Читать книгу Alicia - Vögellust - Tamora Donovan - Страница 5
ОглавлениеKapitel 2
»Sag mal, läufst du immer wie ein Blindfisch durch die Straßen?«
Andrew Winfield blieb abrupt stehen. Er befand sich in der Fußgängerzone und war auf dem Weg zu seinem Wagen. Er mochte es gar nicht, wenn man ihn so unvermutet ansprach. Vor ihm stand ein Mann und lachte ihn strahlend an.
»Mensch, Andrew, altes Haus! Du solltest dich schämen!«
Jetzt musste auch Winfield lächeln. Vor ihm stand sein alter Freund Dave Kingsley.
»Du siehst echt müde und abgespannt aus!« Kingsley sah ihn besorgt an.
»Ich habe seit heute morgen einen Termin nach dem anderen – Banken und verschiedene Behörden. Du kennst das doch!«
»Dann ist es kein Wunder. Aber sag mal, da wir uns schon getroffen haben, hast du Zeit, wollen wir zusammen etwas essen gehen? Wäre doch ganz schön und wir könnten uns dabei ein wenig unterhalten; immerhin haben wir uns nun schon eine kleine Ewigkeit nicht mehr gesehen.«
Andrew Winfield hatte nichts dagegen einzuwenden.
Schon wenig später saßen die beiden Freunde in einem eleganten Restaurant.
»Weißt du was …? Ich denke ja, du müsstest mal aus deinem alltäglichen Trott raus! Wenn ich dich so anschaue: … Du machst mir einen richtig kaputten Eindruck!«
»Na ja, was soll ich den machen? Ist eben alles nicht so einfach. Reichlich Stress in der Firma und so«, stellte Winfield fest. »Aber wem erzähle ich das? Du weißt doch selbst, dass es kaum Entkommen aus dieser Tretmühle gibt!«
»Klar, kenne ich das!«, stellte Kingsley fest. Dann schmunzelte er und fragte: »Und wie steht es mit deinem Liebesleben, altes Haus? Noch alles fit im Schritt?« Kingsley war und blieb ein lockerer Vogel, der immer einen flotten Spruch auf den Lippen hatte.
»Was soll ich darauf erwidern? Du kennst doch Grace«, kam es zögerlich.
»Ja, ja, die gute Grace! Musst dich mal entspannen. Du hast gar keine Ahnung wie gut das tut, wie? Wenn ich dich so anschaue, dann wurde es allerhöchste Zeit, dass ich dich getroffen habe, mein Lieber! Wird Zeit, dass sich mal jemand um dich kümmert. Bin ich dir einfach schuldig!«
»Ich brauche keine Hilfe, wirklich nicht«, beteuerte sein Freund.
»Quatsch! Rede doch nicht so einen Blödsinn! Ich sehe dir doch an, dass du dringend mal Abwechslung brauchst«, beharrte sein Freund und fügte hinzu: »Du bist jetzt in einem Alter, wo du anfängst, dich selbst zu bemitleiden.«
Verdutzt blickte ihn Winfield an. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann stimmte das sogar irgendwie. Erst vorhin auf der Straße hatte er über sein Alter nachgedacht, über all die verpassten Chancen und darüber, was das Leben wohl noch für ihn bereithielt. Deswegen hatte er auch seinen Freund übersehen. »Und, wie heißt dein Wundermittel dagegen?«, fragte er neugierig.
Sein Gegenüber schmunzelte: »Eigentlich solltest du inzwischen selbst darauf gekommen sein«, entgegnete er mit einem selbstgefälligen Lächeln. »Die ganze Zeit schon versuche ich dir dieses Mittel anzupreisen.«
»Davon habe ich noch nichts mitbekommen.«
Jetzt lachte Kingsley laut auf. »Du bist wirklich naiv!«, stellte er fest.
»Geschenkt!«, kam es kurz. »Das sagst du mir schon lange ... Und was soll ich deiner Meinung nach tun?«
»Ich sage nur: Frauen!«
Winfield starrte ihn an. »Es sind doch die Frauen, die uns dermaßen auslaugen.«
»Mensch, du stehst aber auf der Leitung, Andrew! So meine ich das nicht. Es geht um den Nervenkitzel, darum, dass man dich für einen echten Supermann hält. Wirklich! Du hast ja keine Ahnung, wie dich das beschwingt. Es wird dich wieder hoch bringen! Das macht dich wieder zum Jüngling!«
»Aber ich bin in der Stadt bekannt wie ein bunter Hund! So etwas fliegt doch immer auf, und ein Skandal, der womöglich noch wochenlang durch die Zeitungen geistert, ist das letzte was ich in meiner Position gebrauchen kann. Den kann und will ich mir wirklich nicht leisten!«
»Hast du ein Verhältnis mit deiner Sekretärin?« erkundigte sich sein Freund sehr direkt. und ließ ihn dabei nicht eine Sekunde aus den Augen.
»Nein, natürlich habe ich kein Verhältnis mit meiner Sekretärin! Wie käme ich auch dazu?«
»An deinen Augen sehe ich aber, dass du es gernhättest«, stellte er schmunzelnd fest. »Warum fängst du nichts mit ihr an?«
»Keine Ahnung! Sie will schon! So bescheuert bin ich nun auch nicht, dass ich ihre Avancen nicht merken würde!«
»Und warum zögerst du?«, ließ sein Freund nicht locker.
»Weil ich mich schlichtweg nicht blamieren möchte! Ist doch ganz einfach!«
Sein Gegenüber sah ihn treuherzig an. »Kann ich verstehen. Ja, dass kann ich sogar nachvollziehen.«
»In unserem Alter ist man kein wilder Hengst mehr. Verstehst du? Ich bring das einfach nicht mehr.«
»Nein!«, widersprach dieser ihm, »Du bringst es nicht mehr, weil du viel zu vernünftig bist. Du hast schlicht zuviel Arbeit um die Ohren und denkst nur noch an deine Firma. Nichts weiter ist für dich erstrebenswert oder von Bedeutung. Bei mir ist das gottlob anders. Ich sehe endlich wieder etwas anderes und nicht nur meinen verdammten Schreibtisch .... Ja, da staunst du! Und dass es so gekommen ist, daran ist eine kleine süße, gerade einmal sechsundzwanzig Jahre alte, Dame schuld. Wir haben uns auf einer Weihnachtsfeier im Betrieb getroffen. Sie hat dort in der Poststelle gearbeitet. Und jetzt machen wir uns nette Stunden, und ich fühle mich mindestens um zwanzig Jahre jünger. Der Nervenkitzel hat mich aus meiner Depression gerissen. Endlich wieder das Gefühl, man kann noch lieben! Ich werde noch geliebt. Wir Männer sind nun einmal so geschaffen. Was ist da Schlimmes daran? … Ich lebe endlich wieder! Ja, ich kann mich wieder an kleinen nichtigen Dingen freuen ... Wann gehst du eigentlich wieder auf Geschäftsreise, Andrew?«
»Nächste Woche. Wieso?«
»Wohin?«, fragte Kingsley, ohne auf seine Frage einzugehen.
»Nach London, warum?«
Kingsley lachte auf. »Aber Junge, das ist deine Rettung!«
»Sag' mal, Dave, du hast nicht zufällig schon was getrunken?«, wollte Winfield nun seinerseits wissen.
»Habe ich etwa eine Fahne?«
»Nein!«
»Na, siehst du! Nein, ich habe nichts getrunken. Ich bin nur aufgekratzt. Aber Junge, ich glaube, du weißt noch immer nicht, dass du gerettet bist.«
»Nein, tut mir leid. Scheint heute nicht mein Tag zu sein ... Egal! Mach' nur weiter! Du sprichst in Rätseln.«
Sein Freund lachte wieder auf. »Deswegen schätze ich dich so, Andrew, weil du nie beleidigt bist.«
Der Angesprochene schmunzelte. »Also, sag' schon, was ist mit London?«
»Dann will ich dir mal auf die Sprünge helfen. Jede Menge erfolgreiche Geschäftsleute, Sekretärinnen und Damen, die sich gern einen reichen Mann angeln wollen.«
Jetzt musste auch Winfield lachen.
In dem vornehmen Restaurant sahen sich inzwischen alle Gäste nach ihnen um, und auch der Ober runzelte missbilligend die Stirn.
»Wir fallen wohl auf?« Kingsley grinste. »Wie gesagt, Andrew, es macht dich um Jahre jünger. Ehrlich!«
»So etwas kann jederzeit auffliegen!«
»Ach, Blödsinn. Du musst es nur geschickt anstellen. Lade deine Frau vor dem Messetermin zu einem tollen Essen ein, sorge dafür, dass sie leicht beschwipst ist und leg‘ sie später nach allen Regeln der Kunst flach. Warum sollte sie dann argwöhnisch werden?«
»Ich weiß schon, wie man einen romantischen Abend gestaltet. So vertrottelt bin ich noch nicht, Dave.«
»Na, ist doch wunderbar!«
»Ist sie wirklich so toll?«, erkundigte sich Winfield.
»Ja, sie ist ein richtig heißer Feger, meine Süße.« Er nickte verträumt und blickte auf seine Armbanduhr. »Mist, schon so spät. Ich muss dringend los! … Keine Zeit mehr!« Er erhob sich, zog seinen Mantel über und schob den Stuhl zurück an den Tisch. »Du entschuldigst mich?« Er legte ein paar Scheine auf den Tisch. »Wir sehen uns dann im guten alten London.«
***