Читать книгу Die Zuckermeister (1). Der magische Pakt - tanja Voosen - Страница 8

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Regen klopfte gegen das Fenster und Elinas Spiegelbild sah traurig zurück.

»Wieso muss es auch ausgerechnet heute regnen«, murmelte sie.

Elina hatte sich so auf das Feldhockeyspiel gefreut, doch vor einigen Stunden war es über die Telefonkette ihres Teams abgesagt worden.

Auf matschigem Rasen und bei starkem Wind nützte die coolste Schusstechnik nichts. Seufzend lehnte sie sich zurück in den Kissenberg, den sie an ihrem Lieblingsplatz, vor dem breiten Erkerfenster, aufgetürmt hatte.

Ob sie mal gucken sollte, was Opa und Piet so trieben? Neee!

Doch im selben Moment brüllte ihr Bruder: »Elina, wir machen Kakao!«

»Mit Marshmallows!«, rief Opa Alfred hinterher. »Komm zu uns!«

Na gut! Was Süßes vertrieb das traurige Gefühl in ihrem Bauch bestimmt.

Draußen rollte ein lautes Donnergrollen über den Himmel und Elina lief rasch in die Küche. Gesellschaft war bei Gewitter sowieso schöner! Sie musste sofort grinsen, als sie sah, wie Piet mit der Sahnesprühflasche kämpfte und Opa ihm half, damit die Wände keinen neuen Anstrich bekamen. Elina trat zu den beiden an den Tisch.

»Wer möchte Marshmallows?«, fragte ihr Opa fröhlich.

Was für eine Frage! Elina und Piet liebten Marshmallows!

»Ich will mindestens zehn!«, schoss es aus Piets Mund.

Er war acht und glaubte, wenn er alle mit seinen großen blauen Augen flehend ansah, würde sich jeder seiner Wünsche erfüllen. Mama durchschaute diesen Trick immer, aber es würde nicht lange dauern, bis Opa einknickte.

»Es ist Tradition im Hause Pfeffer, dass wir die Marshmallows abzählen«, sagte ihr Opa mit einem Oberlehrerblick. »Die richtige Zahl entscheidet über den Geschmack.«

Elina verkniff sich ein Lachen. Opa war manchmal echt komisch!

»Sechs ist Opas Glückszahl, das weißt du doch«, sagte Elina zu Piet.

»Meine Glückszahl wäre die zehn!«, erwiderte ihr Bruder. »Oder zwanzig!«

Mit amüsiertem Blick bedachte ihr Opa Piet, doch als er Elina ansah, wirkte er plötzlich nachdenklich. »Wir machen jetzt den Kakao fertig und dann zeige ich euch was Besonderes. Das bringt euch auf schöne Gedanken.«

»Einen neuen Zaubertrick?«, fragte Piet.

Die Antwort war ein verschwörerisches Zwinkern. »Was Besseres!«

Elina und Piet setzten sich im Wohnzimmer nebeneinander aufs Sofa und tranken ihre heiße Schokolade. Sie war unheimlich lecker und ein echtes Trostpflaster für Elina, denn sie wärmte von innen heraus. Inzwischen war ihr Opa kurz im Keller verschwunden und kam nun mit einer Holztruhe in den Händen wieder. Er legte sie auf dem Tisch ab und machte es sich im Ohrensessel gemütlich. »Möchtet ihr raten, was drin ist?«

Piet beugte sich neugierig vor. »Ein geheimer Schatz?«

»Erinnerungsstücke«, riet Elina mit.

»Damit liegt ihr beide goldrichtig!«

Elina war insgeheim froh, dass ihr Opa nicht irgendeinen Zaubertrick vorführen wollte. Für sie war bei seinem magischen Hobby die Luft raus, seitdem sie vor Jahren herausgefunden hatte, dass hinter jeder Magie Logik steckte. Feldhockey fand sie außerdem inzwischen viel spannender als hinterm Ohr hervorgezauberte Bonbons oder Blumen, die aus einem Hut kamen.

Ihr Opa überließ es Piet und Elina, die Kiste zu öffnen. Darin befanden sich ein zerlesenes Buch, mehrere vergilbte Fotos, einige Edelsteine und anderer Krimskrams.

»Die Sachen sehen echt alt aus«, meinte Elina.

»Sind die besonders?«, fragte Piet.

»An jeder davon hängen kostbare Erinnerungen. Für mich sind sie besonders und sogar magischer als alle Zaubertricks der Welt. Denn man trägt sie immer im Herzen.«

Elina nahm eines der Fotos heraus, für das Piet sich eher weniger interessierte. Es zeigte zwei Jungs in ihrem Alter. Sie standen nebeneinander, die Arme freundschaftlich über die Schulter des jeweils anderen gelegt, und strahlten um die Wette.

»Das war ein wundervoller Tag damals. Wir waren am See, bis es dunkel wurde, und haben so viel gelacht, dass uns die Bäuche wehtaten. Ich wollte abends gar nicht nach Hause fahren«, erzählte ihr Opa, während Piet seine Tasse leer schlürfte.

»Opa!«, quengelte ihr Bruder sofort los. »Ich möchte noch was!«

Elina verdrehte die Augen. Dass Piet immer dazwischenquatschte, wenn er das Interesse an etwas verlor, nervte. Sie wollte gerne den Rest der Geschichte hören. Für einen Moment hatte sie nämlich nicht an das abgesagte Feldhockeyspiel gedacht.

Opa legte seine Hände aneinander und pustete hinein. Als er sie wieder öffnete, kam ein Karamellbonbon zum Vorschein, das er Piet hinhielt. »Hier.«

»Danke!« Piet stopfte es sich begeistert in den Mund und schmatzte los.

Und schon war ihr Opa eingeknickt … Elina musste sich ein Grinsen verkneifen.

»Zu Regenwetter und Kakao gehört eine Geschichte«, erklärte Opa nun weiter. »Ich kannte mal einen Jungen. Seine Familie lebte, soweit sie zurückdenken konnte, in Belony. Sie hatten nicht besonders viel Geld und er träumte davon, eines Tages aus der Stadt zu kommen, an einen Ort, wo es ihm besser gehen würde. Doch in dem Sommer, als er zwölf war, genauso alt wie du jetzt Elina, hörte er von einer Legende.«

»Über Piraten?«, schlug Piet vor.

»Nein«, meinte Elina. »In Belony gibt es nur eine Legende. Mama hat sie uns früher manchmal als Gutenachtgeschichte erzählt, aber du bist immer eingeschlafen.«

Piet streckte ihr die Zunge raus. »Gar nicht!«

»Oh, doch. Es geht um die Legende von Madame Picot.«

Von ihrem Opa kam ein Nicken. »Madame Picot zog über Nacht in die Stadt und zuerst blieb sie unbemerkt«, setzte er die Geschichte fort. »Die Menschen wurden zu dieser Zeit von kleinen und großen Problemen geplagt. Viele waren sehr unglücklich. Madame Picot eröffnete damals einen kleinen Laden namens Bittersüß. Dort stellte sie Schokolade her und verzauberte mit ihren Köstlichkeiten ganz Belony. Sehr schnell sprach sich herum, dass ein Besuch in ihrer Schokoladenstube wahre Wunder bewirkte. Wer einmal ihre Kreationen gekostet hatte, war bald darauf Probleme und Sorgen los. Es war wie … verzaubert!«

Obwohl Elina die Geschichte über Madame Picot schon kannte, hing sie genauso gebannt wie Piet an den Lippen ihres Opas. Zwar glaubte Elina nicht an wahre Magie, aber ihr gefiel der Gedanke, dass es eine süße Hilfe für jedes Problem gab. Zum Beispiel, um schwere Hausaufgaben zu lösen oder sich in doofen Situationen unsichtbar zu machen.

»Der Junge konnte allerdings nicht ins Bittersüß spazieren, um Hilfe zu suchen. Er lebte lange nach Madame Picots Zeit und ihr Laden war inzwischen eine Touristenattraktion, ohne Zauber.«

Elina dachte an den letzten Sommer, als ihre Schulklasse einige der historischen Sehenswürdigkeiten in Belony besucht hatte. Darunter auch das Bittersüß. Ihre Geschichtslehrerin Frau Schneider war ganz aus dem Häuschen gewesen. Ihre schrillen »Ohs!« und »Ahs!« hatten durch die altmodische Schokoladenstube gehallt, als gäbe es nichts Schöneres auf der Welt als von Spinnweben überzogene Kessel und Werkzeuge.

Aber Frau Schneider war nicht die Einzige, die bei Erzählungen über Madame Picot in Verzückung geriet. Die Menschen in Belony liebten die Legende.

Elina verstand das ganze Theater um die jahrhundertealte Geschichte einfach nicht. Als Märchen war sie ja ganz schön, aber es gab schließlich keine Beweise, dass Madame Picots Süßigkeiten wirklich irgendwelche magischen Wunder bewirkt hatten.

»Wie ging es mit dem Jungen weiter?«, fragte sie neugierig.

»Ihm blieb noch der Wunschbaum!«

»Oh, den kenne ich!«, murmelte Piet schläfrig. »Der steht im Park.«

»Das ist richtig!«, sagte ihr Opa. »Der Wunschbaum ist das Überbleibsel von Madame Picots Erben. Wer dort einen Wunsch hinterlässt, hat vielleicht Glück und er wird einem erfüllt. Der Junge wünschte sich, er wäre nicht mehr so arm und sein Leben in Belony dadurch schöner und aufregender. Er schrieb seine Bitte auf einen Zettel und knüpfte diesen an einen Zweig des Wunschbaumes.«

»Hat sich sein Wunsch erfüllt?«, wollte Elina wissen.

»Oh, ja! Er fand in jenem Sommer einen wahren Freund, mit dem dieser und auch alle Sommer darauf zur schönsten Zeit seines Lebens wurden. Der Junge erkannte durch diesen Freund, dass es Dinge gab, die unbezahlbar waren, und sein Herzenswunsch eigentlich darin bestanden hatte, jemanden zu finden, mit dem die langweiligen Momente zu abenteuerlichen Erlebnissen wurden. Denn es sind nicht Orte oder Geld, die uns glücklich machen, sondern wundervolle Freundschaften und Augenblicke.«

Ihr Opa lächelte und wirkte für einen Moment ganz in Gedanken versunken. Auch Elina schwieg. Ein drückendes Gefühl drehte ihr förmlich einen Knoten in den Magen.

Freundschaften … in der Schule verstand sie sich zwar mit einigen Leuten, aber so was hatte sie nicht. Wahre Freunde.

Dabei wünschte Elina sich diese am sehnlichsten.

»Würde das mit den Wünschen nur so funktionieren«, murmelte sie.

Sie spürte eine sanfte Hand auf ihrem Arm und schaute zu ihrem Opa auf.

»Ein bisschen Vertrauen in Magie hat noch niemandem geschadet.«

Ehe Elina etwas antworten konnte, klingelte es an der Tür.

Piet war auf einen Schlag hellwach und sprang vom Sofa. »Mama und Papa!«

»Warte!«, sagte ihr Opa sofort. »Du sollst nicht allein …«

Schon verschwanden beide im Flur. Von dort erklangen auch die fröhlichen Stimmen ihrer Eltern. Elina blickte betrübt in ihre Tasse. Opas Geschichten haben immer ein Happy End, dachte sie. Aber Happy Ends waren nur etwas für Träumer. Und sie war ganz bestimmt keine hoffnungslose Träumerin.

Die Zuckermeister (1). Der magische Pakt

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