Читать книгу Leuchtfeuerherzen - Tanja Janz - Страница 10

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3. KAPITEL

Alicia saß neben Clara in der alten Hollywoodschaukel. Sie war froh, ihre beste Freundin bei sich zu haben, und hatte den Kopf an ihre Schulter gelehnt, während sie ins Leere starrte.

»Und wie war es bei der Seelöwenbande?«, fragte Clara, nachdem sie eine Weile lang geschwiegen hatten.

»Schön.« Alicia war heute Morgen schon sehr früh aufgestanden, weil der Liebeskummer ihr den Schlaf geraubt hatte. Deswegen war sie überpünktlich, schon um kurz vor neun Uhr am Zoo gewesen, bevor dieser seine Pforten geöffnet hatte. »Ich habe Ilka beim Füttern geholfen und habe mich für die Besucher von Legolas nass spritzen lassen«, zählte sie auf.

»Du hast schon mal begeisterter geklungen, wenn du von deinen Seelöwen erzählt hast«, stellte Clara fest.

»Ich weiß … seit Elias mit mir Schluss gemacht hat, ist irgendwie alles so … leer in mir. Ich weiß gar nicht, wie ich die Ferien überstehen soll, wenn du weg bist.« Alicia schluckte und blinzelte ein paar Tränen weg. »Ich kann einfach nicht vergessen, was Elias zu mir gesagt hat. ›Lass uns unsere Beziehung auf Eis legen und gucken, was nach den Ferien ist‹«, machte sie ihn nach. »Ich bin doch kein Spielzeug, das man in einen Schrank stellen kann, ohne zu wissen, ob man damit überhaupt noch mal spielen will.«

Clara schüttelte den Kopf. »Du bist definitiv mehr als das! Wenn du mich fragst, der spinnt doch!«

»Trotzdem geht es mir total schlecht. Ich frage mich die ganze Zeit, ob ich was falsch gemacht habe.«

Clara schnaubte. »Er kann froh sein, dass du überhaupt so lange sein Spiel mitgemacht hast. Also, ich hätte ihn schon längst in die Wüste geschickt.«

»Ich habe so gehofft, dass es mit uns wieder gut wird, als er plötzlich bei mir aufgetaucht ist.« Alicia schaute auf ihr Handy, das neben ihr lag. »Aber das kann ich mir wohl abschminken. Er hat sich nicht mehr bei mir gemeldet.«

»Und wie soll das jetzt weitergehen?«

Alicia zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Ich weiß gar nicht, ob Elias überhaupt will, dass es weitergeht.«

»Und was willst du?«

»Ich will, dass ich ihm genauso wichtig bin wie sein Fußball.«

»Oha.« Clara schaute sie skeptisch an. »Das hört sich aber nach einer ziemlich wundersamen Veränderung an, die bei Elias eintreten müsste.«

»Du meinst, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eintreten wird?«

»Vermutlich nicht.«

»Ich weiß … er würde nie das Fußballtraining sausen lassen, um Zeit mit mir zu verbringen.« Alicia seufzte und trank noch einen Schluck Cola.

Clara legte ihr einen Arm um die Schultern. »Er weiß gar nicht, was er für ein Glück mit dir hatte. Dabei hatte er dich nicht mal verdient. Ich finde, du solltest dir mehr wert sein.«

»Wie meinst du das?«

»Kein Junge der Welt kann so toll sein, dass du es nötig hast, dich so von ihm behandeln zu lassen. Und wenn er nicht bereit ist, dich zu einer seiner Prioritäten zu machen, erst recht nicht. Normalerweise müsste der Idiot auf Knien vor dir um Vergebung betteln und selbst dann müsstest du überlegen, ob du ihm noch eine Chance gibst.«

»Danke, Clara. Du hast wie immer recht.« Sie war froh, Clara als beste Freundin zu haben. Auf sie konnte Alicia immer zählen.

»Ich weiß. Und deshalb weiß ich auch, dass du dringend eine Ablenkung brauchst«, beschloss Clara.

»Und was soll das sein? Nicht mal die Seelöwen konnten mich richtig aufheitern.«

Clara drückte sie an sich. »Kopf hoch! So weit weg ist Florida gar nicht, wir können immer schreiben und ich werde schon dafür sorgen, dass du keinen Gedanken mehr an diesen Idioten verschwendest. Zur Not nerve ich dich jeden Tag mit einem Anruf zu einer unsäglichen Tageszeit, versprochen.«

Eine Weile schaukelten sie still hin und her. Das mochte Alicia an Clara. Mit ihrer besten Freundin konnte sie nicht nur supergut über alles reden, sondern auch zusammen schweigen.

»Ach, da bist du ja«, ertönte es plötzlich von der Terrassentür her. Alicias Mutter hatte ihren Kopf nach draußen gesteckt und trat mit einem Stapel Post in der Hand aus dem Haus. »Hallo, Clara!«

»Guten Abend, Frau Schumann!«

Alicias Mutter kam zu ihnen herüber. »Ich habe gerade die Post aus dem Briefkasten geholt. Einer ist für dich.« Sie hielt Alicia einen Umschlag entgegen.

»Für mich?« Alicia runzelte die Stirn und nahm das Kuvert an. »Wer sollte mir denn Post schicken? Ich bin ein Teenager.«

»Könnte allerdings nicht schaden, wenn du mehr Post kriegen würdest. Dann würdest du vermutlich daran denken, auch ab und zu den Briefkasten zu leeren«, sagte ihre Mutter und zwinkerte den Mädchen zu. »So, ich werde mich dann mal ums Abendessen kümmern. Papa ist bestimmt schon auf dem Nachhauseweg. Möchtest du mitessen, Clara?«

»Sehr gerne, danke.«

»Dann bis gleich.« Alicias Mutter verschwand wieder im Haus.

»Und? Von wem ist denn der Brief?«

Alicias Blick blieb am Absender hängen. »Die Schutzstation Wattenmeer«, sagte sie verwundert.

»Echt? Haben die deine Bewerbung für das Praktikum in den Ferien nicht abgelehnt?«

»Ja. Ist wahrscheinlich nur Infopost. Für Spenden oder so.« Alicia wollte den Brief weglegen.

»Guck doch mal nach«, hielt Clara sie davon ab.

»Na gut.« Alicia schlitzte den Briefumschlag mit einem Finger auf und zog ein gefaltetes Blatt Papier heraus. Sie klappte es auseinander und las die mit Computer geschriebene Nachricht laut vor. »›Liebe Alicia, vielen Dank noch einmal für deine Bewerbung als Sommerpraktikantin in der Schutzstation Wattenmeer. Leider mussten wir dich zunächst ablehnen, doch nun haben wir gute Neuigkeiten für dich. Da ein Teammitglied der Schutzstation in Westerhever seinen Aufenthalt früher als geplant abgebrochen hat, haben wir einen Platz in den Sommerferien frei. Per Losverfahren ist die Wahl auf dich gefallen. Wir wissen, es ist sehr kurzfristig, hoffen aber, dass du noch Zeit und Lust hast, dein Sommerpraktikum bei uns am Leuchtturm zu machen. Gib uns bitte bald Bescheid, ob du das Praktikum noch antreten möchtest. Viele Grüße von der Küste, Pit Petersen, Stationsleitung Westerhever.‹«

Alicia hatte während des Vorlesens immer größere Augen bekommen. »Ich glaub’s nicht! Das kann doch nicht sein!« Ungläubig las sie das Schreiben noch einmal.

»Das ist ja der Knaller!«

Alicia sprang auf und Mäxchen machte vor Schreck einen Satz vom Gartenstuhl. »Sie haben mich wirklich genommen!«, rief sie und fiel Clara in die Arme. »Ich kann es einfach nicht glauben, dass ich so ein Glück habe!«

»Das hast du dir doch so doll gewünscht! Ich freue mich für dich!«, stimmte Clara in den Jubel ein. »Wie lang geht das Praktikum denn?«

»Vier Wochen, soweit ich weiß.« Alicia strahlte über das ganze Gesicht.

»Ist doch super! Genau das, was du jetzt brauchst!«

»Gibt’s was zu feiern?« Alicias Vater erschien auf der Terrasse. Seine Krawatte hing lose um seinen Hals und die zwei obersten Knöpfe seines Hemdes waren geöffnet.

»Ach, Paps, es ist unglaublich! Alle Plätze waren belegt und nun darf ich doch mein Praktikum am Westerhever Leuchtturm machen! Vier Wochen im Naturschutzgebiet von Westerhever, was für ein Glück!«, rief Alicia freudestrahlend.

»Na wunderbar, meine Kleine. Gratuliere. Du wirst ihnen schnell zeigen, dass sie die beste Entscheidung ihres Lebens getroffen haben.« Er gab Alicia einen Kuss auf die Wange und rief dann ins Haus: »Melanie! Wir haben in den Ferien sturmfreie Bude! Unsere Tochter macht ein Praktikum an der Nordsee!«

»Mensch, Papa!« Alicia musste lachen. »Das wissen jetzt auch alle Nachbarn.«

Alicias Mutter kam mit vier Tellern in den Händen raus, die sie auf dem Tisch abstellte. »Was? Wann? Ich dachte, alle Plätze sind bereits vergeben!«

»Jemand ist abgesprungen. Ich bin per Losverfahren nachgerückt.« Alicia drückte ihrer Mutter das Schreiben der Schutzstation in die Hand.

Sie überflog den Brief. »Wie toll! Herzlichen Glückwunsch, mein Schatz. Du rufst am besten nachher sofort Tante Heide an, damit sie weiß, dass du doch kommst.«

»Aber zuerst wird dein Praktikumsplatz gebührend gefeiert«, beschloss Alicias Vater.

»Nachdem du mir geholfen hast, den Tisch zu decken, mein Lieber«, sagte Alicias Mutter und zog ihren Mann an der Krawatte ins Haus.

Alicia und Clara lachten und ließen sich wieder in die Polster der Hollywoodschaukel sinken.

»Du hast echt klasse Eltern«, meinte Clara.

»Ich weiß. Manchmal sind sie zwar etwas albern, aber meistens vorzeigbar.«

Clara legte den Kopf schief. »Und?«

»Was und?«

»Wie geht es dir jetzt? Und wie war das mit ›dich kann nichts begeistern‹?«

Alicia lehnte den Kopf gegen die Rücklehne der Schaukel. »Ach, ich kann es einfach noch nicht fassen. Ich bin einfach unbeschreiblich glücklich, dass es doch noch klappt. Das ist eine riesige Chance für mich, meinen Traumjob kennenzulernen.«

»Und Mister Blöd hast du glatt über der Nachricht vergessen«, stellte Clara zufrieden fest.

»Du hast recht. Jetzt ist die Zeit für meinen großen Traum gekommen und den lasse ich mir nicht von Elias verderben.«

Später als Clara weg und Alicia in ihrem Zimmer war, schrieb sie schnell eine E-Mail an die Schutzstation, um ihr Kommen zu bestätigen. Sie musste nicht lange auf eine Antwort warten. Lena, ein Mädchen vom Stationsteam, schrieb ihr gleich zurück und fragte sie, wann sie anreisen wolle. Alicia vereinbarte mit ihr, dass sie nächste Woche Samstag vor Ort sein könnte. Danach rief sie bei ihrer Tante Heide an, um ihr die guten Neuigkeiten zu erzählen.

»Das ist ja wunderbar! Freut mich riesig zu hören, dass es doch geklappt hat.«

»Und mich erst! Ich wusste ja, dass es nahezu unmöglich sein würde, einen Praktikumsplatz in der Schutzstation Westerhever zu ergattern, weil es nur vier Plätze gibt und die von Leuten im Freiwilligen Ökologischen Jahr oder Bundesfreiwilligendienst für ein Jahr besetzt sind«, plapperte Alicia aufgeregt. »Und dann kam auf einmal die Nachricht.«

»Manchmal muss man eben ein bisschen Glück haben. Aber ich habe ja von Anfang an gesagt, dass es klappen wird«, sagte ihre Tante. »Und wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen. Das wird höchste Eisenbahn.«

»Das stimmt. Kann ich nächsten Freitag vielleicht eine Nacht bei dir bleiben, bevor es losgeht?«, erkundigte Alicia sich. Immerhin war Hochsaison und sie wusste, dass ihre Tante keinen Mangel an Gästen haben würde.

»I wo! Ganz und gar nicht. Das passt sogar gut, die nächsten Gäste reisen erst am Samstag an. Ich freu mich so, dass es doch noch klappt, dich in den Ferien zu sehen! Hoffentlich hast du überhaupt ein bisschen Zeit für mich.« Tante Heide lachte.

»Na klar! Mehr als sechs Stunden täglich werde ich im Praktikum nicht arbeiten. Dann bleiben immerhin noch 18 Stunden übrig.«

Nach dem Telefonat durchstöberte Alicia ihren Kleiderschrank. Für die Arbeit in der Schutzstation brauchte sie vor allem praktische und bequeme Sachen und nichts, womit sie eine Modenschau hätte veranstalten können. Als ihr ein Kleid in die Hände fiel, dachte sie trotzdem darüber nach, es einzupacken. Sie würde immerhin nicht den ganzen Tag arbeiten und hoffentlich einige Leute kennenlernen, mit denen sie ihre freie Zeit verbringen konnte.

Kurzerhand warf sie das Kleid auf ihr Bett und kramte noch einige Jeans, mehrere T-Shirts, eine Fleecejacke und einen Strickpullover hervor. Sie wusste von ihren Urlauben bei ihrer Tante, dass es auch im Sommer ziemlich frisch an der Küste werden konnte. Nach kurzer Zeit bedeckte der komplette Inhalt des Kleiderschranks den Boden ihres Zimmers. Mäxchen hatte es sich auf einem Stapel T-Shirts bequem gemacht. Die Sachen, die sie mitnehmen wollte, hatte sie zu dem Kleid auf ihr Bett gelegt.

»Na, bist du schon im Reisefieber?« Ihre Mutter lehnte im Türrahmen und begutachtete lächelnd das Chaos, das sich ihr bot.

»Ja. Ich dachte, ich packe schnell, bevor die von der Schutzstation es sich anders überlegen«, erwiderte Alicia grinsend. »Was ich nicht hoffe. Du weißt ja, wie lange ich von diesem Praktikum geträumt habe.«

Ihre Mutter nickte. »Und jetzt wird dein Traum wahr. Es hat die Richtige getroffen. Einen größeren Tier- und Naturfan als dich kenne ich nicht.«

»Und dann auch noch in Westerhever! Wusstest du, dass es die einzige Schutzstation ist, die direkt in einem Nationalpark liegt?«, fragte Alicia aufgekratzt.

»Hört sich an wie für dich gemacht.« Ihre Mutter stieg über Alicias Kleidung und schaute auf die Sachen, die auf dem Bett lagen. »Sind das die Klamotten, die du mitnehmen willst?«

Alicia nickte.

»Falls du noch etwas brauchst, sag Bescheid. Bevor mein Mädchen nach St. Peter-Ording fährt und vielleicht erwachsen zurückkommt, könnten wir ruhig noch mal zusammen shoppen gehen. Wo wir dir schon keinen Sommerurlaub schenken konnten.«

Alicia verdrehte gespielt die Augen. »Jetzt übertreibst du. Aber wir könnten wirklich einkaufen gehen, bevor ich nächsten Freitag zu Tante Heide fahre.«

»Ah! Nächsten Freitag schon. Gut zu erfahren.« Ihre Mutter grinste. »Gibt es sonst noch etwas, was ich wissen sollte? Hast du mit deiner Tante Pläne geschmiedet, wie ihr die Welt revolutionieren wollt?«

Alicia überlegte kurz. »Nö. Eigentlich nicht. Das machen wir dann, wenn ich da bin.«

»Wieso macht mir diese Vorstellung nur solche Angst?« Ihre Mutter gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Gute Nacht und mach nicht mehr allzu lange. Komm, Mäxchen, du bekommst noch ein Betthupferl.« Sie nahm den Kater auf den Arm und ging mit ihm nach unten.

Als Alicia wieder alleine in ihrem Zimmer war, räumte sie schnell die Kleidung zurück in den Schrank, die nicht die Reise mit ihr nach St. Peter-Ording antreten würden. Danach putzte sie sich rasch die Zähne, bevor sie in ihren Pyjama schlüpfte, das Licht ausknipste und sich in ihr Bett kuschelte. Obwohl sie müde war, war an Schlaf nicht zu denken. Die freudige Aufregung durchströmte sie immer noch und würde in den nächsten Tagen sicher nicht nachlassen.

Instinktiv griff sie nach ihrem Handy und begann, eine Nachricht an Elias zu schreiben. Hey, tippte sie, ehe sie erstarrte. Für einen Moment hatte sie tatsächlich den großen Streit mit ihm und vermutlich auch das Ende ihrer Beziehung vergessen. Alles kam mit einem Schlag zurück, doch anstatt wie eine Flutwelle über sie hereinzubrechen und all ihre Freude unter sich zu begraben, versetzte der Schmerz ihr nur einen kleinen Dämpfer.

Sie legte das Smartphone wieder zurück auf ihr Nachttischchen und dachte an Claras Worte, dass sie sich mehr wert sein sollte. Und wie recht sie damit hatte.

Mit dem Thema Jungs war sie für die nächste Zeit durch, beschloss Alicia selbstbewusst. Mittlerweile war die Trauer der großen Vorfreude auf die bevorstehende Zeit gewichen. Anstatt in Selbstmitleid und Liebeskummer zu baden, würde sie ihre zukünftigen Pläne von einem Studium als Tierärztin oder Biologin verfolgen. Das Praktikum in der Schutzstation war die perfekte Möglichkeit, um erste Erfahrungen mit der Tierwelt an der Nordseeküste zu sammeln – zumal ihre Lieblingstiere, die Robben, in großer Anzahl im Wattenmeer zu finden waren.

Apropos Wattenmeer, im Keller standen doch noch ihre gelben Gummistiefel. Die mussten auch unbedingt mit nach St. Peter-Ording, dachte sie, bevor sie einschlief und von niedlichen Heulern auf einer großen Sandbank träumte.

Leuchtfeuerherzen

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