Читать книгу Winterzeit im Wichtelwald - Tania Eichhorn - Страница 13

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Spuren im Wichtelwald

An jedem Nachmittag stapfte Pinka gemeinsam mit Phio und Flora zur nahen Futterstelle der Rehe, um sich zu erkundigen, wie es den Tieren im Winter so ging.

„Oh, ich liebe es, wenn die Rehe schon auf uns warten“, verkündete Flora entzückt, als sie nach dem Mittagessen zur Waldlichtung kamen.

„Ja, die Tiere des Waldes haben es nicht leicht im Winter. Es ist wichtig, dass sie genügend Futter finden, damit sie Kraft haben, der Kälte zu widerstehen. Flora, schau, die jungen Rehe warten schon da drüben. Heute kannst du sie am Salz schlecken lassen.“

„Nein, das will ich machen!“, rief Phio und riss seiner Schwester den Salzstein aus der Hand.

„Gib ihn her, Mama hat ihn mir gegeben!“, brüllte Flora zurück und versuchte, den Stein wiederzubekommen.

Aber Phio war schneller und gab seiner Schwester einen Schubser, sodass diese rückwärts in den tiefen Schnee plumpste. „Ätsch, jetzt hab ich ihn!“, lachte er sie aus.

„Du bist so gemein!“, schrie Flora und begann lauthals zu weinen.

„Das gibtʼs doch nicht“, mischte sich Pinka ein, „dass ihr beiden immer etwas zum Streiten findet! Phio, gib ihr den Salzstein wieder. Ich habe Flora darum gebeten, denn du warst gestern dran.“

Ungern gehorchte Phio, gab seiner Schwester aber doch den Stein. Zornig stapfte er in Richtung Wurzelhöhle davon und schimpfte lauthals vor sich hin.

„Er ist immer gemein zu mir, gell, Mama?“, sagte Flora, als sie den jungen Rehen das Salz hinhielt.

„Na ja, was soll ich dazu sagen? Das war nicht in Ordnung von Phio. Manchmal ist er schon recht anstrengend“, seufzte Pinka, während sie ihren Sohn beim Nachhausegehen beobachtete.

Die Rehe verstanden nicht, was da gerade passiert war, und zögerten etwas, als Flora ihnen den Salzstein hinhielt. „Es ist alles gut, nehmt ruhig!“, sagte sie versöhnlich.

„Aber was ist denn mit deinem Bruder los, er ist doch sonst so aufgeweckt und lustig?“, fragte eines der jungen Rehe.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Flora und sah Phio stirnrunzelnd nach.

An diesem Tag hatten die beiden nicht nur im Wald eine Auseinandersetzung, sondern auch zu Hause. Vor allem das Teilen war für beide eine große Herausforderung.

Kurz vor dem Nikolaustag der Menschen, es war ein schöner, sonniger Wintertag, hatte Pinka wieder einmal mit ihren Kindern schimpfen müssen. „Ihr seid wirklich unmöglich! Wieso könnt ihr nicht einfach teilen? Ich werde heute alleine zur Futterstelle gehen“, machte sich die Wichtelmama wütend Luft.

„Aber, Mama, wir gehen doch jeden Tag mit“, entgegnete Flora schnell.

„Ja, das stimmt, Mama, bitte, wir möchten mit“, sagte auch Phio.

Doch Pinka blieb hart. „Nein, eure Streitereien sind mir zu viel. Ihr wartet in unserer Höhle, jeder in seiner Kammer. Flora, du machst deine Schulaufgaben und, Phio, du kannst ein Bild malen. Keine Widerrede ... es ist jetzt einfach genug!“

An ihrer Stimme konnten Flora und Phio erkennen, dass die Worte ernst gemeint waren und die Mutter nicht mit sich diskutieren ließ. Also stapften die beiden missmutig in ihre Schlafkammern und schlossen die Türen hinter sich.

„Es ist einfach unglaublich!“, knurrte Pinka, während sie sich ihren warmen Spitzmauswollmantel überzog und in die Fellstiefel schlüpfte. Murrend öffnete sie die Tür und atmete tief die frische Waldluft ein. „Das wird mir jetzt guttun. Einfach zehn Minuten für mich zu sein.“

Pinka stapfte los, die Arme voller Karottenstückchen, während der Schnee unter ihren Stiefeln knirschte. Nach wenigen Minuten hatte sie die Futterkrippe der Rehe erreicht und legte die Leckerei achtsam auf den Boden. Da sah sie unter einer kleinen Tanne eine Mandarine am Boden liegen. Neugierig ging sie hinüber. Es war tatsächlich eine große, saftige Mandarine. Mitten im Schnee. Mitten im Wichtelwald.

„Nanu, wie kommt denn die hierher?“, wunderte sich Pinka.

Bisher hatte die kleine Wichtelfrau nur einmal in ihrem langen Leben eine Mandarine gesehen. Das war viele Jahre her, als ein entfernter Onkel auf der Durchreise im Zauberwald gewesen war. Er fuhr mit einer Kutsche, die mit seltenen Früchten und Leckereien beladen war. Und ebenso wie damals staunte sie auch jetzt. Zu Ehren des Onkels war ein großes Fest gefeiert und als Speise eine saftige Mandarine geschält und unter allen aufgeteilt worden. Pinka erinnerte sich an diesen Tag und musste lächeln.

Und jetzt lag da mitten im Wald einfach so eine Mandarine? Sie sah sich in der Gegend um und erwartete, jemanden zu sehen. Vielleicht den alten Onkel oder einen ihrer Wichtelfreunde, vielleicht einen Kobold oder eine der vielen Waldfeen aus dem Zauberwald. Aber nein, sie entdeckte niemanden.

Doch dort drüben, wenige Meter entfernt, lag eine Nuss. Sie stapfte hinüber und sah sich währenddessen suchend um. Da entdeckte sie eine weitere Mandarine, die mit ihrer kräftigen orangen Farbe richtig im Schnee leuchtete.

„Ohhh, das scheint eine Spur zu sein!“, rief Pinka voller Entzücken. „Das wäre was für die Kinder.“

Ihr Ärger über die beiden schien verflogen zu sein, denn mit großen Schritten versuchte sie, möglichst schnell nach Hause zur Wurzelhöhle zu gelangen. Sie öffnete mit Schwung die schöne Holztür und rief: „Flora, Phio! Schnell, zieht euch etwas an! Im Wald liegen viele wundersame Dinge.“ Die Kinder lugten skeptisch aus ihren Kammern hervor. „Kommt schon, ich bin ganz aufgeregt! Zieht euch etwas an! Ich warte draußen“, fügte Pinka hinzu und schloss hinter sich die Tür.

„Komm, das sehen wir uns an!“, rief Phio voller Begeisterung, zog seine Jacke an und setzte die warme Bommelkappe auf. „Jetzt komm doch!“

„Meinst du, Mama ist noch böse?“, fragte Flora ihren kleinen Bruder.

„Nein, sonst würde sie uns nicht extra holen kommen. Los jetzt!“ Phio konnte die Aufregung kaum ertragen, schlüpfte schnell in seine warmen Fellstiefelchen und war – schwupps – draußen im Freien.

„Phio, ich glaube, der Nikolaus hat sich wieder auf den Weg zu den Menschenkindern gemacht. Im Wald liegen Nüsse und Mandarinen. Es könnte sein, dass sein Gabensack ein Loch hat. Wo ist denn Flora?“

„Hier bin ich, Mama, ich bin schon da!“

„Kommt, wir gehen“, meinte Pinka und stapfte vor ihren Wichtelkindern durch den Schnee hinüber zur Futterstelle.

„Mama, ist das der Nikolaus, von dem uns Opapa schon einmal erzählt hat?“, fragte Phio interessiert nach.

„Ja, sicher“, zeigte sich Flora wissend und doch spürte man ihre Laune. „Welcher Nikolaus denn sonst? Das ist der, der nicht zu uns kommt.“

„Flora, das haben wir doch schon so oft besprochen. Wir hier im Wichtelwald werden reichlich von der Natur beschenkt. Unter uns ist es üblich, dass wir einen liebevollen Umgang pflegen und miteinander teilen. Wir müssen nicht vom Nikolaus daran erinnert werden“, versuchte Pinka, ihre Tochter zu besänftigen.

„Trotzdem wäre es schön, wenn man auch einmal belohnt werden würde!“

Pinka legte ihren Arm um Flora und flüsterte ihr zu: „Dann lass dich überraschen, was da alles im Wald liegt. Vielleicht ist das unsere Belohnung. Denn schaut, unter dieser kleinen Tanne liegt eine Mandarine. Und da drüben eine Nuss.“

„Toll!“, rief Phio begeistert. „Die ist ja riesengroß!“

„Seht euch ruhig ein bisschen um, vielleicht findet ihr noch die ein oder andere Leckerei.“

Das ließen sich die Kinder nicht zweimal sagen und schon begannen sie, den Waldboden abzusuchen.

„Hier! Kommt her! Da liegt ein Lebkuchen!“, schrie Flora. Tatsächlich lag mitten im Schnee ein wunderschön verziertes Lebkuchenherz.

„Und hier, eine Erdnuss! Und da, noch eine!“ Phio hüpfte vor Entzücken.

„Das scheint eine richtige Spur zu sein“, meinte Flora bis über beide Ohren grinsend.

„Mama, meinst du, wir dürfen das alles mitnehmen?“, fragte Phio.

Und Pinka antwortete: „Ach, Phio, das ist viel zu viel für uns, aber ich habe einen Vorschlag. Wir drei könnten für die Tiere des Waldes ein herrliches Essen herrichten. Das sollte zu schaffen sein, oder?“

„Ja, aber den Lebkuchen will ich haben“, unterbrach Phio sie.

„Aber den hab doch ich gefunden!“, schimpfte Flora sofort.

„Geht das schon wieder los?“, mahnte die Wichtelmama.

„Nein, entschuldige!“, sagte Phio sofort. „Wir könnten den Lebkuchen ja aufteilen, oder, Flora?“

„Ja, das machen wir“, antwortete diese. „Dürfen wir, Mama?“

„Ja, das wäre sehr nett von euch“, stimmte Pinka zufrieden zu.

Dann rollte sie gemeinsam mit den Kindern alle Äpfel hinüber zur Futterstelle der Rehe. Die Nüsse legten sie gesammelt daneben und so hatten alle Tiere ein besonders gutes Abendessen. Von der Schokolade und dem Lebkuchen brachen die Wichtel für sich selbst ein paar Stücke ab und legten sie zur Erdnuss in den großen Korb.

„Vielleicht kann Papa am Abend mit der Rodel eine von den Mandarinen abholen. Das wäre doch eine ganz spezielle Leckerei“, schlug Phio vor.

„Mama, wir könnten doch Omama und Opapa einladen und mit ihnen teilen?“, schlug Flora vor.

„Das sind sehr gute Ideen, Kinder“, meinte Pinka und gemeinsam machten sich die drei auf den Weg durch den Schnee zurück zur großen Fichte.

Bei der Wichtelhöhle angekommen staunten sie nicht schlecht. Vor der Tür stand ein Jutesack, gefüllt mit lauter Nussstücken, kleinen Zehen von Mandarinen, Apfelspalten, Lebkuchenherzen und sogar mit Dattelkeksen, Feigenrollen und Schokolade.

Die Kinder machten große Augen und Pinka meinte: „Ich denke, auch dem Nikolaus hat es gefallen, wie ihr heute die Tiere des Waldes mit all den guten Dingen versorgt habt. Und wenn man schön teilt, dann hat jeder was davon, denn ...“

„Ja, Mama, wir wissen schon: Teilen, teilen, das macht Spaß, wenn man teilt, hat jeder was!“

Es wurde ein wahres Festessen. Nicht nur Omama und Opapa, sondern auch alle anderen Familien aus dem Wichteldorf kamen in den Wald, um sich etwas von den Leckereien abzuholen. Es war genug für alle da, und weil die Wichtel ein geselliges Volk waren, wurde beschlossen, gleich dort mitten im Wald ein Fest zu feiern. Sie entzündeten ein Lagerfeuer, sangen Lieder und genossen es, endlich einmal nach Herzenslust naschen zu können.

„Das war eine tolle Entdeckung, Mama“, sagte Phio zufrieden und kuschelte sich an sie.

„Ja, Phio, manchmal wird man vom Leben mit wundersamen Dingen überrascht. Genieße sie! Und teile sie mit deinen Lieben“, antwortete die kleine Wichtelfrau und drückte ihrem Sohn ein Küsschen auf die Stirn. Ihr war bewusst, dass das Leben im Wichtelwald nicht immer leicht war, doch für sie war es der allerschönste Platz auf Erden.

Winterzeit im Wichtelwald

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