Читать книгу Black Heart - Spin-Off 2: Der Weg ins Licht - Tatjana Weichel - Страница 8

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Österreich

Oktober 2017

Hey, ich bin Daniel. Tut mir leid, dass du warten musstest.« Ein braunhaariger, muskulöser Kerl kommt auf mich zu und streckt mir seine Hand entgegen.

»Gabriel Young, hi!« Ich drücke mich von meinem Auto weg und schüttle Daniels Hand. Er hat einen kräftigen Händedruck. »Macht doch nichts. Ich hätte ja früher anrufen können.« Dass ich erst noch eine halbe Stunde herumgeirrt bin, weil hier nirgendwo eine verdammte Schule zu finden war, und mich dann letztendlich stur auf die GPS-Daten verlassen habe, die mir zugemailt worden sind, erzähle ich ihm nicht.

»Ich schließe dir auf, dann kannst du dein Auto parken.« Daniel zieht eine Chipkarte aus seiner Hosentasche und lächelt mich an.

Ich steige in mein Auto und fahre durch das Tor, welches sich gleich wieder hinter mir schließt, und stelle mein Auto in einer großräumigen Tiefgarage ab. Dann nehme ich meinen Koffer.

Daniel wartet an einer grauen Tür auf mich und liest auf seinem Handy. Er ist ziemlich attraktiv, gut gebaut, er macht sicher viel Sport. Ob er hier Lehrer ist oder nur ein … Wächter?

»Alle Türen hier öffnen sich nur mit Chipkarte, du wirst eine eigene bekommen, damit du nicht immer wen fragen musst, wenn du mal an dein Auto oder raus willst«, erklärt er mir und schiebt sein Handy in die Hosentasche. »Erfahrungsgemäß fährt man aber nicht oft weg, wenn man nicht unbedingt muss.« Wir gehen durch die Tür zum Fahrstuhl, Daniel drückt auf die 1, und knatternd setzt sich der Lift in Bewegung. »Ich bringe dich für den Bürokram zu Lotta ins Sekretariat, dann zeige ich dir deine Wohnung und deinen Arbeitsbereich und weise dich in alles ein, was du wissen musst. Heute Nachmittag hast du ein Gespräch mit Freya und Tyros.«

»Äh, okay«, antworte ich, überfordert von seinem Redeschwall. Er grinst mich an, doch da geht schon die Fahrstuhltür auf, und wir stehen in einer riesigen Eingangshalle. Ich halte die Luft an.

Hohe, steinerne Wände, von meterhohen Pflanzen gesäumt. In der Mitte der Halle befindet sich ein kleiner Brunnen, um den herum zwei breite Treppen nach oben führen. Die Decke ist mit Stuck verziert, durch große Fenster fällt das Tageslicht herein.

»Beeindruckend, was? Aber freu dich nicht zu früh, es sieht nicht überall so aus.« Daniel lächelt. »Herzlich willkommen im Palast der Träume.« Er breitet die Arme aus. »Das hier ist jetzt dein Zuhause. Ich hoffe, du wirst dich wohlfühlen.«

Ich atme tief durch.

Ja. Das hier ist jetzt mein Zuhause.

Nachdem ich bei einer jungen Frau – Lotta – einige Formulare ausgefüllt und meinen Schlüssel bekommen habe, bringt Daniel mich zu meinem Quartier und unterzieht mich unterwegs einer Kurzanweisung über die Regeln des Palastes.

»Ich bin in einer halben Stunde wieder da. Komm erst einmal in Ruhe an«, sagt er und zwinkert mir zu. Dann lässt er mich allein.

Ich stelle meinen Koffer ab und schaue mich um.

Sie haben mir eine kleine Wohnung zugewiesen. Ich schätze, so wohnen alle hier. Es ist jedenfalls sehr nett, ein kleiner Wohn- und Küchenraum, ein Schlafzimmer, ein Bad. Die Wände sind weiß gestrichen, es gibt genug Schränke und Regale, um mein Zeug zu verstauen oder neues anzusammeln. Ich ziehe einen der luftigen Vorhänge zur Seite und öffne das Fenster.

Diese Aussicht.

Sie ist atemberaubend.

Weißspitzige Könige erheben sich majestätisch über das kleinere Fußvolk, ich bin sofort beeindruckt von den Alpen und ihrer rauen Schönheit. Alles um mich herum ist wild und ungestüm, grauer Fels mündet in grüne oder weiße Spitzen. Es ist unglaublich. Wie muss es sich anfühlen, dort oben zu stehen? Den Weg geschafft zu haben, den Berg bezwungen?

Ich spüre ein unbändiges Verlangen danach, wandern und klettern zu gehen. Vielleicht ergibt sich diese Möglichkeit ja.

Die Luft ist frisch und klar, und ein schönes Gefühl von Kraft und Motivation breitet sich in mir aus.

Es fühlt sich wie ein Neuanfang an. Ich stelle erstaunt fest, dass ich mich auf das freue, was auf mich zukommt.

Ich ziehe mein Handy heraus und schreibe Trevor eine kurze Nachricht, dass ich gut angekommen bin und mich in der nächsten Woche bei ihm melde. Bei der Gelegenheit lösche ich auch direkt Davids Nummer. Dann beschließe ich, meinen Koffer auszupacken, räume meine Badezimmerutensilien ein und wasche mir Hände und Gesicht. Als es klopft, deute ich mir im Spiegel eine High Five an, grinse und öffne Daniel die Tür.

»Hey, Gabriel, kommst du klar? Brauchst du noch was?«, fragt er mich und deutet mit der Hand in den Raum hinein.

»Nein, alles gut. Es ist toll.« Ich schließe die Tür hinter mir, schließe ab, und wir gehen nebeneinander durch die endlosen Flure.

Wie soll ich mir nur je den Weg merken?

»Das lernt man mit der Zeit.« Er lacht leise, als er sieht, wie ich mich umsehe und versuche, mir markante Dinge einzuprägen. Ich hoffe, er hat recht. »Ich zeig dir jetzt die Küche und den Speiseraum und stelle dir dein Personal vor. Heute Nachmittag werden sich Freya und Tyros mit dir unterhalten.«

»Mein Personal?« Ich hebe die Augenbrauen.

»Klar. Du bist doch als Küchenchef eingestellt worden, oder?«

»Ja, schon. Und … Freya und Tyros? Nennt ihr euch beim Vornamen?« Ich bin neugierig, es klingt alles so locker.

»Ja, meistens schon. Es wird dir zugutekommen, dass wir hauptsächlich englisch miteinander sprechen, das macht es einfacher.« Daniel lächelt. »Freya Erikson ist unsere Direktorin und Gründerin des Rats. Tyros Mansour ist ihr Stellvertreter und derzeitiger Ratsvorsitzender.«

Ich nicke. »Ich weiß, ich hab ihn per Video kennengelernt. Er hat mich eingestellt.«

Daniel nickt ebenfalls. »Tyros ist schwer in Ordnung. Generell hast du einen guten Zeitpunkt erwischt, es ist selten, dass so viele Leute am Palast sind. Wir sind oft unterwegs. Neue Schüler abholen, Artefakte einsammeln, Informationen nachgehen, feindliche Gruppen eliminieren.« Er lacht laut, als er mein entsetztes Gesicht sieht. »War ein Scherz. Aber Montag geht es wieder los, da sind ein paar von uns weg. Morgen Abend ist deshalb eine kleine Abschiedsrunde, komm gerne dazu, wenn du magst. Ich sag dir Bescheid.« Er lächelt aufmunternd, und ich finde es sehr nett von ihm, mich einzuladen. Es könnte meinen Aufenthalt hier deutlich angenehmer gestalten, wenn ich mit den Leuten gut klarkäme.

Ich schlafe erstaunlich gut in meiner ersten Nacht, und als ich aufwache und mit meinem ersten Kaffee am offenen Fenster stehe, ist mir zwar arschkalt, aber ich spüre Zufriedenheit in mir. Die Unruhe der letzten Wochen legt sich ein wenig, wahrscheinlich tut es wirklich gut, mal etwas anderes zu sehen als das vertraute Zuhause.

Offiziell fange ich erst Montag an zu arbeiten, aber wenn Daniel mich wirklich heute Abend mitnimmt, um mich den anderen vorzustellen, könnte ich ja was vorbereiten. Dabei kann ich direkt die Küche näher kennenlernen und mich mit den Geräten vertraut machen.

Kurz überlege ich, was ich kochen oder backen könnte, aber dann ist die Entscheidung schnell getroffen: Schokoladenküchlein gehen immer.

Die nächsten Stunden bin ich damit beschäftigt, Vorräte zu sichten, die alten Speisepläne zu lesen, herauszufinden, was die Leute hier überhaupt gerne essen, alles irgendwie anzupassen – und dabei nicht denen im Weg herumzustehen, die arbeiten und Schüler und Lehrer versorgen müssen.

Letztendlich werfe ich aber alle Pläne über Bord und entwickle mein eigenes System, in der Hoffnung, dass mein Team damit klarkommt.

»Hey, Tanya, kannst du mir Milch raufholen?« Ich hebe den Kopf aus dem Schrank und erschrecke so sehr, dass ich ihn mir am Oberschrank anknalle.

Vor mir steht nicht Tanya.

Vor mir steht Julie.

Heilige Scheiße.

»Oh, sorry. Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken«, ruft Julie aus und eilt um die Arbeitstheke herum, um mich besorgt am Arm zu greifen.

Das fängt ja hervorragend an.

»Was machst du denn hier?« Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und meinen Arm zurück, dann mustere ich sie. Sie lächelt verunsichert und nimmt etwas Abstand.

»Zur Schule gehen?« Sie schmunzelt. »Als ich hörte, wie der neue Koch heißt, da … na ja. Hab ich Sam gefragt, und er hat gesagt, dass das wirklich du bist. Warum? Was machst du ausgerechnet am Palast der Träume?« Sie sieht mich forschend an.

Seit Yanis tot ist, haben wir uns exakt viermal gesehen. Auf der Beerdigung, auf beiden Trauerfeiern, und einmal irgendwann dazwischen, weil sie vor meiner Tür stand und reden wollte. Ich wollte nicht reden, und das will ich noch immer nicht.

»Okay«, ignoriere ich ihre Frage. »Hör zu, Julie, ich … ich hab viel zu tun.« Ich will sie loswerden, das weiß sie genauso gut wie ich. Sie tut mir den Gefallen nicht, aber immerhin bekomme ich eine Verschnaufpause.

»Ich hole dir die Milch, ich kenne mich hier aus.« Bevor ich reagieren kann, ist sie verschwunden. Ich runzle die Stirn. Was heißt das, sie kennt sich hier aus? Arbeitet sie etwa auch für mich?

Himmel.

Ich stütze die Hände auf die Arbeitsplatte und atme tief durch. Ich bin ihr jetzt über zwei Jahre aus dem Weg gegangen, weil ich nicht mit ihr über Yanis reden wollte. Mir ist schon klar, dass nicht sie ihn getötet hat. Aber wegen ihr war er auf dieser Veranstaltung, und wegen ihr war er Teil dieser bescheuerten magischen Welt. Ich sehe ihn vor mir, wie er mich angesehen hat, als wir am See saßen und er mir alles erzählt hat. Wie er sie von der Straße gezogen und damit verhindert hat, dass sie vor mein Auto läuft, wie ihn das zum Wächter gemacht hat, wie sie ihre Träume geteilt haben. Wie sie Nähe mit ihm erzwungen hat, obwohl er sich in diesen Tagen in mich verliebt hat. Schlagartig wallt die alte Eifersucht in mir auf.

Wie er im Traum mit Julie geschlafen hat.

Ich höre sie hinter mir in die Küche kommen und wappne mich für einen Anschiss, dass ich sie nicht hierhaben will, dass sie mir aus dem Weg gehen soll, dass ich am liebsten direkt wieder verschwinden würde, da stellt sie eine Palette Milch neben mir ab.

»Es tut mir unendlich leid. Ich wünschte, ich könnte ein paar Dinge rückgängig machen.« Ihre Stimme ist leise, zart, zerbrechlich. Sie hat Angst vor mir. Vor meiner Wut. »Aber egal, welchen meiner Fehler ich nicht machen würde, wir wären so oder so auf die Convention gefahren, und …«

»Hör auf«, bitte ich sie leise. »Bitte hör auf.« Ich schaue sie an, spüre, wie meine Augen feucht werden. »Ich will nicht darüber reden. Wenn du hier arbeiten musst, tu es. Am besten tust du es aber nicht. Geh mir aus dem Weg. Du und ich, wir haben nichts gemeinsam.«

Sie presst die Lippen zusammen, schiebt die Palette etwas weiter an die Wand. Ihre Hand liegt unschlüssig darauf, dann geht sie ein paar Schritte zurück.

»Doch, Gabriel. Wir haben mehr gemeinsam, als du dir eingestehen willst.« Sie geht aus der Küche, dreht sich aber noch einmal um. »Wir haben ihn beide geliebt, und jetzt sind wir beide hier.«

Daniel hat Wort gehalten, und so sitze ich am Abend in einer Runde von Lehrern, Wächtern und Hexen und trinke ein eiskaltes Bier. Immer wieder muss ich über die Anekdoten der Leute lachen, die gerne von ihren Reisen und Missionen erzählen, und längst komme ich mir vor, als würde ich sie ewig kennen.

Daniel hat mir kurz und bündig die Leute vorgestellt, und da ich ziemlich gut mit Namen bin, kann ich sie mir auch alle merken: Max, der Psychologe, und die Brüder Alex und Ivan, die die gleichen grünen Augen haben. Lotta, die Sekretärin, mit der ich nun schon einige Male Kontakt hatte und die zusammen mit Moose aufkreuzte – einem Typen, der aussieht wie ihr Bruder –, Silas, der sehr offensichtlich sehr viel Sport treibt. Lena, Jennifer. Mario und Giovanni, die mir erzählen, dass sie am Montag nach Rom fliegen, während Daniel eine neue Schülerin abholt und Alex und Moose was mit Tyros zu erledigen haben. Die Leute scheinen gut beschäftigt.

»Wir wechseln uns immer ein wenig ab. Schließlich können ja nicht alle Lehrer gleichzeitig weg sein. Abgesehen davon ist das nur der nette Kern Lehrer. Die nicht so netten Kollegen werden nicht eingeladen«, erklärt mir Alex, und ich muss darüber lachen.

»Ich bin nicht einmal Lehrerin«, stellt Lotta fest.

»Du wärst sicher eine großartige Lehrerin«, sagt Ivan und zwinkert ihr zu. Sie errötet ein bisschen. Ich glaube, sie steht auf ihn. »Lass mal, ich hab genug zu tun«, erwidert sie und beißt in das letzte Schokoküchlein, das sie in einem harten Kampf gegen Ivan ergattern konnte.

Schokoküchlein. Funktioniert immer.

»Nachdem nun geklärt ist, dass du Muffins backen kannst: Was kochst du uns denn in deiner ersten Woche, Gabriel?«, fragt mich Giovanni und erzählt mir von seiner Nonna, die immer für die ganze Familie kocht, weil sie unter sieben Leuten nicht einmal den Topf herausholt. Wir fachsimplen ein bisschen, und spontan kündige ich eine italienische Woche an. Lotta jubelt und ruft »Pasta«, während Ivan auf »Lasagne!« besteht. Ich grinse vor mich hin, Giovanni haut mir auf die Schulter, und ich weiß, ich habe neue Freunde gefunden.

Für einen Abend vergesse ich den Grund, warum ich hier bin, vergesse Yanis und alles, was daran hängt, vergesse Julie und ihre Anwesenheit.

Für einen Abend genieße ich den Kontakt zu wirklich netten Menschen und einen aufregenden Neuanfang.

Black Heart - Spin-Off 2: Der Weg ins Licht

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