Читать книгу Die Zuckermeister (2). Die verlorene Rezeptur - tanja Voosen - Страница 11

Оглавление

Nachmittags trafen sich Elina, Charlie und Robin vor Herrn Schnotters Haus. Nachdem Elina geklingelt hatte, wurde sie nervös. Heute ging es ja nicht nur um einen netten Plausch, sondern einen wichtigen Gefallen.

Der alte Süßigkeitenwerker war kurz verwundert, freute sich aber über ihren spontanen Besuch und sie machten es sich mit Tee im Wohnzimmer gemütlich. Kaum saß Herr Schnotter in seinem Sessel, klingelte es jedoch.

»Hier ist ja einiges los heute!«, brummte er und hinkte zur Tür.

Elina griff nach ihrer Tasse und trank einen Schluck. »Bäh!« Sie schüttelte sich. »Der schmeckt so, als hätte Herr Schnotter statt Teebeuteln stinkige Socken ins heiße Wasser reingetunkt«, flüsterte sie Charlie zu, die links neben ihr saß. »Ja! Echt eklig!«, stimmte die zu und stellte ihre Tasse hastig zurück auf den Tisch. »Vielleicht hat er, als Vivien ihm ein paar Erinnerungen genommen hat, vergessen, wie man guten Tee macht?«

Die beiden sahen erwartungsvoll zu Robin.

Der schlürfte den Tee, ohne mit der Wimper zu zucken. »Was?«

»Haben dir die ganzen magischen Süßigkeiten die Geschmacksnerven weggeätzt?«, fragte Elina belustigt. »Schmeckt jetzt alles nur noch magisch für dich?«

Robin schlürfte extra laut weiter. »Mhhhh! Ich finde ihn lecker!«

Herr Schnotter kam zurück ins Wohnzimmer. »Jedes Mal dasselbe. Ständig versucht der Postbote, mir die Post von Frau Kloß anzudrehen, damit er sich nicht ihr Geplapper anhören muss. Dabei kommt die trotzdem wie auf Kommando zum Zaun und redet ohne Punkt und Komma!«, beschwerte er sich. Seine Hundedame Tinka, die ihm auf Schritt und Tritt folgte, wackelte mit dem Kopf, als wolle sie zustimmen.

Charlie rückte bei Tinkas Anblick näher zu Elina, die gerade ihre Tasse auf dem Tisch abgesetzt hatte. Zwar wussten alle, dass Tinka zutraulich und lieb war, aber ihre Angst vor Hunden konnte Charlie trotzdem nicht ganz ablegen.

»Also, raus mit der Sprache«, sagte Herr Schnotter und setzte sich zurück in seinen Sessel. »Ich sehe euch an der Nasenspitze an, dass ihr nicht nur vorbeigekommen seid, um Hallo zu sagen. Es gibt doch nicht wieder ein magisches Problem?«

»Nein«, sagte Charlie.

»Gar nicht«, sagte Robin.

»Doch!«, sagte Elina.

Herr Schnotter seufzte. »Was ist passiert?«

»Sie wissen doch, was ein Pon ist, oder?«, fragte Elina.

»Ob ich weiß … Kind, natürlich! Bevor ich ins Exil geschickt wurde, war ich wie jeder Süßigkeitenwerker im Besitz von einem. Natürlich haben die Zuckermeister meines konfisziert, nachdem sie über meine Strafe entschieden hatten.«

Herr Schnotter machte manchmal solche Andeutungen über sein altes Leben und seine Strafe, doch er hatte ihnen nie gesagt, was genau geschehen war. Elina fragte sich wieder einmal, was sein Geheimnis war.

»Robins Pon ist kaputt«, sagte sie dann geradeheraus.

»Deine Eltern waren bestimmt stinkwütend auf dich«, sagte der alte Herr. »Ein Pon kaputt gemacht! Damit geht man sorgsam um! Und was hat das mit mir zu tun?«

Elina spürte, wie Robins Blick auf ihr lastete. Sie sah zu ihm und er formte mit den Lippen stumm die Worte Ich hab’s dir ja gesagt. Dann trank er den Stinkesocken-Tee, als wolle er nichts mehr sagen.

Sie sah zu Herrn Schnotter zurück und holte tief Luft. »Es war unsere Schuld! Charlies und meine. Robins Eltern wissen nichts davon. Sie haben nämlich recht. Seine Eltern wären echt stinkwütend, wenn sie das wüssten. Wir wollen das wieder geradebiegen und dachten … können Sie uns nicht helfen, Herr Schnotter? Bitte!«

»Ich bin kein Erfinder. Ich kann nichts Magisches reparieren.«

»Oh«, sagte Elina vor den Kopf gestoßen. Doch so leicht gab sie nicht auf! »Aber es gibt jemanden, der magische Dinge reparieren kann? Auch ein Pon?«

»Elina«, sagte Herr Schnotter nachsichtig. »So einfach ist das nicht. Ein Pon ist die Brücke zur Magie und schon ein kleiner Fehler kann sie dazu bringen einzustürzen. Nur eine äußerst fähige Person kann es reparieren und so jemanden findet ihr nicht in Belony, sondern nur an einem ganz besonderen Ort.«

Sie rutschte an die Kante des Sofas vor. »An einem magischen Ort?«

Herr Schnotter nickte und sagte dann zu Robin: »Sprich mit deinen Eltern.«

»Das … das geht nicht«, murmelte Robin. »Die würden mir den Kopf abreißen! Und Sie haben selbst mal gesagt, dass wir alle Fehler machen und es drauf ankommt, wie wir diese Fehler wiedergutmachen. Bitte, bitte helfen Sie uns, Herr Schnotter!«

Der alte Herr runzelte die Stirn. »In der Tat, das habe ich gesagt … «

Elina war richtig stolz auf Robin. Dieses Argument war doch unschlagbar!

Und tatsächlich rieb sich Herr Schnotter nachdenklich über die Schläfe.

»Na gut … ich helfe euch«, sagte er.

Robin sprang vom Sofa. »Wirklich? Danke!«

»Wirklich. Unter einer Bedingung.«

»Was für eine Bedingung?«, fragte Charlie vorsichtig.

Elina spannte sich an. Was würde er von ihnen verlangen? Es ging immerhin um einen großen Gefallen. Wie sollten sie diesen aufwiegen können? Was, wenn sie …

»Ihr werdet mein Haus putzen.«

Für einen Moment war Elina zu verdutzt, um reagieren zu können.

»Wir sollen sauber machen?«, fragte Robin misstrauisch.

»Ihr könnt direkt anfangen, wenn ihr schon mal da seid«, sagte Herr Schnotter.

Putzen? Elina traute ihren Ohren kaum. »Das ist alles?«

»Das Haus ist groß und staubig. Unterschätzt das mal nicht.«

»Das ist Kinderarbeit«, sagte Charlie empört.

»Wenn’s euch nicht passt, könnt ihr ja wieder gehen.« Herr Schnotter nahm sich seine Tasse, nippte daran, verzog dann aber den Mund. »Der schmeckt ja fürchterlich.«

Charlie und Elina sahen vielsagend zu Robin, der bloß mit den Schultern zuckte.

Herr Schnotter deutete zur Küche. »Ihr findet alles in der Abstellkammer.«

»Okay«, antwortete Elina für alle. So übel war der Deal schließlich nicht! Sie stand auf, zog Charlie auf die Beine und bedeutete Robin mitzukommen. Wenige Sekunden später teilten sie Eimer und Lappen untereinander auf.

»Von einer Geheimkammer zur Abstellkammer, wie glamourös!«, murmelte Charlie und beäugte mürrisch einen der Putzlappen.

»Es gibt doch echt Schlimmeres«, sagte Elina belustigt.

»Kinderarbeit«, wiederholte Charlie. »Was kommt danach? Unkraut jäten?«

»Sag das nicht zu laut«, meinte Robin, der ebenfalls nicht begeistert von dem Putz-Deal war. »Herr Schnotter findet die Idee sicher super.«

»Einer von euch kann hier bei mir anfangen!«, rief Herr Schnotter von nebenan.

Charlie und Robin sahen Elina ganz merkwürdig an.

»Gegen jemanden wie Vivien Aldric mit magischen Süßigkeiten kämpfen, aber sich vor Herrn Schnotter fürchten! Er ist doch bloß etwas eigenbrötlerisch«, sagte Elina und grinste dann. »Aber ich geh ja schon. Viel Spaß beim Putzen!«

Sie fing im Wohnzimmer an, über die Möbel zu wischen, und ihr fiel auf, dass es kaum Staubkörner gab. Eigentlich war alles echt sauber. Elina hielt inne und spähte zu Herrn Schnotter in seinem Sessel. Er hatte das sicher vorgeschoben, um nicht zu zeigen, wie sehr er sie eigentlich mochte und dass er ihnen gerne half.

Er sah über den Rand seiner Zeitung. »Ist was?«

Elina grinste. »Nö!«

Sie nahm ihren Eimer und ging ins nächste Zimmer. Links befand sich eine große Bücherwand, sonst gab es noch einen Schreibtisch und eine Kommode. Ein wenig neugierig war sie schon, als sie die vielen Fotos auf Letzterer sah. Sie stellte den Eimer ab und griff nach einem Rahmen, der in der Mitte stand. Die meisten der Fotos waren schwarz-weiß und anscheinend sehr alt – genau wie dieses hier. Es zeigte ein Paar. Eine junge Frau mit langem hellem Haar und einen jungen Mann mit dunklen Locken. Beide strahlten um die Wette. Kein Wunder! Die Frau hielt ihre Hand hoch, an der ein Ring steckte. In Brusthöhe, wo auch ihre Finger lagen, fiel Elina ein weiteres Schmuckstück auf: eine Anstecknadel.

Sie war rund, mit einem achteckigen Stern und kleinen Steinchen zwischen den Zacken des Sterns. In der Mitte war ein schnörkeliges H zu erkennen. Elina erinnerte sie an die Bonbonbroschen, die sie gesucht hatten, um die Zuckermeister zu finden – irgendwie hatte sie was Besonderes an sich.

»Was tust du da?« Plötzlich stand Herr Schnotter in der Tür.

Elina erschrak so sehr über sein Auftauchen, dass sie zusammenzuckte und das Foto herunterfiel. Obwohl der Boden mit Teppich gepolstert war, zerbrach das Glas des Rahmens. Sie ging sofort in die Knie, aber hier war nichts mehr zu retten.

Schuldbewusst blickte sie auf. »Entschuldigung! Ich kaufe Ihnen einen neuen Rahmen!« Mit dem kaputten Rahmen in der Hand stand sie wieder auf.

Sie fühlte sich schrecklich, aber Herr Schnotter wirkte nicht verärgert.

»Scherben bringen Glück«, sagte er.

»Glück? Ist das nicht eher andersherum?«

»Das hat sie immer gesagt«, erklärte Herr Schnotter und deutete auf die junge Frau mit dem strahlenden Lächeln. »Ihr ist ständig etwas heruntergefallen.« Er nahm Elina das Foto ab und schmunzelte. »Ihr Name war Margret, aber alle haben sie immer nur Maggie genannt. Ich habe sie sehr geliebt. Tue es noch immer.«

»Ist das … ist das Ihre Frau?«, fragte Elina behutsam.

Herr Schnotter nickte. »Das war sie. Sie ist vor langer Zeit gestorben.«

»Das tut mir leid«, sagte Elina. In ihrer Kehle bildete sich ein Kloß.

»Das muss es nicht. Sie war ein fröhlicher Mensch. Ein bisschen wie du, Elina. Immer auf der Suche nach Abenteuern und wahren Freunden.«


»Sie war wunderschön«, sagte Elina leise. »Und sie sieht sehr glücklich aus.«

»Das waren wir an diesem Tag auch«, meinte Herr Schnotter und bei der Erinnerung an seine Vergangenheit nahm seine Miene einen Ausdruck an, den Elina nicht deuten konnte. Das war mehr als Trauer wegen eines Verlusts, fast schon … Reue? »Sie hat mich stets zum Lachen gebracht. Maggie war verrückt nach Geschichten und wollte alle Orte auf der Welt besuchen, die etwas mit Mythen und Legenden zu tun haben. Deshalb hat sie das Bittersüß so geliebt. Dort habe ich ihr auch den Antrag gemacht.«

Elina betrachtete Herrn Schnotter mitfühlend. Er hatte sich noch nie auf solch eine Weise geöffnet und sie war dankbar und froh, dass er ihr das alles anvertraute.

»War sie eine Süßigkeitenwerkerin? So wie Sie?«

Herrn Schnotters Gesicht wurde plötzlich hart wie eine steinerne Maske. »Ihr geht jetzt besser.« Er stellte den zerbrochenen Bilderrahmen zurück an seinen Platz. »Am Wochenende bringe ich euch zu einem alten Bekannten, der Robin mit seinem Pon helfen kann. Samstag. Neun Uhr. Seid pünktlich.«

Elina war völlig vor den Kopf gestoßen. »Aber …«

Er sah sie ernst an. »Bitte. Ich möchte nun allein sein.«

Ob sie was Falsches gesagt hatte? Zögernd blieb Elina im Türrahmen stehen und sah noch mal zurück. Herr Schnotter starrte nun auf die anderen Fotos, als wäre er in seine Erinnerungen an Margret versunken. Sie bekam ein schlechtes Gewissen. Hätte sie besser mal nicht so viel nachgefragt …

Ratlos suchte sie Charlie und Robin und verkündete ihnen, dass sie für heute genug geputzt hatten. Statt sich über Herrn Schnotters Sinneswandel zu wundern, freuten die sich bloß, dass sie von ihrer Aufgabe befreit worden waren. Elina verließ das Haus jedoch mit einem komisch bedrückenden Gefühl. Herrn Schnotters Zeit als Süßigkeitenwerker war anscheinend nicht nur schön gewesen …

Die Zuckermeister (2). Die verlorene Rezeptur

Подняться наверх