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Danish schob ein fertig geschriebenes Buch in eines der Regale, die bis unter die Decke reichten.

Er war stolzer Besitzer von tausenden Büchern, die alle ihren Platz in den hohen, schmalen Regalen fanden. Ihr gesamter Inhalt war aus seinem Kopf aufs Papier geflossen. Es gab nichts, das Danish nicht wusste und es gab immer neues Wissen, das er dokumentierte.

Wenn er ein Buch vollgeschrieben hatte und es seinen Platz in einem seiner Regale bekam, gab er das Wissen, das in diesem Exemplar stand, für die Menschen auf der Erde frei. Erst dann waren sie dazu befähigt, etwas Neues zu entdecken. Die Menschen wurden demnach immer klüger, doch sie wendeten ihr Wissen völlig falsch an. Danish schenkte ihnen etwas, das ihnen Macht gab und sie handelten dennoch nicht weise, wie er es sie hatte lehren wollen. Die Menschen hatten ihren eigenen Kopf und wurden schnell zu schlechten Dingen verleitet.

Sein Blick fiel auf ein besonders dickes Buch mit schwarzem Einbund. Er zögerte mehrere Augenblicke, bis er danach griff und es langsam aus dem Regal zog. Es war so schwer, wie es aussah. Er betrachtete sein Werk und strich über den Umschlag.

Dieses Buch durfte nicht mehr existieren. Es brachte zu viel Unheil.

„Sag mir...“

Danish erschrak.

Das Buch fiel ihm aus den Händen und landete aufgeschlagen auf dem Boden. Er hielt sich mit einer Hand an der Leiter fest und drehte sich um. Caspar bückte sich und hob das große, schwarze Buch auf.

„Entschuldige.“, sagte er.

„Nichts passiert.“

Danish stieg die Leitersprossen hinab.

Als er vor seinem wesentlich größeren Vater stand, streckte er die Hände nach dem Buch aus. Caspar reichte es ihm.

„Sag mir“, setzte dieser dann wieder an, „warum die Klugen unter ihnen nichts tun.“

Sein Blick wanderte an den Regalen entlang und streifte die Bücher, bis er zu Danish hinunter blickte. Dieser erkannte sofort den Kummer in seines Vaters Augen.

„Weil sie feige sind.“

Caspar hatte diese Antwort erwartet. Er seufzte tief.

„Das sagte Arwan auch schon. Ich hatte mir jedoch erhofft, von dir etwas anderes zu hören.“

„Und ich kann dir nichts anderes als die Wahrheit erzählen.“

Caspar nickte nachdenklich und verschränkte die Arme vor der Brust. Danish ging mit dem Buch in der Hand zum Kamin, blieb davor stehen und rang mit sich. Das Feuer knisterte leise vor sich hin. Die Flammen tanzten fröhlich über den verkohlten Holzscheiten.

Caspar trat neben ihn. In Danishs starren Augen spiegelten sich die leuchtenden Flammen.

„Was hast du vor?“

„Das tun, was ich tun muss.“

Bevor Caspar ihn aufhalten konnte, warf Danish das Buch ins Feuer. Die Flammen loderten auf und stiegen höher.

„Was soll das?“, fragte Caspar entsetzt.

Er musste mit ansehen, wie das Buch verbrannte und das Wissen, das darin stand, vernichtet wurde. Unterdessen hielt Danish mit schmerzverzerrtem Gesicht seinen Kopf.

Es fühlte sich an, als brannte auch in ihm ein Feuer und wollte sein Gehirn versengen. Vor Schmerz stöhnt er auf.

Caspar wandte seinen Blick von dem verbrennenden Buch ab.

„Warum tust du das?“

Entsetzt sah er Danish leiden, der vor Schmerzen nicht fähig war zu sprechen. Seine Knie begannen zu zittern. Caspar fing ihn auf, als er in sich zusammen klappte. Er kniete sich mit seinem Sohn in den Armen auf den Boden und strich ihm über das helle Haar.

Dann sah er mit an, wie das Buch zu Asche wurde. Die Flammen legten sich gierig um es und verschlangen es.

Danish öffnete langsam die Augen.

„Ich konnte den Menschen das Wissen über das Schießpulver nicht länger zugänglich machen. In Zukunft wird es keine Schusswaffenproduktion mehr geben.“, murmelte er geschwächt.

Caspar sah ihn betrübt an. „Du hast dich selbst verletzt.“

Eine Seifenblase zerplatzte, als sie sie mit dem Finger leicht berührte. Es gab ein leises Plopp und die Blase, gefüllt mit Schwärze, löste sich in Luft auf.

Sitara hielt die Hände übereinander und formte in den bloßen Handfläche eine neue, schönere Seifenblase, in der weißer Nebel wirbelte. In dem Nebel bildete sich ein Traumbild. Eine grüne Wiese, darüber ein strahlend blauer Himmel und Blumen, die aus der Erde sprießten.

Sitara lächelte zufrieden und ließ die Seifenblase mit dem schönen Traum von ihrer Handfläche in den Himmel gleiten. Sie war ganz leicht und stieg augenblicklich hoch hinauf.

Es schwebten noch viele andere Albträume in greifbarer Nähe. Je schlimmer und grausamer der Traum, desto schwerer wurde die Seifenblase und sank immer weiter Richtung Boden.

Sitara ging in die Knie und zerplatzte einen Albtraum, der ganz knapp über ihren Füßen geschwebt hatte. Sofort formte sie einen neuen Traum und schickte ihn in den Himmel.

Am Nachthimmel schwebten die schönen Träume wie bunte Sterne. Sitara war ein wenig müde und gähnte herzhaft. Es war noch so viel Arbeit in dieser Nacht zu erledigen.

Sie stand auf, ermutigte sich, bald Schlafengehen zu können und hüpfte auf der Wiese entlang, mit beiden Händen die Albträume zerplatzend und in Windeseile neue formend.

Währenddessen ging Caspar in seinem Raum auf und ab, die Hände hinterm Rücken verschränkt, die Stirn in tiefe Falten gelegt. Sein weinroter Mantel strich auf dem Boden entlang.

Die Kerzen flackerten. Einige heruntergebrannte erloschen lautlos. Die Dochte rauchten, dann verglühten sie gänzlich. Kaum ein paar Sekunden vergingen, da türmte sich der geschmolzene Wachs zu einer neuen Kerze auf und der Docht entzündete sich wie von Zauberhand wieder von selbst.

Caspar interessierte das alles nicht. Er war in Gedanken vertieft, die finsterer waren, als ein Raum ganz ohne Licht.

Egal, welchen Gedankengang er einschlug, er endete immer wieder am selben Ausgang, als wäre sein Passieren unabwendbar.

Es musste eine andere Lösung geben. Diese konnte es nicht sein. Sie war zu schrecklich. Zu grausam. Er war kein Zerstörer.

Er war der Hüter des Lebens.

Er ging noch zehn mal im Kreis, ging in Gedanken erneut und erneut den Weg ab, doch er kam immer wieder dort an, wo er schon etliche vorherigen Male angekommen war.

Wenn er keine andere Lösung fand, keinen anderen Ausweg, gab es dann eine andere Möglichkeit?

Konnte er es irgendwie verhindern, seine geliebten Kinder zu schützen, ohne die Menschen dafür mit dem Leben bezahlen zu lassen?

Doch warum sollte er die Menschen schützen? Sie hatten es sich alles selbst verschuldet, sie hatten ihn, Caspar, in die Enge getrieben, die von ihm eine Entscheidung verlangte.

Weshalb sollte er nun Gnade zeigen, denen, die sie selbst nicht kannten, die haltlos vor keiner Grausamkeit zurückschreckten?

Sie hatten es nicht anders verdient. Viel zu lange hatte er sie unbestraft gelassen und mit ansehen müssen, wie sie seine Kinder ins Verderben trieben.

Wer rücksichtslos war, musste auch so behandelt werden.

Er würde niemanden verschonen können. Sie waren doch alle gleich, einer nicht besser als der andere. Durchtrieben vom Bösem.

Caspar drehte sich langsam zu den Kerzen um.

Er sah die brennenden Lichter vor sich und war sich seiner Macht im vollen Maße bewusst. Er wollte sie nun gebrauchen.

Er ging näher heran und spürte die Hitze, die von den vielen kleinen Flammen ausgestrahlt wurde.

Ihre Körper waren warm, voller Leben. Pustete er die Kerzen aus, würden sie kalt werden und das Leben aus ihnen entschwinden.

Die heiße Wut auf die Menschen kochte in ihm auf. Mörder hatten nichts anderes als den Tod verdient. Seine Kinder würden sie nicht um ihr kostbares Leben bringen.

„Genug!“, sagte er mit mächtiger, hallender Stimme.

Die Flammen erzitterten unter seinem Atem, als hätten sie Angst vor ihm

„Genug.“, sagte er noch einmal, diesmal murmelnd. „Es ist genug.“

Er holte tief Luft und bereitete sich darauf vor, sie mit all seiner Kraft auszublasen.

Die Flügeltür wurde aufgestoßen. Aviram stürmte herein.

„Hör auf!“, schrie er seinen Vater an.

Er stand im nächsten Augenblick neben ihm und packte ihn fest am Arm. Doch obwohl er unglaublich stark war, lockerte Caspar ohne Bemühen seinen Griff und schubste ihn von sich weg.

Er holte erneut Luft, sammelte sie in seinem geschlossenen Mund und wollte ihn gerade öffnen, als Dilara sich in den Raum schleppte, gestützt von Kaneschka.

Caspar hielt inne.

Sie sah ihn mit entschlossenem und wütendem Blick an und kam näher, bis sie vor ihm stand. Plötzlich hatte sie neue Kraft geschöpft, woher auch immer. Caspar war verwundert und hatte für einen Moment vergessen, wobei er gewesen war.

Das kam Dilara gerade recht. Sie stellte sich aufrecht hin, nahm ihren Arm von Kaneschkas Schulter und blickte ihrem Vater in die Augen. In ihnen lag ein dunkler Schatten, der sie erschreckte, denn alle Wärme war aus seinem Blick gewichen.

Sie wusste, sie musste ihn überreden, ihn abhalten, alles menschliche Leben auf der Erde zu vernichten.

Natürlich hatte jeder schon etwas geahnt. Caspars Sorge und Nachdenklichkeit in der letzten Zeit war ihnen nicht entgangen und besonders Farouks Gedankenleser-Gabe war sehr praktisch gewesen, um herauszufinden, was im Kopf ihres Vaters vor sich ging. Caspar hatte sich selten die Mühe gemacht, seine Gedanken zu verschließen, damit sie Farouk unzugänglich waren.

Sie hatten geahnt, dass er lieber ihr Leben beschützen wollte, als das der Menschen. Ein Vater konnte seine Kinder nicht sterben lassen. Aber er konnte dafür auch keine ganze Spezies ausrotten.

„Verschone sie!“, sagte Dilara mit fester Stimme.

Caspars Blick wurde härter und verfinsterte sich.

„Sie bekommen, was sie verdienen.“

„Nein!“, sagte Dilara diesmal fast flehend.

Doch ihr Vater schüttelte den Kopf. Er war dabei, sich den Kerzen wieder zuzuwenden, da fiel sie im zu Füßen. Er starrte zu ihr hinunter. Dann wurde sein Blick weicher und er hob sie auf.

„Sieh dich an.“, sagte er, auf einmal erstaunlich sanft. „Wie schwach du bist.“

Sie befreite sich von ihm und stolperte auf Kaneschka zu, die sie sofort auffing.

„Das kannst du nicht tun.“, sagte Aviram.

Er stand etwas abseits. Fassungslos sah er Caspar an.

„Erinnere dich, wer du bist.“

Caspar war der Hüter des Lebens und konnte selbst entscheiden, welche Leben er beschützen wollte. Er konnte nicht beide retten. Er hatte sich für eines entschieden. Das Leben hier, das seiner Töchter und Söhne. Er wusste, wer er war und er wusste, was er tat. Niemand konnte ihn davon jetzt noch abhalten. Er hatte sich endgültig entschieden.

„Sie sollen sterben, kein Einziger wird überleben. Sie hatten ihre Chance, doch sie haben sie vertan. Sie verdienen das Leben auf der Erde nicht.“

Seine Stimme hatte sich erhoben und er wirkte noch größer, als er so schon war. Hinter ihm erstreckte sich ein langer, dunkler Schatten und er sah so gruselig aus, dass sogar seine eigenen Kinder vor ihm zurückschraken.

Die Temperatur sank auf einmal und sie begannen zu frösteln und zu zittern. Eine Weile war die Zeit wie stehen geblieben, als hätten Caspars Worte ihre Zeiger vereist.

Dann verschwand Caspars unnatürliche Erscheinung wieder und die Wärme kehrte zurück. Seine Kinder hörten auf zu bibbern. Für einen kurzen Moment hatte es sich für sie so angefühlt, als wäre alles Leben aus dem Universum gewichen, aufgesaugt von einem verschlingenden, schwarzen Loch.

Caspar hatte einen Fluch ausgesprochen. Nichts sonst konnte solch eine Wirkung verursachen. Für wenigen Sekunden war die Natur aus dem Gleichgewicht geraten. Die Macht seiner Worte war dafür verantwortlich.

Dilara verstand als erste, was das bedeutete.

„Nein!“, schrie sie. „Nein! Wie konntest du nur!“

Sie brach auf dem Boden zusammen. Aviram eilte ihr zur Hilfe, weil Kaneschka erstarrt war.

Sie hob plötzlich die Hände, richtete das Gesicht gen Himmel, schloss die Augen und begann genauso laut zu sprechen wie Caspar vor ihr: „Sollte es einen einzigen Menschen auf der Erde geben, der durch und durch gut ist, selbstlos, mutig, ehrlich und eine reine Seele hat, so soll er durch Aufopferung die Menschheit vor Ablauf ihrer Frist retten können.“

Es wurde still im Raum. Sie alle starrten Kaneschka an, die gerade den mächtigen, eigentlich unbrechbaren Fluch ihres Vaters gemildert hatte. Sie ließ die Arme sinken und war überrascht über sich selbst. Nie hätte sie gedacht, dass es funktionieren würde.

Caspar fand die Worte wieder. „Es wird unmöglich sein.“

Seine ganze Grausamkeit war mit einem Mal verschwunden und er schrumpfte in sich zusammen, ließ die Schulter hängen und bereute, was er ausgesprochen hatte. Ein Urteil, das er nicht zurück nehmen konnte.

Was hatte er getan?

Er fiel auf die Knie, verbarg das Gesicht in den Händen und schluchzte wimmernd auf. Kaneschka ging auf ihn zu und hockte sich vor ihn. Sie wusste, dass er wahre Reue zeigte.

„Wir können es versuchen.“, versuchte sie ihn zu beruhigen.

„Ich bin ein Vernichter.“

Sie strich ihm tröstend über den Arm. Sein Körper zitterte. Ihr Vater war völlig am Ende.

„Nein. Nein, der bist du nicht.“

„Und doch bin ich ein schlechter Hüter. Nur deine Gnade gibt mir noch Hoffnung. Findet jemanden, ob Mann, Frau oder Kind, ist mir egal. Nur einen, der meinen grässlichen Fluch mit seinem Leben begleichen kann.“

Dann stützte er sich mit den Händen auf dem Boden ab und drückte sich hoch. Er verließ den Raum ohne ein weiteres Wort.

Dilara sah ihre Schwester ängstlich an. Sie klammerte sich fest an Avirams Arm, der neben ihr hockte und sie aufrecht hielt.

„Wir müssen auf die Erde. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Jede Ecke und jeder Winkel muss innerhalb von hundert Tagen abgesucht werden.“

Kaneschka nickte nur.

Ihr wurde klar, was ihre Aufgabe war und wie schwierig diese sein würde. Ein paar Milliarden Menschen lebten auf der Erde und keinen durften sie übersehen.

Arwan kam durch die offene Tür. Als er sah, dass seine Geschwister auf dem Boden hockten, eilte er besorgt durch den großen Raum auf sie zu. Er kniete sich neben Dilara und seinem Zwillingsbruder nieder.

„Was ist passiert?“

Aviram berichtete ihm die unglücklichen Geschehnisse. Arwan verstand sofort, wofür er nun gebraucht wurde, tauschte Blicke mit Kaneschka aus und sagte: „Ich gebe den anderen Bescheid.“

„Wir müssen uns alle auf die Suche machen. Der Fluch ist mächtig. Ich konnte ihn nicht aufheben, sondern bloß verändern. Dieser Mensch, den wir brauchen, darf keine einzige schlechte Eigenschaft besitzen und sich dazu bereiterklären, sein Leben für das aller anderen einzutauschen.“

„Wir suchen nach einem Engel.“, sagte Aviram.

„Das könnte man so sagen.“, seufzte Kaneschka.

„Die gibt es für gewöhnlich nicht auf der Erde.“

„Hört auf, unsere einzige Hoffnung zu zerstören.“, sagte Dilara leise.

Arwan sah sie an und sein Blick wurde besorgt.

„Du wirst nicht mitkommen können.“

„Selbstverständlich werde ich das.“

Sie klang entrüstet und beugte sich vor, um sich aufrechter hinzusetzten, doch ihr fehlte die Kraft und sie sank zurück in Avirams Arme.

„Du solltest wirklich nicht.“, sagte nun auch Kaneschka.

„Ihr braucht mich.“

„Wie willst du alleine zurecht kommen? Wir müssen uns aufteilen, es wird keinen geben, der dir helfen kann.“, sagte Aviram vorsichtig.

„Ich werde es auch alleine schaffen.“, sagte sie.

Doch dann wurde ihr schummerig und sie merkte, wie der Schwindel sie packte und sie an die Schwelle zur Bewusstlosigkeit trug.

Aviram nahm sie in die Arme und richtete sich mit ihr auf.

„Wir müssen anfangen zu suchen. Noch heute.“, sagte er zu seinen Geschwistern, drehte sich mit Dilara in den Armen um und trug sie fort.

100 Tage

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