Читать книгу Black Heart - Spin-Off 2: Der Weg ins Licht - Tatjana Weichel - Страница 9
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Oktober 2017
❤
Das ist echt nicht lustig.« Ich liege schwer atmend auf einer Matte in der Sporthalle. Holy Shit, meint er das ernst?
Ich war schon erstaunt, dass Silas seine Ansage am ersten Abend – ›Wir können ja mal zusammen trainieren‹ – ernst meinte und sich für heute Morgen mit mir verabredete, aber hätte ich auch nur den Hauch einer Ahnung gehabt, was mich erwartet, wäre ich im Bett geblieben.
Silas hat sich mit dem Kopf an eine der Wandmatten gelehnt, seine Schultern beben, und dann platzt es auch schon aus ihm heraus. Er dreht sich um und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. »Ich habe noch nie …« Er schüttelt prustend den Kopf und scheint nicht fassen zu können, was er eben zu sehen bekommen hat. »Alter, du bist der unsportlichste Mensch der Welt.«
Ich brumme und nehme die Hand an, die er mir reicht, damit ich wieder aufstehen kann. Mein Kopf dröhnt, und mein Magen fühlt sich an, als wäre ein Rammbock darin gelandet. »Ich hab dich gewarnt.« Hab ich wirklich. Aber er wollte mir ja nicht glauben.
»Ich hab nicht gedacht, dass du das wirklich so meinst. Du musst dringend was tun.« Silas stemmt die Hände in die Hüften und schaut mich an. Er muss nichts mehr tun, sein Körper ist trainiert. Das Sixpack sehe ich trotz des Shirts.
»Hm«, brumme ich erneut und reibe mir übers Gesicht. »Aber nicht mehr heute.«
Silas lacht erneut auf und boxt mich sacht gegen den Arm, während wir nebeneinander zu den Umkleidekabinen gehen.
Plötzlich wird mir übel, ich reiße die Augen auf und schaffe es gerade noch rechtzeitig zur Toilette, wo ich mich keuchend übergebe. Als ich wieder herauskomme, hat Silas sich bereits ausgezogen und grinst mich breit an.
»Echt jetzt?«
»Halts Maul«, fahre ich ihn an, aber weil er so lachen muss, kann ich auch nicht ernst bleiben. »Du hast aber auch echt einen Schlag drauf«, versuche ich mich zu verteidigen und öffne meinen Spind für mein Duschzeug.
»Dabei hab ich nicht mal fest zugehauen. Musst mal schauen, wenn ich mit Alex oder Ivan trainiere, dann weißt du, was ein echter Schlag ist.« So ein bisschen eingebildet klingt das ja schon.
»Kein Wunder, dass die Schüler dich hassen«, brumme ich und folge ihm unter die Dusche. Seinen muskulösen Körper versuche ich dabei so wenig wie möglich anzuschauen.
Sicher ist sicher.
»Zurecht, würde ich meinen. Solange sie mich hassen, sind sie angespornt und geben Leistung. Ich bin ihr Lehrer, sie müssen mich nicht mögen.«
Ich denke an Ivan, der als Lehrer eine ganz andere Nummer fährt. Aber der ist auch Psychologe, vielleicht liegt es daran, dass er eher gleichberechtigter mit den Schülern umgeht.
»Tun sie auch nicht. Sie haben Angst vor dir. Aber immerhin hat es einer geschafft, dir die Nase zu brechen.« Ich kichere leise, die Geschichte wird seit einer Woche jeden verdammten Tag im Speisesaal erzählt. Mittlerweile weiß ich gar nicht mehr, welche Version die richtige ist.
Silas winkt ab und bindet sich ein Handtuch um die Hüfte. »Das war eine gute Leistung, er hat meine Unachtsamkeit genutzt. Ich hab ihn zur Sau gemacht, aber insgeheim war ich echt stolz auf ihn.« Er grinst. »Aber sag ihm das nicht. Er prahlt eh genug damit.«
Ich lache auf. Silas ist schon schwer in Ordnung, und wer bin ich, seine Lehrmethoden anzuzweifeln?
❤
Am Nachmittag sitze ich im Büro des Direktors und habe Zeit, mich umzuschauen, während Tyros uns Tee einschenkt. Minztee mit viel Zucker, typisch marokkanisch, wie er betont. Er scheint einen Bezug zu Marokko zu haben, sein Büro ist ungewohnt hell, freundlich, sonnig. An den Wänden hängen bunte Wandteppiche, zwischen den unzähligen Büchern im Regal stehen kleine bemalte Keramikwaren, und ich nehme einen nussigen Duft wahr. Alles in allem ein Raum, in dem ich mich sofort entspanne.
»Du bist jetzt vier Wochen hier. Hast du dich gut eingelebt?«, fragt er mich und stellt mir die Tasse mit dem dampfenden Tee hin. Dann setzt er sich lässig in seinen Stuhl und schlägt die Beine über, mustert mich aufmerksam. Tyros’ Blick ist so eindringlich. Ich bezweifle, dass ihm irgendjemand was vormachen kann, also versuche ich es gar nicht erst.
»Besser, als ich dachte. Die Leute sind echt nett, und die Arbeit macht mir Spaß. Alle sind so … dankbar«, antworte ich ihm.
Er lacht leise. »Ja, das sind sie. Man könnte meinen, sie hätten vorher nichts Anständiges zu essen bekommen. Aber du hast echt was drauf.«
»Danke, das ist nett, dass du das sagst. Mein Onkel hat mir alles beigebracht, bei ihm bin ich aufgewachsen.« Beim Gedanken an Trevor wird mir ein wenig flau im Magen, ich rufe ihn viel zu selten an.
»Oh. Wie kommt das? Was ist mit deinen Eltern?« Tyros schaut mich prüfend an, und nach einer Weile wird mir richtig unwohl unter seinem Blick. Doch bevor ich ihm antworten kann, gibt er sich die Antwort selbst. »Du hast sie verloren«, stellt er fest, und ich schlucke.
Sieht man mir das so deutlich an? Oder weiß er einfach nur, wie sich das anfühlt und kann in mir sehen, was er selbst spürt?
»Ja. Sie und meinen kleinen Bruder«, erwidere ich.
Tyros nickt, nimmt seine Tasse und denkt einen Moment nach, bevor er erst trinkt und dann spricht. »Ich wollte dir auch eigentlich nur sagen, dass wir alle sehr glücklich über deine Anwesenheit sind, und dass ich hoffe, du bleibst uns erhalten.« Sein Blick ist freundlich, aber so wissend, so tiefgründig. Er ist älter als ich, nicht so alt, dass er mein Vater sein könnte, aber einer der Ältesten hier am Palast. Er strahlt Souveränität und Autorität aus, und ich habe schon mitbekommen, dass er nicht immer so zugewandt ist wie jetzt.
In mir breitet sich ein Gefühl von Dankbarkeit aus.
Dankbarkeit, dass ich hier eine neue Chance bekomme, einen Neuanfang wagen kann. Die Vergangenheit abschließen.
Verwirrt halte ich inne. Das … ist nicht der Grund, warum ich hier bin.
Als ich Tyros’ Büro verlasse, streife ich ziellos durch die Gänge. Meine Gedanken überschlagen sich. Mir wird klar, dass ich mich in diesem neuen Job, mit den neuen Menschen und den neuen Gefühlen sehr wohlig eingenistet habe.
Ich gehe die Stufen eines Turms hoch. Hier war ich noch nie, was bedauerlich ist, denn die Aussicht ist atemberaubend. Für eine Weile bleibe ich dort stehen.
Mag ich den Gabriel, der ich hier bin? Und was hat mich zu Hause davon abgehalten, der zu sein, der ich sein will?
Hat mich die Vergangenheit unterbewusst mehr beeinflusst, als mir klar war?
Mein Blick fällt auf die Glastür, vor der ich stehe. Ein vergilbtes Schild weist mich darauf hin, dass ich vor der Bibliothek stehe.
Eine Bibliothek.
Ich fasse mir an die Stirn. Da hätte ich auch allein draufkommen können.
❤
Zwei Tage später habe ich Zeit und Ruhe, die Bibliothek aufzusuchen. Ich habe mir vorher überlegt, was ich sagen werde. Den Bibliothekar kenne ich nur flüchtig, aber ich bin sicher, er wird Fragen stellen, wenn der Koch der Schule sich auf einmal für Magie interessiert. Oder mache ich mir nur zu viele Sorgen?
Ich mache mir zu viele Sorgen.
Hugo Seidel begrüßt mich freundlich und bietet mir an, mich herumzuführen und alles zu erklären, und das nehme ich dankbar an. Ich frage mich, ob er auch ein Wächter ist. Zugegeben, mit dem Look eines zerstreuten Professors halte ich das für unwahrscheinlich.
»Wenn du mir sagst, wonach du suchst, kann ich es dir explizit zeigen. Wir führen eine der größten Bibliotheken auf dem ganzen Kontinent, es wird eine Weile brauchen, bis du dich zurechtfindest. Selbst ich verlaufe mich manchmal noch.« Er zwinkert mir zu, und das wirkt so abstrus, dass ich lachen muss.
»Sehr freundlich, danke. Ich … ich möchte mich gerne mit der Magie an sich beschäftigen, die Geschichte des Palastes, was es alles so mit Magie auf sich hat. Ich mag gern wissen, wo und für wen ich arbeite.« Ich hebe die Schultern, vor dem Spiegel habe ich den entsprechenden Gesichtsausdruck dazu geübt. Ich möchte möglichst unschuldig wirken.
»Das finde ich einen interessanten Standpunkt. Schau, hier hinten sind die Geschichtsbücher.« Er macht eine ausladende Handbewegung. Überrascht schaue ich mich um.
Wie auch im vorderen Bereich der Bibliothek säumen hohe Regale die Wände, sie sind vollgestopft mit Büchern. Wobei vollgestopft das falsche Wort ist, denn die Bücher sind gepflegt und ordentlich verstaut, dennoch überwältigt mich die Menge.
»So viele?«, mache ich meinem Erstaunen Luft.
Hugo lacht leise. »Das überrascht jeden, der das erste Mal hier ist. Aber es gibt weltweit an die zweihundert Clans mit einer halben Million Hexen und Wächtern. Generation um Generation geben sie ihr Wissen weiter, und wir profitieren davon.« Liebevoll lässt er seine Finger über die Buchrücken gleiten, und etwas an dieser Geste irritiert mich, ich weiß nur nicht auf Anhieb, was.
»Eine halbe Million Hexen und Wächter?« Ich runzle die Stirn. »Das ist mehr, als ich dachte.«
Er nickt. »Allein hier sind ja schon an die zweihundert Menschen, wenn die Schule gut besucht ist. Wenn du noch etwas brauchst: Im Stockwerk über uns befinden sich die Bücher, die für den Unterricht gedacht sind. Die werden dich vermutlich aber derzeit nicht interessieren. Alles, was du wissen möchtest, wirst du hier finden. Aber oben kannst du dich gemütlicher hinsetzen. Ansonsten räume dir gerne einen der Schreibtische frei.«
Ich streife zuerst etwas ziellos an den Regalen vorbei, lasse die Buchtitel auf mich wirken, und als ich bei der Pflanzenkunde ankomme, drehe ich um und schaue mir alles noch einmal an. Letztendlich nehme ich ein Buch über Traummagie mit und verschiedene über die Geschichte der Magie. Mit meinen Schätzen gehe ich die Wendeltreppe hoch und bin schon wieder erstaunt.
Hier oben ist es deutlich heller, die Fenster sind viel größer und werfen ein sonniges Licht auf eine gemütlich aussehende Ecke mit verschiedensten Sitzgelegenheiten. Ich suche mir einen alten Ohrensessel aus und erwarte schon fast, dass er Staub aufwirbelt, wenn ich mich in ihn hereinfallen lasse, aber nichts passiert. Und dann fällt mir auch ein, was mich vorhin so irritiert hat, als Hugo mit seinen Fingern über die Bücher gestrichen hat: Seine Finger waren nicht staubig danach. Nichts hier ist staubig oder dreckig, kein Wunder, dass diese vielen Bücher so gut erhalten sind.
Zum ersten Mal wird mir bewusst, dass ich mitten in der magischen Welt lebe.