Читать книгу Migräne mit Hirnstammaura - Leben mit einer seltenen, schweren Form der Migräne - auch bekannt als "Basilarismigräne" - Tanja Götten - Страница 5
Оглавление1 Grundlagen
Was ist Migräne mit Hirnstammaura?
Die Migräne mit Hirnstammaura (früher Migräne vom Basilaristyp oder Basilarismigräne genannt) ist eine besonders schwere, relativ seltene Sonderform der Migräne mit Aura. Erstmals beschrieb der britische Neurologe Edwin Robert Bickerstaff (*1920 +2008) diese Art der Migräne im Jahr 1961. Sie wurde daher lange „Bickerstaff-Migräne“ genannt. Andere Bezeichnungen waren: Migräne der Arteria basilaris, Migräne vom Basilar(is)-Typ, Migräne des vertebrobasilaren Typs oder Migraine Accompagnie.
Ursprünglich wurde angenommen, dass sie durch kurzfristige Krämpfe der Arteria basilaris, die für die Blut- und Sauerstoffversorgung des Hirnstammes zuständig ist, verursacht wird. Diese (vaskuläre) Hypothese konnte jedoch bis heute nicht bewiesen werden. Zwischenzeitlich gehen Mediziner davon aus, dass die Migräne mit Hirnstammaura / basiläre Migräne eine Unterart der "normalen" Migräne mit Aura ist.
1.1 Klassifizierung
In der 3. Auflage der Internationalen Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen (ICHD-3) der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft / International Headache Society (IHS) wird die Migräne mit Hirnstammaura als eine Migräneform beschrieben, bei der die Aurasymptome eindeutig dem Hirnstamm zuzuordnen sind und keine motorische Schwäche auftritt. In der Klassifizierung der ICHD-3 befindet sie sich in Teil 1 (Primäre Kopfschmerzen) unter der Kategorie Migräne (1.) → Migräne mit Aura (1.2) unter Punkt 1.2.2:
TEIL I: Primäre Kopfschmerzen
1. Migräne
1.1 Migräne ohne Aura
1.2 Migräne mit Aura
1.2.1 Migräne mit typischer Aura
1.2.1.1 Typische Aura mit Kopfschmerz
1.2.1.2 Typische Aura ohne Kopfschmerz
1.2.2 Migräne mit Hirnstammaura
1.2.3 Hemiplegische Migräne
1.2.4 Retinale Migräne …
In der bis Ende 2021 in Deutschland gültigen Fassung der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10 GM 2020), wird sie zusammen mit anderen Migräneformen unter der Kodierung G43.1 (Migräne mit basilärer Aura) gefasst:
G43. Migräne
G43.0 Migräne ohne Aura [Gewöhnliche Migräne]
G43.1 Migräne mit Aura [Klassische Migräne]
- Migräne: Aura ohne Kopfschmerz
- Migräne: basilär
- Migräne: familiär- hemiplegisch
- Migräne: mit: akut einsetzender Aura
- Migräne: mit: prolongierter Aura
- Migräne: mit: typischer Aura
G43.2 Status migraenosus
G43.3 Komplizierte Migräne
G43.8 Sonstige Migräne
Inkl.: Ophthalmoplegische Migräne, Retinale Migräne
G43.9 Migräne, nicht näher bezeichnet
Der im Mai 2019 von der World Health Assembly (WHA) verabschiedete und grundsätzlich ab 1. Januar 2022 gültige ICD-11 sieht eine Kodierung unter dem Punkt 08 Diseases of the nervous system (Krankheiten des Nervensystems) → Headache disorders (Kopfschmerzerkrankungen) → 8A80 Migraine (Migräne) → 8A80.1 Migraine with Aura (Migräne mit Aura) → 8A80.1Y Other specified migraine with aura (andere/sonstige Migräneformen mit Aura) vor:
8A80 Migraine
8A80.0 Migraine without aura
8A80.1 Migraine with aura
8A80.10 Hemiplegic migraine
8A80.1Y Other specified migraine with aura
8A80.1Z Migraine with aura, unspecified
8A80.2 Chronic migraine
8A80.3 Complications related to migraine
8A80.30 Status migrainosus
8A80.3Y Other specified complications related to migraine
8A80.4 Cyclic vomiting syndrome
8A80.Y Other specified migraine
8A80.Z Migraine, unspecified
[Quellen: dimdi / icd.who.int]
Wann der ICD-11 in Deutschland eingeführt wird, ist bei Drucklegung dieses Buches noch nicht bekannt.
Der ICD ist ein von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebenes, weltweit anerkanntes Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen. Auf dessen Grundlage erfolgt unter anderem die Abrechnung von medizinischen Dienstleistungen mit den Krankenkassen.
Internationale Quellen
In Deutschland sind strukturierte Informationen über die Migräne mit Hirnstammaura/Basilarismigräne sehr spärlich gesät. In den USA gehört sie offiziell zu den seltenen Erkrankungen und wird als solche im Verzeichnis seltener Erkrankungen geführt und dort beschrieben als eine Art von Migränekopfschmerz mit Aura, der auf beiden Seiten mit Schmerzen am Hinterkopf verbunden ist.
Unter Aura wird eine Gruppe von Symptomen gefasst, die prinzipiell als Warnsignal dafür dienen, dass starke Kopfschmerzen folgen. Zu diesen Symptomen können Schwindel und Benommenheit, Sprachstörungen, Ataxie, Tinnitus, visuelle Veränderungen und / oder Gleichgewichtsstörungen gehören. Obwohl die Basilarismigräne bei Männern und Frauen jeden Alters auftreten könne, sei sie bei jugendlichen Mädchen am häufigsten. Eine genaue Ursache sei kaum bekannt. Migräne sei wahrscheinlich eine komplexe Erkrankung, die von mehreren Genen in Kombination mit Lebensstil- und Umweltfaktoren beeinflusst wird. In seltenen Fällen könne die Anfälligkeit für die basiläre Migräne durch eine Veränderung (Mutation) des ATP1A2-Gens oder des CACNA1A-Gens verursacht werden. Um die Symptome während einer Episode zu lindern, könne eine Behandlung mit nichtsteroidalen entzündungshemmenden Medikamente (NSAIDs) und antiemetischen Medikamenten eingesetzt werden (vgl. GARD).
Das Informationszentrum für genetische und seltene Krankheiten (GARD) ist ein US-amerikanisches Programm des Nationalen Zentrums zur Förderung der translationalen Wissenschaften (NCATS) und wird von zwei Teilen der Nationalen Gesundheitsinstitute (NIH) der USA finanziert: NCATS und dem Nationalen Institut für Humangenomforschung (NHGRI) ). GARD bietet der Öffentlichkeit Zugang zu aktuellen, zuverlässigen und leicht verständlichen Informationen über seltene oder genetisch bedingte Krankheiten.
1.2 Verbreitung (Epidemiologie)
Prävalenz und Inzidenz der Migräne mit Hirnstammaura sind weitgehend unbekannt. Das heißt, es liegen keine Daten vor, die Aufschluss darüber geben, wie viele Betroffene es in Deutschland gibt oder bisher gab. In einer Studie zeigte sich rechnerisch, dass etwa 0,04 Prozent der dänischen Gesamtbevölkerung betroffen sind (vgl. Yamani et al 2019). Wie oft die Erkrankung neuerlich in der Bevölkerung auftritt, ist nicht erhoben. Festgestellt wurde jedoch, dass Frauen häufiger betroffen sind als Männer.
Altersstruktur der Betroffenen
Obwohl in der Kindheit prinzipiell jede Form der Migräne auftreten kann, sind basiläre neurologische Symptome besonders häufig bei der kindlichen Migräne zu beobachten (vgl. Göbel 2012).
Grundsätzlich kann die Basilarismigräne in jedem Alter auftreten. Häufiger wird sie offenbar bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen beobachtet. In der Fachliteratur wird angegeben, dass sich die Erkrankung normalerweise im Alter zwischen 7 bis 20 Jahren präsentiert. In Patientenforen und anderen Medien, in denen über die Migräne mit Hirnstammaura berichtet wird, treten jedoch häufiger Erwachsene über 30 in Erscheinung. Das liegt vermutlich daran, dass erst ab diesem Alter eine gewissen „Mediennutzungskompetenz“ vorhanden ist und Austausch auf diesem Wege in Betracht gezogen wird. Die überwiegende Mehrheit der in den sozialen Medien Rat- und Hilfesuchenden sind weiblich (z.B. 61 von 63 Mitgliedern einer deutschen Hirnstammaura-Facebookgruppe).
1.3 Prognose
Aufgrund der Seltenheit dieser Migräneart liegen nur begrenzt Daten zu Langfrist-Prognosen der Betroffenen vor. Einige Untersuchungen legen nahe, dass die Häufigkeit von Migräne mit Hirnstammaura mit dem Alter abnimmt. Bei vielen Betroffenen verändert sich die Migräne im Verlauf auch zu Episoden typischerer Migräneformen oder Mischformen.
In Betroffenen-Foren wird häufig berichtet, dass sich nach extrem hochfrequenten Hirnstammaura-Phasen, die vor allem vor und während der noch unklaren Diagnosephase auftreten, Phasen mit deutlich weniger starken Symptomen anschließen können.