitzt er große und schöne Viehherden

und eine stattliche Anzahl von Sklaven. Ich

habe all diese Nachrichten von einem der ältesten

Viehhüter Kalimeras und weiß deshalb, daß sie unbedingt

wahr sind.«

»Es ist gut, mein Sohn,« sprach Wanyana; dann

sich an Muyana wendend, fuhr sie fort:

»Jetzt ist es an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen.

Uni wird mir mit jedem Tage widerwärtiger. Ich

bin in meinem Herzen dem einen Manne, den ich geliebt

habe, immer treu geblieben, und nun ich weiß,

daß er am Leben ist, treibt es mich zu ihm. Rate du

mir, Muyana, was soll ich tun?«

»Wanyana, du weißt, daß ich nicht klug bin, und

daß meine Zunge schwer ist. Auch kennst du meine

Verhältnisse. Ich habe nur e i n Weib, obschon große

Viehherden. Die beiden Kühe Namala und Nakoambeh,

welche du mir als erstes Geschenk brachtest,

habe ich noch, und ihre Milch ist noch immer so süß

und reichlich wie sie je gewesen. Laß Kimyera seine

Flöte, seine Hunde, seine Speere und seinen Schild zu

sich nehmen; Sebarija, mein Hirte, soll ihm folgen,

mein Weib soll die Kühe und Felle nehmen, welche

zur Jagdbeute Kimyeras gehören, und wir wollen dir

folgen, wohin du gehst!«

»Muyana, du bist ein treuer Freund! So laß uns

denn forteilen, noch ehe der Morgen dämmert. In Willemera

will ich dir zehnfach vergelten, was du hier

verläßt. Der Findling ist nun ein starker Mann geworden,

und endlich hat er den Weg gefunden, der ihn zu

seinem Vater und zu seinem Stamme führt.«

Wie Wanyana es gesagt hatte, so geschah es. Noch

ehe die ersten Strahlen der Sonne am folgenden Tage

die Erde beschienen, war sie mit Kimyera, Muyana

und seinem Weibe wie dem Sklaven Sebarija auf dem

Wege nach Uganda.

Eines Tages ging Kimyera mit Muyana auf die

Büffeljagd und nahm auch Sebarija mit, so daß die

beiden Frauen allein zurückblieben. Der Büffel, den

er jagte, war ein ungewöhnlich wildes und schnelles

Tier; deshalb entfernte Kimyera sich weiter, als es

seine Absicht gewesen war, und bald fing der Gedanke

an seine Mutter und Muyanas Weib an ihn zu ängstigen;

deshalb schickte er Sebarija zurück zu ihnen.

Endlich war der Büffel erlegt. Als aber Kimyera mit

Muyana an den Platz kamen, von welchem sie am

Morgen ausgezogen waren, fanden sie keine Spuren

der Weiber oder Sebarijas vor. Tag und Nacht such-

ten sie; doch alles war vergeblich; endlich gaben sie

ihre Bemühungen als erfolglos auf und zogen weiter.

Als Kimyera einige Tage darauf wieder auf der Jagd

war und sein Wild erlegt hatte, traf er an einem Felsen

ein Weib, das trug auf dem Kopfe einen Krug mit

Wasser. Kimyera rief ihr zu und bat um einen Labtrunk.

Lächelnd gab das Mädchen dem schönen Jüngling

zu trinken und erzählte ihm bald von dem Lande

Ganda, dessen Tochter sie war, auch von der Königin

Naku, in deren Diensten sie stand, und deren Gastfreundschaft

weit und breit berühmt war.

»Wird sie auch mich mit Freundlichkeit empfangen?

« fragte Kimyera. »Ich komme aus Unyoro und

möchte mich im Lande Ganda niederlassen.«

»Naku wird dich auch aufnehmen; sie ist gütig

gegen alle Fremden; das ist des Landes Sitte. Was

aber, Fremdling, ist es, was du in deinem Gurt

trägst?«

»Eine Flöte!« entgegnete Kimyera. »Auf ihr ahme

ich die Stimmen der Vögel nach, welche mir die lieblichsten

scheinen.«

Und bei diesen Worten fing er an, dem Mädchen

seine Weisen vorzuspielen.

Freudig überrascht von dem Wohllaute seiner

Kunst schlug die Zuhörerin in die Hände und rief:

»Naku wird dich mit Freuden aufnehmen, o Fremdling.

Folge mir, und komme zu ihr, denn dein Glück

ist gemacht.«

»Erst muß ich meinen Gefährten aufsuchen,« entgegnete

Kimyera, »danach komme ich mit ihm zu deiner

Königin.«

Freudig grüßend schritt er von dannen, indessen

das Mädchen in das Dorf lief und dort ihre seltsame

Begegnung mit dem schönen Jüngling verkündete.

Kimyera suchte seinen väterlichen Freund Muyana

auf, fand ihn bald und unterrichtete ihn von allem,

was vorgefallen war.

Nachdem die Wanderer sich gewaschen hatten,

machten sie sich auf den Weg, um die Königin Naku

und Sebuwana, ihren Gatten, zu begrüßen. Naku war

auf das Angenehmste überrascht, als sie Kimyera sah,

und empfing ihn überaus freundlich, zumal seine gewinnende

Art und die Schönheit seines Körpers ihr

Herz höher schlagen ließ. Indem sie sich ihrem Gatten

zuwandte, sprach sie:

»Laß uns diese unsere neuen Gastfreunde freundlich

empfangen, denn mir will es scheinen, daß sie

einem erlesenen und edlen Stamme angehören; wie

käme sonst ein Jüngling zu einer so hohen Gestalt

und solch edlem Wuchs wie dieser? Er soll eins unserer

schönsten Häuser bewohnen, Bananenwein, Milch

und Früchte werden ihm täglich in Fülle gereicht werden,

nichts soll ihm mangeln, damit er erkennt, wie

gern und freudig wir ihn bei uns aufnehmen.«

Was Naku angeordnet hatte, geschah, und Sebuwana

selber sah danach, daß alles auf das Sorgsamste

bereitet wurde.

»Ist dies dein Instrument, mit welchem du so lieblich

zu spielen verstehst?« fragte Naku den Fremden,

indem sie auf die Flöte wies, welche er im Gürtel

stecken hatte.

»Jawohl, Königin Naku,« entgegnete Kimyera,

»und wenn es dir zum Vergnügen gereicht, so laß

mich dir meine Kunst zeigen.«

Indem er sich auf dem Leopardenfell niederließ,

welches für ihn ausgebreitet lag, begann er seiner

Flöte die lieblichsten Weisen zu entlocken, die jemals

Nakus Ohr getroffen hatten. Unfähig, ein Wort zu

sagen, saß die Königin mit fliegendem Atem und

halbgeöffneten Lippen und starrte unverwandt auf den

Jüngling. Alle Leute, die zuhörten, blickten einander

verwundert an, als könnten sie nicht begreifen, was

vor ihren Ohren erklang. Naku, als der Spieler geendet

hatte, ging leisen Schrittes auf ihn zu, legte sanft

ihre Hand auf seine Schulter und sprach:

»Macht und Herrschaft, o Kimyera, steht dir zu!

Dem Wohllaut deiner Flöte zu widerstehen, ist unmöglich.

So bleibe denn bei uns für ganz und geliebt

von mir, Sebuwana und dem ganzen Volke Gandas.«

Dann wandte sie sich an Muyana und ließ sich von

ihm alles erzählen, was dieser von der Herkunft Ki-

myeras wußte. In tiefen Gedanken versunken, saß sie

hernach noch lange wachen Auges in ihrer Hütte und

dachte des Fremden. Am folgenden Tage aber hielt

eine wunderbare Scheu sie ab, sich ihren Gästen zu

nahen oder dieselben zu sich bescheiden zu lassen.

Deshalb trat erst spät am Abend Muyana zu ihr und

sprach:

»Sage mir, Königin Naku, ist es Sitte deines Landes,

Fremde so freundlich zu empfangen, wie du uns

empfangen hast, um sie hernach nicht mehr zu beachten?

Oder haben Kimyera und ich dich unwissentlich

beleidigt? Mache mich bekannt mit den Gebräuchen

im Lande Ganda, oder laß uns fortziehen, wenn unser

Anblick dir widerwärtig ist.«

»Nein, Muyana,« entgegnete die Königin sanft,

»habe Geduld, und du wirst mich verstehen lernen.«

Darauf ließ sie sich von Muyana in die Hütte Kimyeras

begleiten, der, verwirrt und erfreut ob der Ehre

solches Besuches, ihr eilend entgegentrat und Matten

wie Felle ausbreitete, damit sie sich niederließe. Darauf

schälte er ihr eine Banane, legte sie auf ein grünes

Blatt und reichte sie ihr hin. Naku aß die Frucht, und

es dünkte ihr, daß in ganz Uganda bisher kein Baum

und Strauch so süße Früchte getragen hatte. Als sie

geendet hatte, bot sie Kimyera eine von ihrer Hand

zubereitete Banane, und der Jüngling aß sie mit dem

Gefühl, daß niemals eine Frucht von gleicher Süßig-

keit seine Zunge berührt hatte. Die Königin blickte

ihn lächelnd an, und als Kimyera seine Augen aufschlug,

fand er eine Fülle ungesprochener Worte in

dem Blick Nakus.

»Höre mir zu, Kimyera,« sprach Naku, »und auch

du, Muyana, horche auf; denn ich werde wichtige und

schwerwiegende Worte zu euch reden. In Ganda ist

seit meines Vaters Tode kein König. Sebuwana ist

nur dem Namen nach mein Gatte; in Wahrheit ist er

nichts mehr als mein erster Ratgeber. Jetzt bin ich alt

genug, um selber den zu wählen, der mein Herr und

Herr über ganz Ganda sein soll. Mein Herz hat seine

Wahl getroffen und Kimyera erkoren!«

Bei diesen Worten kniete Kimyera nieder vor die

Sprecherin, und sobald er Herr seiner Gefühle geworden,

sprach er:

»Aber, o Naku, hast du auch bedacht, was dein

Volk sagen wird, wenn du ihm einen Fremdling zum

König gibst? Wird es mir nicht zürnen und nach dem

Leben trachten?«

»Nein! Denn du bist der Sohn des Bruders meines

Vaters. Und da mein Vater keine männlichen Erben

hinterlassen hat, so hat seine Tochter das Recht, sich

dem Sohne seines Bruders zu verbinden. Du siehst,

Kimyera, du hast ein gutes Recht auf den Platz dieses

Reiches, den ich dir anbiete.«

»Was aber soll aus Sebuwana werden?« fragte Ki-

myera.

»Findet er sich gutwillig in sein Geschick,« entgegnete

Naku, »so mag er leben, tut er es nicht, so muß

er sterben von den Händen meiner Krieger.«

Am Nachmittag desselben Tages noch verkündete

Naku ihrem Volke, was sie beschlossen hatte, und als

Sebuwana die Nachricht hörte, erschrak er heftig; da

er aber wohl wußte, was seiner harrte, falls er sich widersetzte,

so ging er still und heimlich von dannen

nach dem Dorfe, in dem er geboren war und seine

Kindheit verlebt hatte, um dort den Tod zu erwarten.

Die Königin Naku aber lebte mit Kimyera, ihrem

Gatten, in Glück und Zufriedenheit. Drei Söhnen gab

sie das Leben und starb nach der Geburt des dritten.

Ganz Uganda beklagte ihren Tod; am meisten aber

weinte Kimyera um sie und ließ sich nicht trösten,

denn er hatte Naku, die Königin des Landes Ganda

von Herzen geliebt.

Fußnoten

1 Die Sage entstammt der Landschaft Unyoro, welche

an die Nilseen stößt und nördlich des Viktoria-Nyanza

liegt. Ihre Bewohner sind die Wanyoro, ein wilder,

kriegerischer, leidenschaftlicher Stamm, der schon vor

langen Jahren mit den Arabern vielfach in Handelsbzw.

Tauschbeziehungen gestanden hatte. Zeitweise

waren die Wanyoro den Arabern unterworfen, in blutigen

Kämpfen gelang es dem freiheitsdürstenden

Stamme, die Bedrücker wieder zu verdrängen. Jetzt

bildet Unyoro einen Teil von Britisch-Ostafrika.

Der Gesang des Kindes.

Eine Naosage.

Es war einmal eine Frau, die hatte zwei gesunde, kräftige

Kinder. Darauf bekam sie noch ein drittes; das

aber war ein unansehnliches, krankes Knäblein ohne

Kopf, ohne Nase, ohne Zähne und ohne Augen. Als

die Mutter das Kind voller Entsetzen betrachtet hatte,

sprach sie zu ihrem Manne: »Laß uns fortziehen von

hier und dies armselige Ding zurücklassen!« So zogen

die Eltern mit ihren beiden gesunden Kindern von

dannen. Kaum aber hatten sie ihre Hütte verlassen,

als dem armen Kinde Kopf, Hände und Füße wuchsen.

Es hatte aber nicht genug Kraft, um denen, die

fortgezogen waren, zu folgen. In der Hütte fand es

einen Stock, den nahm es und erschlug damit eine

Ratte, zog ihr die Haut ab, spannte diese über die

Schale einer Affenbrotbaumfrucht und trommelte darauf,

indem es sang:

Ich saß ohne Vater, – ich saß!

Ich saß ohne Mutter, – ich saß!

Ich saß ohne Kopf, – ich saß!

Ich saß ohne Glieder, – ich saß!

Während es so sang, kam eine Hyäne vorbei, die

lauschte den lieblichen Tönen, trat an die Schwelle

und sprach: »Lehre mich dein Lied, damit auch ich es

singen kann!«

Das Kind antwortete: »Gern! Gib du mir aber zuerst

Kleid, Hemd, Mütze, Gewehr und Bogen, hernach

will ich dich's lehren.«

Die Hyäne gab, was der Knabe von ihr verlangt

hatte. Dieser zog alles an und sprach dann zu dem

Tiere: »Tritt ein in die Hütte!« Darauf schloß er die

Hyäne ein und ging seines Weges; denn jetzt war er

kräftig geworden. Als er wanderte, sang er fortwährend:

Ich saß ohne Vater, – ich saß!

Ich saß ohne Mutter, – ich saß!

Ich saß ohne Kopf, – ich saß!

Ich saß ohne Glieder, – ich saß!

So singend schritt der Knabe richtig den Weg entlang,

den seine Mutter gegangen war, weit, weit, weit

fort, bis er die fand, die ihn krank und elend verlassen

hatten. Weder seine Mutter, noch sein Vater, noch

seine Geschwister erkannten ihn. Der Knabe trat zu

ihnen in ihre Hütte und setzte sich auf ihre Barese.

Dann sang er wiederum sein altes Lied.

Die Leute, die vorbeigingen und ihn hörten, sagten:

»Wie schön er singen kann!«

Dann fragten sie ihn:

»Woher kommst du?«

Er aber antwortete ihnen nicht, sondern fuhr fort zu

singen:

Ich saß ohne Vater, – ich saß!

Ich saß ohne Mutter, – ich saß!

Ich saß ohne Kopf, – ich saß!

Ich saß ohne Glieder, – ich saß!

Und die Leute, die ihn sahen, sprachen weiter untereinander:

»Er ist ein sehr schöner Mann.«

Auch seine Schwester, die ihn nicht kannte, fand

ihn sehr schön und sagte: »Er sollte mich heiraten!«

Sein Schwager, der Mann seiner Schwester, nahm

ein Huhn, schlachtete es, kochte Ugali und stellte das

Essen ins Haus. Darauf ging der Knabe von der Barese

ins Haus, setzte sich und begann wieder sein Lied

zu singen.

Da schüttelten die Leute draußen den Kopf und

sagten:

»Warum singt er diesen Gesang?« Er rief:

»So höret! Meine Mutter hatte zwei Kinder, die gesund

waren. Als drittes wurde ich geboren: klein und

armselig, ohne Kopf und ohne Glieder. Darauf zog

meine Mutter fort und ließ mich zurück.«

Als die Leute diese Erzählung gehört hatten, sprachen

sie untereinander:

»Wir wollen den Hausherrn fragen, vielleicht weiß

er, was diese Rede bedeutet.«

Darauf gingen sie aus dem Hause hinaus, und bald

folgte ihnen auch der, welcher seinen Eltern bis hierher

gefolgt war.

Als die Leute sahen, daß er das Essen, welches

man ihm vorgesetzt hatte, nicht anrührte, fragten sie

ihn, warum er es nicht äße. Er aber antwortete nur:

»Nein!«

Da sprachen jene weiter:

»Weshalb singst du von deiner Mutter, daß sie dich

zurückgelassen habe und von dir fortgegangen sei?«

Auch seine Mutter sprach zu ihm und sagte:

»Ich kann den Gesang nicht recht verstehen.«

Ihr Mann aber wurde zornig und sprach:

»Du Törin, glaubst du etwa, dies Kind sei das

deine? Ich sage dir, der Mann hier ist ein Lügner, –

aber laß uns seinen Gesang noch einmal hören, – vielleicht

können wir ihn dann besser verstehen.«

Darauf sang der Fremde wieder die sonderbaren

Worte:

Ich saß ohne Vater, – ich faß!

Ich saß ohne Mutter, – ich faß!

Ich saß ohne Kopf, – ich saß!

Ich saß ohne Glieder, – ich saß!

»Was du gesungen hast, haben wir nun wohl gehört,

« sagten die Leute darauf zu ihm, »nun sprich zu

uns, singe nicht mehr!«

Und jener sprach:

»Diese ist meine Mutter!«

Du, o Mutter, hattest zwei Kindern das Leben gegeben,

dann kam ich als drittes. Ihr aber spracht zueinander:

»Das ist ein armseliges Geschöpf!« Denn

ich hatte keinen Kopf und keine Glieder. Deshalb

zogt ihr fort und ließt mich zurück. Als ihr fort wart,

wuchsen mir die Glieder, und ich wurde ein Mann.

Ich tötete eine Ratte und machte mir aus ihrem Fell

eine Trommel. Da kam an die Tür eine Hyäne und

hörte mich singen. Sie kam herein und sagte:

»Unterrichte mich!«

»Gib mir erst alles, was man zum Anzug braucht,«

sprach ich, und als sie das getan hatte, schloß ich sie

ein und ging meines Weges. Viele, viele Stunden bin

ich gewandert, bis ich hierher kam! »Ja, ich bin euer

Kind, das ihr verlassen habt!«

Da weinten die Eltern gar sehr vor Freude, und die

anderen Leute, welche die Worte mit angehört hatten,

lachten und freuten sich mit ihnen.

Der Häuptling und der Vogel.

Eine Naosage.

Es war einmal ein großer Häuptling, der war sehr

mächtig und sehr stolz; denn er vermeinte, alles zu

können. Er war auch ein sehr guter und geschickter

Vogelfänger und glaubte, in der Kunst des Vogelfangens

komme keiner ihm gleich. Eines Tages erschien

in seinem Feld ein sehr schöner Vogel; der fraß alle

Früchte und sang fortwährend:

»Tsche, Tsche, Tsche, Tsche, Tsche.«

Der Häuptling sprach zu seinen Leuten:

»Diesen Vogel müssen wir fangen; denn er frißt

mir alle Früchte meines Feldes auf.«

Darauf machte er sich mit einer Schar von Männern

auf, den Vogel zu jagen.

»Seht den Vogel an,« rief der Häuptling, »er ist

sehr diebisch und muß durchaus gefangen werden.«

Das Tier flog nun vor ihnen her, immer eine kleine

Strecke; dann ließ er sich nieder und ruhte, bis seine

Verfolger ihm ganz nahe waren.

»Tsche, Tsche, Tsche, Tsche,« sang es von neuem

und flog weiter.

Weiter und immer weiter verfolgten die Leute das

hübsche Tier, bis sie müde waren, und sich ausruhen

mußten; nur einige wenige jagten ihn noch und verloren

sich in ein Bambusdickicht. Als der Vogel aus

dem Gebüsch wieder herauskam, jagten die anderen

Leute ihn auch wieder und gingen verloren wie die ersten.

Der Vogel kam wieder: zum dritten, sechsten

und zehnten Male, und jedesmal fanden sich Männer,

ihn zu verfolgen; aber sie gingen alle verloren, bis zuletzt

nur der Häuptling allein noch übrig war. Da

kamen die Weiber der verloren gegangenen Männer,

klagten den Häuptling an und verlangten, daß er

ihnen ihre Männer wiedergebe. So blieb ihm nichts

übrig, als sich allein auf die Wanderung zu begeben

und nach den Jägern zu suchen. Vor ihm her flog wieder

der Vogel, aber er ließ sich nicht fangen. Als der

Häuptling in den Bambuswald kam, öffnete der Vogel

einen großen Termitenhügel. In diesen ging der

Häuptling hinein und fand darin seine Leute.

Der Vogel flog nun hinein und befreite die Männer

des Häuptlings; ihn selbst aber behielt er zurück und

sprach:

»Du hast gesagt: Ich erliege bei keinem Ding, und

alles vermag ich!«

Nun war der gefangen von einem Vogel, der sich

einst gebrüstet und für allmächtig gehalten hatte.

Der Löwe und die Schildkröte.

Eine Naosage.

Vier außerordentlich große Elfenbeinzähne, so groß,

daß jeder Zahn von zwei Männern getragen werden

mußte, lagen bereit als Wettlaufpreis, und man sagte:

»Wohlan, laufet um die Wette, alle Tiere! Wer zuletzt

ermüdet, bekommt das Elfenbein.«

Da kamen viele Tiere und liefen um die Wette,

wurden aber müde und gaben den Wettlauf auf, so

daß nur noch der Löwe übrig blieb. Dieser freute sich

und sprach:

»Mir gehört der Preis!«

Da erhob sich die Schildkröte und sprach:

»Noch nicht! Wir wollen noch miteinander wettlaufen,

damit ich jenes Elfenbein bekomme.«

Der Löwe weigerte sich, lachte und sprach:

»Wie? Wirst du wettlaufen können?«

Die Schildkröte entgegnete:

»Du wirst es schon sehen; lauf nur zu!«

Die Schildkröte kletterte unbemerkt auf des Löwen

Rücken, und so liefen sie denn, – liefen, liefen und

liefen, bis der Löwe müde wurde und ausruhen

mußte.

Da rief die Schildkröte:

»Ruht nicht aus; sonst bekomme ich die Elfenbeinzähne.

«

Weiter und weiter lief wiederum der Löwe, bis er

ganz und gar ermattet wieder zu den Elfenbeinzähnen

kam. Da machte er Halt, drehte sich um und fragte:

»Schildkröte, wo bist du?«

Die Schildkröte antwortete hinter ihm:

»Ach, ich bin schon lange hier.«

Da sah sich der Löwe besiegt und ließ ihr den

Preis.

Klugheit des Hasen.

Naosage.

Es war einmal ein Mann der hatte eine sehr schöne

Tochter, zu der sprach er:

»Koche zehn Körbe voll Essen! Wer es aufißt, soll

dich heiraten.«

Sie kochte das Essen.

Da kamen sehr viele Leute, die das Mädchen gern

heiraten wollten; aber sobald sie einen Korb voll von

dem Essen genossen hatten, waren sie satt und mußten

das Unternehmen aufgeben.

Da machte sich der Hase auf den Weg, nahm seine

Axt, seine Hacke, einen Schlauch und ein Buschmesser,

ein Tuch, Hirse und ein Körbchen. Unterwegs traf

er das Ichneumon, welches sagte:

»Zerteile dein Tuch; morgen wird es dir vergolten.«

Da zerriß der Hase das Tuch und gab dem Ichneumon

davon.

Als er weiter ging, traf er einen Vogel; der sagte:

»Gib mir Schnecken zu essen; morgen wird es dir

vergolten.«

Der Hase suchte und gab dem Vogel Schnecken.

Weiter auf seinem Wege begegneten dem Hasen

Termiten, die riefen:

»Schlag uns diese Bambusrohre um; morgen wird

es dir vergolten.«

Der Hase nahm sein Buschmesser und fällte die

Bambusrohre.

Bald darauf begegnete ihm ein Perlhuhn, das bat:

»Gib mir von deiner Hirse; morgen wird es dir vergolten.

«

Der Hase gab ihm alle Hirse, die er hatte. Ein

Löwe begegnete dem Hasen, der sprach zu ihm:

»Gib mir eine Antilope; morgen wird es dir vergolten.

«

Da stellte der Hase eine Falle auf, fing eine Antilope

und gab sie dem Löwen.

Dann traf er den Elefanten. Dieser sagte:

»Haue mir einen Affenbrotbaum um; was morgen

geschehen wird, wirst du dann sehen.«

Der Hase tat, wie ihm der Elefant geboten hatte.

Nun kam er in das Dorf, in welchem jenes schöne

Mädchen wohnte.

Das Mädchen kochte dem Hasen zehn Körbe voll

Essen, stellte sie ihm hin und sprach:

»Jetzt iß!«

Der Hase entgegnete:

»Stelle das Essen ins Haus; denn am Tage kann ich

nicht essen.«

Da stellte sie es ins Haus.

Die Sonne ging unter. Der Hase trat nun ins Haus

und begann zu essen. Da hörte er klopfen und rief:

»Herein,« und es kam jener Vogel, dem er Schnecken

gesucht hatte. Der aß einen Korb voll.

Dann klopfte es wieder, und der Hase rief:

»Herein!«

Da kamen die Termiten, die aßen zwei Körbe voll.

Wieder klopfte es; es kam der Löwe, der aß drei

Körbe voll.

Als der Elefant kam, aß er, was übrig war.

Das Ichneumon trank den Krug voll Bier.

Die Sonne durchbrach die Wolken, als der Hase

aus dem Hause heraustrat. Die Leute kamen von allen

Seiten herausgelaufen, um ihn zu sehen. Er aber holte

sich Maniok, röstete ihn und sprach:

»Das war ein Stück Arbeit, all die Körbe voll Speisen

aufzuessen! Jetzt habe ich aber Hunger!«

Und er heiratete jenes schöne Mädchen.

Warum der Löwe und der Leopard vor dem

Hyänenhunde fliehen.

Naosage.

Ein Hyänenhund bekam vier Junge, und ein Leopard

warf drei Junge. Der Hyänenhund ging hin, suchte

sich eine Höhle und legte seine Jungen darein. Da

kam der Leopard und sprach:

»Komm' laß uns unsere Jungen zusammenlegen!«

Der Hyänenhund weigerte sich und sprach:

»Nein; denn du wirst meine Jungen dem Menschen

verraten!«

Der Leopard entgegnete:

»Keineswegs! Sondern wenn ich ein Tier greifen

werde, dann werde ich es im Maule heimtragen!«

Da gab der Hyänenhund seine Zustimmung. Sie

legten ihre Jungen zusammen und gingen aus, um zu

jagen. Der Hyänenhund fing ein Tier, trug es in die

Höhle, gab es seinen Jungen und ging wieder fort.

Der Leopard erbeutete eine Antilope; er versuchte sie

zu tragen, vermochte es aber nicht und zog sie daher

nur bis zur Höhle. Dann ging er wieder fort.

Als nun Menschen vorbeikamen und sahen, daß ein

Leopard ein Tier bis zur Höhle geschleppt hatte, sprachen

sie:

»Kommt, wir wollen den Spuren nachgehen!«

Das taten sie denn auch, bis sie die vier jungen

Hyänen und die drei Leoparden fanden. Sie schlugen

die Jungen und töteten drei Hyänen und zwei Leoparden;

darnach gingen sie fort.

Der Hyänenhund kam hinein und sah, daß drei seiner

Jungen getötet waren. Danach kam auch der Leopard.

»Du hast Schuld daran,« schimpfte nun der Hyänenhund,

»sieh', was du angestellt hast; meine Kinder

hast du den Menschen verraten.«

»Keineswegs!« verteidigte sich der Leopard, »ich

habe keine Schuld; ich habe ihnen nichts verraten.«

Da wurde der Hyänenhund zornig und rief alle

Tiere zum Gerichte zusammen. Es erschienen dazu

der Löwe, der Elefant, das Nashorn, der Büffel und

viele andere Tiere.

»Seht an,« begann der Hyänenhund, »was der Leopard

getan hat! Ich suchte mir einen Platz, um meine

Jungen unterzubringen; da kam der Leopard, brachte

seine Jungen und sprach: Komm', wir wollen sie zusammenlegen.

Ich aber weigerte mich und sprach:

Lege du deine Jungen wo anders hin, damit du die

meinen nicht den Menschen verrätst. Er aber bat und

sagte: Ich werde sie nicht verraten, sondern ihnen

Essen zutragen. Aber er schleppte ein Tier vor die

Höhle, und nun haben die Menschen meine Jungen

gefunden und getötet. Er ist schuldig.«

Der Leopard leugnete und sprach:

»Ich bin nicht schuldig. Die Menschen sind zufällig

zu der Höhle gekommen. Sagt nun eure Meinung,

ihr Weisen!«

Der Löwe fürchtete den Leoparden, deshalb sprach

er:

»Er ist nicht schuldig!«

Auch die übrigen fürchteten ihn und schwiegen

still.

Da stand die Schildkröte auf und sprach:

»Hyänenhund, du hast die Wahrheit gesprochen.

Der Leopard ist schuldig. Aber die anderen haben

Furcht vor ihm; darum ist ihr Urteil nicht gerecht.

Wohlan, geh' deines Weges, Hyänenhund! Aber wenn

ihr zusammenkommt, du oder der Löwe und der Hyänenhund,

dann wird der Löwe fliehen, und wenn der

Leopard mit dem Hyänenhund zusammenkommt, so

wird er fliehen und auf die Bäume klettern, sobald er

seine Stimme hört.«

Darauf ging die Versammlung auseinander.

Mit jenem Tage fliehen der Löwe und der Leopard

vor dem Hyänenhunde.

Ein kluger Richter.

Hottentottenfabel.

Ein Affe suchte sich eines Tages, wie es Art der Affen

ist, unter Steingeröll seine Nahrung. Ein besonders

großer Block erregte seine Aufmerksamkeit und Begier.

In der Hoffnung, unter ihm leckere Infekten zu

finden, schob er ihn mit großer Kraftanstrengung zur

Seite und hob ihn ein wenig hoch. Statt der erwarteten

Infekten fand er unter ihm eine große Schlange, die,

böse ob der unerwarteten Störung, ihn wütend anzischte

und drohte, den Eindringling zu beißen. So

gut es gehen wollte, entschuldigte sich der geängstigte

Affe und versicherte, er habe keine Ahnung gehabt,

daß der Stein Privateigentum sei. Nie würde er es gewagt

haben, ein so gefährliches Wesen wie die

Schlange in irgend einer Weise zu belästigen. Indessen

– die Schlange hörte gar nicht auf alles hin, was

der arme Affe sagte; sie war gereizt worden und wollte

sich rächen. Noch waren die beiden im Wortgefecht,

als ein Schakal des Weges kam. Ihn zum

Schiedsrichter zu ernennen, schien den Streitenden

das beste; denn vor des Schakals Weisheit hatten sie

großen Respekt. Aufmerksam hörte er den Klagefall

an und erwog im stillen, wie er wohl durch seinen

Spruch seiner eigenen Abneigung gegen die Schlange

gerecht werden könne. Gewogen war er dem Affen

freilich auch nicht; aber die Schlange fürchtete er. Um

den Fall nun ganz gut verstehen zu können, so meinte

der schlaue Schakal schließlich, müsse er die Kläger

auffordern, sich genau an die Plätze zu begeben, die

sie inne hatten, als der Streit anfing. So ging denn die

Schlange zurück zu ihrem Stein, den der Affe auf sie

wälzte.

»Kannst du, Schlange,« fragte dann der Schakal,

»jetzt hervorkriechen, ohne daß dir geholfen wird?«

»Nein,« entgegnete die Gefragte.

»Ganz sicher nicht?«

»Nein.«

»Nun gut,« sagte darauf der Schakal listig grinsend

zum Affen, »so wollen wir nicht weiter von der Angelegenheit

reden, sondern sie lieber ruhen lassen; es ist

besser so.«

Und Schakal und Affe gingen ihres Weges.

Der Löwe und der Schakal.

Hottentottenfabel.

Weil der Schakal dem Löwen manchen bösen Streich

gespielt hatte, sann dieser darauf, sich an dem Übeltäter

zu rächen. Der Schakal, der des Löwen Absicht

nur zu wohl erriet, mied ihn, so gut er konnte. Eines

Tages aber trafen sich beide am jähen Abhange eines

mächtigen Felsen; an ein Entkommen war für den

Schakal nicht zu denken. Schnell besonnen, lief er

eilig die Felswand entlang, indem er kläglich um

Hilfe rief.

»Was ist denn los?« fragte der Löwe.

»Was los ist? Siehst du denn nicht, daß der Felsen

im Stürzen ist? Er wird dich und mich zermalmen,

wenn du dich nicht sofort gegen ihn stemmst und ihn

hältst, bis ich einen Baumstamm geholt habe, um ihn

zu stützen.«

Erschreckt ob der drohenden Gefahr, tat der Löwe,

was der Schakal ihm riet. Dieser aber lachte und freute

sich der gelungenen List und floh aus der Nähe des

Löwen.

Die Niederlage des Löwen.

Hottentottenfabel.

Einst waren die wilden Tiere bei dem Löwen versammelt.

Als der Löwe eingeschlafen war, gab der Schakal

einem kleinen Fuchs den Rat, einen langen Strick

von Straußensehnen zu drehen, um mit ihm dem

Löwen einen schlechten Streich zu spielen. Willig

ging der zu allen Schandtaten stets bereite Fuchs auf

den Vorschlag ein und drehte eifrig einen Strick. Diesen

befestigte er am Schwanze des schlafenden

Löwen und das andere Ende an einem Busch. Als der

Löwe erwachte und sah, was geschehen war, wurde er

sehr zornig und rief alle Tiere um sich. Sobald sie

versammelt waren, sprach er folgende Beschwörungsformel:

»Welches Kind der Liebe seines Vaters und seiner

Mutter hat mich festgebunden?«

Da antwortete das Tier, dem die Frage zuerst vorgelegt

war:

»Ich Kind der Liebe meines Vaters und meiner

Mutter, ich Mutters und Vaters Liebessprößling habe

es nicht getan.«

So antworteten nacheinander alle Tiere, an die der

Löwe das Wort richtete. Als aber die Reihe zu antworten

an den kleinen Fuchs kam, sprach dieser:

»Ich Kind der Liebe meines Vaters und meiner

Mutter, ich Mutters und Vaters Liebessprößling habe

es getan.«

Da zerriß der Löwe den aus Sehnen geflochtenen

Strick und jagte dem Fuchs nach; denn er war sehr

zornig. Der Schakal aber rief dem Fliehenden nach:

»Mein Junge, du Sohn der hageren Füchsin, du

wirst nimmer ergriffen werden.«

Und in der Tat blieb der Löwe im Laufen zurück

und mußte schließlich die Verfolgung des Fuchses

aufgeben.

Vom Cakyane-bo Cololo.1

Als einst Cakyane spazieren ging, traf er eine Geiß,

welche Junge hatte, und sagte zu ihr:

»Mutter, laß mich deine Kinder hüten.«

Die Geiß willigte ein. Am nächsten Tage ging die

Geiß aufs Feld; Cakyane blieb mit den Kleinen zu

Hause. Da nahm er eins von den Kleinen und kochte

es. Als es gar gekocht war, aß er davon und setzte

das übrige der Alten vor, indem er sagte:

»Mutter, da ist feiner Braten von einem Wilde. Ich

hörte von Leuten draußen großen Lärm, worauf ich

hinauslief und es erlegte.«

Die Geiß aß, und als sie damit fertig war, sagte

sie:

»Laß mich meine Kinder sehen.«

Cakyane ging, sie zu holen; brachte aber eins

zweimal, damit die Mutter nicht merkte, daß eins

fehlte. So machte es Cakyane jeden Tag, indem er

eins nach dem andern schlachtete und dafür eins der

Jungen so oft brachte, daß die Alte nichts merkte. Als

nur das letzte noch übrig war, hatte er auch mit diesem

kein Erbarmen, sondern schlachtete es und setzte

es der Alten vor. Sie aß und fragte nach den Kindern.

Cakyane sagte:

»Ich werde sie holen,« ging hinaus und rief, als er

draußen war:

»Oho, ho! du hast deine Kinder gegessen statt

Wildbret.«

Da sprang die Geiß auf und ihm nach. Cakyane

lief ans Flußufer und fand den Fluß voll Wasser.

Auch die Geiß lief dorthin, sah aber von Cakyane

nichts mehr, da sich derselbe inzwischen in einen

Stein verwandelt hatte. Sie nahm den Stein und rief,

indem sie ihn über den Fluß hinüberwarf:

»O höchster Geist, du hast Cakyane gesehen, triff'

ihn mit diesem Steine.«

Drüben angekommen, verwandelte sich der Stein

wieder, und Cakyane rief:

»Helele! du hast mich ja prächtig über den Fluß

gesetzt! Mich, den Cakyane-bo-Cololo, welchen du

kennst!«

Cakyane ging nun weiter, bis er an einer Hütte anlangte.

Er ging hinein und traf daselbst ein altes

Weib an. Dieses redete er an mit den Worten:

»Mütterchen, komm; wir wollen einander kochen!

«

Die Alte gab ihre Zustimmung. Hierauf sagte er,

sobald man Hitze verspüre, möge man rufen:

»Ich bin gar gekocht!«

Bei ihm solle begonnen werden. Die Alte war

damit einverstanden, und Cakyane wurde in den Kessel

gesetzt und gekocht.

Nach einer Weile rief er:

»So, genug jetzt! ich bin gekocht!«

Die Alte hob den Deckel weg, und Cakyane kam

heraus. Dann stieg die Alte hinein. Nach einer Weile

rief sie:

»So, nun genug! Ich bin gekocht!«

Aber Cakyane entgegnete:

»Wie kannst du, altes Weib, sagen, daß du schon

gekocht seist, da doch ich viel länger im Kessel war

als du! Ich bin noch jung, indes du alt bist. Dein

Fleisch braucht schon etwas länger zu kochen!«

Sodann legte er neues Holz unter den Kessel. Die

Alte jammerte und rief immerfort:

»Ich bin gesotten, ich bin weich gekocht!«

Aber die Antwort war immer:

»Noch nicht genug; – nur Geduld!«

Cakyane mahlte nun Amabele (Kaffernhirse) auf

dem Steine, kochte davon einen Brei, nahm denselben,

als er fertig gekocht war, heraus und stellte ihn

als Gericht für die Söhne des alten Weibes hin, welche

noch kommen sollten. Er selbst aß hierauf, nahm

den ledernen Rock von der Alten, in den er sich einhüllte,

und stellte sich, als er die Söhne kommen

hörte, schlafend. Die Söhne, welche jetzt eintraten,

hatten ein Reh bei sich, das sie auf der Jagd erlegt

hatten. Cakyane tat, als ob er aufwache, und sagte:

»Bravo, bravo, meine lieben Kindeskinder! Seht,

dort habe ich euch ein Essen gerichtet! Laßt es euch

schmecken; denn ihr scheint müde und hungrig zu

sein!«

Sie aßen alsdann.

Während des Essens sagte der jüngere von den

Söhnen:

»Schau' doch einmal dorthin; das scheint die Hand

unserer Großmutter zu sein!«

Darauf entgegnete der ältere:

»Schweige; siehst du denn nicht, daß die Alte am

Sterben liegt!«

Cakyane aber erwiderte mit verstellter Stimme:

»Hört, diesen undankbaren Menschen!«

Als sie das vernommen, schwiegen beide, aßen

und tranken, bis sie satt waren. Da sagte Cakyane:

»O Kinder meines Kindes, richtet mir doch das

Reh schön zu, welches ihr mitgebracht habt!«

Während sie dasselbe zubereiteten, ging Cakyane

hinaus, warf, als er eine Strecke entfernt war, den

Rock auf die Erde und rief:

»Hurra, hurra, ihr habt ja eure Großmutter gegessen!

«

Da sprangen beide auf und ihm nach; aber auch

Cakyane rannte, so gut er konnte, davon, und verwandelte

sich schließlich am Ufer des nächsten Flusses

in einen Holzklotz. Die Söhne kamen dorthin und

warfen den Klotz über den großen Fluß, indem sie

sagten:

»O großer Geist, du kennst Cakyane und weißt,

wo er sich aufhält! Erschlage ihn dort, wo du ihn

siehst, mit diesem Klotze«. Drüben verwandelte sich

Cakyane wieder und rief lachend den Söhnen zu:

»Ei, ihr Herren, ihr habt mich ja prächtig über den

Fluß gesetzt!«

Sprach's und ging seines Weges weiter; – jene

aber blieben ärgerlich auf der anderen Seite des Flusses

zurück.

Cakyane traf im Weitergehen einen Greis, welcher

Brot aß. Er nahm es ihm ab und lief davon. Der Alte

lief ihm nach und rief:

»Lege mein Brot nieder, Cakyane!«

Der aber hörte nicht, sondern lief weiter, bis er an

einen hohlen Baum kam, in welchen er schnell hineinkroch.

Gleich darauf kam der Alte auch an und

steckte seine Hand in das Loch, den Bösewicht herauszuziehen.

Als er ihn so gefaßt hatte, rief Cakyane:

»O Tor, du hast ja die Wurzel des Baumes gefaßt.

«

Da ließ der Alte ihn los und faßte die Wurzel des

Baumes; Cakyane aber rief:

»Laß mich los, du bringst mich ums Leben!«

Der Alte, hoch erfreut, bemühte sich jetzt, den vermeintlichen

Cakyane herauszuziehen. Dieser jedoch

aß währenddem das Brot, sprang sodann heraus und

lief davon.

Fußnoten

1 Im Zulukaffrischen führt das Wiesel den Namen u

Cakide; u Cakyane ist die Verkleinerungsform hiervon

und bedeutet demnach soviel als »Wieselchen«;

bo Cololo ist ein bloßer Ehrentitel; ein weiterer Ehrentitel

desselben lautet »u Mahlab indoda iseme«

und bezeichnet einen, »welcher den noch stehenden

Mann niedersticht«. Das Tierchen hat diesen Beinamen

wegen seiner Gewandtheit und Klugheit, und es

spielt im kaffrischen Märchen- und Fabelkranze ungefähr

die gleiche Rolle wie Reineke Fuchs im deutschen.

Der Wolkenschmaus.

Eine Erzählung der Hottentotten.

Einstmals, so erzählt man sich, waren die Hyäne und

der Schakal beisammen, als eine große weiße Wolke

am Himmel aufzog. Da stieg der Schakal hinauf zu

ihr und aß davon, als ob es Fett wäre. Als er gesättigt

war, rief er der Hyäne zu:

»Meine Schwester Rechtauf, wenn ich dir von dem

Schmause etwas lassen soll, so mußt du mich jetzt

hübsch auffangen.«

Die Hyäne fing den Schakal auf, folgte seinem Beispiel,

stieg hinauf zu der weißen Wolke und aß von

ihr. Als sie satt war, sprach sie:

»Mein Bruder fange mich auf.«

»Gewiß! komm' nur, ich werde dich schon fangen,«

erwiderte der Schakal. Dabei hielt er die Hände auf,

und die Hyäne ließ sich von der Wolke hinab, indem

sie auf den Schakal zusprang. Als sie ganz nahe ge-

kommen war, rief der Schakal, indem er wie vor

Schmerz auf die Seite sprang:

»Verzeih', verzeih' mir! ein Dorn hat mich gestochen,

o weh, o weh!«

Da stürzte die Hyäne zur Erde und verletzte sich

den Fuß.

»Seit jenem Tage,« so sagt man, »ist der linke Hinterfuß

der Hyäne kürzer als der rechte.«

Warum der Schakal einen langen, schwarzen

Streifen auf dem Rücken hat.

Hottentottenfabel.

Vor langen, langen Jahren kam die Sonne niemals auf

die Erde. Das war gerade zu der Zeit, da die Menschen

alle im Umzuge waren und keiner Lust und Zeit

hatte, sich um etwas anderes als seine eigenen Angelegenheiten

zu kümmern. Wohl sahen die Menschen

die Sonne am Wege sitzen, aber sie eilten achtlos an

ihr vorüber. Der Schakal, der hinter dem Menschen

herkam und die Sonne auch sitzen sah, ging zu ihr

und redete sie an:

»Solch ein hübsches Kindlein lassen die Menschen

unbeachtet zurück?«

Mit diesen Worten hob er sie auf und steckte sie in

sein Fell, das er auf dem Rücken trug. Bald aber fühlte

er einen brennenden Schmerz, fing an sich zu

schütteln und rief voller Schmerzen:

»Geh' hinunter, Sonne; du verbrennst mir ja den

Rücken!«

Aber die Sonne saß unverrückt fest und brannte

einen langen, schwarzen Streifen auf das Fell des

Schakals.

Warum der Hase flieht.

Fabel der Haussaneger.

Der Mond sprach zum Hasen:

»Gehe zu den Menschen und sprich zu ihnen: Der

Mond läßt euch sagen, daß er stirbt und wieder lebendig

wird, so wie ihr ihn jeden Morgen sterben seht

und jeden Abend ihn von neuem begrüßt! Auch ihr

sollt sterben, um wieder von neuem zu leben.«

Nachdem er diese Worte vernommen hatte, trabte

der Hase davon und erreichte bald die Wohnstätten

der Menschen.

»Der Mond läßt euch sagen,« rief er ihnen zu, »daß

er stirbt und wieder lebendig wird, so wie ihr ihn

jeden Morgen sterben seht und jeden Abend ihn von

neuem begrüßt! Auch ihr sollt sterben!«

Danach eilte er zurück zum Monde, dem er wörtlich

berichtete, was er den Menschen gesagt hatte.

Der Mond, als er hörte, daß der Hase seine Botschaft

nur unvollkommen gegeben hatte, ward sehr zornig,

nahm eine Axt und wollte mit ihr den Kopf des Hasen

spalten, traf aber nur seine Oberlippe, die noch heute

das Zeichen des Streites zwischen Mond und Hasen

trägt. Der Hase, wütend gemacht durch den Schmerz,

sprang in das Gesicht des Mondes und kratzte es mit

seinen scharfen Nägeln. Seitdem sieht man schwarze

Streifen in des Mondes Antlitz, die in Wirklichkeit

nichts anderes sind als die Schrammen, die der Hase

gekratzt hat. Entsetzt über seine eigene Kühnheit, floh

der Hase, sobald er sah, was er getan hatte, und

durchläuft noch am heutigen Tage fliehend die Welt.

Warum der Feldhase keinen Schwanz hat.

Sage aus dem Namaqualand.

An dem Tage, da die Verteilung der Schwänze unter

die Tiere stattfand, war der Himmel mit dicken,

schweren Wolken behangen, und es drohte zu regnen.

Der Feldhase, der von jeher den Regen sehr fürchtete,

wagte sich nicht aus seiner Höhle hervor, sondern bat

die anderen Tiere, ihm doch seinen Schwanz mitzubringen.

Sie versprachen es zwar, aber in der Aufregung

das Tages dachte hernach keines der Tiere an

den armen Feldhasen, der sehnsüchtig seines Schwanzes

harrte. Schön beschwänzt liefen alle an der Höhle

vorüber, wedelten vor Freude mit dem eben erhaltenen

Geschenk und hielten es kaum für nötig, sich bei

dem Hasen wegen ihrer Wortbrüchigkeit zu entschuldigen.

So ist es gekommen, daß der Feldhase nie mit

dem Schwanze wedeln kann.

Bestrafter Undank.

Wolossische Fabel aus Boilats Grammaire de la

langue Wolosse.

Einstmals war die Hyäne auf ihren nächtlichen Streifzügen

in eine Grube gefallen. Schon in weiter Ferne

konnte man ihr klägliches Geheul und ihre Angstrufe

hören. Ein Ochse kam gemächlich des Weges gegangen,

blieb stehen, horchte und ging den Tönen nach.

Als er an die Grube kam, blickte er hinab und erkannte

sofort die Hyäne. Gutmütig, wie er und seinesgleichen

ist, hätte er ihr gern geholfen; aber er fürchtete

die Hyäne; denn er kannte ihren hinterlistigen Charakter.

Seine Bedenken teilte er ihr denn auch ganz ehrlich

mit. Die Hyäne bat aber weiter, der Ochse solle

ihr doch hilfreiche Hand leisten, aus ihrer mißlichen

Lage zu entkommen, und fügte hinzu, daß sie gar

nicht begreife, wie er denken könne, daß sie ihrem

Wohltäter etwas anderes als Gutes erweisen würde!

Ja solcher Verdacht kränkte sie so schmerzlich, daß

sie in Tränen ausbrach. Der gute Ochse ließ sich denn

auch wirklich erweichen, hielt der Hyäne seinen langen

Schwanz hin und zog sie an ihm heraus, indem

sie sich festklammerte. Kaum aber sah die Hyäne sich

außer Gefahr, als sie sich über ihren Retter herwarf,

um ihn zu töten. Glücklicherweise kam gerade ein

Elefant des Weges gelaufen. Der vernahm, wie der

Ochse mit lauter Stimme der Hyäne ihre Undankbarkeit

vorwarf. Schnell trat er hinzu, um Frieden zu stiften.

»Laßt mich hören,« redete er die beiden Tiere an,

»was der Grund eures Streites ist; ich will ihn schlichten.

«

Der Ochse berichtete, was vorgefallen war, und die

Hyäne bestätigte seine Aussage.

»Der Fall ist schwierig,« sagte der Elefant, nachdem

er aufmerksam zugehört hatte, »sogar sehr, sehr

schwierig! Um gerecht urteilen zu können, wäre es

mir erwünscht, daß ihr beide zurückkehrt an den Ort,

wo ihr vor Beginn eures Streites wart. Du, Hyäne,

springe deshalb wieder in deine Grube.«

Die Hyäne tat, wie ihr geheißen war; aber der

Ochse zog sie nicht zum zweiten Male heraus, und

der Elefant trollte vergnügt seines Weges weiter. So

mußte die undankbare Hyäne elendiglich in der Grube

verhungern.

Wie du mir, so ich dir.

Bullomfabel. Aus Grammar & Vocabulary of the

Bullom language von Nylander (1814).

Der Affe und das Chamäleon machten einst eine Fußtour

miteinander. Sie fanden ein Gefäß voll köstlichen

Palmweins, und der Affe trank ein gut Teil davon;

aber das Chamäleon wagte nicht, davon auch nur zu

nippen. Als der Affe sich satt getrunken hatte, setzten

beide ihre Wanderung fort. Der Eigentümer des Weines

kam bald darauf und fand den Krug zur Hälfte geleert.

Empört, so bestohlen zu sein, ging er den frischen

Fußspuren nach, um den Dieb zu strafen. Bald

hatte er die Reisenden eingeholt und stellte sie zur

Rede; beide beteuerten indessen, nicht von dem

Weine getrunken zu haben.

»Achte auf unseren Gang,« sagte schließlich der

Affe; »taumelt einer von uns, so strafe den als den

Dieb.«

So ließ der Mann beide an sich vorbeigehen. Der

Affe schritt ganz gerade und ordentlich einher; aber

das Chamäleon schwankte, wie es stets zu tun pflegt.

»Siehst du nun, wer der Weintrinker war?« rief der

boshafte Affe.

Da ergriff der Mann das Chamäleon, schlug es und

sagte dann:

»Nun geh', aber wisse, ich würde dich töten, wenn

ich nicht wüßte, daß ich damit dem braven Affen ein

Leid täte!«

Darauf setzten der Affe und das Chamäleon ihre

Reise fort. Bald kamen sie an ein Feld, auf dem die

Menschen Vorbereitungen zum Abbrennen des Grases

getroffen hatten.

»Laß uns das Feld in Brand stecken,« schlug das

Chamäleon vor.

»O nein!« wehrte der Affe.

Da nahm das Chamäleon einen Feuerbrand und

schleuderte ihn mitten in das Gras hinein; indessen erlosch

die Flamme bald. Die Menschen, denen das

Feld und das Gras gehörte, kamen alsbald herbeigelaufen

und fragten das Chamäleon und den Affen, wer

den Brand geworfen hatte. Beide beteuerten, sie wüßten

nichts davon.

»Schaut nach unseren Händen,« rief da das Chamäleon,

»wessen Hände von Rauch schwarz gefärbt

sind, der hat den Brand in das Feld geworfen.«

Als nun die Leute sich die Hände der Reisenden

zeigen ließen, fanden sie die des Chamäleons rein und

rosig, während die des Affen schwarz waren, wie sie

es stets sind.

»Wer, meint ihr nun,« rief das Chamäleon schmunzelnd,

»hat das Gras angezündet?« Da ergriffen die

Leute den Affen und schlugen ihn halbtot, so daß er

bewußtlos im nahen Gehölz liegen blieb.

Hase und Affe.

Wolossenfabel aus Baron Ragers Recherches

philosophiques sur la langue Ouvlosse. Paris 1829.

Der Affe warf dem Hasen vor, daß er die unangenehme

Angewohnheit habe, sich fortwährend umzusehen.

Darauf erwiderte der Hase, das ewige Jucken und

Kratzen des Affen sei jedenfalls viel lästiger für andere

mit anzusehen, und er könne nicht einsehen, was

den Affen berechtige, ihm, dem Hasen Vorwürfe zu

machen. Schließlich kamen beide überein, daß sie

einen ganzen Tag, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang,

nebeneinander sitzen wollten, und der Affe

sollte sich in der ganzen Zeit nicht kratzen, der Hase

sich nicht umblicken. Der festgesetzte Tag hatte kaum

gegraut, als beide sich an dem bestimmten Platz einfanden.

Regungslos hielt der Hase seinen Blick auf

die Erde geheftet; ruhig und unbeweglich ruhten die

Hände des Affen in seinem Schoß. Stunde um Stunde

verrann, und mit Überwindung nur war es beiden

noch möglich stille zu sitzen. Es wurde Mittag. Da

sagte der Affe, der es vor Pein kaum noch aushalten

konnte:

»Als ich im Kriege war, trafen mich die Pfeile der

Feinde hier und hier und hier und da und dort,« und

wohin er mit dem Finger wies, da kratzte er sich

schnell. Auch der Hase konnte es schließlich nicht

mehr über sich gewinnen, seine Augen auf dem

Boden ruhen zu lassen, und so begann er eine Erzählung:

»Als ich im Kriege war,« sagte er, »verfolgten

mich eines Tages die Feinde. Vor Entsetzen sprang

ich bald hierhin, bald dorthin, bald nach rechts, bald

nach links.« Mit Blitzesschnelle folgten dabei seine

Augen, die solange starr vor sich hingeblickt hatten,

den Bewegungen seiner Glieder.

Vom Vogel, der Milch gab.

Kaffernsage, dem Jesuitenpater Torrend nacherzählt.

Es sagte einmal ein Mann zu seinem Weibe:

»Gehe zu hacken aufs Feld!«

Sie ging, hackte und kehrte dann nach Hause zurück.

Darauf kam ein Vogel zu dem Platze, der umgehackt

war, und sang:

»Schieß empor, Gras, auf diesem Felde!

Schieß empor, Gras, von diesem Vogel!«

Und das Gras kam hervor; es war, als wäre kein

Fleckchen auf dem Felde umgehackt worden.

Der Mann kam hin, sah das Gras und fragte darauf

sein Weib:

»Wo hast du gehackt?«

Das Weib wies auf den Flecken Land, auf dem es

gearbeitet hatte und sprach:

»Hier habe ich gehackt.«

Der Mann entgegnete:

»Du lügst, du hast nicht umgehackt!« Und er

schlug sie mit dem Hackenstiele, daß sie weinte. Sodann

rief er:

»Komm', wir wollen hacken!«

Sie hackten und hackten und gingen endlich nach

Hause.

Wieder kam der Vogel und sang:

»Schieß empor, Gras, auf diesem Felde!

Schieß empor, Gras, von diesem Vogel!«

Und ach! – es war, als wäre kein Fleckchen Land

umgegraben worden.

Des anderen Morgens kamen der Mann und die

Frau und sahen nichts vom umgehackten Platze. Da

sagte das Weib:

»Wo ist nun die Arbeit, die wir gestern verrichtet

haben?«

Der Mann versetzte:

»O, ich weiß, wie das zugeht, Frau; begrabe mich

jetzt im Boden und laß nur allein meine Hand herausragen.

«

Das Weib tat es und ging heim. Der Vogel kam

und pickte hier und dort herum, bis er auf die Hand

des Mannes trat, der ihn nun festhielt.

Der Vogel sprach:

»Laß mich los; ich bin ein Vogel, der Milch gibt!«

Der Mann antwortete:

»So gib jetzt Milch, mein lieber Vogel, damit ich

mich davon überzeugen kann!«

Und wirklich gab der Vogel ihm saure Milch auf

die Hand.

Da nahm der Mann den Vogel mit sich heim und

gebot seinem Weibe, einen Milcheimer auszuwaschen

und den Vogel hineinzusetzen. Nachdem die Frau

getan hatte, was ihr Mann ihr befohlen, füllte der

Vogel den Eimer mit Milch. Darüber waren der Mann

und die Frau hocherfreut; denn sie waren sehr hungrig

und hatten nun vollauf zu essen. Nachdem sie gesättigt

waren, gingen sie aufs Feld, um zu arbeiten, und

ließen ihre beiden Kinder daheim. Das ältere der Kinder

hieß Ngeneu, das jüngere Notuneu.

Ngeneu sagte:

»Wir wollen zu anderen Kindern gehen und ihnen

von dem Vogel erzählen!«

Notuneu erwiderte:

»Unser Vater sagte, er würde uns töten, wenn wir

von dem Vogel zu anderen Kindern redeten.«

Darauf wurde Ngeneu zornig und rief:

»Schweig, du Lügnerin!«

Notuneu fürchtete ihren Bruder und gab deshalb

schließlich seinem Drängen nach. Als Ngeneu nun

den anderen Kindern von dem Vogel erzählt hatte,

sprachen diese:

»Wir wollen zu dem Vogel gehen!«

Als sie hingekommen waren, nahmen sie ihn aus

dem Melkeimer, und Nguneu schrie laut:

»Seht diesen Vogel an, der uns gehört!«

Da sagte der Vogel:

»Wenn ich euch gehöre, so bringe mich in den

Kraal hinein.«

Der Knabe nahm ihn also mit in den Kraal. Da verlangte

der Vogel, auf den Zaun gesetzt zu werden. Als

er aber dorthin gebracht war, flog er auf und davon.

Notuneu weinte laut und rief:

»Siehst du, nun wird unser Vater uns töten! Sieh'

nur, wie er davonfliegt.«

Die Kinder, die gekommen waren, den Vogel zu

sehen, liefen flugs fort und ließen sich nicht mehr

blicken.

Der Vogel sang mit schallender Stimme im Fliegen:

»Ngeneu und Notuneu haben mich herausgelassen!

« Und dieselben Worte sang er noch, als er dicht

bei dem Vater der Kinder vorbeikam. Die Mutter

hörte es und sprach:

»Das ist dein Vogel; er sagt Ngeneu und Notuneu

haben ihn herausgelassen.«

Der Mann aber entgegnete:

»Wie kannst du nur so reden! Unsere Kinder würden

nie wagen, so gegen meinen Befehl zu handeln.«

Darauf gingen sie heim. Dort angelangt, ging die

Frau sofort zu dem Melkeimer, schaute hinein und

fand richtig keinen Vogel darin. Der Mann rief sofort

nach den beiden Kindern, und fragte sie nach dem

Verbleib des Tieres. Notuneu sprach:

»Ngeneu hat den Vogel fliegen lassen.«

Da brachte der Vater einen Strick und schwor, er

wolle die ungeratenen Kinder töten. Diese brachen in

Weinen und Klagen aus, und auch ihre Mutter rang

verzweifelt die Hände.

»Willst du, Vater des Ngeneu und der Notuneu,

wirklich um des Vogels willen deine Kinder töten?«

rief sie.

Der Mann aber war nicht zu erweichen, sondern

drohte:

»Wenn du so weiter redest, werde ich dich mit

ihnen töten!«

Da schwieg sie still und sah, wie ihr Mann den

Strick um den Hals seiner Kinder legte und sie an

dem Aste eines Baumes aufhängte, der weit über

einen tiefen Fluß hinüberragte. Der Strick zerriß jedoch,

die Kinder fielen in das Wasser und versanken

in der Tiefe, wo sie in Flußgötter verwandelt wurden

und dadurch die Gabe erhielten, den Fluß anschwellen

zu lassen.

Einst wurde das Land von einem benachbarten

feindlichen Stamme überfallen. Die Weiber und Kin-

der des Landes waren in großen Schrecken und suchten

durch den Fluß zu entkommen. Als sie aber den

Fuß ins Wasser gesetzt hatten, schwoll es plötzlich

hoch an, und sie konnten nicht weiter laufen. Da riefen

sie:

»Ngeneu und Notuneu, laßt uns über das Wasser,

damit wir unseren Feinden entrinnen!«

Das Wasser schwand, und sie stiegen in den Fluß

hinein. Als aber, während sie halbwegs hindurch

waren, auch der Vater, welcher seine Kinder hatte

töten wollen, in den Fluß gekommen war, füllten sie

denselben wieder mit Wasser an. Da riefen ihm die

anderen Männer laut zu:

»Geh' du hinaus zur Strafe dafür, daß du deine

Kinder morden wolltest.«

Er ging heraus, und alsbald trocknete der Fluß wieder

aus. Die anderen Männer aber gingen sodann

durch den Fluß hindurch, während jener Mann allein

zurückblieb. Als der Feind ganz nahe war, erhob auch

er seine Stimme, indem er sprach:

»Ngeneu und Notuneu, macht mir doch auf!«

Die aber sagten:

»Wie? Dir sollten wir aufmachen, nachdem du uns

aufgehenkt hast!«

Da brach er in lautes Geschrei aus, und der Feind

kam und erschlug ihn. So endete der Mann, welcher

der Milch wegen seine Kinder zu ermorden gesucht

hatte. Diese aber kamen aus dem Flusse heraus, um

ihre Mutter aufzusuchen. Nachdem sie dieselbe gefunden,

blieben sie bei ihr, behielten aber immer die

Gabe, in die Flußtiefe zu gehen und das Wasser anund

abschwellen zu lassen.

Die Geschichte von den zwei Frauen.

Eine Kaffernerzählung.

Es war einmal ein Mann, der zwei Weiber hatte. Die

eine Frau hatte keine Kinder, und ihr Mann liebte sie

darum weniger als die andere, welche ihm eine Tochter,

die sehr schwarz war, geschenkt hatte, außerdem

noch verschiedene andere Kinder; aber die waren Krähen.

Numbakatali, so hieß die Frau, welche keine

Kinder hatte, war meist traurig und niedergeschlagen;

gar oft ging sie allein auf das Feld und weinte von

Herzensgrund. Einstmals war sie in ihrem Garten und

bestellte unter Tränen das Land, als zwei weiße Tauben

sich nahe bei ihr niederließen.

Die eine sprach zur anderen:

»Frage doch diese Frau, warum sie weint?«

Da fragte die Taube nach der Ursache ihres Kummers.

Sie erwiderte:

»Ich habe keine Kinder; deshalb liebt mich mein

Mann weniger als die andere Frau, die eine Tochter

hat und noch andere Kinder, die aber Krähen sind; sie

kommen, lachen mich aus und essen mein Korn.«

Die Taube sprach:

»Gehe heim, nimm zwei irdene Töpfe und bringe

sie hierher.«

Numbakatali ging und holte die Töpfe.

Darauf pickten die Tauben an den Knien der Frau,

bis das Blut aus ihnen floß; dieses fingen sie in den

Töpfen auf. Nachdem das Weib den Tauben Korn

zum Fressen gegeben hatte, flogen sie davon und

Numbakatali trug die Töpfe heim in ihre Hütte und

versteckte sie sorgsam in eine Ecke. Von nun an

kamen die Tauben täglich, um sich füttern zu lassen,

und sagten der Frau jedesmal, sie solle in die Töpfe

gucken, um zu sehen, was darin sei. Schließlich, als

sie eines Tages wieder nachsah, fand sie zwei Kinder,

ein Mädchen und einen Knaben, und beide waren von

wunderbarer Schönheit. Die Frau war hocherfreut;

aber sie erzählte niemandem von den Kindern. Als

diese nun etwas herangewachsen waren, machte sie

ihnen einen hübschen Platz in der Hütte zurecht; dort

mußten sie bleiben; denn ihre Mutter wollte sie niemandem

zeigen. Stets, wenn sie ausging, befahl sie

ihnen, unter keiner Bedingung das Haus zu verlassen.

So kam es, daß außer ihr und einer Dienstmagd niemand

von dem Vorhandensein der Kinder etwas

wußte; denn ihr Mann kam niemals zu ihr. Eines

Tages jedoch, als die Kinder ziemlich herangewachsen

waren und die Frau an den nahen Fluß gegangen

war, sprach der Knabe zu dem Mädchen:

»Komm', laß uns gehen und unserer Mutter Wasser

tragen helfen.«

Noch hatten sie den Fluß nicht erreicht, als ihnen

eine Gesellschaft junger Männer begegnete. Unter

ihnen war der Sohn eines mächtigen Häuptlings, der

war in das Land gekommen, um sich nach einem hübschen

Mädchen umzusehen, das er zum Weibe nehmen

würde. Der Name dieses jungen Mannes war

Breitbrust; denn er war schön und kräftig gewachsen

und hatte eine gewölbte breite Brust, die glänzendes

Metall war. Die Männer blieben stehen, als sie die

Geschwister kommen sahen, und baten den Knaben

um einen Trunk Wasser; aber der Sohn des Häuptlings

wollte nur aus des Mädchens Hand das Wasser

nehmen; denn ihre Schönheit hatte es ihm angetan;

und als sie fortging, paßte er wohl auf, um zu sehen,

in welche Hütte sie gehen würde. Dann ging er heim

zu seines Vaters Land, um sich von seinem Viehherden

die schönsten Tiere zu holen, die er dem Vater

des Mädchens zur Morgengabe bot und sprach:

»Gib mir deine Tochter zum Weibe; nimm für sie

diese Kühe und Ochsen, die ich von meinen Herden

gewählt habe, und wenn du mehr haben willst, so

sage es mir.«

Darauf befahl der Mann seiner Tochter, die

schwarz war wie Ebenholz, zu kommen, und gab sie

dem jungen Freier. Der jedoch sagte:

»Diese ist es nicht, von der ich sprach; das Mädchen,

welches ich sah, war heller in der Haut und

schöner als diese deine Tochter.«

»Eine andere Tochter habe ich nicht,« erwiderte der

Mann; »denn meine übrigen Kinder sind Krähen.«

Da rief der Mann seine beiden Weiber und befragte

sie vor dem Häuptlingssohne, ob sie etwas wüßten

von einem wunderbar schönen Mädchen, welches von

heller Hautfarbe sei. Die Frauen versicherten, ihnen

sei nichts bekannt von einem solchen Mädchen. Aber

die Dienstmagd ging hernach im geheimen zu Numbakatalis

Manne und sagte ihm die Wahrheit. Gegen

Abend ging er daher in die Hütte der Frau, um die er

schon lange sich nicht mehr gekümmert hatte, und

fand bei ihr die Geschwister, die seine Kinder waren.

Am anderen Morgen ließ der Mann eine neue Matte

vor die Tür der Hütte legen, gebot seinem Weibe, den

Geschwistern und der Dienstmagd sich darauf niederzusetzen

und rief den jungen Häuptlingssohn. Kaum

sah dieser das Mädchen, so rief er aus:

»Diese ist es, die ich zur Frau begehre.«

Darauf blieb er den Tag über dort; aber am Abend

ging er wieder heim, holte noch mehr von dem Vieh

seiner Herden und gab auch dies noch dem Vater des

Mädchens, welches er sehr lieb hatte. Die Frau, deren

Tochter so sehr dunkel war, sah, was vor sich ging

und war sehr neidisch; denn sie wußte gar wohl, daß

ihre Tochter nicht schön war, und daß kein Mann soviel

Vieh für sie je zahlen würde als jetzt für das Kind

Numbakatalis gegeben wurde. Da sie auf jeden Fall

nicht zurückstehen wollte, so tat sie ihr möglichstes,

ihre Tochter durch reiche Kleider zu verschönen,

immer in der Hoffnung, daß der reiche Freier sie auch

zum Weibe nehmen würde. Der Name dieses Mädchens

war Malungulaza, d.h. Schwester der Krähen;

des anderen Mädchens Name war Mbulukazi, weil sie

stets ein Kleid trug, das aus dem weichen Fell des

Mbulu gemacht war. Malungulazas Mutter bestürmte

ihren Mann mit Bitten, er solle Mbulukazi doch ja

nicht ihrem Freier zum Weibe geben, wenn er nicht

auch ihre Tochter heiraten wolle. So kam es, daß der

junge Mann schließlich einwilligte und beide Schwe-

stern zu seinen Frauen machte. Ehe sie das Land verließen,

bekam jede von ihrem Vater einen Ochsen

zum Geschenk; Mbulukazi einen schönen, jungen und

Malungulaza ein altes, schwaches Tier. So zogen

beide denn mit ihrem Manne, und als sie an ihrem

neuen Wohnorte anlangten, gab ihr Mann jeder eine

Hütte; Mulungulaza mußte aber mit einer zerbrochenen,

alten vorlieb nehmen, während für Mbulukazi

eine schöne, neue Hütte gebaut wurde. Malungulaza

aber ergrimmte und wurde eifersüchtig und neidisch,

so daß sie ihrer Schwester nach dem Leben trachtete.

Lange sann sie darüber nach, wie sie es wohl am

klügsten anfangen könne, Mbulukazi zu töten, ohne

daß der Verdacht auf sie fallen könne. Endlich hatte

sie einen Plan sich zurechtgelegt. Sie sprach eines

Tages zu ihrer Schwester:

»Ich habe gehört, unser Vater sei sehr krank und

man glaube, er werde sterben. Es ist daher nur richtig

von uns, zu gehen und ihn noch einmal vor seinem

Ende zu sehen.«

»Laß uns gehen,« sprach Mbulukazi, und beide

machten sich auf den Weg. Ihr Pfad führte sie an

einem steilen Abhang entlang, an dessen Fuß ein tiefer

See war. Malungulaza legte sich dicht an den

Rand des Felsens und gab vor, sie sehe etwas ganz

Außergewöhnliches in der Tiefe, das sie ihrer Schwester

zeigen müsse. Kaum aber hatte diese sich nieder-

gelegt, als Malungulaza schnell aufsprang und sie mit

geschicktem Stoß in die Tiefe stieß. Dann kehrte das

böse Weib heim zu ihrem Manne und erzählte ihm,

Mbulukazi sei noch bei ihrem Vater geblieben.

Am folgenden Tage lief der Ochse der Ermordeten

laut blökend durch das ganze Dorf, blieb schließlich

vor der Hütte Malungulazas stehen und stieß mit seinen

Hörnern so lange an dem alten, zerbröckelten

Bauwerk, bis es einfiel. Das wunderbare Gebaren des

Tieres erregte die Aufmerksamkeit der Leute, und sie

sprachen untereinander:

»Was will der Ochse uns sagen? So wild hat er

sich noch nie gebärdet!«


Afrikanische Märchen auf 668 Seiten

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