Читать книгу Heiße Wüstennächte in Kairo | Erotischer SM-Roman - Tara Silver - Страница 5
ОглавлениеFemi Al-Shaheen
Sie erreichten die Grenze von Garden City. Irgendwo knallte ein Motor beim Anzünden mit einer lauten Fehlzündung, die beinah klang wie ein Schuss. Hier standen alte Jugendstilvillen, die noch an Kairos grandiose Vergangenheit in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts erinnerten, als die gesamte europäische und arabische Welt zum Feiern in die Stadt der Lichter und des Jazz gereist war. Die sandfarbenen Häuser schienen allmählich in sich zusammenzusinken. Die hölzernen Fensterläden hatten ihre Form schon vor Jahrzehnten verloren, wie es schien, aber in einem Land ohne Regen brauchten sie lange, um vollends auseinanderzubrechen.
»Hier können Sie anhalten«, forderte Diane. Die laute Musik aus dem Autoradio und das Geträllere von herrlichen Brüsten und unsterblicher Liebe verursachte ihr allmählich Kopfschmerzen. Außerdem hatte sie es sich in der Zeit, die sie schon für ihren Vater arbeitete, zur Gewohnheit gemacht, niemals einen Taxifahrer wissen zu lassen, wo ihr Ziel lag. Das erschwerte es späteren Verfolgern, ihre Fährte aufzunehmen.
»Das macht …« Der Mann nannte eine Summe, die weit über dem lag, was Diane trotz Inflationsausgleich erwartet hatte.
»Inshallah«, erwiderte sie dennoch, anstatt sofort zu feilschen. »Zuerst mein Koffer.« Sie wusste es besser, als einen Fahrer gegen sie aufzubringen, solange dieser die Macht besaß, mit ihrem Gepäck davonzufahren.
»Natürlich.« Er grinste zufrieden und war offensichtlich der Meinung, die aufreizend gekleidete Touristin gründlich über den Tisch gezogen zu haben.
Diane würde ihm diese Annahme nicht ausreden. Sie stieg aus und ließ sich ihr Gepäck anreichen. Dann kramte sie ihr Portemonnaie aus der Umhängetasche und reichte dem Mann ein gutes Drittel von dem, was er verlangt hatte. Sie wusste, dass fast niemand auf der Welt so gnadenlos feilschte wie ägyptische Taxifahrer. Man durfte ihnen niemals geben, was sie verlangten, sonst outete man sich als hoffnungslos unwissende Touristin und würde als Nächstes zu einem Teppichbasar gefahren, um dort einen Billigteppich für mindestens fünftausend Dollar angedreht zu bekommen.
»Das ist viel zu wenig«, schimpfte der Mann und zog die Augenbrauen ungläubig zusammen. »Ich habe Sie durch die ganze Stadt gefahren, Ihnen die Sehenswürdigkeiten gezeigt, und Sie speisen mich mit diesen lächerlichen Almosen ab? Ich habe sieben Kinder zu Hause und eine kranke Schwiegermutter!«
Diane biss sich auf die Unterlippe. Er regte sich längst nicht genug auf. Offenbar hatte sie zu viel gezahlt. Vielleicht war die Inflation nicht so schlimm, wie sie gedacht hatte. Wie es aussah, musste sie sich hier erst wieder einleben. Zumindest, wenn sie dieses Mal lang genug blieb, um das pulsierende und chaotische Leben Kairos wieder in ihrem Blut zu spüren.
»Malesh«, erwiderte sie kurz. Gott wollte es so, auch wenn es scheiße ist. »Und gute Fahrt.«
Der Fahrer grinste zufrieden, steckte das Geld weg und fuhr davon. Eine Staubwolke blieb zurück.
Nun ja. Es war nicht so, als ob sie sich die Fahrt nicht leisten könnte. Trotzdem ärgerte sie sich, dass sie es dieses Mal nicht geschafft hatte, ihn in der altehrwürdigen Kunst des Feilschens zu besiegen. Sie bewegte sich schon zu lange in westlichen Gefilden, wo die Menschen glaubten, man könne alles mit Regeln und festgelegten Preisen und mit so wenig Diskussion und zwischenmenschlichem Kontakt wie möglich erledigen. Natürlich wurde die Welt auf diese Weise sicherer und berechenbarer – aber auch langweiliger.
Irgendwann gäbe es in Amerika, Europa und vielleicht auch Japan, Australien und China keinen Platz mehr für Frauen wie sie. Dann wären alle Menschen dort nur noch Maschinenklone, die darauf warteten, dass der Staat die Verantwortung für sie und ihr Leben übernehme, weil der das schließlich besser konnte als sie selbst.
Kairo war gefährlicher und ließ sich nicht berechnen, aber im Gegensatz zu ihrem kürzlichen Urlaub in Miami Beach fühlte sie sich hier hundertmal lebendiger.
Diane wischte sich den Staub aus dem Gesicht, das zu schwitzen begann, sobald die Klimaanlage des Taxis sie nicht länger schützte. Sie musste lediglich zwei Straßen bis zu Shaheens Haus laufen, und trotz des Koffers und der Reisetasche war sie gut zu Fuß. Wenn sie an das Klima gewöhnt wäre, wäre die Entfernung ein Klacks. Allerdings wäre sie als akklimatisierte Besucherin der Stadt vermutlich nicht so dumm gewesen, eine Lederhose anzuziehen, die an der Haut festklebte.
Eine neue Fehlzündung knallte durch die Stille der friedlichen Garden City, deren Mieten so unverschämt hoch waren, dass Normalsterbliche niemals davon träumen konnten, hier zu wohnen, wenn ihre Großeltern ihnen nichts vererbt hatten. Dieses Mal, wo das Brummen des Motors und die Penetranz des Radios das Geräusch nicht überlagerten, klang das Geräusch deutlich mehr wie ein Schuss. Oder war es sogar einer?
Er kam aus der Richtung von Shaheens Haus, wurde Diane klar.
Als noch einer fiel, hob sie ihren Koffer auf die Schulter und sprintete auf ihren Blockabsätzen los. Bis sie das Haus erreichte, wummerte ihr Herz und schien ihren Brustkorb sprengen zu wollen. Schweißbäche liefen ihren Rücken hinab. Sie war das ägyptische Klima eindeutig nicht mehr gewöhnt.
In der Einfahrt ließ sie den Koffer fallen und blickte sich um. Wo war Femi?
»Achten Sie auf meinen Koffer, ich bezahle dafür«, rief sie der Frau in dem winzigen Handy-Geschäft zu, das sich in eines der Zimmer der alten Villa schmiegte und die einstige Pracht als Ruine entlarvte. Sie sprintete am sorgsam mit einer zugestaubten Plane bedeckten Motorrad im Torbogen vorbei, machte einen Schlenker um die sich auftürmenden Müllsäcke und blieb im Innenhof stehen. Hatte jemand geschossen? Oder hatte sie sich das nur eingebildet, weil sie zu abrupt aus ihren Träumen im Taxi gerissen worden war und die Welt ihr dadurch bedrohlich erschien?
Zahlreiche Blumen hingen von extra dafür aufgestellten Holzbalken hinab und verbreiteten einen betörenden Duft. Im Innern des Hofes stand ein kleiner, von einem Holzgitter umgebener Springbrunnen, der mit türkisfarbenen Schmuckfliesen verziert war.
Diane hatte hier schon häufiger mit Femi Shaheen gesessen, um geschäftliche Details zu besprechen. Sie hatte sich immer wie ein willkommener Gast gefühlt. Femi hatte ihr die väterliche Liebe gegeben, die sie sonst von niemandem aus ihrer komplizierten Familie bekommen hatte – weder dem Mann in Amerika, zu dem sie als Kind Papa gesagt hatte, noch dem leiblichen Vater in Kairo, zu dem sie mit sieben Jahren gezogen war. Femi war der Onkel gewesen, nach dem sie sich immer gesehnt und den sie nie gehabt hatte. Bei ihm hatte sie sich nie verstellen müssen und war immer willkommen gewesen.
Jetzt hatte der Hof nichts Einladendes mehr. Ein Mann in einem gut, wenn auch locker geschnittenen, grauen Hemd lag mit dem Gesicht nach unten auf dem staubigen Boden des Hofes. An seiner Schläfe leuchtete ein roter Fleck im dunkelgrau melierten Haar. Es könnte ein Fremder sein … Aber Femi war der einzige Mann hier im Haus, von dem Diane wusste, dass er mit dem organisierten Verbrechen zu tun hatte.
Die Haarfarbe stimmte ebenfalls.
Für einen Moment fühlte sie sich wie betäubt. Es dauerte einige Sekunden, bis das Bild wirklich zu ihr durchdrang. Sie hatte in ihrem Leben schon Tote gesehen. Einige hatte sie sogar selbst umgebracht. Wer sich als Frau in der Welt der Geheimorganisationen und des organisierten Verbrechens Respekt verschaffen wollte, durfte nicht zimperlich sein – vor allem, wenn der eigene Vater sieben Jahre lang komplett ignoriert hatte, dass man existierte, und die große Schwester erschreckend ehrgeizig war. Diane hatte gelernt, gnadenlos zu sein, um sich den Respekt ihrer kaputten Familie zu verdienen.
Doch nicht bei Femi. Nicht bei ihrem lieben Herzensonkel, der ihr von seiner Frau Baklava bringen ließ und sie mit warmen Augen anlächelte, wenn er ihr erklärte, wie sie ihre Pistole halten oder die Augen unschuldig aufschlagen sollte, um naive Männer mit Machosyndrom in die Irre zu führen. Natürlich wusste sie, dass Femi kein unschuldiger Mann war, vor einem Langweiler hätte sie nie Respekt gehabt. Aber aus irgendeinem Grund war sein Zuhause für sie stets eine Oase der Sicherheit gewesen, in die nichts Böses eindringen konnte.
Bis heute.
Sieh dich vor, hallte eine alte Lektion von Femi durch ihre Erinnerung. Am gefährlichsten ist es immer an dem Ort, an dem du dich sicher fühlst.
Die Erstarrung wich dem vertrauten Gefühl von Kampfbereitschaft. Diane atmete so langsam aus, dass ihr Atem stillzustehen schien, und lauschte oder spürte mit dem siebten Sinn in ihre Umgebung hinein. Sie nahm keine unmittelbare Bedrohung mehr wahr. Kein mörderischer Blick schien auf sie gerichtet und wartete darauf, ihr mit einer weiteren Kugel das Leben auszupusten. Trotzdem blickte sie sich um und suchte nach möglichen Verstecken, in denen ein Schütze lauern konnte. Sie sah nichts, was darauf hinwies, dass der Schütze hier noch lauerte.
Stattdessen bewegte der Mann am Boden die Finger und gab ein leises Stöhnen von sich. Offenbar lebte er noch, auch wenn sich rund um seinen Kopf eine Blutlache ausbreitete.
»Scheiße!« Diane lief zu ihm und drehte ihn vorsichtig um.
Die Kugel hatte Femi Al-Shaheen nicht im Kopf getroffen, sondern nur sein Ohr gestreift. Er lebte noch, auch wenn seine Augenlider flackerten und er sie nicht zu erkennen schien. Doch die zwei Löcher in seiner Brust, aus denen es heiß und rot auf sein ordentlich gebügeltes Hemd sickerte, machten klar, dass er die nächste halbe Stunde trotzdem nicht überleben wurde, wenn kein Wunder geschah.
»Holt einen Arzt«, schrie Diane in der Hoffnung, dass irgendjemand sie hörte. »Man hat Femi Al-Shaheen erschossen!«
Ein schriller Frauenschrei aus dem Haus antwortete. »La, la, laaaaaaaaaaa! Mashallah, was sollen wir tun?«
Es klang wie Fatima, Femis Frau.
Warum hatte die dumme Pute sich im Haus versteckt, statt ihrem Mann bei dem Angriff zur Seite zu stehen?
»Nimm dein verdammtes Telefon und hol einen Arzt, Tante!« Diane presste die Hände auf Femis Wunden in der Hoffnung, den Blutfluss damit zu verlangsamen. »Im Namen Gottes, Femi … was ist passiert?«
Er schlug die Augen auf. Sein Blick flackerte, aber schließlich fokussierte er sich auf sie. »Diane«, brachte er hervor. »Du solltest nicht hier sein.«
»Klar, sollte ich das. Wir haben eine Verabredung, schon vergessen? Mein Vater schickt mich für eine unangemeldete Kontrolle der Waffenlieferungen, um sicherzugehen, dass du nix abzweigst.« Sie unterdrückte das leise Schluchzen bei dem alten Witz, der auf einmal gar nicht mehr lustig schien. Femi hatte nie etwas abgezweigt. Er war absolut loyal. Die Kontrollen bei ihm waren stets nur ein Vorwand gewesen, um Urlaub in Kairo zu machen und die Gastfreundschaft von ihm und seiner Frau zu genießen.
»Und woher soll ich davon wissen, wenn es unangemeldet ist?« Femi lachte leise und verzog das kluge und sonst stets gelassene Gesicht vor Schmerz.
»Beweg dich nicht«, forderte Diane und presste die Hände auf die Schussverletzungen an seiner Brust, um das Ausströmen des Blutes zu verlangsamen. »Nicht lachen. Nicht reden. Hauptsache, du bleibst am Leben. Tante Fatima holt einen Arzt. Er ist bald hier. Bis dahin musst du bei Bewusstsein bleiben.«
»Mit mir geht es zu Ende«, brachte Femi hervor. »Es ist schön, dich noch einmal zu sehen, kleiner rothaariger Teufel. Das macht mir den Abschied leichter.« Er unterdrückte ein Husten.
Sie ignorierte das Blut, das warm und rot über ihre Finger lief und seinen metallisch-widerlichen Geruch verbreitete. »Glaub bloß nicht, dass ich dich so einfach gehen lasse. Du weißt doch, aus unserer Organisation entkommt man nur mit den Füßen voran. Und ich will dich noch eine Weile behalten.«
Immerhin war er einer ihrer zuverlässigsten Männer hier in der Region. Aus irgendeinem Grund liebte Femi sie mehr als seine eigenen Töchter - vielleicht, weil er die kleine Diane auf den Schultern getragen hatte, als ihre Mutter verstarb und ihr leiblicher Vater sie nach Kairo holte. Die beiden Männer hatten zusammen in irgendeinem Krieg gedient, über Einzelheiten sprachen sie nie, und betrachteten sich als Blutsbrüder.
Und jetzt lief sein Blut über Dianes Hände, egal wie fest sie die Fäuste auf die Einschusslöcher presste.
»Vielleicht wird es Zeit für mich, weiterzugehen.« Femi lächelte. »Mal schauen, wem ich auf der anderen Seite die Nase brechen muss, damit sie mich in den Himmel lassen.«
Diane lächelte unter Tränen. »Dann sag mir wenigstens, wer dir das angetan hat. Damit ich ihm noch auf dieser Seite die Nase brechen kann … und vielleicht noch etwas mehr.«
»Wenn ich das wüsste.« Femi schloss die Augen und schien wegzusacken.
»Aufwachen!« Diane löste eine Hand kurz von seiner Brust und schlug ihm ins Gesicht. »Du musst bei Bewusstsein bleiben, hörst du?«
Femi öffnete die Augen und lächelte. »Ich glaube, ich war ein schlechtes Vorbild. Wenn du bei allen Problemen glaubst, ein Schlag ins Gesicht sei die richtige Lösung, dann hast du zu wenig Weiblichkeit gelernt. Du hättest mehr auf Fatima hören sollen.«
»Scheiß auf die Weiblichkeit! Ich will, dass du lebst.«
Er lächelte erschöpft.
Tante Fatima kam herbeigeeilt, gekleidet nur in ein Hauskleid, das ihre Arme und Schultern freiließ. Ihre hennarot gefärbten Haare lockten sich um die Schultern und ließen sie trotz des fehlenden Make-ups und ihrer Falten wie die junge Frau wirken, die Femi vor vielen Jahren geheiratet hatte. Tränen liefen ihr über die Wange, als sie sich neben Diane kniete und nach Femis Hand griff.
Diane schluckte. Die Situation fühlte sich mit einem Mal unangenehm wie ein Abschied an. »Femi, deine Frau ist hier. Gleich kannst du mit ihr reden. Aber vorher musst du mir noch sagen, wer das war. Das ist ein Befehl.«
Er erwiderte ihren Blick und schien darin etwas zu finden, was er für seine Antwort brauchte. »Mädchenhandel«, brachte er hervor.
»Mädchenhandel? Femi, so was machen wir nicht«, wies sie die Aussage scharf zurück.
»Eine andere Organisation. Sie haben Leute bei uns eingeschleust. Ich habe es zu spät bemerkt. Und jetzt …«
»… haben sie dich erschossen, damit einer von ihnen deinen Platz einnehmen kann?«
Femi nickte erschöpft.
»Und wenn ich nicht hier gewesen wäre, hätte dein Nachfolger sich bei meinem Vater vorgestellt, alles einer feindlichen Organisation in die Schuhe geschoben und hätte deinen Platz übernommen. Und wir hätten ewig gebraucht, um zu merken, dass wir unterwandert wurden.« Diane legte den Kopf schief, obwohl ihre Aussage nicht wirklich eine Frage war. Manchmal switschte ihr Kopf in den Fast Mode, in dem sich alles mit unglaublicher Geschwindigkeit zusammensetzte und es ihr vorkam, als könne sie einer Pistolenkugel im Flug ausweichen.
Normalerweise passierte das weit fort von ihrem Zuhause …
Für Tränen war keine Zeit.
Femi nickte wieder erschöpft und hustete. Blut färbte seine immer noch vollen Lippen rot und versickerte in seinem immer noch dunklen Bart.
Diane presste die Fäuste weiterhin auf die Schusswunden und blickte zur Hofeinfahrt. Wie lange brauchte dieser bescheuerte Arzt für den kurzen Weg?
Sie blinzelte das Brennen in ihren Augen weg.