Читать книгу Die Zuckermeister (2). Die verlorene Rezeptur - tanja Voosen - Страница 14

Оглавление

Magie und Wunder und alles dazwischen – Elina war so was von bereit dafür! Sie hatte jedoch nicht mit der stinknormalen Gasse voller Plakate und Mülltonnen gerechnet, in der sie gelandet waren. Bittersüße Allee? Wohl eher Gammel-Gasse!

Da vorne lag sogar ein leeres Pommes-Schiffchen auf dem Boden …

Nie im Leben war das der magische Ort, von dem Herr Schnotter gesprochen hatte!

Charlie schaute auch dumm aus der Wäsche.

»Ihr müsst ziemlich überwältigt sein. Braucht ihr einen Moment?«, fragte Herr Schnotter.

Elina sah vom fröhlichen Herrn Schnotter zu Robin, der staunend irgendwas anstarrte. Ob sie sich beim Reisen auf den Zwischenwanderpfaden irgendwo den Kopf angeschlagen und nun eine verkehrte Welt-Wahrnehmung hatte?

»Was ist denn mit denen los?«, meinte Charlie.

Herr Schnotter und Robin gingen ans Ende der Gasse, die auf einen riesigen Platz hinausführte, wo keine Menschenseele außer ihnen war. Zögerlich folgten Charlie und Elina ihnen und tauschten dabei verwirrte Blicke. Hier war doch gar nichts!

»Charlie, Elina, seht mal!«, rief Robin begeistert.

Elina folgte seinem Fingerzeig. Eine Taube sauste durch die Luft.

»Glaubst du, er weint vor Freude, wenn sie ihm auf den Kopf kackt?«, fragte Charlie.

Elina kicherte. »Irgendwas stimmt hier nicht. Ähm, Herr Schnotter?« Sie fasste den alten Herrn am Ärmel. »Charlie und ich sehen absolut nichts Magisches.«

»Oh, natürlich!«, rief dieser. »Ohne ein Talent ist es schwer für euch, die Magie zu sehen, das hatte ich komplett vergessen … gut, schließt eure Augen.«

Elina sah, wie Charlie die Augen schloss, und tat es ihr nach.

»Ihr müsst wissen, magische Orte können nur von jenen gesehen werden, die von ganzem Herzen an Magie glauben«, sagte Herr Schnotter. »Jede von euch sollte jetzt an den ersten Moment denken, in dem sie wirklich und wahrhaftig an Magie geglaubt hat. Das dürfte helfen, die Sichere Sicht, die auf der Allee liegt, zu durchbrechen.«

»Das ist alles?«, fragte Charlie.

»Shh!«, machte Elina. Sie ging tief in sich und durchwühlte ihre Erinnerungen. Wann hatte sie wirklich und wahrhaftig das erste Mal an Magie geglaubt? Nach Charlies Verzauberung waren allerhand merkwürdige Dinge geschehen, Charlie war sogar ganz grün geworden und Elina hatte nicht mehr leugnen können, dass es den Fluch gab. Vielleicht als sie das erste Mal eine magische Süßigkeit gegessen hatte?

Na klar! Als sie gemeinsam mit Charlie und Robin den singenden Brief geöffnet und sein Lied gehört hatte! Sie lächelte in sich hinein. Sie hatte sich gefühlt, als würde sie aus einem Traum erwachen … nach all den Schwierigkeiten, die ihnen der Bitterling eingebracht hatte, war die Magie in diesem Moment so einnehmend und schön gewesen, dass Elina allein bei der Erinnerung daran Glück verspürte.

Danach hatte Elina etwas wahrhaft Gutes in der Magie gesehen.

Langsam, aus Angst, enttäuscht zu werden, schlug sie die Augen auf.

Vor lauter Überraschung stolperte sie rückwärts in Herrn Schnotter hinein.

Ihr klopfte das Herz bis zum Hals und sie wusste nicht, wohin sie zuerst schauen sollte. Der Platz, auf dem sie standen, war nicht länger nur ein einsamer, leerer Platz. Mit einem Wimpernschlag waren Geräusche und Farben und Magie da, als habe man einen grauen Schleier von Elinas Augen gehoben.

Auch Charlie hatte die Sichere Sicht durchbrochen und staunte. »Ich habe an das Lied vom singenden Brief gedacht und jetzt – wow!«

»Daran habe ich auch gedacht!«, jauchzte Elina.

Herr Schnotter zwinkerte ihnen zu. »Überwältigend, nicht wahr?«

Elina nickte. Ein magischer Ort … das war er!

Sie befürchtete, jeden Moment würde sie blinzeln und alles wäre wieder weg, doch das geschah nicht. Elina wirbelte nach links und rechts und wieder zurück und in ihrer Brust stieg solche Freude auf, dass sie auflachte. In der Mitte des Platzes befand sich ein Brunnen mit einer Schwanenstatue, aus deren Schnabel dunkle Schokolade sprudelte!

Um sie herum gab es so viele Häuser und Geschäfte zu bestaunen, die bunt und verrückt und einzigartig aussahen. Elina hatte immer geglaubt, das Heim der Zuckerhuts entspringe nur dem ausgefallenen Geschmack der Familie, aber die Süßigkeitenwerker hier setzten dem Ganzen die Kirsche auf!

Es schien, als wäre sie im echten Schlaraffenland gelandet, denn jedes Gebäude hatte Elemente, die irgendwie an Süßigkeiten erinnerten. Da war ein Eisladen, der knallig pinkrot wie Erdbeereis gestrichen war und Sahnekleckse statt Dachschindeln hatte. Eine Schneiderei, braun wie ein Lebkuchenhaus, deren Fenster von Zuckerstangen eingerahmt wurden, und eine Chocolaterie, deren Fassade aus Keksen zu bestehen schien. Manche Türknäufe wirkten wie übergroße Schokolinsen und einige der Fassaden hatten Zuckergussverzierungen.

»Schwatzende Schokokugeln!«, rief jemand. »Small Talk war gestern! So gelingt jedes Gespräch im Nu! Heute im Supersonderangebot! Wer hat Lust zu probieren?« Elina schaute zu dem Mann, der sich ein Tablett umgeschnallt hatte und versuchte, zwischen den anderen Menschen Kostproben zu verteilen.

Auf dem Platz war sowieso eine Menge los! Kleine Grüppchen von Jugendlichen, Eltern mit ihren Kindern, Pärchen oder einzelne Leute wuselten wie Ameisen hin und her. Viele trugen normale Kleidung und waren nicht weiter auffällig, aber andere wirkten, als seien sie auf dem Sprung zu einem Kostümfest. Flatternde Umhänge, strenge Uniformen oder altmodische Kleider waren nur einige Sachen, die Elina ins Auge sprangen. Ein Gürtel voller Fläschchen und Gerätschaften, wie Frau Zuckerhut ihn besaß, war hier gar nicht mal selten! Elina erhaschte sogar einige Blicke auf verschiedene Pon, die aus Taschen ragten.

»Was ist das für ein Platz?«, fragte Elina schließlich.

»Der Fondant-Platz«, antwortete Herr Schnotter. »Er bildet das Zentrum der Bittersüßen Allee. Früher einmal gab es hier nicht viel außer einer Handvoll Läden und Häuser. Doch im Laufe der Zeit wurde aus der kleinen Allee etwas Größeres. Inzwischen leben und arbeiten Süßigkeitenwerker von überall auf der Welt hier.«

»Werden in all diesen Läden magische Süßigkeiten verkauft?«, fragte Robin.

»In vielen! Ihr werdet sehen, dass die Dinge hier etwas anders laufen.«

»Die Zuckermeister erlauben all das?«, fragte Elina.

»In der Bittersüßen Allee gibt es tief verwurzelte Traditionen, mit denen nicht mal die Zuckermeister brechen konnten«, erklärte Herr Schnotter. »Hier wird getauscht, gehandelt, Rezepte und Süßigkeiten verkauft – und sich amüsiert. Die Magie bleibt den Regeln des Picot-Pakts entsprechend vergänglich. Ich denke, es ist eine Art Kompromiss, denn das Concilium täte sich keinen Gefallen damit, die Süßigkeitenwerker gegen sich aufzubringen. Nicht, nachdem …«

»Nachdem … was?«, fragte Elina.

Herr Schnotter schüttelte den Kopf. »Das ist kein Gespräch für einen Platz wie diesen. Wir sind wegen Robins Pon hier. Lasst uns weitergehen.«

Der alte Herr hinkte auf seinem Stock voran. Elina ließ es fürs Erste auf sich beruhen, nahm sich aber vor, ihn zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal danach zu fragen. All diese Andeutungen machten sie sonst noch verrückt.

Doch während sie den Fondant-Platz überquerten, wurde sie so sehr von der Umgebung abgelenkt, dass der Gedanke, der sie eben noch wie ein drückender Schuh geplagt hatte, einfach verschwand.

Charlie, Robin und Elina blieben an einem Schaufenster kleben, in dem Kaugummibällchen wie von Zauberhand von einer Schachtel in eine andere sprangen. Ein Schild verkündete den Namen: Spring-weit-Kaugummis.

»Woah!«, machte Robin fasziniert.

Elina hätte ewig zusehen können, wie die Dinger hin und her hüpften, doch das Räuspern von Herrn Schnotter, der sie mit strenger Miene bedachte, brachte sie dazu, sich von dem Anblick zu lösen. Sie zog die anderen mit sich.

Herr Schnotter deutete auf etwas, das sie zunächst an eine Fabrik erinnerte.

Das Gebäude war schmal, aber hoch und hatte zwei riesige Schornsteine. Auf dem Dach befanden sich seltsam verdrehte goldene Rohre und an der Front waren lauter Zahnräder in allen Größen befestigt, die sich drehten. In dicken Leuchtbuchstaben, die sperrig und etwas schief dort hingen, stand unübersehbar: Erfinder-Emporium.

Auch Charlie und Robin staunten nicht schlecht. Elina legte den Kopf in den Nacken und beobachtete, wie die Schornsteine gold-glitzerigen Rauch ausspuckten.

»Meine Eltern haben mir von so vielen Regeln erzählt, aber hier ist echt alles anders«, murmelte Robin. »Magie überall … das ist wie eine ganz andere Welt.«

»Wollt ihr da Wurzeln schlagen?«, rief Herr Schnotter.

Die drei schlossen zu ihm auf. Der alte Herr drückte die Türklinke auf, die wie ein Schraubenschlüssel geformt war. Irgendwo bimmelte ein helles Glöckchen.

Im Inneren war es stickig und von allen Seiten kamen verschiedene Geräusche. Zischen wie von einem Dampfkessel oder Quietschen wie von nicht geölten Zahnrädern. Kein Wunder, denn hier drinnen hausten so einige Kuriositäten, die sicherlich auch so einige kuriose Geräusche verursachten. Überall standen Regale, Kisten und Schaukästen, die von lauter Apparaturen und Werkzeugen überquollen. Eine merkwürdig krumme Treppe führte links in eine schwindelerregende Höhe zu weiteren Etagen hinauf. Und dann war da noch eine große Maschine, die mit ihren trompetenhaften Rohren an eine Orgel erinnerte.

Hinter einem Empfangstresen stand ein hagerer Mann in violettem Anzug, dessen graue Haare zauselig wie bei einem durchgeknallten Wissenschaftler abstanden. Er werkelte an etwas herum, das wie ein Fernglas aussah, und blickte nun gemächlich auf und in ihre Richtung. »Ich traue meinen Augen kaum! Wie ist das möglich?« Vor Schreck wurde der Mann käsebleich. »Emil, bist du es wirklich?« Er umrundete den Tresen und starrte Herrn Schnotter überwältigt an. »Nun sag doch was, Emil!«

»Hallo, Mortimer«, brummte Herr Schnotter.

Mortimer wirkte völlig geschockt. »Das ist alles? Kriege ich nicht mal ein vernünftiges ›Hallo‹? Ich habe dich bestimmt seit dreißig, ach, was sage ich, vierzig Jahren nicht gesehen! Dachte schon, du wärst klammheimlich gestorben!« Mortimer kniff die Augen zusammen. »Ein Wunder, dass ich dich überhaupt wiederkenne, aber dieses miesepetrige Gesicht gibt es eben nur einmal auf der Welt!« Er lachte über seine Worte, als seien sie ein Witz. »Und wer sind diese Kinder? Was ist hier los?«

Das würde Elina auch gerne wissen! Was sollte das heißen? Hatte Mortimer etwa nicht gewusst, dass Herr Schnotter im Exil lebte? Natürlich war sein Exil eine Bestrafung gewesen, aber sie hatte immer gedacht, dass es kein großes Geheimnis gewesen war, dass er aus der Gemeinschaft der Süßigkeitenwerker ausgeschlossen worden war. Hatte er etwa gar keinen Kontakt zu anderen Süßigkeitenwerkern mehr haben dürfen? Doch wieso hatte Frau Bonet ihm dann die Zuckerkreide gegeben?

»Ist eine lange Geschichte«, antwortete Herr Schnotter.

»Das glaube ich dir nur zu gern«, sagte Mortimer.

Elina sah Charlie und Robin an, dass auch sie durcheinander waren.

»Die drei sind … Schüler von mir«, log Herr Schnotter.

Mortimer runzelte die Stirn. »Du bildest Süßigkeitenwerker aus?«

»Nicht direkt«, sagte Herr Schnotter vage.

»Lass mich raten: Auch das ist eine lange Geschichte?«

Herr Schnotter trat näher zu Mortimer. »Wir brauchen deine Hilfe.«

Die Stimmung war kurz so angespannt, dass Elina nicht daran glaubte, dass Mortimer ihnen weiter zuhören würde, doch dann lächelte er.

»Du hast dich kein Stück verändert! Hattest schon immer deine Geheimnisse, warst lieber für dich und hast niemanden an dich herangelassen. Bis auf Maggie natürlich. Aber nach all den Jahren hier unangekündigt aufzutauchen und ohne Erklärung um meine Hilfe zu bitten, ist schon etwas … überwältigend.«

Elina beobachtete, wie Herrn Schnotters Finger sich so fest um seinen Gehstock schlossen, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Er war eindeutig angespannt und Elina wurde das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte.

Doch dann tat Herr Schnotter etwas wirklich Un-Schnotterhaftes. Er streckte einen Arm aus, klopfte Mortimer freundschaftlich auf die Schulter und lächelte ihn fröhlich an. »Du hast dich auch nicht verändert, Mortimer. Regst dich über jede Kleinigkeit auf und bist lieber unter Apparaten als Menschen.«

Mortimers Miene wurde weicher. »Es ist wirklich schön, dich zu sehen, Emil.«

»Es ist auch schön, dich zu sehen«, erwiderte Herr Schnotter. »Ich wünschte, es wäre unter anderen Umständen, aber nun bin ich hier und brauche deine Hilfe.«

»Das sagtest du bereits. Worum geht es?«

Herr Schnotter drehte sich zu ihnen um. Er winkte Robin heran. »Das Pon des Jungen ist kaputt. Kannst du es dir ansehen und reparieren?«, fragte er Mortimer.

»Na, dann lass mich mal einen Blick darauf werfen.«

Die Zuckermeister (2). Die verlorene Rezeptur

Подняться наверх