Читать книгу Die Zuckermeister (1). Der magische Pakt - tanja Voosen - Страница 16
Оглавление»Ich bin weg!«, rief Elina laut.
»Viel Spaß in der Schule!«, kam die Antwort von ihrem Vater aus dem Büro. Er arbeitete heute von zu Hause aus, da Piet sich noch auskurieren musste.
Elina stürmte aus der Tür. Doch am Gartentor blieb sie kurz stehen und blickte zum Nachbarhaus. Vielleicht sollte sie klingeln und nach Charlie fragen? Besser nicht. Wegen Charlies komischem Verhalten gestern hatte sie total vergessen, die Englischhausaufgaben zu machen, und das heute Morgen nachgeholt. Jetzt war Elina viel zu spät dran und sie wollte keinen Ärger in der Schule bekommen. Plötzlich flog die Tür der Sommerfelds auf. »Meine Haare sehen ganz bestimmt nicht aus wie ein Eichhörnchennest!«
»Zu mir hat sie gesagt, dass meine Stimme klingt wie eine Säge!«
Verwundert sah Elina, wie Charlie vor ihren älteren Schwestern flüchtete und dabei einen Sprint hinlegte, den ihre Trainerin sehr gelobt hätte. Elina konnte Charlie nicht mal grüßen, da war diese schon Richtung Bushaltestelle abgezischt. Pauline und Ida riefen Charlie wüste Flüche hinterher, ehe sie wütend wieder im Haus verschwanden.
Das konnte nichts Gutes bedeuten!
Besorgt lief Elina los und fand Charlie auf der Bank der Haltestelle. Ihre braunen, gelockten Haare hingen ihr wirr ins Gesicht, dunkle Schatten lagen unter ihren Augen, und sie hatte gar nicht wie sonst die Farbe ihres Kleides mit ihren Schuhen abgestimmt. Das war nicht die schillernde Version, die Elina von ihr kannte. Diese Charlie sah niedergeschlagen zu Boden und Elinas Sorge wuchs. Zögerlich nahm sie Platz.
»Hey. Wie geht es dir denn heute?«
»Sieht man das nicht?«, nuschelte Charlie.
»Du sprichst wieder normal!«
»Tja, dafür kommt umso mehr Blödsinn aus meinem Mund, wenn ich ihn öffne.«
»Wie meinst du das? Und fährst du echt Bus?«
»Da meine Familie mich nun hasst, ja.« Charlie pustete sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Wenn ich jemanden zu lange anschaue, sprudeln gemeine Dinge aus mir raus.«
»Das ist aber nichts Neues«, bemerkte Elina.
Charlies Schultern sackten herunter. »Mach dich nur lustig über mich.«
»Ich mache mich nicht über dich lustig, aber es stimmt doch. Du klopfst oft echt blöde Sprüche.«
Charlie verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich bin halt nicht so wie du!«
Elina dachte an die Worte ihrer Mutter. »Das musst du auch nicht. Du hast doch Freundinnen, die dich genau so mögen, wie du bist«, sagte sie aufmunternd.
»Wir sind aber keine Freundinnen«, erwiderte Charlie.
Elina schwieg. Es hatte fast geklungen, als fände Charlie es schade, dass sie beide keine Freundinnen waren, doch das bildete sie sich bestimmt nur ein. Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen ihnen aus, aber Elina wollte es nicht noch schlimmer machen, also schwieg sie.
»Es tut mir leid, okay?«, nuschelte Charlie plötzlich. »Alles.«
Elina glotzte sie perplex an. »Was?«
Der Bus kam mit einem Zischen zum Stehen, Charlie sprang auf und stieg ein. Elina folgte ihr und suchte sich einen freien Platz. Sie hätte Charlie gerne gefragt, wieso sie sich entschuldigt hatte. Was sollte das bedeuten: Alles? Erst war Charlie wütend, dann traurig, dann entschuldigte sie sich. Ging es noch verwirrender?
Nachmittags durffen sich alle frei beschäftigen, weil ihr Mathelehrer sich kurzfristig krankgemeldet hatte. Für die meisten hieß das Musik hören, herumalbern oder am Handy spielen. Elina kritzelte neue Feldhockeystrategien auf ihren Block und überlegte, wie man die am besten umsetzen konnte. Doch das blöde Getratsche von Juliane und Katja, die ihre Stühle zusammengeschoben hatten, nervte dabei tierisch.
»Sind Steckdosenhaare jetzt modisch, Charlie?«, fragte Juliane extralaut.
»Hast wohl heute Morgen die Bürste nicht gefunden!«, kicherte Katja.
So was störte auch nur die! Charlie hatte schon ein, zwei schräge Blicke wegen des chaotischen Aufzugs zugeworfen bekommen, aber niemand sonst interessierte sich weiter dafür. Besorgt schaute Elina zum Fenster. Charlie hatte sich dorthin verzogen und schwieg.
»Ob sie jetzt jeden Tag so furchtbar aussieht?«, rätselte Juliane.
Jetzt reichte es aber mit den Lästereien! Elina drehte sich auf dem Stuhl herum und warf ihren Radiergummi nach Juliane. »Ups! Wie furchtbar! Tut mir so leid.«
Juliane plusterte die Wangen wie ein Frosch auf. »Das war Absicht!«
»Ach, du meinst, so wie eure fiesen Sprüche?«, erwiderte Elina.
»Das einzige Fiese sind deine Klamotten, du Fashion-Opfer!« Juliane deutete auf Elinas Jeansjacke, die über ihrem Stuhl hing. »Deine Mutter vermisst die sicher.«
»Halt die Klappe, Juliane.« Charlie war neben die Tische der Mädchen getreten. »Du machst alles deiner großen Schwester nach und hast selbst gar keine Ahnung von Mode. Von Freundschaft auch nicht, sonst würdest du nicht über mich reden, als wäre ich gar nicht da. Amüsiert euch mal schön. Ich bin raus aus der Clique!«
Juliane und Katja standen die Münder offen.
Elina war auch ganz überrascht. Charlie hatte sie verteidigt! Das kurze Gespräch an der Bushaltestelle hatte was verändert! Elina freute sich so sehr, dass sie lächeln musste.
Charlie wandte sich Jonas zu. »Und du! Hör endlich auf, den Klassenclown zu mimen!«
Elina verging das Lächeln wieder. Mensch, Charlie klang wie ein wandelnder Wortvirus der Gemeinheiten! Sie schien auch gar nicht mehr damit aufhören zu können. Sobald sie jemandem ins Gesicht sah, sprudelte es nur so aus ihr heraus! Dann hatte sie vorhin an der Bushaltestelle gar nicht übertrieben …
»Simon, du müffelst wie ein Büffel.«
»Mila, Pink ist echt nicht deine Farbe!«
»Felix, deine Beine sehen aus wie die eines Flamingos!«
Wie Hagelkörner regnete es Beschimpfungen und im Klassenzimmer entfaltete sich eine ansteckend finstere Stimmung. Beleidigungen wurden zurückgerufen und plötzlich schienen sich alle in diesen vier Wänden nicht mehr leiden zu können. Elina war ganz starr vor Entsetzen, doch auch sie spürte etwas tief in sich drin brodeln und hatte das Bedürfnis, jemanden anzuschreien. Da rückte ihr Jonas auf die Pelle.
»Bist so eine Besserwisserin und denkst, ich bin blöde!«, schimpfte er.
»Stimmt ja auch!«, erwiderte Elina zornig.
Kurz bevor alle aufeinander losgingen, kam die Lehrerin der Parallelklasse durch die Tür gestampft und brüllte ein energisches »RUHE!«, da erstarb der heftige Wortsturm.
»Ihr beruhigt euch jetzt. Hinsetzen! Niemand redet mehr!«
Alle verstummten und niemand wusste, was eigentlich passiert war.
Doch eines war klar: Hier ging etwas absolut Merkwürdiges vor sich!