Читать книгу Leuchtfeuerherzen - Tanja Janz - Страница 7

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PROLOG

Liam hatte sich die heutige Aktion seit Tagen ausgemalt, und als seine Freunde mit zwei Schubkarren auf ihn zukamen, breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. Die Show konnte beginnen – und er würde ihm zeigen, dass er es ernst meinte.

»Da seid ihr ja endlich«, begrüßte er Lena und Fiete und schob das Garagentor hoch, an dem er gelehnt hatte. »Dachte schon, ihr kommt nicht mehr.« Nickend wies er auf eine Reihe von gefüllten blauen Säcken, die hinter den Surfbrettern standen.

»Mit den Schubkarren sind wir keine ICEs«, antwortete Fiete etwas außer Atem. Auf seiner Stirn hatte sich ein leichter Schweißfilm gebildet. Er stellte die Schubkarre ab und fuhr sich mit einem Ärmel seiner Sweatshirtjacke über die Stirn.

Lena stellte ihre Schubkarre ebenfalls ab und fischte ein Handy aus einer Tasche ihrer Jeanslatzhose. »Ich weiß gar nicht, was du hast. Wir sind total pünktlich.« Sie blickte vom Handy auf. »Was machst du denn schon hier? Wir haben erst in einer Viertelstunde mit dir gerechnet – frühestens. Solltest du nicht gerade eine Englischarbeit schreiben?«

»Pfft!« Liam verzog den Mund und strich mit einer Hand eine hellblonde Strähne unter sein Cap. »Hab ich mir geschenkt.«

Lena runzelte die Stirn. »Aha … und was wird aus deinem FOR?«

»Wenn das so weitergeht mit dieser Welt, brauche ich keinen Schulabschluss mehr«, erwiderte er trocken, griff nach einem Sack und beförderte ihn schwungvoll in eine Schubkarre.

»Stimmt.« Fiete schnappte sich ebenfalls einen der blauen Beutel und lud ihn auf eine Karre.

Lena schien mit sich zu ringen, ob sie etwas sagen sollte. Liam sah sie herausfordernd an. Die Predigt konnte sie sich sparen. Sie wusste genau, wie stur er war – und dass ihm die Aktion superwichtig war, wussten alle. Genauso, wie sie wussten, dass Liam damit um noch viel mehr kämpfte als nur gegen Müll. Schließlich seufzte sie nur. »Und dein Vater hat keine Ahnung?«

»Nicht die geringste. Der würde noch nicht mal mitbekommen, wenn jemand in meiner Garage wohnen würde.« Liams Tonfall triefte vor Spott. Er machte keinen Hehl daraus, was er von den Geschäften seines Vaters hielt. »Mein alter Herr ist viel zu sehr mit seinen Projekten beschäftigt, als dass er irgendetwas bemerken würde.«

Lena legte ihm eine Hand auf die Schulter und lächelte ihn aufmunternd an. Die Wut und Enttäuschung über seinen Vater lösten sich unter ihrer Geste auf und wichen Entschlossenheit.

»Dann mal auf in den Kampf«, sagte Liam.

Eine gute Viertelstunde später luden sie die Schubkarren mit den Säcken in den Ortsbus ein. Liam bemerkte die neugierigen Blicke der anderen Fahrgäste und lachte in sich hinein. Wenn die Leute hier schon so schauten, was für Gesichter würden dann erst die anderen machen? Allen voran sein Vater?

Sie fuhren an alten, reetgedeckten Friesenhäusern und gemütlichen Cafés vorbei, Richtung Bad, dem Zentrum von St. Peter-Ording.

Als sie die voll beladenen Karren am Hotel Strand Gut Resort vorbeischoben, konnten sie schon von Weitem eine Menschenansammlung auf dem Seebrückenvorplatz ausmachen. Die Veranstaltung schien bereits in vollem Gang zu sein.

»Perfektes Timing.« Liams Mundwinkel verzogen sich zu einem zufriedenen Grinsen.

Die Leute hatten sich wenige Meter vor dem Kurkartenhäuschen versammelt. Liam, Lena und Fiete blieben zunächst in einiger Entfernung neben der Bude stehen, von wo aus sie einen guten Blick auf das Geschehen hatten.

»Ein Hauch von Amerika in St. Peter-Ording«, meinte Liam kopfschüttelnd.

Über dem Eingang der Bude prangte »Coffee-to-go-Station« in unübersehbaren Leuchtschriftbuchstaben. Davor stand sein Vater in einem eleganten Anzug, gestikulierte groß beim Reden und lächelte dabei in die zahlreichen Kameras.

»Dein Vater scheint in seinem Element zu sein«, stellte Lena nüchtern fest.

»Er liebt solche Termine geradezu«, stimmte Liam ihr zu. »Und die gesamte hiesige Presse ist anwesend, inklusive der Bürgermeister.«

»Perfekter kann es für ihn nicht laufen«, erwiderte sie.

»Perfekter kann es für unsere Aktion gar nicht sein.« Liam grinste sie an.

»Du weißt, dass wir auf jeden Fall dabei sind. Aber bist du dir wirklich sicher, dass du das tun willst?«, fragte Fiete ihn.

»Wieso sollte ich mir nicht sicher sein?«

Fiete zuckte mit den Schultern. »Er ist dein Vater.«

»Und wennschon. Wenn es um Geld geht, ist alles andere bloß zweitrangig. Ich auch.« Auch jetzt konzentrierte Liam sich nur auf die grimmige Entschlossenheit in sich und ließ der Enttäuschung keinen Platz. Dieses Verhalten kannte er schon viel zu lange von seinem Vater, als dass es ihn noch kümmern sollte.

»Dann mal los, bevor die Presseveranstaltung zu Ende ist.« Lena schob die Karre auf das Häuschen zu, die Jungs folgten ihr.

»… das hat in Sankt Peter-Ording viel zu lange gefehlt. Wir schließen mit unserem Coffee-to-go-Prinzip eine Marktlücke.« Liams Vater setzte erneut ein breites Lächeln auf und hielt den Fotografen einen Einweg-Kaffeebecher mit Plastikdeckel entgegen. »Endlich können die geschätzten Touristen ihren leckeren Kaffee auch am …« Er geriet ins Stocken, als ein blauer Müllsack scheppernd vor seinen Füßen landete und der Inhalt sich auf seinen Schuhen und dem Steinpflaster vor ihm verteilte. Angewidert machte er einen Satz nach hinten. »Was zum …! Was soll der Blödsinn?«, rief er ärgerlich.

Ungerührt kippte Liam den Inhalt eines weiteren Sackes vor dem Häuschen aus, gefolgt von noch einem, den Fiete entleerte. Dutzende Plastikbecher und -flaschen bedeckten den Boden, dazwischen eine Angelsehne, Schuhe, Blechdosen, ein zerfetztes rotes Gummiboot und eine von Muscheln besiedelte Sonnenbrille. Die Kameras der Fotografen klickten hektisch und der Bürgermeister schnappte nach Luft.

»Was soll das? Bist du völlig übergeschnappt?!« Sein Vater wollte ihn zur Seite schieben, doch Liam blieb stehen und blickte seinen Vater wütend an. »Was glaubst du eigentlich, was du hier machst?«

Liam hob sein Kinn. »Was glaubst du eigentlich, was du hier machst?!«, fragte er, doch bevor sein Vater reagieren konnte, wandte er sich an die anwesende Presse. »Wir brauchen keine Coffee-to-go-Station in Sankt Peter-Ording. Wir brauchen keinen weiteren Müll, der in der Nordsee landet und unsere Umwelt verschmutzt!«

Er griff nach einem eingerissenen, platt gedrückten Plastikbecher, der in einer Schubkarre lag. »Wissen Sie, was das hier ist?« Er zeigte den Anwesenden den kaputten Behälter. »Das hier lag gestern im Spülsaum am Strand, bloß ein paar Meter von dem Pfahlbau Arche Noah entfernt. Meine Recherchen im Internet haben ergeben, dass es sich hierbei um einen Messbecher eines Waschmittels handelt. Anhand des aufgedruckten Werbeslogans Fakt mit der neuen Basiskraft mit PSE konnte ich das Alter leicht bestimmen. Die Werbung lief im Sommer 1970 und damit dürfte der Becher schon 50 Jahre alt sein. Wir können nicht zulassen, dass noch mehr unseres Mülls jahrelang im Meer schwimmt!«

Lena und Fiete rollten zwei Transparente aus, die sie vor einigen Tagen angefertigt hatten. Eins legten sie auf den Müllberg, das andere hielten sie so, dass die Fotografen es gut ablichten konnten. Liam trat einen Schritt zur Seite, damit jeder sie lesen konnte – There is no planet B und Früher war der Fisch in der Packung, heute ist die Packung im Fisch.

»Also, das ist ja unglaublich! Und völlig überzogen!«, rief Liams Vater mit hochrotem Gesicht. »Du spinnst doch komplett, wegen der paar Becher hier so einen Aufstand zu machen!« Und zu den Anwesenden gewandt, sagte er: »Ich muss mich für meinen Sohn und seine Freunde entschuldigen. In dem Alter regiert der jugendliche Übermut, wissen Sie.« Er versuchte, den Zwischenfall, so gut es ging, wegzulächeln, was ihm allerdings nicht ganz gelang.

»Was wollen Sie mit Ihrer Protestaktion erreichen?«, fragte ein Reporter.

»2,8 Milliarden Einwegbecher und 1,3 Milliarden Plastikdeckel werden pro Jahr weggeworfen. Das sind pro Stunde 320.000 Stück in Deutschland. Der Wahnsinn muss endlich aufhören«, forderte Lena mit fester Stimme.

»Plastikbecher sind ein NO, denn wir lieben SPO!«, skandierte Fiete und hielt das Transparent noch höher.

»Wegen meiner Coffee-to-go-Station geht jetzt die Welt unter oder was?!«, brüllte Liams Vater, dessen Gesichtsfarbe mittlerweile die Farbe einer Tomate angenommen hatte. »Ihr seid doch völlig übergeschnappt!«

Liam wusste, was im Leben seines Vaters wirklich zählte, und das war nicht die Umwelt. Trotzdem fehlten ihm für einen Moment vor lauter Wut die Worte.

»Wie wäre es, wenn wir uns jetzt alle wieder beruhigen und einen Kaffee im Hotel trinken – ganz klassisch?«, witzelte der Bürgermeister, dem die Situation sichtlich unangenehm war. »Meine Damen und Herren, bitte folgen Sie mir …« Er wies zum Eingang vom Deichkind, dem Restaurant des Strand Gut Resort.

»Typisch! Jeden Tag von Neuem unsere Welt zumüllen und dann auch noch wegschauen, wenn jemand etwas daran ändern will!«, rief Lena den Leuten hinterher.

»Das wird noch ein Nachspiel haben, Liam!«, zischte ihm sein Vater wutentbrannt zu. »Wenn deine Mutter diese Aktion erlebt hätte, sie hätte sich in Grund und Boden für dich geschämt.«

»Lass Mama gefälligst da raus!« Liam ballte vor Wut die Fäuste.

Sein Vater winkte bloß ab und beeilte sich, zu den anderen aufzuschließen.

Ein Reporter war zurückgeblieben und kam nun zu ihnen. »Euer Verhalten hat mir imponiert.« Er hob anerkennend die Augenbrauen und überreichte Lena eine Visitenkarte. »Ich würde euch gerne mal interviewen und eure Sichtweise in einem Artikel bringen … falls ihr möchtet.«

»Ja gerne. Wir melden uns bei Ihnen.« Lena steckte die Karte in die Brusttasche ihrer Latzhose.

Der Journalist verabschiedete sich und folgte den anderen ins Restaurant Deichkind.

Liam blickte zum Hoteleingang, seine Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt. »Wenn mein Vater glaubt, er könnte mich einschüchtern, dann hat er sich geschnitten. Ich werde nicht einfach nur dastehen und zuschauen, wie er mit unserer Zukunft spielt, nur um sich selbst zu bereichern.«

»Eins steht fest, er will auf keinen Fall, dass du ihm seine neue Geschäftsidee kaputt machst.« Fiete zog sich einen Arbeitshandschuh über und fing an, das Strandgut wieder zurück in den Sack zu räumen.

Liam griff ebenfalls nach einem Handschuh. »Das kann er sich abschminken«, sagte er mit fester Stimme.

»Was hast du vor?«, wollte Lena wissen.

»Das muss ich mir noch überlegen. Aber eines kann ich euch sagen: Jetzt erst recht.«

Leuchtfeuerherzen

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