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Kapitel 2

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Da fragte ich:

»Wer ist das Weib?«

Er antwortete: »Morgen mache dich bei Sonnenaufgang

auf den Weg und gehe auf den Markt. Nimm mit

dir deine besten Sklaven; reite ein Maultier, dessen

Sattel und Zügel sehr kostbar sind, und du selber kleide

dich in deine besten Kleider. Auf dem Markte wirst

du einen alten Mann sehen, der trägt die Tracht der

Priester des Höchsten. Ihn rede an und sage ihm, daß

du seine Tochter zum Weibe begehrst. Er wird von

dir großen Reichtum fordern für seine Tochter. Gib

ihn hin; denn wenn du das Weib hast, wird dein Gut

sich mehren.« Nachdem der Affe so gesprochen hatte,

legte ich mich nieder und schlief. Am anderen Tage

tat ich, wie das Tier mir gesagt hatte, und alles kam

genau so, wie mir prophezeit worden war. Der alte

Mann gab mir seine Tochter zum Weibe, und als ich

heimkam, war ich ein verheirateter Mann. Ich erzählte

dies dem Affen. Der sprach:

»Wann wirst du dein Weib aus dem Hause ihres

Vaters holen?«

Ich sagte es ihm. Er darauf zu mir: »Wenn du in

das Haus des Mannes gehst, dessen Tochter du gefreit

hast, so wirf einen Blick in den Hof des Hauses. Zu

deiner Linken wirst du eine Türe sehen, an ihr hängt

ein Ring, den kannst du öffnen mit dem Schlüssel, der

daran hängt; tue es und gehe in den Raum. In ihm

wirst du einen großen Kasten gewahren, auf dem ein

Topf steht; in diesem ist ein Gefäß mit Wasser. Links

davon steht ein roter Hahn und rechts ein Messer,

dessen Inschrift einen Zauber ausübt. Mit diesem

Messer schlachte den Hahn und dann wasche das

Messer in dem Gefäß. Danach wirst du sehen, daß der

Kasten sich öffnet, und ein großer Schatz wird vor dir

liegen, von dem niemand weiß, daß er da ist. Er soll

dein sein; denn so will es Allah, der mich erkoren hat,

dir der Überbringer irdischen Glückes zu sein. Tue

genau, wie ich dir sagte; denn nun liegt es in deiner

Hand, glücklich oder unglücklich zu sein. Mein Auftrag

ist zu Ende, und ich werde hingehen, wo ich hergekommen

bin.«

Ich dankte dem Affen und versprach, seinen Ratschlägen

zu folgen.

Ich tat es auch. Aber man denke sich meinen

Schreck, als ich plötzlich im Nebenraum das Mädchen,

welches ich gefreit hatte, rufen hörte: »Der Affe

raubt mich, er raubt mich!«

Ich ging alsbald hin, von wo die Stimme gekommen

war, und fand, daß mein Weib fort war. Mir war

zumute, als sollte ich verrückt werden! Der Vater

meiner Frau gebärdete sich auch wie ein Wahnsinniger,

als ihm die Nachricht gebracht wurde. Gleich

einem Rasenden stürzte er auf mich los und schrie:

»Was jetzt geschehen ist, wollte er lange schon tun.

Ich litt es nicht und fesselte ihn durch den Zauber, den

du gelöst hast. Mit Tränken habe ich ihn gezwungen,

Affengestalt anzunehmen! Jetzt ist alles vorbei! Gehe

fort von mir, denn ich liebte mein Kind und traure

darum! Dich aber verfluche ich, der du an dem Unheil

schuld bist! Eile, mach', daß du fortkommst, damit ich

dir in der Bitterkeit meines Herzens kein Leid zufüge.

«

Da verließ ich den alten Mann. Nirgends aber fand

ich Ruhe, sondern irrte umher wie ein Heimatloser.

Auf meiner Wanderung kam ich in einen dichten

Wald. Überall suchte ich mein verlorenes Weib. In

dem Walde sah ich zwei Schlangen, eine weiße und

eine schwarze. Die weiße wurde von der schwarzen

verfolgt. Da tötete ich die schwarze. Die weiße verschwand,

kam jedoch bald zurück mit drei anderen

Schlangen, die ihr genau glichen. Diese vier nun

machten sich daran, den Körper der toten Schlange zu

zerstückeln, und ich hörte sie sagen: »Wir werden es

dir Dank wissen, was du uns getan.«

Danach fragten sie:

»Bist du nicht Mahomed, den sie den Trägen nennen?

« Ich bejahte es.

»Wir werden dir Dank wissen,« sagten sie wieder;

»denn wir kennen deine Geschichte und wissen, wen

du suchst. So Allah es will, wirst du dein Weib wieder

haben.«

Damit gingen sie von dannen und kehrten zurück

mit einem Manne, der war übernatürlich groß. Den

fragten sie, ob er die Geschichte meines Weibes

kenne. Er sprach:

»Ich weiß, wo sein Weib ist. Ich weiß auch, daß

der, der sie geraubt hat, kein Affe war, sondern ein

Jin, der die Gestalt eines Affen hatte annehmen müssen.

Er hatte jahrelang danach gedürstet, das Mädchen

zu besitzen; doch ein Zauber band ihn. Nun er

erlöst ist, hat er seinen Wunsch erfüllt, und er ist wieder

geworden, was er war. Er fand aber, daß die Welt

zu eng für ihn war, und deshalb ist er in die Stadt der

Nuhas gegangen.«

Als er gesprochen hatte, befahlen ihm die Schlangen:

»Trage diesen Mann hier in jene Stadt.«

Er sprach:

»Euren Befehl werde ich ausführen,« und der Mann

bückte sich, indessen die Schlangen mir halfen, auf

seinen Rücken zu steigen. Dabei sagten sie:

»Dieser Mann ist ein Marid; deshalb nenne nicht

den Namen Allahs, während er dich trägt, sonst verschwindet

er. Die Mariden vertragen es nicht, daß der

Name Allahs in ihrer Gegenwart genannt wird.«

Danach flog der Mann auf mit mir, hoch hinauf zu

den Wolken, so daß ich schließlich nichts mehr sehen

konnte von der Erde, die weit unter uns lag. Da hörte

ich in den Wolken den Gesang der Engelchöre, die

den Höchsten priesen. Zu gleicher Zeit sah ich einen

Jüngling von wunderschöner Gestalt, dessen Turban

war aus grünem Stoff geschlungen, und er trug in der

Hand ein Wurfgeschoß.

»Stimme ein in den Lobgesang,« rief er mir zu,

»oder ich töte dich mit dieser Waffe.«

Da tat ich meinen Mund auf und pries Allah. In

demselben Augenblick fühlte ich, daß ich von dem

Rücken des Mannes glitt, der mich trug, und ich sank

hinab, der Erde zu. Der Jüngling aber, der zu mir gesprochen

hatte, traf den Mann mit seiner Waffe, und

er verschwand vor meinen Augen. Ich sank weiter,

immer weiter, bis ich plötzlich fühlte, daß Wellen

über mir zusammenschlugen und mich dann wieder

hoch emportrugen. Ich war in das Meer gefallen.

Leute in einem Fischerboote gewahrten und retteten

mich. Sie gaben mir zu essen und zu trinken; aber wir

konnten uns nicht verständigen; denn sie redeten nicht

meine Sprache und ich nicht die ihre. Als wir an Land

kamen, führten sie mich zu ihrem König; der sprach

arabisch und fragte mich, woher und wohin, und ich

gab Antwort, so gut ich konnte. Danach überwies er

mich seinem Minister und befahl ihm, für mich zu

sorgen. Dieser tat es auch, und ich konnte ruhen und

mich pflegen, soviel ich wollte. Das Zimmer, in dem

ich wohnte, blickte auf einen großen Garten, durch

welchen ein schöner, wasserreicher Fluß floß. Eines

Tages überkam mich die Lust, in der klaren Flut zu

baden, und ich stieg hinab in den Garten und badete.

Hernach ging ich dem Laufe des Stromes nach, weiter,

immer weiter, ohne zu wissen oder auch nur daran

zu denken, wohin mein Weg mich führen würde.

Plötzlich rief mich eine Stimme bei Namen. Ich

wandte mich um und sah einen Reiter vor mir, der

sprach:

»Deine Wohltat soll dir belohnt werden. Kennst du

mich?« Ich wußte jedoch nicht, wer er war. Darauf

sprach der Mann weiter:

»Ich bin der Bruder der weißen Schlange und

schulde dir Dank für sie.« Und dann gebot er mir,

mich hinter ihn auf sein Pferd zu setzen.

»Wir sind nahe der Stadt Nuhas,« sprach der Mann

und im sausenden Galopp ging's vorwärts, bis wir auf

einer Anhöhe waren, von der aus ich im Tal einen

Fluß fließen sah. Dort stiegen wir ab. Als ich mich

nach meinem Führer umblickte, war er verschwunden.

Noch stand ich und bedachte, was ich wohl tun sollte,

da hörte ich meinen Namen rufen und mich grüßen.

Ich erwiderte den Gruß und sah vor mir einen Mann

stehen, der sprach:

»Ich bin ein Bruder der weißen Schlange. Wir sind

unserer drei und sind dir alle drei zu Dank verpflichtet.

Ich tue deshalb für dich, was in meinen Kräften

steht. Siehst du jene Stadt?« fuhr er fort, in das Tal

weisend. »Das ist Nuhas.«

»Wie aber,« fragte ich, »kann ich da hineingelangen?

«

Darauf gab mir der Mann ein Schwert in die Hand.

»Nimm dies,« sprach er; »die Zeichen, welche du

darauf siehst, sind Zauberformeln. Die Tore der Stadt

werden sich dir öffnen, wenn du dies Schwert in der

Hand hast. Ohne seine Zauberkraft ist es unmöglich

für Menschen, in die Stadt zu gelangen. Folge dem

Laufe des Stromes, den du von hier aus siehst, dann

wirst du bald am Ziel deiner Reise sein.«

Ich ging also den Fluß entlang, und da ich vor den

Toren von Nuhas stand, öffneten sie sich von selber.

So ging ich denn immer, mein Schwert in der Hand,

in der Stadt umher, sah alle Einwohner und wurde

doch von ihnen nicht gesehen; denn die Zauberfor-

meln des Schwertes waren von großer Macht. Lange

wanderte ich in den Straßen umher; endlich fand ich,

die ich suchte: mein Weib! Auf den ersten Blick hatte

ich die schmerzlich Vermißte erkannt, und sie sah und

erkannte mich auch sofort. Voller Freude begrüßten

wir uns.

»Wie kamst du hierher?« fragte ich sie.

»Der Affe hat mich hergebracht!« entgegnete sie,

und nun erzählte sie mir den ganzen Vorgang, wie er

seit Jahren sie zum Weibe begehrt habe, aber durch

einen Bann von ihr fern gehalten worden sei. Nun dieser

Bann gebrochen, habe er sie gezwungen, mit ihm

zu gehen von Ort zu Ort und von Land zu Land. Nirgends

aber habe er sich wohl gefühlt, als allein hier in

Nuhas, wo kein menschlich Wesen lebe. Augenblicklich

sei er verreist, fügte sie hinzu, und nun ich da sei,

sei ja alles gut, denn nun würde ich sie mit mir fortnehmen.

Dann erzählte ich ihr, wie es mir gelungen

sei, an jenen Ort zu kommen, und sie hörte mir mit

fliegendem Atem zu. Als ich geendet hatte, sagte mein

Weib: »Hier muß alles den Willen des Affen tun, der

mich geraubt hat! Aber ich will dir sagen, was du zu

tun hast, um die Jins dir untertan zu machen. Du wirst

an einer Eisenstange einen Topf hängen sehen, in dem

ist Weihrauch. Den nimm, zünde ein Feuer an und

räuchere, indessen du den Namen Allahs anrufst. Alsbald

werden alle Jins vor dir erscheinen und nach dei-

nen Befehlen fragen.«

Ich tat, wie sie mir gesagt hatte, und alsbald erschienen

Wesen vor mir, welche nichts anderes als

Jins sein konnten: Krüppel und Lahme, Klumpfüßige,

solche mit einem Arm oder mit einem Auge, und alle

waren von gleich abschreckender Gestalt.

»Wir sind deine Diener!« riefen sie, »befiehl!« Und

ich sprach:

»Wo ist der, welcher mein Weib mir geraubt hat?«

Sie antworteten:

»Er ist verreist, aber jeden Augenblick kann er

heimkehren!«

Da sprach und befahl ich:

»Bringt ihn gebunden vor mich!«

Im Nu waren sie alle verschwunden, um nach wenigen

Augenblicken zurückzukehren, den Jin in ihrer

Mitte und gebunden.

»Hast du,« redete ich ihn an, »mir mein Weib geraubt?

«

Winselnd gestand er es, meine Gnade anflehend.

Ich aber rief:

»Als Lohn für deine Übeltat werde ich dich in eine

metallene Flasche zwingen und in die See werfen.«

Ihm geschah, wie ich gesagt hatte.

Danach befahl ich den Jins, alles, was an Gold und

Goldeswert in Nuhas sei, in mein Haus zu schleppen

und schließlich mein Weib und mich in meine Heimat

zu bringen. Alles wurde mit schier unglaublicher

Schnelligkeit ausgeführt. Daheim aber war große

Freude, als wir dort erschienen, und unsere Hochzeit

wurde noch einmal gefeiert mit allem Pomp, welchen

unser Reichtum uns gestattete.

»Alle diese Dinge, großer Sultan, die ich dir bringe,

bitte ich dich anzunehmen als ein Zeichen, daß ich

ihrer niemand außer dir für würdig erachte.«

»Ich danke dir,« sprach der Sultan; »nun aber bitte

ich dich, hier in Bagdad zu bleiben; gehe nicht wieder

zurück nach Bassara!«

Darauf erwählte er Männer, wert seines Vertrauens,

sandte sie nach Bagdad und ließ alle Güter Mahomeds

von ihnen nach Bagdad bringen.

Mahomed und sein Weib aber lebten fortan in

Glück und ungestörtem Frieden noch viele Jahre daselbst.

Fußnoten

1 Dieses Sansibarmärchen ist die Wiedergabe einer

der Erzählungen aus »Eintausend und eine Nacht« in

etwas veränderter Gestalt. Die Araber haben diese

und andere Sagen nach Sansibar gebracht, und dort

sind sie je nach der Lebensweise der dort lebenden

Mohamedaner etwas umgeändert, verkürzt oder verlängert

worden. – »Trinke eine Schale Kaffee« ist in

jedem arabischen Hause das Wort, welches der Begrüßung

sofort folgt. Ein Ablehnen ist eine grobe Unhöflichkeit,

da der Kaffee beim Araber etwa Salz und

Brot des Russen vertritt. Auch das Anbieten eines

Bades gehört zur arabischen Höflichkeit und Gastfreundschaft,

sobald ein Besucher einen weiten Weg

hinter sich hat. Je reicher ein Araber ist, desto mehr

Sorgfalt verwendet er in seinem Hause auf die Baderäume,

die jeden Tag mehrfach benutzt werden. Der

Araber ist wahrscheinlich infolge seines in dieser Beziehung

wohltätigen Einflusses der Ostafrikaneger

von Sansibar und Nachbargebiet ungemein reinlich an

seinem Körper. Auch vor jeder Mahlzeit wäscht der

Araber sich die Hände, und es werden die Schalen mit

dem Wasser in vornehmen Häusern stets vor Beginn

der Mahlzeit gereicht. – Das »Kanzu« ist ein langes,

feines, durchsichtiges Hemd, welches vom Hals bis

zu den Füßen reicht und an der Brust ein wenig offen

ist. Das »Kanzu« ist oft das einzige Kleidungsstück

und seine tadellose Reinheit der Stolz seines Besitzers.

– Scheik ist eine Bezeichnung für alte arabische

Männer, meist für solche, deren Gelehrsamkeit ihnen

einen gewissen Grad von Achtung ihrer Stammesgenossen

sichert.

Sodani nannten ursprünglich die Araber die Insel

Sansibar. Der Name hat im Laufe der Zeit allerlei

Veränderungen erlitten, und ist z.B. in einem Afrika

behandelnden Buche aus dem Jahre 1619 als Zanzebar

angeführt. – Der Ruf »Hodi« an der Suaheliküste

ist gebraucht, um sich vor der Tür des Hauses, welches

man betreten will, anzumelden. Die Türen stehen

in den arabischen Häusern meist offen, und der Ankommende

hat den Ruf »Hodi« zu wiederholen, bis

jemand antwortet oder an die Türe kommt; die Antwort

lautet entweder »Hodi« oder »karibu«, d.h. »tritt

ein«. Es wäre ein arger Verstoß gegen jede gute Sitte,

einzutreten, ohne Hodi gerufen zu haben. Auch die

Suahelis halten streng auf diese Form.

Drei Worte.

Sansibarsage.

Ein Geizhals pflegte Leute, in deren Schuld er stand,

zu betrügen; deshalb war es für ihn nach und nach

schwer geworden, solche zu finden, die ihm Waren

verkauften oder Dienste leisteten.

»Er gibt uns doch nicht, was uns zukommt,« sagten

die Menschen und wollten mit ihm nichts zu tun

haben.

Eines Tages hatte der Geizhals kostbares Glas gekauft.

Da er ein schwacher, alter Mann war, konnte er

die schwere Kiste mit dem Glas nicht selber tragen

und mußte jemanden suchen, der es für ihn täte.

»Entweder bezahle ich dir deine Mühe in Geld,«

sagte er zu einem Manne, der sich zu dem Dienste bereit

erklärt hatte, »oder ich werde dir drei Worte

sagen, die dir im Leben von Nutzen sein werden.

Wähle!«

»Sage mir die drei Worte!« entgegnete der Mann.

Dann nahm er die Kiste, setzte sie sich auf seinen

Kopf1 und trug sie eine Strecke Weges. Als er sich

ausruhen wollte, sprach er:

»Herr, ein Drittel des Weges habe ich hinter mir;

gib mir eins der drei Worte zu wissen.«

Da sprach der Geizhals:

»Glaube dem nicht, der dir sagt, Sklaverei sei besser

als Freiheit.«

Der Träger nahm seinen Weg wieder auf. In seinem

Innern aber dachte er:

»Dieser Mensch ist schlimmer als ein Geizhals;

denn er ist ein arger Betrüger.«

Nach abermals einer Weile setzte er die Kiste nieder

und sprach:

»Ich will ausruhen! Sage mir das zweite Wort.«

Der Geizhals sprach:

»Sollte sich jemand finden, der dir sagt, Armut

bringe Glück, und Reichtum Unglück, so glaube es

nicht.«

Wieder hob der Mann seine Last auf den Kopf und

trug sie bis vor das Haus des Geizhalses.

»Welches ist das dritte Wort?« fragte er diesen.

»Erst setze die Kiste nieder!«

»Nein, erst sage das Wort!«

»Glaube niemandem, der es versucht, dir einzureden,

Hunger tue nicht weh,« lauteten die Worte des

Geizhalses.

»Gehe zur Seite, Herr,« rief der Träger der Kiste,

»damit ich meine Last niedersetze!« Dabei ließ er sie

mit großem Krach zur Erde fallen.

»Was hast du getan?« jammerte der Geizhals.

»Du hast mein Glas zerbrochen!«

Da sprach der Mann:

»Wenn jemand kommt, der dir sagt, es sei etwas

anderes als Scherben in der Kiste, so glaube ihm

nicht.«

Fußnoten

1 Die Sitte, Lasten auf dem Kopfe zu tragen, ist wohl

eine so ziemlich bei allen Negerstämmen übliche. Es

ist erstaunlich, welch ein Gewicht ein Schwarzer auf

diese Weise ohne Ermüdung weite Strecken tragen

kann. In Süd- und Ostafrika benutzen die Leute einen

aus Gräfern geflochtenen Teller, den sie zwischen

Schädel und Last schieben, und der vor zu großem

Drucke schützt.

Der Wind.

Eine Buschmannsage.

In früheren Zeiten war der Wind ein Mensch, und als

solcher ging er umher und schoß die Tiere des Feldes.

Da wurde er plötzlich in einen Vogel verwandelt. Da

er nun nicht mehr auf die Jagd gehen konnte, breitete

er seine Flügel aus und flog in die Berge und verbarg

sich in einer Kluft. Diese Kluft wurde seine Heimat.

Nur wenn er die Kraft seiner Schwingen üben will,

dann verläßt er die Berge und fliegt weit über die

Erde; aber die Menschen sehen es nicht, daß er ein

Vogel ist. Wenn er fliegt, dann läßt er seine Blicke

weithin schweifen und sucht sich Nahrung. Sobald er

seinen Hunger gestillt hat, kehrt er zurück in seine

Kluft, und dort schläft er, bis er gestärkt wieder erwacht

und von neuem seinen Flug über die Erde beginnt.

Die verlorenen Kinder Gottes.

Eine Madagaskarsage.

Der Erschaffer der Welt, der Geist, von dem alles

Leben ausgeht, Gott, hatte zwei Söhne. Diese stiegen

hernieder auf die Erde und nahmen zwei Pflegerinnen

mit sich; denen vertraute Gott sie an. Diese beiden

Weiber hießen Rakoriaho und Ravao. Die Söhne Gottes

aber waren eines Tages verschwunden, und Rakoriaho

und Ravao gingen aus, um sie zu suchen; aber

auch diese beiden kamen nicht wieder. Da machten

sich alle Wesen und Dinge auf der Erde auf die Wanderschaft,

um die verlorenen wiederzufinden. Die

Steine, die Bäume, die Menschen, das Wasser – alles,

was lebte und nicht lebte, suchte. Aber es half nichts;

die Vermißten kamen nicht zurück. Endlich fragten

die Menschen bei Gott an, ob er nicht sagen könne,

wo man zu suchen habe. Als Gott die Bitte der Menschen

hörte, sprach er:

»Jeder Mensch, jeder Stein, jedes Tier, jeder Baum

und das Wasser soll aufhören zu suchen und bleiben,

wo es gerade ist.«

Es waren aber manche Steine auf ihrer Wanderung

tief in das Erdinnere eingedrungen. Als nun das Wort

Gottes, welches ihnen befahl, nicht weiter zu suchen,

sie traf, blieben sie an Ort und Stelle liegen und liegen

noch dort. Auch Tiere befanden sich tief in der

Erde und mußten von nun an dort wohnen bleiben, so

der Maulwurf, die Schlange und alles Gewürm.

Auch die Bäume hatten sich teilweise in den Erdboden

verborgen; deshalb sind bis auf den heutigen

Tag ihre wurzeln darin versteckt. Andere, welche bereits

tiefer gewandert waren, blieben dort liegen. Man

findet ihrer an manchen Stellen große Mengen tief

unter der Erdoberfläche. Die Menschen waren suchend

weit über die Erde gezogen und hatten sich

nach allen Richtungen hin zerstreut. Daher kommt es,

daß es überall, in allen Ländern Menschen gibt.

Das Wasser wurde angeklagt, daß es schuld daran

trage, daß die Söhne Gottes und ihre Wärterinnen verloren

waren. Deshalb sprach Gott zu dem Wasser:

»Weder bei Tag noch bei Nacht sollst du Ruhe finden,

bis Rakoriaho und Bavao gefunden sind.«

Seitdem rauschen die Wasser unaufhörlich auf und

nieder, ohne jemals zur Ruhe kommen zu können, und

immer noch suchen sie nach den Kindern Gottes und

ihren Wärterinnen.

Viel Suchen wirbelt Staub auf.1

Eine Betschuangeschichte.

Ein Mann ging in den Wald, um Holz zu fällen. Er

suchte nach Bäumen, die gutes, gesundes Holz hatten,

aber er konnte keine finden. Schließlich erstieg er

einen hohen Felsen, und von ihm aus sah er, was er

suchte. Da nahm er einen großen Stein und rollte ihn

hinab auf den Baum zu. Der Stein rollte in die Tiefe

und schreckte einen Bock auf, welcher im Busche lag

und schlief. Der Bock lief tiefer hinein in den Busch

und traf auf einen Büffel. Der sprang auf; denn er

fürchtete sich vor dem Bock. Ein Mann aber jagte in

demselben Busch. Als der Büffel ihn sah, tötete er

ihn. Kaum war der Mann tot, so versammelten sich

Aasvögel an der Stelle. Da die Menschen von weither

die Vögel in der Luft schweben sahen, liefen sie eilends

hinzu, um zu sehen, was geschehen sei. Da fanden

sie den toten Mann, konnten aber nicht sehen,

was seinen Tod veranlaßt hatte. Sie standen um den

Leichnam herum und fragten einander:

»Woran starb dieser Mensch?«

Plötzlich gewahrten sie den Abdruck des Fußes des

Büffels.

»Ein Büffel hat ihn getötet«, riefen sie.

»Woher kam der Büffel?« fragten sie dann.

Und sie fanden, daß er aus dem Busch gekommen

sein müsse.

»Warum kam er aus dem Busch?« fragten sie wieder.

Da gewahrten sie die Fährte des Bockes.

»Woher kam der Bock, als er den Büffel erschreckte?

« fragten sie.

»Er kam aus diesem Busch!«

»Was aber hat den Bock aufgejagt?«

Sie sahen den großen Stein und fragten weiter:

»Woher kam der Stein, als er den Bock erschreckte?

«

»Von jenem Felsen!« lautete die Antwort.

»Und was hat den Stein ins Rollen gebracht?«

»Ein Mensch! Denn er suchte nach einem Baume

zum Fällen und rollte den schweren Stein gegen jenen

Baum, daß er ihn umwürfe.«

Sie sprachen weiter:

»Warum mußte er gerade diesen Baum fällen? Es

waren eine Menge anderer Bäume da. Warum mußte

er Dinge, die in Ruhe und Frieden waren, stören?«

Seitdem gibt es in Betschuanaland ein Sprichwort,

welches heißt:

»Viel Suchen wirbelt viel Staub auf.«

Fußnoten

1 In der Betschuanasage »Viel Suchen wirbelt viel

Staub auf« ist eine unverkennbare Gleichheit des Aufbaues

mit der Erzählung Goso, eine Geschichte aus

Mombassa, zu finden. Diese Übereinstimmung des

Aufbaues, der Ideen, ja der Worte der verschiedenen

Sprachen ist zwar überraschend, wenn man bedenkt,

daß die Neger Afrikas sich untereinander absolut

nicht verstehen, sowie sie verschiedenen Ländern angehören;

dennoch ist sie natürlich durch die enge Verwandtschaft,

in welcher scheinbar sämtliche Afrikaneger

zueinander stehen. Wir finden das Wort nyoko sowohl

bei den Kapkaffern, Zulus und Suahelis, bei

allen dreien heißt es: Schlange, und dennoch sind die

drei Sprachen im ganzen sehr verschieden voneinander

trotz gelegentlicher Übereinstimmungen, die nur

den gleichen Stamm bedeuten. Auch bei den im Südwesten

Afrikas wohnenden Hereros fanden sich

Worte, welche eine entschiedene Vetternschaft mit

den ostafrikanischen Stämmen zu erkennen geben, so

z.B. heißt onganga im Dialekt der Herero Zauberer,

Arzt; das Wort mganga ist dasselbe in der Sprache

der Suaheli.

Die fliehenden Kinder.1

Ein Hereromärchen.

Es waren einmal mehrere Schwestern, die gehörten

den Hereros an. Als sie mit ihren Eltern an einen

Platz gekommen waren, der sehr schöne Weiden und

viele Bäche und Flüsse hatte, fingen sie an, sich hübsche

kleine Hütten an den Ufern des Wassers zu

bauen, und in ihnen wohnten sie. Bald aber waren die

Weiden von ihrem Vieh abgegrast, und die Hereros

zogen deshalb weiter und nahmen auch ihre Kinder

mit sich. Indessen waren sie noch nicht weit gewandert,

als die Mädchen, welche sich die Hütten gebaut

hatten, beschlossen, wieder zurückzugehen; denn sie

sehnten sich nach ihrem alten Spielplatz. Deshalb

gaben sie die Lasten, welche sie zu tragen hatten, und

die in Tüchern, Kochgeräten und Schemeln bestanden,

an ihre Eltern und traten den Rückweg an. Als

sie zu ihren Hütten gekommen waren, fanden sie, daß

Bergdamaras Besitz von ihnen genommen hatten. Da

fürchteten sich die Mädchen und versteckten die älteste

Schwester. Sie hieß Cnihova. Als die Bergdamaras

die Mädchen sahen, beschlossen sie, dieselben zu

Weibern zu nehmen.

»Diese gehört mir,« sagte der eine.

»Und diese hier mir,« sagte ein anderer.

Schließlich war nur ein alter Mann übrig, der noch

keine Frau hatte. Zufällig fand er die versteckte älteste

Schwester und rief:

»Diese gehört mir!«

»Nein,« rief der Häuptling. »Sie soll auch noch mir

gehören; denn ich bin euer Häuptling.«

Dann begaben sie sich zur Ruhe. Am folgenden

Tage gingen die Damaras auf die Jagd. Nur der alte

Mann blieb zurück. »Ich werde euch bewachen,«

sagte er zu den Mädchen und legte sich quer vor die

Schwelle der Hütte. »Solange ihr hört, daß ich grrrr,

grrr, grrr sage, wißt ihr, daß ich noch nicht fest schlafe;

hört ihr mich aber pfuh, pfuh sagen, dann bin ich

fest eingeschlafen.« Da warteten die Mädchen, bis sie

den Alten »pfuh, pfuh« sagen hörten. Dann standen

sie auf, befestigten allen Zierat an den Gewändern,

damit er keinen Lärm machen konnte und horchten

noch mal, ob der Mann auch wirklich schliefe. Als sie

dessen ganz sicher waren, schritten sie über ihn fort

aus der Hütte hinaus, nahmen Asche und bestrichen

sich mit ihr gegenseitig die Gesichter.

Der Häuptling der Damaras hatte einen großen

Stein vor der Hütte liegen, den benutzte er als Sitz.

Diesen Stein nahmen die Mädchen und zerschmetterten

mit ihm den Kopf des schlafenden Mannes. Dann

gingen sie eilends fort und folgten den Spuren der

fortgewanderten Hereros; denn sie wollten nicht bei

den Damaras bleiben. Bald kamen sie an einen großen,

flachen Felsen, der wie ein Haus aussah. Vor

ihm stand das älteste Mädchen, welches Cnihova

hieß, still und rief:

»Felsen, öffne dich!«

Darauf tat der Felsen sich auf und ließ die Mädchen

eintreten, voran die, welche gerufen hatte.

Die jüngste der Schwestern hieß Cahavandye und

folgte nach. Als sie alle in dem Felsen waren, schloß

er sich wieder; aber der Raum in ihm war etwas eng

für sie alle.

»Wenn es sehr eng hier wird,« sagte Cnihova zu

ihren Schwestern, »so dürft ihr nicht schelten«.

»Wie,« rief Cahavandye, »nicht genug Raum will

er uns geben, und wir sollen nicht einmal schelten? Es

ist ein ganz abscheulicher Felsen!«

Dann schwiegen sie alle.

Als die Bergdamaras zurückkamen, fanden sie, daß

die Mädchen alle verschwunden waren und den alten

Mann getötet hatten. Sofort machten sie sich auf den

Weg, um die Entlaufenen zu verfolgen. Als sie zu

dem großen flachen Felsen kamen, konnten sie die

Spuren nicht mehr sehen und fragten einander:

»In welcher Richtung mögen sie weitergegangen

sein?«

Da hörten sie den leisen Klang der Glocke, welche

das älteste Mädchen an ihren Kleidern trug.

»Was war das?« riefen die Damaras. »War es nicht

der Klang einer Glocke? Oder war es die Stimme

eines Vogels, die wir gehört haben? Sind sie aber

fortgenommen, so war es der Klang einer Glocke, und

die Mädchen waren hier versteckt.«

Dann gingen sie wieder zurück zu den Hütten.

Sobald die Mädchen merkten, daß die Damaras

fortgegangen waren, sprach Cnihova zu dem Felsen:

»Öffne dich!«

Da öffnete er sich und ließ die Mädchen hinaustreten.

Als aber Cahavandye, die jüngste der Schwestern,

den andern folgen wollte, schloß er sich geschwind

und hielt sie gefangen.

Die Mädchen nahmen nun von dem Felsen, was die

Damaras dort hatten liegen lassen; aber ehe sie weitergingen,

baten sie den Felsen:

»Gib uns unsre Schwester! Sie ist ein Kind und hat

gesprochen wie ein Kind; ihre Worte haben kein Gewicht.

«

Aber der Felsen öffnete sich nicht. So zogen denn

die Kinder weiter und kamen nach langem Wandern

dahin, wo ihre Eltern und Freunde sich niedergelassen

hatten. Große Freude herrschte, und Feste wurden

veranstaltet, weil die Mädchen und besonders die Älteste

wiedergekommen waren. Von nun an blieben sie

stets da, wo auch ihre Eltern waren.

Cavahandye, die in dem Felsen geblieben war,

weinte bitterlich und rief fortwährend:

»Öffne dich, öffne dich! Ich habe gesprochen, wie

ein Kind redet.«

Aber der Felsen erhörte sie nicht. Wenige Tage

darauf kam ein Löwe des Weges, der rief den Felsen

an:

»Öffne dich!«

Da gehorchte der Felsen. Als Cahavandye aus der

Offnung heraustrat, verfolgte sie der Löwe; doch das

Mädchen rannte, so schnell es konnte, und erreichte

beinahe den Platz, wo es seine Mutter und Schwestern

zu finden hoffte. Da es aber vom Laufen ermattet war

und in der Schnelligkeit nachließ, wurde es doch noch

eine Beute des Löwen, der es verschlang. Als die Damaraleute

zu dem Felsen kamen und ihre Schilder und

Speere fort waren, wußten sie, daß es die Hereromädchen

gewesen waren, welche sie genommen hatten;

deshalb folgten sie ihren Spuren, aber sie erreichten

sie nicht und kehrten wieder zurück.

Fußnoten

1 Die Herero sind ein Nomadenvolk, daher in dieser

Erzählung die Rede davon ist, daß sie, sobald ihr

Vieh die Weide abgegrast hat, weiterziehen. Die älteste

Tochter genießt in jeder Hererofamilie eine besonders

bevorzugte Stellung und heißt allgemein »das

große Mädchen«. – Mit den in dieser Sage angegebenen

Lauten »grrrr, grrrr« und »pfuh, pfuh« sind jedenfalls

die Schnarchlaute, die wir mit »sägen« und »blasen

« bezeichnen, gemeint. – Eiserne Schmuckgegenstände

tragen Hereroweiber oft an ihren Röcken;

wenn sie kein Geräusch machen wollen, müssen diese

befestigt werden. Eine kleine Glockenart trägt oft die

Älteste einer Familie. – Die Herero und Damara stehen

sich stets feindlich gesinnt gegenüber; der Herero

betrachtet den Damara als tief unter sich stehend. –

Neger gehen stets einer hinter dem anderen, und es ist

rätselhaft, wie sie imstande sind, Unterhaltungen aufrecht

zu erhalten, in denen z.B. der erste und siebente

und der zweite und achte miteinander reden. In Familien

wird bei dieser Art des Gehens das Alter innegehalten.

Der kluge Schakal.1

Ein Hottentottenmärchen.

In einem Lande war eine sehr große Trockenheit;

denn es hatte lange nicht geregnet. Alle Flußbetten

waren ausgetrocknet und alle Quellen versiegt.

Da beschloß der Löwe, den Tieren vorzuschlagen,

einen Damm zu bauen, der später in der Regenzeit

das Wasser sammeln und aufbewahren sollte.

Die Tiere, welche er zu diesem Zwecke berief,

waren der Hundsaffe, der Leopard, der Schakal, die

Hyäne, der Hase und die Schildkröte.

Sie alle kamen überein, daß der Vorschlag des

Löwen ein sehr guter sei, und daß am folgenden Tage

die Arbeit begonnen werden müsse.

Am nächsten Morgen suchten sie sich einen Platz

aus, der günstig schien für ihr Unternehmen, und gingen

sofort an ihr Werk. Nur der Schakal schlich träge

umher und erklärte lachend, ihm fiele es nicht ein,

seine Nägel zu zerkratzen, um Löcher für Wasser zu

graben.

Als der Damm fertig war, fing es an zu regnen, und

nach wenigen Tagen hatten die Arbeiter die Freude,

daß das Wasser sich in großen Mengen gesammelt

hatte.

Der erste, welcher kam, um davon zu trinken, war

der Schakal. Nachdem er seinen Durst gelöscht hatte,

schwamm er in dem Wasser auf und nieder und warf

Schmutz und Schlamm hinein.

Als der Löwe davon erfuhr, wurde er sehr böse und

befahl dem Hundsaffen, am nächsten Tage den Damm

zu bewachen und sich einen Knobkirie (Stock) als

Waffe mitzunehmen.

Der Hundsaffe setzte sich in einen Busch, welcher

dicht bei dem Wasser stand, und wartete auf den

Schakal. Bald kam dieser auch. Es dauerte aber nicht

lange, so gewahrte er die Gegenwart des Hundsaffen

und erriet, was ihn hergeführt hatte.

Da er sehr wohl wußte, wie gern der Affe Honig

aß, sann er sich schnell eine List aus. Er ging unbesorgt

an dem Damme auf und nieder und tauchte hin

und wieder seine Pfoten in seinen Tontopf, den er mitgebracht

hatte, um Wasser damit zu schöpfen. Mit

dem Ausdruck höchsten Entzückens leckte er dann die

Spitzen der Finger und murmelte halblaut vor sich

hin: »Ich brauche ihr schmutziges Wasser nicht, da

ich diesen köstlichen Honig habe. Wie süß er doch

ist!«

Das war denn doch zu viel für den armen Affen,

der unmöglich länger widerstehen konnte. Er kam

langsam aus seinem Versteck hervorgekrochen und

bat den Schakal, ihm etwas von seinem Überflusse zu

geben. »Ich bin so müde und hungrig,« fügte er kläglich

hinzu; »denn der Löwe befahl mir, hier Wache zu

halten.«

Zuerst stellte sich der Schakal, als bemerke er den

Hundsaffen gar nicht; endlich aber wandte er sich um

und sagte herablassend, daß er ihn wirklich herzlich

bedauere und gern bereit sei, ihm unter gewissen Bedingungen

von seinem Honig zu geben.

Der Affe versprach willig, auf alles einzugehen.

»So gib mir deinen Knobkirie,« sagte der Schakal,

»und lasse dich von mir binden.«

Der Hundsaffe tat, was von ihm verlangt wurde,

und nach wenigen Minuten lag er an Händen und

Füßen gebunden auf der Erde.

Nun trank der Schakal vergnügt aus dem Damm,

füllte seinen Topf mit Wasser und schwamm fröhlich

auf und ab. Dabei rief er dem armen Affen hohnlachend

zu, wie dumm er doch gewesen sei, daß er sich

so leicht habe betören lassen, und daß er statt des Honigs

gern einige Schläge mit seinem eigenen Knobkirie

bekommen könne.

Nachdem der Schakal fortgegangen war, kamen die

übrigen Tiere und waren nicht wenig erstaunt, den

Affen in diesem elenden Zustande zu finden.

Der Löwe war empört, als er den ganzen Vorgang

erfahren hatte, ließ den Affen streng bestrafen und erklärte

ihn für einen leichtsinnigen Toren.

Da trat die Schildkröte hervor und bot sich an, den

Schakal einzufangen.

Anfänglich glaubten die Tiere, sie scherze nur; als

sie aber sagte, welche List sie sich ersonnen habe,

fand man ihren Plan ungemein klug und nahm ihn an.

Die Schildkröte ließ sich nun ganz und gar mit

einer klebrigen, wachsartigen Masse bestreichen, welche

man außerhalb der Bienenstöcke findet; dann ging

sie an den Eingang zum Damm und legte sich davor.

Am folgenden Tage näherte sich der Schakal mit äußerster

Vorsicht dem Wasser und war sehr erstaunt,

jemanden in der Nähe vorzufinden. »Wie freundlich,

mir den schönen schwarzen Stein wie einen Tritt hier

hinzulegen!« rief er, als er die Schildkröte sah.

Kaum aber hatte er auf den vermeintlichen Stein

getreten, klebte er fest und sah nun, daß man ihm eine

Falle gestellt hatte; denn die Schildkröte steckte nun

ihren Kopf hervor und fing an sich zu bewegen.

Der Schakal hatte seine Hinterfüße noch frei und

bedrohte die Schildkröte, ihren Panzer zu zertreten,

falls sie ihn nicht frei gäbe.

»Tue was du willst,« sagte diese. Darauf sprang

der Schakal mit aller Macht mit den Hinterfüßen auf

die Schildkröte; zu seinem Entsetzen aber mußte er

gewahren, daß diese nun auch festklebten.

»Schildkröte,« sagte er, »meine Zähne sind noch

frei. Ich werde dich lebendig verzehren, wenn du mich

nicht befreist!«

»Tue, wie du willst!« war wiederum die Antwort.

Sofort biß der Schakal auf das Tier unter ihm ein,

aber – nun waren nicht nur seine Füße, sondern auch

sein Kopf gefangen.

Die Schildkröte war überglücklich und stolz, daß

ihre List so vorzüglich gelungen war. Deshalb bewegte

sie sich langsam aufwärts das Ufer entlang, damit

alle Tiere, wenn sie zum Wasser kämen, gleich sehen

könnten, wie sie den Schakal gefangen hatte.

Allgemein wurde denn auch die kluge Schildkröte

gelobt und bewundert, während erneutes Gespött sich

über den unglücklichen Hundsaffen ergoß.

Der Löwe verurteilte den Schakal zum Tode und

bestimmte, daß die Hyäne den Spruch vollziehen sollte.

Der Schakal bat um Gnade; da er aber bald einsehen

mußte, daß alles Flehen umsonst war, wandte er

sich an den Löwen, von dem er, wie er sagte, ja nur

Gutes und Gerechtes kenne, und bat, ihm wenigstens

zu erlauben, sich die Art seines Todes selber zu wählen.

Als der Löwe hierauf einging, bat der Schakal,

man möchte seinen Schwanz doch ganz glatt rasieren

und mit Fett einreiben; darauf solle die Hyäne ihn an

diesem zweimal in der Luft schwingen und seinen

Kopf an einem Steine zerschellen. Der Löwe sah keinen

Grund, dem Schakal seine Bitte nicht zu gewähren,

und befahl sogleich, in seiner Gegenwart zur

Ausführung des Urteils zu schreiten.

Als die Hyäne den listigen Schakal kaum von der

Erde hochgehoben hatte, entglitt ihr der glatte, eingefettete

Schwanz, und das Tier rannte, so schnell es

konnte, davon. Sofort machten sich alle Tiere an seine

Verfolgung; ihnen voran lief der Löwe.

Es währte nicht lange, so hätte er den Schakal eingeholt;

doch dieser brach zwischen einem Felsen und

einem über diesem hängenden mächtigen Steinblock

durch und rief dem Löwen zu, er möchte doch kommen

und ihm helfen, den Block im Fallen aufzuhalten,

da dieser sie beide sonst im Sturz zermalmen würde.

Der Löwe stemmte sich mit seiner ganzen Kraft gegen

den großen Stein und klemmte sich dadurch fest in die

enge Spalte ein.

»Jetzt laß mich gehen und eine Stütze für den Felsen

holen,« sagte der Schakal zum Löwen, »damit du

wieder hier herauskommen kannst. Ich helfe dir

dann.« Mit diesen Worten kroch der Schakal hervor

und ließ den Löwen stecken, der nun verhungern

mußte.

Fußnoten

1 In Hottentotten- und Kafferngeschichten vertritt der

Schakal vielfach unseren Reineke, ebenso wie in Suahelisagen

der Hase oder das Kaninchen diese Rolle

übernehmen.

Treue Liebe.

Ein Märchen vom See Nyassa, erzählt von einem

Mädchen des Mkiputa-Stammes.

Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die sich

sehr lieb hatten.

»Wenn ich einmal sterben werde,« sagte der Mann

zur Frau, »so werde ich doch wieder zu dir zurück

kommen; denn ich liebe dich sehr!« Dasselbe sagte

die Frau zu dem Manne.

Nach einigen Jahren wurde der Mann krank und

starb. Da kamen viele Leute zu der Frau, um mit ihr

zu klagen und zu weinen. Die Frau aber fühlte sich

getröstet, wenn sie an die Worte ihres Mannes und an

sein Versprechen dachte; deshalb weinte sie auch

nicht. Als nun der Tote begraben war, blieb sie allein

an dem Grabe sitzen und ließ sich nicht überreden

heimzukehren. Bald sah sie, wie das Grab sich öffnete

und der Verstorbene herauskam. Die Frau war glücklich,

ihren Mann wieder zu haben, und kehrte mit ihm

heim zu ihrer Hütte.

Die Mutter der Frau aber saß daheim, weinte und

trauerte, bis der Abend kam; da hörte sie ein fröhliches

Lachen und erkannte die Stimme ihrer Tochter.

»Wie kannst du lachen?« rief sie ihr zu, »da doch

dein Mann gestorben ist?«

»Er ist nicht tot, er lebt!« entgegnete die junge Frau

und hieß ihre Mutter in die Hütte treten. Da sah diese,

daß ihre Tochter die Wahrheit geredet hatte.

Nicht lange darauf erkrankte die F r a u und starb.

Alle ihre Nachbarn und Freunde weinten laut, nur ihr

Mann blieb ruhig; denn er gedachte des Versprechens,

welches seine Frau ihm gegeben hatte.

Am folgenden Tage wurde sie begraben, und ihr

Mann blieb hernach allein an ihrem Grabe sitzen und

sang. Nach einem Weilchen sah er, wie das Grab sich

öffnete und die Verstorbene heraustrat. Da umarmte

er sie und ging mit ihr heim.

Am Abend kam die Mutter der Frau und fand diese

mit ihrem Manne fröhlich lachend vor der Tür ihrer

Hütte sitzen. Da freute sie sich sehr, ging hin und erzählte

allen Nachbarn, was geschehen war, und sie

waren froh mit ihnen.

Das Kind und der Regen.

Ein Nyassamärchen.

Es waren einmal einmal ein Mann und eine Frau, die

starben und ließen zwei Kinder zurück.

In dem Lande, in welchem die Kinder lebten,

herrschte große Trockenheit. Man hatte schließlich

keinen Tropfen Wasser mehr; trotzdem gab es noch

viel zu essen. Eines Tages spielten die Kinder, welche

keine Eltern mehr hatten, mit anderen Kindern und

taten sich Mehl in ihre Kochtöpfe und wollten kochen;

aber es fehlte ihnen an Wasser. »Wenn ihr niemandem

etwas sagen wollt,« sagte ein Kind zu den

Gespielen, »so werde ich euch etwas zeigen.«

»Wir sagen nichts,« versprachen die Kinder.

Darauf ließ das Mädchen, welches zuerst gesprochen

hatte, alle Wasserkrüge auf einen Fleck nebeneinandersetzen,

stellte sich in ihre Mitte und blickte

auf zum Himmel. Dort waren einige kleine Wolken,

die fingen alsbald an sich zusammenzuziehen, und es

fiel ein wenig Regen gerade in die Kochtöpfe hinein.

Da kochten die Kinder ihre Speise, aßen davon und

brachten das übrige hinein.

»Woher habt ihr das Wasser bekommen?« fragten

die Väter der Kinder.

Aber diese schwiegen still und verrieten nichts.

Am nächsten Tage gingen sie wieder zu ihrem

Spielplatz. Da fragte das Mädchen, welches den

Regen gemacht hatte:

»Hat einer von euch mein Geheimnis verraten?«

»Niemand,« antworteten sie.

Ein Mädchen unter ihnen aber hatte sich eine List

ausgesonnen und zwei Wassertöpfe mitgebracht. Den

einen versteckte es im Gebüsch.

Wieder blickte das andere Kind auf zum Himmel

und hieß ihre Gespielen schnell ihre Wasserkrüge um

sie herumzusetzen.

Da kam eine große Wolke, die gab vielen Regen,

aber der Regen fiel nur in die aufgestellten Krüge.

Als es aufgehört hatte zu regnen, goß das Kind,

welches zwei Krüge hatte, einen Teil des Wassers

heimlich in den Krug, den es im Busche versteckt

hatte. Bald darauf, als sie fertig gekocht und gegessen

hatten, gingen sie heim. Da es Nacht war und alles

schlief, ging das Kind zu seiner Mutter, weckte sie

und sprach:

»Ich habe dir etwas zu erzählen; erst aber versprich,

daß du es niemandem weiter sagst.«

Sie antwortete:

»Erzähle, mein Kind!«

Darauf faßte das Kind seine Mutter bei der Hand

und führte sie dahin, wo sie den Topf mit dem Wasser

versteckt hatte.

Die Frau erzählte die Geschichte von dem wunderbaren

Regen einer anderen und diese wieder einer anderen,

bis schließlich der Sultan davon hörte.

Der Sultan schickte sofort zu seinem Vezier und

befragte ihn in der Angelegenheit.

»Laß uns Brunnen graben,« sprach der Vezier, und

alsbald wurden viele und tiefe Brunnen gegraben.

Als die Brunnen fertig waren, ließ der Sultan das

Kind, welches den Regen gemacht hatte, holen, gab

ihm vielen Schmuck und sprach: »Laß Regen für

mein Land herniederfallen.«

Das Kind sprach zu dem Sultan und den Leuten,

welche sich um ihn versammelt hatten:

»Geht weiter fort von mir!«

Sie alle aber weigerten sich, diesen Worten zu gehorchen.

Endlich blickte das Kind auf zu den Wolken, deren

eine Menge am Himmel standen. Sofort ergoß sich

unendlicher Regen auf das Land, und es blitzte und

donnerte, so daß alle Menschen erschraken. Dabei

sahen sie, wie inmitten von Blitz und Donner das

Kind vor ihren Blicken von der Erde fortgenommen

wurde und in den Wolken verschwand.

Der Löwe und der Schakal.1

Ein Hottentottenmärchen.

Der Löwe und der Schakal kamen einstmals überein,

daß sie auf Jagd gehen und die Beute miteinander teilen

wollten, damit sie für sich und ihre Familien für

die Regenzeit einen guten Vorrat hätten.

Da der Löwe von den beiden bei weitem der beste

Jäger war, so schlug der Schakal vor, daß sie sich in

die Arbeit teilen wollten. Der Löwe sollte jagen, während

der Schakal mit seiner Frau das Erlegte in die

Höhlen schleppte, das Fleisch zubereitete und trocknete.

Es verstünde sich von selbst, fügte der Schakal

hinzu, daß er die Frau des Löwen und seine Kinder

reichlich mit Nahrung versehen würde.

Auf diesen Vorschlag ging der Löwe ein, und die

Jagd begann.

Nachdem er eine überaus reiche Beute an Wild

aller Art gemacht hatte und längere Zeit von den Seinen

abwesend gewesen war, kehrte er heim. Schon auf

dem Wege freute er sich auf die Mahlzeit, welche ihn

dort erwartete. Zu seinem Staunen fand er sein Weib

und seine Kinder dem Hungertode nahe. Der Schakal

hatte ihnen stets nur armselige Brocken von seinem

Überfluß gegeben und sich immer damit entschuldigt,

daß das Jagdergebnis wider Erwarten schlecht sei. Inzwischen

aber schwelgte seine eigene Familie.

Der Löwe war wütend. Sofort trabte er los, schwur

dem nichtswürdigen Schakal und seinen Angehörigen

einen sicheren Tod, wann und wo er sie treffen würde.

Der Schakal hatte sich inzwischen schon auf alles

vorbereitet. Er war mit allem, was er sein eigen nannte,

auf einen hohen Felsen gegangen, zu dessen Spitze

nur ein äußerst schwieriger, geheimer Pfad führte.

Als der Schakal den Löwen sah, rief er ihm sofort

von seiner sicheren Höhe einen freundlichen »Guten

Morgen, Onkel!« zu. Der Löwe aber brüllte ihm mit

weithin donnernder Stimme zu:

»Wie kannst du es wagen, mich Onkel zu nennen,

du frecher Schurke, nachdem du dich so schamlos

gegen meine Familie benommen hast!«

»O Onkel, Onkel, wie kann ich dir das alles erklären!

« jammerte der Schakal. »Das scheußliche Weib,

dies gräßliche Geschöpf!«

Bumm! bumm! bumm! hörte der Löwe, als der

Schakal mit einem Stock auf eine getrocknete Tierhaut

schlug und seine Frau ein klägliches Geheul an-

stimmte, als wäre es ihr Rücken, der die Schläge

bekam; auch die kleinen Schakals stimmten ein.

»Das Scheusal!« schrie der Schakal immer wieder.

»Es ist einzig und allein ihre Schuld! Ich schlage sie

tot! tot! tot!«

Schließlich war der Löwe so gerührt durch das entsetzliche

Geheul, welches er oben auf dem Felsen

hörte, daß er den Schakal bat, mit seiner Züchtigung

innezuhalten. Da lud der Schakal den Löwen ein,

doch zu ihm heraufzukommen, um bei ihm zu essen.

Nach verschiedenen vergeblichen Versuchen, die steile

Höhe zu erklimmen, erklärte der Löwe, er müsse es

aufgeben.

Der Schakal aber, der stets Rat wußte, war auch

jetzt in keiner Verlegenheit. Er schlug vor, seinen

Onkel an einem langen Riemen hinaufzuziehen. Der

Löwe stimmte zu, und die ganze Schakalfamilie zog

aus Leibeskräften. Als der Löwe halb in die Höhe gezogen

war, wurde der Riemen zerschnitten, so daß der

Löwe mit großem Geräusch in die Tiefe fiel und sich

arg verletzte. Wiederum schlug der Schakal auf die

Tierhaut, daß es weithin tönte, schalt seine Frau, daß

sie ihm solch alten, schlechten Riemen gegeben habe,

und diese, wie ihre Kinder heulten so kläglich, daß

der Löwe nicht anders konnte, als sie bedauern.

Darauf rief der Schakal seiner Frau zu, sie solle

ihm diesmal einen schönen, starken Riemen aus Büf-

felhaut reichen, der jedwedes Gewicht würde halten

können.

Dieser wurde hinuntergelassen und der Löwe in die

Höhe gezogen. Schon war er so weit, daß er gerade

über den Rand des Abgrundes in die gefüllten

Fleischtöpfe sehen und das Fett riechen konnte, als

wiederum der Riemen zerschnitten wurde. Diesmal

sauste der Löwe mit solcher Macht auf die Erde, daß

er mehrere Minuten bewußtlos liegen blieb.

Als er wieder zu sich gekommen war, rief der Schakal

ihm mit wehleidiger Stimme zu, er fürchte, alle

Versuche, den lieben Onkel bei sich oben zu haben,

seien vergebens; doch könnte man nicht, fragte er

freundlich, ein schönes, zartes Bruststück vom Elentier

braten und ihm hinunterwerfen? Der Löwe, dem

alle Glieder schmerzten, und der überaus hungrig war,

ging auch hierauf ein und wartete gierig auf den Lekkerbissen.

Inzwischen machte der Schakal einen Stein

glühend rot, legte Fett darum und gab ihm den Anschein

eines schön gebratenen Stückes Fleisch.

Als der Löwe dies sah, öffnete er seinen großen

Rachen, so weit er konnte, und der Schakal warf ihm

die glühende Masse mit wohlgezieltem Wurf hinein.

Wenige Augenblicke darauf war der Löwe tot. Natürlich

herrschte große Freude bei der Schakalfamilie auf

dem Felsen.

Fußnoten

1 In Hottentotten- und Kafferngeschichten vertritt der

Schakal vielfach unseren Reineke, ebenso wie in Suahelisagen

der Hase oder das Kaninchen diese Rolle

übernehmen.

Die Löwin und der Strauß.

Ein Betschuanamärchen.

Eines Tages brüllte eine Löwin; darauf ließ ein

Strauß seine Stimme hören und brüllte auch. Als die

Löwin dem Platze nahe gekommen war, wo der

Strauß stand, sprach sie zu diesem:

»Bitte, brülle noch einmal!«

Dies tat der Strauß, und die Löwin fand, daß ihre

beiden Stimmen einander glichen; deshalb sagte sie

zu dem Strauß:

»Du bist meinesgleichen; laß uns zusammen auf

Jagd gehen.«

Als sie jagten und viel Wild sahen, erlegte aber die

Löwin nur ein einziges Stück, während der Strauß,

indem er nach seiner Beute schlug, eine große Menge

mit seiner großen Klaue tötete.

Da sie nun müde und hungrig waren, rief die

Löwin ihre Jungen und legte sich mit ihnen in den

Schatten eines Baumes.

»Mache das Fleisch zurecht,« sprach sie zum

Strauß, »und laß uns essen.«

»Tue du es,« entgegnete der Strauß; »ich will nur

das Blut haben.«

Da aß die Löwin mit ihren Jungen das Fleisch, und

der Strauß trank das Blut.

Dann legten sie sich schlafen; aber die jungen

Löwen spielten umher. Als der Strauß schlief, öffnete

er den Schnabel, und die kleinen Löwen traten an ihn

heran und sahen, daß er keine Zähne hatte; sofort gingen

sie zu ihrer Mutter, weckten sie und sprachen:

»Dieser Bursche dort will deinesgleichen sein und

hat keine Zähne. Das ist eine Beleidigung!«

Als die Löwin dies gehört hatte, stand sie auf,

weckte den Strauß und sprach: »Laß uns kämpfen!«

Und sie kämpften.

Da sagte der Strauß zur Löwin:

»Stelle du dich auf diese Seite des Ameisenhaufens;

ich werde mich auf jene Seite stellen.«

Nun schlug er gegen den Ameisenhügel und warf

der Löwin die Erde ins Gesicht. Danach tötete er sie

mit seiner Klaue durch einen Schlag in ihre Leber.

Eine Zulukindergeschichte.

Einstmals erhob sich ein gewaltiger Sturm, der trug

eine Schar Kinder in die Wüste. Unter ihnen war auch

ein kleiner Knabe, der hieß Tsegana-nkokopana.

Als es einmal in der Wüste anfing zu regnen, sagte

er zu den Mädchen:

»Wenn ich zu dem Stroh sage, es soll zu einer

Hütte werden, so wird es meinen Worten folgen.«

»Tue es!« sprachen die Mädchen.

Er tat es, und aus dem Stroh wurde eine Hütte.

Als es Nacht wurde, kam ein Menschenfresser, der

wollte alle Kinder verschlingen. Sie fürchteten sich

und kletterten eiligst auf einen hohen Baum, welcher

nahe der Hütte stand, und sagten zu diesem:

»Falle nicht!«

Der Menschenfresser kam an den Baum und fing

an, ihn zu zersägen, aber er fiel nicht um; deshalb

ging der Mann am folgenden Tage fort.

Darauf kam ein großes Wesen, wie die Kinder noch

nie ein ähnliches gesehen hatten, das nannten sie Pukhupukhu

und freuten sich darüber.

»Pukhu-pukhu,« riefen sie, »komm her, komm her

und gehe mit uns!«

Pukhu-pukhu kam, nahm die Kinder und brachte

sie ihren Eltern wieder. Als er mit den Kindern zum

Eingange des Kraals gekommen war, zu dem sie gehörten,

stand er still. Da kam die Mutter von Tsegana-

nkokopana und warf Asche über ihn. Darauf nahten

noch andere Frauen, und Pukhu-pukhu sprach zu

ihnen: »Sagt euren Leuten, sie sollen mir rote Erde

und blaue Steine bringen, und laßt sie Matten ausbreiten

bis an das Tor des Kraals.«

Das taten sie, und er gab jeder Mutter ihr Kind

wieder.

Aber den kleinen Tsegana-nkokopana nahm er wieder

mit sich, weil seine Mutter Asche auf ihn geworfen

hatte, und gab ihm den Menschenfresser; der verschlang

ihn.

Der kleine Rotbauch.1

Eine Geikageschichte.

Es war einmal ein kleiner Knabe, der hieß Rotbauch.

Eines Tages ging er ins Feld, um es zu bearbeiten.

Während er fleißig war und die Sonne warm schien,

wurde er durstig; deshalb ging er zu einem Teich und

trank aus ihm.

Seine Mutter aber kam plötzlich zu ihm und sagte:

»Trinke nicht aus diesem Teiche; denn du weißt

nicht, wem er gehört.«

Er aber entgegnete:

»Ich will daraus trinken!«

Die Mutter des Knaben sprach:

»Der Eigentümer des Wassers wird dich töten!«

»Das tut nichts!« entgegnete Rotbauch.

»Gut! so gehe ich fort von dir!«

Damit ließ sie ihn allein, und der Knabe trank von

dem Wasser.

»Warum hast du von meinem Wasser getrunken?

Hat deine Mutter dir nicht gesagt, daß du es nicht tun

sollst?« fragte da plötzlich der Eigentümer des Teiches,

der ein großes, häßliches Tier war. Dann verschluckte

es den Knaben und ging fort. Als es zu dem

Teiche kam, in dem es lebte, fühlte es das Gewicht

des verschlungenen Knaben in seinem Magen und

konnte nicht in das Wasser gehen. Da kam ein großer

Frosch und rief:

»Habe ich dir nicht gesagt, daß du nicht den verschlingen

mußt, der dein Wasser trinkt? Nun mußt du

sterben, und dann ist niemand da, der uns beschützen

kann!«

Nachdem der Frosch so geredet hatte, sprang er in

das Wasser zurück.

Gegen Abend sagte das Ungeheuer:

»Mein Leib schmerzt mich!«

Da kamen alle Tiere aus dem Teiche zu ihm, und es

sprach:

»Hört, was ich euch sage! Ihr alle seid hier zurück-

gelassen, wenn ich sterbe und habt keinen Freund!«

Danach starb es. Aber der kleine Rotbauch lebte

noch in dem Magen des toten Tieres. Er nahm sein

Messer, schnitt ein Loch in den Körper des Tieres und

kam ganz fröhlich zum Vorschein. Dann ging er

heim.

»Sagte ich dir nicht, daß ich nicht sterben würde?«

sagte er zu seiner Mutter.

»Mein Kind, wie konnte ich wissen, wie sicher du

dich bergen würdest!« erwiderte sie.

Danach blieb Rotbauch immer bei seinen Eltern.

Fußnoten

1 Diese Geikaerzählung ist eine der vielen Bantusagen

des Südens von Afrika, in der ein Ungeheuer eine

Rolle spielt, welches Menschen und Tiere verschlingt,

ohne sie zu töten. Der Name »Rotbauch«, Siswana

Sibonwana, ist ein Negername, der als solcher nichts

Sonderbares bietet, denn Neger sind erfinderisch in

den sonderbarsten Namenzusammenstellungen; so leiten

sie oft die Namen ihrer Kinder von Ereignissen

her, die an sich ganz unbekannt sind, die an dem Tage

der Geburt geschehen sind; hat das neugeborene Kind

irgend ein besonderes körperliches Abzeichen, so gibt

dies ihm sofort den Namen. Jedes beliebige Ding wird

als Name verwandt, z.B. manzi = Wasser, kaya =

Haus bei den Kaffern, ongokero = Tod, okasen =

Zwiebel bei den Herero, heri = Glück, kiroboto =

Floh bei den Suaheli, und in dieser Art ist es mit der

Namengebung bei allen schwarzen Völkern Afrikas.

Der verwandelte Kürbis.

Zulumärchen.

Ein Mann und eine Frau hatten ein großes Kürbisfeld.

Eines Tages holte sich die Frau einen besonders schönen

Kürbis, um ihn zu kochen. Als sie ihn in ihre

Hütte getragen hatte, wollte sie ihn gleich zurechtmachen.

Da hörte sie plötzlich eine Stimme, die aus dem

Kürbis herauskam und sprach: »Laß mich leben!

Kochst du mich, so koche ich dich! Laß mich leben!

Kochst du mich, so koche ich dich!«

Diese Worte wiederholte er fortwährend. Am liebsten

hätte die erschrockene Frau ihn wieder auf das

Feld gebracht, von dem sie ihn geholt hatte; aber ihr

Mann arbeitete dort, und sie wußte recht gut, daß der

sie nur auslachen würde, wenn sie ihm die sonderbare

Geschichte von dem sprechenden Kürbis erzählte.

Deshalb dachte sie, es wäre am klügsten, recht hurtig

bei ihrer Arbeit zu sein, und lief hinaus zur nahen

Quelle, um Wasser zum Kochen zu holen. Kaum aber

hatte sie ihre Hütte verlassen, als der Kürbis sich in

das Kind der Frau verwandelte, welches am Boden

lag und schlief. Aus dem Kinde indessen wurde ein

Kürbis, genau so schön und groß und schwer, wie

der, welchen die Frau vom Felde geholt hatte. Als sie

nach wenigen Minuten wieder in die Hütte trat, setzte

sie schnell das Wasser auf das Feuer, schärfte sich ihr

Messer und ging eiligst daran, den Kürbis zu zerschneiden.

Der fing sofort wieder an zu sprechen und

rief:

»Laß mich leben! Schneidest du mich, so schneide

ich dich! Laß mich leben! Schneidest du mich, so

schneide ich dich!«

Dieselben Worte wiederholte er die ganze Zeit, bis

er in lauter kleine Stücke zerteilt war; dann warf ihn

die Frau in das kochende Wasser und lief schnell hinaus

zu ihrem Manne, um ihm alles zu erzählen.

Er wollte ihren Worten zwar nicht glauben, kam

aber doch mit zurück zur Hütte, um den sonderbaren

Kürbis zu sehen.

»Was ist das?« rief die Frau, sobald sie wieder in

der Hütte war; denn auf der Erde, an der Stelle, wo ihr

Kind gelegen hatte, lag ein Kürbis, und das Kind war

nirgends zu finden.

Der Mann hob inzwischen den Deckel des Kochtopfes

hoch, und siehe da, aus dem kochenden Wasser

hüpfte frisch und munter ihm sein Kind entgegen!

»Ich bin am Leben!« sprach es. »Ein andermal aber

darf meine Mutter nicht die Worte verachten, die zu

ihr gesprochen sind, selbst wenn es nur ein Kürbis ist,

der sie sagt.«

Der Mann und die Frau waren von Herzen froh,

daß sie ihr Kind wieder hatten, und alle drei gingen

zusammen auf das Kürbisfeld und trugen den großen

Kürbis wieder an den Ort, auf dem er gewachsen war.

Eine Tierfabel der Somalineger.1

Einstmals gingen der Löwe, die Hyäne und der Fuchs

auf die Jagd, und sie fingen ein Schaf. Als sie die

Beute teilen wollten, rief die Hyäne: »Mir gehört das

Hinterteil; der Löwe mag das Vorderteil des Schafes

behalten, und der Fuchs soll die Eingeweide und die

Füße bekommen.« Da wurde der Löwe wütend, hob

seine Tatze auf und schlug der Hyäne ein Auge aus.

»Teile du!« wandte er sich dann zum Fuchs.

»Kopf, Füße und Eingeweide gehören der Hyäne

und mir,« sagte der erschrockene, schlaue Fuchs.

»Wer hat dich gelehrt, so zu sprechen?« fragte der

Löwe erstaunt.

»Das Auge der Hyäne!« entgegnete der Fuchs.

Fußnoten

1 Die Somalineger gehören seit vielen Jahrhunderten

bereits zum großen Teil der Religion Mohameds an,

da die Lage ihres Landes am Golf von Aden sie mit

den Arabern in vielfache Verbindung brachte. Sie

sind kriegerisch und grausam und haben verhältnismäßig

einen sehr geringen Schatz an Sagen; auch

sind die wenigen, welche man kennt, meist von gewalttätiger

Tendenz.

Ein Zulumärchen von der Hyäne.1

Eine Hyäne hatte einstmals einen Knochen gefunden,

nahm ihn in ihr Maul und lief damit ans nahe Wasser,

um dort ihre Mahlzeit zu verzehren. In dem klaren

Spiegel des Wassers sah sie den Mond wie ein

großes Stück Fleisch vor sich. Gierig schnappte sie

danach und ließ dabei die Knochen auf den Boden

fallen. Das vermeintliche Stück Fleisch auf dem

Grunde des Wassers konnte sie nicht erhaschen; aber

jedesmal, wenn sie danach tauchte und schnappte,

wurde das Wasser trübe, und die enttäuschte Hyäne

legte sich dann geduldig an das Ufer, um zu erwarten,

bis es wieder klar und ruhig geworden war; dann begann

sie ihr gieriges Spiel von neuem. Inzwischen

kam eine andere Hyäne und nahm den verschmähten

Knochen fort. Nach und nach fanden sich auch andere

Tiere ein, die lachten die Hyäne aus, als sie sahen,

wie sie immer wieder in das Wasser tauchte, nach

dem Spiegelbilde des Mondes haschte und wieder

herauskam, indessen ihr das Wasser aus dem Munde

lief.

Noch jetzt sagt man spottend zu einem, der das

Gute fortwirft, um nach Besserem zu haschen, ohne

es schließlich zu gewinnen: »Du gleichst der Hyäne,

die den Knochen verachtete und nach dem Monde

haschte.«

Fußnoten

1 Dieses Zulumärchen erinnert in seiner Moral wunderbar

an Äsop, auch an Lessing und La Fontaine, –

wiederum ein Beweis der übereinstimmenden Phantasie

des Menschen zu allen Zeiten und in allen Ländern.

Wie es kommt, daß die Nase des Hasen

gespalten ist.1

Ein Hottentottenmärchen.

Der Mond sandte einst ein Insekt zu dem Menschen

und sprach zu ihm: »Sage dem Menschen, der Mond

sende ihnen folgende Worte: ›Wie ich sterbe und im

Sterben noch lebe, werdet auch ihr sterben und

leben.‹«

Da machte das Insekt sich auf mit der Botschaft.

Unterwegs traf es den Hasen; der hielt es an und fragte:

»Wohin gehst du?«

Das Insekt antwortete:

»Der Mond hat mir befohlen, zu den Menschen zu

gehen und ihnen zu sagen: Der Mond sendet ihnen

folgende Worts: ›Wie ich sterbe und im Sterben noch

lebe, werdet auch ihr sterben und leben.‹«

Da sprach der Hase: »Laß mich hingehen; ich laufe

besser.«

Dann lief er davon. Als er zu den Menschen kam,

sagte er: »Der Mond läßt euch sagen: ›Wie ich sterbe

und vergehe, so werdet auch ihr sterben und vergehen

und nicht mehr sein.‹«

Darauf lief der Hase zum Mond und erzählte ihm,

was er den Menschen gesagt hatte.

Der Mond wurde böse, als er dies hörte, und

sprach zu dem Hasen:

»Wie kannst du dem Menschen sagen, was ich dir

nicht aufgetragen habe?« Und er schlug ihn mit einem

Scheit Holz auf die Nase, daß sie sich spaltete.

Fußnoten

1 W i e e s k o m m t , d a ß d i e N a s e d e s

H a s e n g e s p a l t e n i s t (Hottentotten);

W a r u m e s g u t i s t , d a ß d i e M e n -

s c h e n s t e r b e n (Sage vom Viktoriasee); S a g e

v o m C h a m ä l e o n (Haussastamm); W a r u m

d e r M e n s c h s t i r b t (Goldküste); W i e d e r

T o d i n d i e W e l t k a m (Zulu) sind alles

Sagen des gleichen Inhaltes in mehr oder minder veränderter

Form. Eine wunderbare Gleichheit der Mythologie

der Bantuvölker in dem weiten afrikanischen

Gebiet ist in diesen Sagen enthalten, in allen liegt der

tiefe Gedanke an die Vergänglichkeit alles Bestehenden.

Warum es gut ist, daß die Menschen sterben.1

Eine Sage der Eingeborenen vom Viktoriasee.

Im Anfange gab es auf der Erde zwei Menschen,

einen Mann und eine Frau. Die Frau hieß Mbaele, der

Mann Kassangero. Diese beiden ersten Menschen hatten

viele Kinder, die wiederum Kinder bekamen. Der

Mann Kassangero wünschte, daß alle seine Kinder

und ihre Nachkommen für immer am Leben bleiben

sollten; aber sein Weib riet ihm ab, zur Erfüllung dieses

törichten Wunsches Medizin zu machen. Wenn

der Menschen zu viele würden, meinte sie, könnten

sie keinen Platz finden, um Felder zu bauen, und kein

Holz zum Feuer, um ihr Essen zu kochen. Da gab der

erste Mann sein Vorhaben auf und ließ die Menschen

sterben.

Fußnoten

1 W i e e s k o m m t , d a ß d i e N a s e d e s

H a s e n g e s p a l t e n i s t (Hottentotten);

W a r u m e s g u t i s t , d a ß d i e M e n -

s c h e n s t e r b e n (Sage vom Viktoriasee); S a g e

v o m C h a m ä l e o n (Haussastamm); W a r u m

d e r M e n s c h s t i r b t (Goldküste); W i e d e r

T o d i n d i e W e l t k a m (Zulu) sind alles

Sagen des gleichen Inhaltes in mehr oder minder veränderter

Form. Eine wunderbare Gleichheit der Mythologie

der Bantuvölker in dem weiten afrikanischen

Gebiet ist in diesen Sagen enthalten, in allen liegt der

tiefe Gedanke an die Vergänglichkeit alles Bestehenden.

Die Sage vom Chamäleon.1

Eine Geschichte des Haussastammes im Innern

Afrikas.

Der große Geist sandte einst das Chamäleon zu den

Menschen.

»Sage ihnen,« sprach er, »wenn ein Mensch stirbt,

so soll man ihn mit Brot berühren, damit er wieder

lebe.«

Diese Worte hatte die Eidechse gehört; eilig lief sie

zu den Menschen und sagte zu ihnen:

»Wenn ein Mensch stirbt, so sollt ihr ihn begraben.

«

Auch das Chamäleon machte sich auf den Weg,

schmückte sich mit bunten Farben und ging langsam

zu den Menschen.

Der große Geist sagt zu euch: »Wenn ein Mensch

stirbt, so sollt ihr ihn mit Brot berühren, damit er wieder

lebe.«

Die Menschen aber schüttelten den Kopf und sagten:

»Was zuerst gesagt ist, muß gelten; wir glauben dir

nicht.«

Fußnoten

1 W i e e s k o m m t , d a ß d i e N a s e d e s

H a s e n g e s p a l t e n i s t (Hottentotten);

W a r u m e s g u t i s t , d a ß d i e M e n -

s c h e n s t e r b e n (Sage vom Viktoriasee); S a g e

v o m C h a m ä l e o n (Haussastamm); W a r u m

d e r M e n s c h s t i r b t (Goldküste); W i e d e r

T o d i n d i e W e l t k a m (Zulu) sind alles

Sagen des gleichen Inhaltes in mehr oder minder veränderter

Form. Eine wunderbare Gleichheit der Mythologie

der Bantuvölker in dem weiten afrikanischen

Gebiet ist in diesen Sagen enthalten, in allen liegt der

tiefe Gedanke an die Vergänglichkeit alles Bestehenden.

Warum der Mensch stirbt.1

Eine Sage von der Goldküste.

Der erste Mensch auf Erden war unsterblich; es war

ein Weib. Der große Geist aber sah, daß es nicht gut

war, das Weib allein zu lassen; deshalb schuf er den

Mann. Da fingen die Menschen an sich zu vermehren,

aber nicht genug, um die Erde zu füllen! – Da sandte

der große Geist das Schaf zu ihnen und ließ ihnen

sagen:

»Die Menschen werden sterben, aber sie werden

wiederkehren.« Das Schaf machte sich auf den Weg;

als es aber an fetten Weiden vorbeikam, fing es an,

auf ihnen zu grasen und verweilte sich und vergaß

seine Botschaft.

Die Menschen vermehrten sich mehr und mehr;

aber da sie unsterblich waren, fing es an, ihnen auf

der Erde an Raum zu mangeln.

»Wenn wir unsterblich sind,« sagten sie, »so wer-

den unserer bald zu viele sein.«

Da sandte der große Geist die Ziege und befahl ihr,

den Menschen zu sagen:

»Wenn der Mensch stirbt, wird er tot sein für

immer.«

Eilig legte die Ziege ihren weg zurück, während

das Schaf noch immer graste.

»Wenn der Mensch stirbt, wird er tot sein für

immer,« rief sie den Menschen zu.

Da endlich traf das Schaf ein; – aber seine Botschaft

kam zu spät.

Wäre das Schaf schnell gewesen und vor der Ziege

gekommen, so würde der Mensch vom Tode wiederkehren;

nun aber muß er sterben.

Fußnoten

1 W i e e s k o m m t , d a ß d i e N a s e d e s

H a s e n g e s p a l t e n i s t (Hottentotten);

W a r u m e s g u t i s t , d a ß d i e M e n -

s c h e n s t e r b e n (Sage vom Viktoriasee); S a g e

v o m C h a m ä l e o n (Haussastamm); W a r u m

d e r M e n s c h s t i r b t (Goldküste); W i e d e r

T o d i n d i e W e l t k a m (Zulu) sind alles

Sagen des gleichen Inhaltes in mehr oder minder veränderter

Form. Eine wunderbare Gleichheit der Mythologie

der Bantuvölker in dem weiten afrikanischen

Gebiet ist in diesen Sagen enthalten, in allen liegt der

tiefe Gedanke an die Vergänglichkeit alles Bestehenden.

Der Hase und die Schildkröte.1

Ein Kamerunmärchen.

Ein Hase traf einst eine Schildkröte.

»Ei,« rief er höhnisch aus, »was du für kurze, häßliche

Beine hast!«

Die Schildkröte tat, als habe sie die Worte des

Hasen gar nicht gehört.

»Mit d e n Beinen kannst du gewiß nicht laufen!«

höhnte er weiter.

Noch immer tat die Schildkröte, als hätte sie gar

nicht hingehört. Das ärgerte den Hasen. Gerade wollte

er noch mehr sagen, als plötzlich die verspottete

Schildkröte sprach:

»Weißt du was, Hase, ich möchte gern mit dir

wettlaufen!«

»Wa – – a – a – s? mit mir, mit mir?« spottete der

Hase erstaunt.

»Hm! ja mit dir; warum denn nicht?«

Das ärgerte nun den Hasen, wenn er auch meinte,

es sei nur Scherz von der Schildkröte; aber solche

Scherze mochte er nicht leiden. Als er nun gar merkte,

daß die Schildkröte in vollem Ernste redete, sprach er:

»Nun meinetwegen! Was gilt die Wette?«

»Ich setze alles, was ich habe; du mußt dasselbe

tun.«

»Gut! mir ist's recht.«

Dann ging die Schildkröte gemächlich, wie es ihre

Gewohnheit war, nach Hause. Der Hase und seine

Frau lachten aber hinter ihr her.

Daheim angelangt, sprach die Schildkröte zu ihren

Kindern:

»Ich muß heute noch ausgehen, und ihr sollt mich

begleiten!« Da freuten sich die kleinen Schildkröten

sehr. So ging denn die Alte mit ihnen in den Wald.

Bei der ersten Biegung des Weges sprach sie zu ihrem

kleinsten Kinde:

»Bleibe hier stehen, und wenn morgen der Hase an

an dir vorbeilaufen wird, so ruf' ihm zu: ›Guten Tag,

lieber Hase!‹« Dann ließ sie die Worte von dem

Kinde noch einmal wiederholen und ging mit den anderen

Kleinen weiter.

»Du bleibst h i e r stehen,« sagte sie nach einer

Weile zu dem zweiten Kinde, »und wenn morgen der

Hase an dir vorbei kommt, so rufst du ihm zu: ›Guten

Tag, lieber Hase!‹«

Das Kind versprach zu tun, was die Mutter verlangte,

und diese ging weiter mit den übrigen Kindern.

Wieder nach einer Weile, gab sie denselben Befehl

einem anderen Kinde und so weiter, bis das sechste

Schildkrötchen an einem großen Stein seinen Posten

einnahm; dieser Stein sollte, wie verabredet, das

Ziel des Wettlaufes sein.

»Du rufst: ›Gewonnen! Ich bin da,‹ wenn der Hase

kommt,« sagte sie zu diesem und ging fröhlich nach

Hause; denn es war spät, und sie wollte schlafen.

Der Hase tat in der Nacht vor Aufregung kein Auge

zu.

»Wie lächerlich von dir!« sagte seine Frau, »als ob

eine Schildkröte einen Hasen im Wettlauf schlagen

könnte!«

Am anderen Morgen kam ein Freund des Hasen,

der Zeuge sein sollte, und holte ihn ab. Darauf ging's

zur Schildkröte. Diese war bereit, und man begab sich

zu der bezeichneten Stelle im Walde.

»Eins, zwei, drei!« und der Wettlauf ging los.

Nach einer kleinen Weile drehte die Schildkröte auf

einem Seitenwege um und ging heim.

Dort wartete sie auf ihre Kinder.

Der Hase lief, so schnell er konnte und dachte weiter

nichts bei sich, als er plötzlich neben sich hörte:

»Guten Tag, Herr Hase!«

Ei, wie er da eilig weiterrannte!

»Guten Tag, Herr Hase!« klang's da noch einmal,

und wieder: »Guten Tag, Herr Hase.«

Er war außer sich; wütend!

Nun noch ein kleines Stück, und das Ziel war erreicht.

Der Hase keuchte weiter.

»Gewonnen! Hier bin ich!« scholl es da.

Da war es aus mit der Kraft des Hasen; erschöpft

und ohnmächtig fiel er zu Boden.

Die alte Schildkröte aber sah glückselig ihre Kinder

wiederkehren und freute sich ihrer gelungenen

List.

Nach geraumer Zeit kam die Frau des Hasen, klagte

und weinte und bat die Schildkröte zu vergessen

und zu vergeben, wie tief der Hase sie gekränkt habe.

»Er liegt krank daheim,« fügte sie hinzu, »und nun

müssen wir dir den Preis zahlen!«

»Geh nur heim!« sagte die Schildkröte, »ich werde

mir die Sache überlegen. Morgen komme ich zu dir.«

Am anderen Tage ging sie denn auch wirklich zu

ihrem kranken Gegner, sprach ein paar freundliche

Worte zu ihm und nahm nur ganz wenig von dem,

was ihr zukam.

»Eins aber merke dir,« sagte sie ernsthaft, »du

mußt nie wieder spotten über das Aussehen anderer

Leute; so wie wir gemacht sind, müssen wir bleiben,

und es ist gut so.«

Fußnoten

1 Wem fiele beim Lesen dieser Sage unserer schwarzen

Landsleute nicht sofort der bekannte deutsche

Swinegel ein, der den Wettlauf mit dem Hasen eingeht?

Die Ähnlichkeit beider Märchen ist eine so

frappierende, daß man geneigt ist, die Originalität des

einen oder des anderen zu bezweifeln; dennoch sind

beide echt. Die Märchenwelt eines Volkes ist eben

nichts anderes, als das Buch seiner Kinderstubengeschichte,

diese aber wiederholen sich allerorten, wie

auch Spiele und Gewohnheiten von Kindern stets wiederkehren;

der kindliche Geist hat zu jeder Zeit seine

ihm eigene, sich wiederholende Phantasie.

Die Ziege, der Löwe und die Schlange.1

Eine Sage der Basoto, eines Eingeborenenstammes

aus dem Kongogebiet.

Eines Tages spazierten eine Ziege und ein Löwe am

Rande eines tiefen Waldes miteinander. Nicht weit

von dem Dickicht lag ein friedliches Dorf, in dessen

Hütten zufriedene Menschen lebten, und welches von

einem hohen geflochtenen Zaun umgeben war.

»Wo kommst du heute her, lieber Freund?« fragte

die Ziege den Löwen.

»Geradenwegs von einem Festmahl, welches ich

guten Freunden von mir veranstaltet habe. Der Leopard,

die Hyäne, der Wolf, der Schakal, die wilde

Katze, der Büffel, das Zebra waren meine Gäste.

Auch die Giraffe, das Elentier und der Springbock

kamen zu mir.«

»Wie großartig das gewesen sein muß!« seufzte die

Ziege. »Ich bin wirklich recht vereinsamt in dieser

Welt; niemand kümmert sich um mich. Indessen darf

ich nicht klagen; denn im allgemeinen finde ich Gras

und Kraut im Überfluß, auch zumeist ein schattiges

Plätzchen, um zu ruhen, und kenne eigentlich keinen

wahren Kummer, also habe ich alle Ursache zufrieden

zu sein.«

»Du kannst doch unmöglich behaupten wollen,«

fuhr der Löwe auf, »daß du mich nicht beneidest um

meine Kraft und Stärke wie um meine Würde?«

»Ich beneide dich in der Tat nicht«, entgegnete die

Ziege gleichmütig, »denn bisher war mir weder deine

Kraft noch deine Würde bekannt!«

»Wie? du weißt nicht, daß ich der stärkste von

allen Bewohnern des Waldes bin? Du weißt auch

nicht, daß, wenn ich die Stimme erhebe, alle, welche

es hören, in Furcht erzittern?«

»Nein, von alledem weiß ich nichts! Fast möchte

ich glauben, daß du deine Macht überschätzst; denn

ich kenne Wesen, deren Waffen weit gefährlicher sind

als die, mit denen du kämpfst. Deine Zähne sind zwar

groß, deine Krallen scharf, dein Aussehen gewaltig

und dein Gebrüll erschreckend, und dennoch glaube

mir, gibt es ein kleines Geschöpf in diesem Walde,

das gefürchteter ist als du, und solltest du dich im

Streite mit ihm messen, so würdest du wahrscheinlich

unterliegen.«

»Unsinn!« rief der Löwe ärgerlich, »du reizt mich

zur Wut mit deiner albernen Rede. Noch heute bei

meinem Gastmahl gaben alle Tiere zu, daß sie mit mir

sich nicht vergleichen könnten, und ich sollte meinen,

daß auch du mir recht geben wirst, wenn ich sage, daß

ein einziger Griff von mir dich töten kann!«

»Darin hast du unbedingt recht, und ich darf keinen

Anspruch darauf machen, für besonders stark zu gelten.

Das Wesen aber, von dem ich sprach, ist jedenfalls

nicht dein Gast gewesen.«

»Von wem redest du eigentlich?« fragte der Löwe

verächtlich.

»Von der Schlange!« entgegnete die Ziege ruhig.

»Von der? Von dem kleinen, kriechenden Dinge,

welches Mäuse und kleine Vögel frißt und sich zwischen

Gras und niedrigem Gebüsch hindurchwindet?«

»Ja, ja, von derselben!«

»Ich bitte dich, denke doch daran, wie ein kleiner

Teil meines Körpergewichtes das unscheinbare Ding

zermalmen könnte!«

»Ich möchte dir nicht zu dem Versuche raten. Seine

Zähne sind gefährlicher als die deinen.«

»Willst du in meinem Kampfe mit der Schlange

gegen mich wetten?«

»Ja!«

»Und wenn du verlierst –?«

»So bin ich für immer dein Sklave, und du kannst

über mich verfügen, wie es dir beliebt. Aber wenn du

unterliegst, – was dann?«

»Wähle, was du dann verlangst.«

»Schön! Dann will ich hundert Bananentrauben

haben. Am besten wär's freilich, du brächtest sie

gleich mit auf den Kampfplatz.«

Auf diese letzten Worte zu antworten, hielt der

Löwe für überflüssig.

»Wo aber ist die Schlange, die den Kampf mit mir

aufnimmt?« fragte er daher.

»Ganz nahe!« antwortete die Ziege. »Hole du nur

die Bananen, und wenn du zurückkehrst, wirst du die

Schlange hier vorfinden.«

Stolz schritt der Löwe von dannen, um die Bananen

zu holen, indessen die Ziege in das Gebüsch ging,

wo die Schlange in tiefem Schlaf zusammengerollt

unter einem Baume lag.

»Schlange,« rief die Ziege, »wach' auf! Der Löwe

will mit dir kämpfen. Er hat mit mir um hundert Bananentrauben

gewettet, die er mir geben muß, wenn er

verliert; ich habe aber mein ganzes Leben in seinen

Dienst gestellt für den Fall, daß er Sieger bleibt.

Wenn du meinem Rate folgst, so ist kein Zweifel

daran, daß du über den Löwen triumphieren wirst.«

»Gut,« entgegnete die Schlange schläfrig, »was soll

ich denn tun?«

»Krieche auf einen Baum, der hier in der Nähe

steht, und wenn der Löwe kommt, so rufe ihn, damit

er ganz dicht zu dir trete. In seinem unbegrenzten

Hochmut und voll von dem Glauben an seine Unnahbarkeit

wird er sich ganz sorglos dir nähern und sich

auch noch nicht erschrecken, wenn du deinen Kopf

dem seinen ganz nahe bringst. Dann bohre deine Giftzähne

tief in seine Augenbrauen, und du wirst alsbald

des Kampfes Sieger sein.«

»Schon gut!« sagte die Schlange, die inzwischen

ganz munter geworden war, »aber was soll denn mein

Lohn sein?«

»Ich werde dein Freund und Diener fürs Leben

sein.«

»Einverstanden! Führe mich!«

Darauf führte die Ziege die Schlange auf den

Kampfplatz und zu dem Baume, den sie vorher schon

bezeichnet hatte.

Bald darauf kam der Löwe und hinter ihm her in

langer Reihe die Tiere, welche ihm dienten und für

ihn die Bananen trugen. Nachdem der Löwe diese

Tiere entlassen hatte, wandte er sich zur Ziege.

»Nun, Zieglein,« sagte er freundlich herablassend,

»wo ist deine starke Freundin? Ich brenne darauf, sie

zu sehen.«

»Bist du der Löwe?« fragte da eine feine Stimme

von dem Baume.

»Jawohl! Wer aber, wenn ich fragen darf, bist du,

daß du mich nicht kennst?«

»Ich bin die Schlange; meine Augen sind schwach,

und ich kann mich nicht schnell bewegen. Tritt näher,

damit ich dich sehen kann.«

Der Löwe brach in ein laut schallendes und hochnäsiges

Gelächter aus; dann trat er näher. Die Schlange

streckte ihren Kopf weit vor und blies ihren Odem

dem Löwen so stark ins Gesicht, daß ihre ganze

schlanke Gestalt erzitterte.

»Du zitterst ja,« sagte der Löwe verächtlich.

»Ja,« entgegnete die Schlange, »je mehr ich zittere,

um so schwerer treffe ich,« und dabei schoß sie vorwärts

und bohrte ihren Giftzahn tief in die linke Augenbraue

des Löwen, und im selben Augenblicke ringelte

sich ihr ganzer geschmeidiger Körper um den

Hals des Löwen und vergrub sich in seine dicke

Mähne. Das Gift brannte wie Feuer in dem Kopf und

dem Körper des Verwundeten; als es bis zum Herzen

gedrungen war, fiel er nieder und war tot.

»Gut! sehr gut,« meckerte die Ziege und betrachtete

lüsternen Auges die Bananen. Darauf schworen

Schlange und Ziege sich ewige Freundschaft.

»Jetzt folge mir!« sagte dann die Schlange. »Ich

habe eine kleine Arbeit für dich!«

»Arbeit, beste Freundin? was denn?«

»O sie ist leicht und nicht ermüdend! Wenn du diesen

Pfad hier entlang gehst, so kommst du in ein

Dorf, in dem Menschen wohnen. Dort erzähle, was

ich getan habe und zeige den Leuten den toten Löwen.

Sie werden sich darüber freuen, und du wirst in den

Gärten der Menschen Nahrung im Überfluß finden.

Freilich werden sie dich schlachten, sobald du fett

bist; aber dafür hast du auch ein Leben voller Genuß

und Behaglichkeit gehabt.«

»Mir ist die Arbeit recht,« entgegnete die Ziege,

»und vor dem Ende meines Lebens graut mir auch

nicht. Was dich anbetrifft, so fürchte ich, daß du niemals

Ruhe und Frieden finden wirst; denn Tiere und

Menschen werden dich stets als Feind fürchten und

verabscheuen.«

Darauf schieden sie.

Die Ziege ging den ihr gewiesenen Pfad entlang

und kam bald zu den Menschen und ihren Wohnungen.

Vor dem Dorfe sah sie ein Weib, das war damit

beschäftigt, sich Holz zu sammeln. Als es aufblickte

und ein Tier mit spitzen Hörnern auf sich zukommen

sah, erschrak es und wollte fortlaufen; als es jedoch

sein friedliches Meckern hörte und sah, wie es hin

und wieder stehen blieb, um saftiges Grün und Gras

zu fressen, besann es sich und rief die Ziege an, die

dann auch zögernd nahe trat.

»Folge mir,« sagte die Ziege, als sie ganz nahe gekommen

war; »ich will dir etwas Seltsames zeigen.«

Zwar erschrak die Frau ein wenig, als sie das Tier

sprechen hörte, aber ihre Neugierde gewann die Oberhand,

und sie folgte, bis sie zu der Stelle kam, an der

der tote Löwe lag. Dort blieb sie stehen und rief aus:

»Was ist denn dieses? Was bedeutet das alles?«

Die Ziege erwiderte:

»Dieser hier war einst der König aller Tiere; vor

ihm fürchteten sich alle Wesen, welche im Walde und

auf dem Felde lebten. Aber er wurde zu stolz, zu

hochmütig und fühlte sich zu sehr als derjenige, dem

alles untertan sein mußte. Deshalb forderte ich ihn

zum Kampfe heraus mit einem kleinen unscheinbaren

Wesen, welches in Hecken und Büschen lebt, und du

siehst, er ist im Kampfe gefallen!«

»Und wer war der Sieger?«

»Die Schlange.«

»Du hast recht,« rief das Weib, »die Schlange ist

die Beherrscherin aller Wesen, nur nicht des Menschen.

«

»Du hast wahr gesprochen!« antwortete die Ziege.

»Das weiß auch die Schlange, und deshalb sandte sie

mich zu den Menschen, daß sie mich pflegen und bei

sich behalten sollten. Bin ich aber fett und rund geworden,

so werden sie mich töten und verzehren. Das

waren die Worte der Schlange.«

Die Frau horchte auf diese Worte und merkte sie

wohl. Dann zog sie des Löwen Fell ab, trug es in das

Dorf und erzählte dort den Leuten von ihrem wunderbaren

Erlebnis. Von jenem Tage an ist die Ziege ein

Mitglied des menschlichen Haushaltes geworden, und

der Dank dafür gebührt der Schlange; denn hätte sie

nicht die Ziege zum Menschen geschickt, so wäre sie

für immer wild und unstät geblieben, wie ihre Schwester,

die Antilope.

Fußnoten

1 Dies Märchen wurde Mr. Stanley von einem Eingeborenen

der Kongogegend erzählt und gibt Zeugnis

von der regen Phantasie und dem wunderbaren Talent

der meisten Stämme der Afrikaneger, die Tiere mit

Ideen und Sprache zu beleben.

Kimyera.1

Ein Märchen der Wanyoro aus der Landschaft

Unyoro nördlich vom Viktoria-Nianza.

In Unyoro herrschte vor langer, langer Zeit ein mächtiger

König Namens Uni. Dieser nahm zum Weibe

ein Mädchen eines benachbarten Stammes, das hieß

Wanyana. Wanyana aber hatte für ihren Gatten nichts

wie Haß und Abscheu in ihrem Herzen und zeigte ihm

ihre Gefühle täglich. Eines Tages kam zu dem König

ein Mann, der wollte Vieh einhandeln, und weil er

schön auf der Flöte spielen und gut unterhalten konnte,

so bat ihn Uni, ein Weilchen in seinem Reiche zu

bleiben. Allabendlich setzte sich nun der Fremdling

nieder unter einen großen Baum vor den Hütten des

Königs und unterhielt diesen wie seine Weiber mit

Flötenspiel und Erzählungen. Wohlgefällig ruhte

dabei sein Auge auf den schmucken Gestalten der jungen

Frauen, welche ihm zuhörten. Am meisten aber

entzückte ihn die Schönheit Wanyanas, und er sowohl

wie viele andere der Anwesenden gewahrten auch

bald, daß seine Neigung nicht unerwidert blieb. Ja,

bald flüsterte man unter den Weibern allerlei über

Wanyana und Kalimera und wollte wissen, daß die

Liebenden sich heimlich träfen und leidenschaftliche

Worte tauschten. Zu Unis Ohren kam aber nichts von

alledem, was die Leute sich erzählten, und sein Herz

war frei von Argwohn. Es tat ihm leid, daß Wanyana

ihn nicht liebte und es nicht duldete, daß er ihr mit

Zärtlichkeiten nahte; doch hoffte er, daß es ihm gelingen

würde, sie nach und nach für sich zu gewinnen;

deshalb beschloß er, nicht in sie zu dringen, sondern

es der Zeit und seinem stets sich gleichbleibenden

Aufmerksamkeiten zu überlassen, ihr Herz zu rühren.

Er baute für sie ein neues, schönes Haus, besuchte sie

ab und zu, brachte ihr stets Geschenke mit und tat

alles, um ihre Liebe zu gewinnen.

In nicht allzulanger Zeit gewahrte Wanyana mit

Schrecken, daß sie einem Kinde das Leben schenken

sollte. Angsterfüllt vor dem Zorn ihres Gatten, bat sie

ihn, für mehrere Wochen seine Besuche bei ihr einzustellen,

und versprach ihm dafür, später ein ergebenes

und liebendes Weib zu sein. Beglückt ob dieser Aussicht,

willfahrte Uni ihrem Wunsche. Durch ihre eigenen

Untergebenen suchte Wanyana Kunde von ihrem

Geliebten zu erlangen, erfuhr aber nur, daß er plötzlich

verschwunden und niemand wisse, wohin er gegangen

sei.

Kurze Zeit darauf gebar Wanyana einen kleinen

Jungen. Geängstigt von dem Gedanken daß der König

ihre Untreue entdecken könnte, nahm sie das Kind

und legte es in die Werkstatt eines Töpfers; dann aber

ging sie eiligst zu einem Zauberer, beschenkte ihn

reich und bat ihn, in irgend einer Weise dafür zu sorgen,

daß ihr Kind gut gepflegt würde. Beruhigt durch

das Versprechen unverbrüchlichen Schweigens,

schritt sie alsdann schnell heim.

Am folgenden Morgen wollte Muyana, der Töpfer,

in seine Werkstatt gehen; sein Weg führte ihn vorbei

an der Tür des Zauberers, und dieser rief ihn an:

»Muyana, warum nimmst du jetzt immer schlechte

Erde, aus der du deine Töpfe machst? Sie sind nicht

mehr so gut wie früher und zerbröckeln in der Hand.«

»Ach Doktor!« rief der arme Töpfer erschreckt,

»sage du mir, was ich tun soll, damit meine Arbeit

wieder werde, wie sie sonst war!«

»Gut, Muyana! ich kann dir raten. Du hast einen

mächtigen Feind, der nur Böses für dich sinnt; aber

ich will seine Pläne zu schanden machen. Gehe du in

deine Werkstatt und suche in ihr nach irgend etwas

Lebendigem. Wenn du es gefunden hast, so nimm es

zu dir, hüte und pflege es; denn wisse, solange es lebt,

wirst du vor allem Übel bewahrt bleiben.«

Muyana war nicht wenig erstaunt, als er diese

Worte gehört hatte, eilte weiter zu seiner Werkstatt

und gewahrte dort alsbald ein sorglich zusammengewickeltes

Bündel, dessen Inhalt ihm aber verborgen

blieb, und das er nicht wagte zu berühren.

»Ich will zu meiner Frau gehen und ihr all dieses

erzählen,« sagte er zu sich; »denn Weiber wissen mit

geheimnisvollen Dingen besser Bescheid,« und

schnellen Schrittes lief er heim.

»Du Dummkopf!« schalt sein Weib, nachdem es

zugehört hatte: »Warum hast du nicht getan, was der

Zauberer dir befohlen hat? Komm' jetzt gleich mit mir

und zeige mir, was du gesehen hast. Mich beunruhigt

ein Traum, den ich in der vergangenen Nacht gehabt

habe, und das Bündel, von dem du da gesprochen

hast, kann für uns beide von großer Bedeutung sein.«

So zogen sie miteinander zur Töpferei. Gerade als

sie dort ankamen und die Frau eben nahe hinzutrat,

um zu sehen, was auf der Erde in Felle gewickelt lag,

fing das Kind an zu schreien und sich zu bewegen:

»Du meine Güte, das ist ja ein Säugling,« rief das

Weib, »und es sieht genau so aus, wie das Kind, welches

ich heute Nacht im Traume sah! Heb' es auf,

Muyana, gib es mir und verletze es ja nicht!«

Muyana war wie von Sinnen, tat aber, wie sein

Weib ihm geheißen hatte, und gab ihr das Kind, ohne

ein Wort zu sagen. Entzückt betrachtete die Frau das

gesunde, wohlgebildete Kind, wiegte es in ihren

Armen und rief aus:

»Muyana, was sind wir doch für glückliche Leute!

Seit Jahren sehne ich mich nach einem Kinde, und

endlich haben gute Geister meinen Wunsch erfüllt

und uns das schönste aller Kinder gegeben. Unser

Glück ist gemacht!«

»Aber wessen Kind mag das sein?« fragte Muyana

argwöhnisch.


Afrikanische Märchen auf 668 Seiten

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