Читать книгу WHO I AM NOT. Von Lügen und anderen Wahrheiten - Ted Staunton - Страница 12
ОглавлениеIch war auch müde, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte. Wie ich schon sagte, es war fast zu leicht. Vielleicht war ich einfach nur fürchterlich aufgedreht, aber als ich sicher war, dass sie schlief, durchsuchte ich Shans Umhängetasche. Eigentlich wusste ich gar nicht, wonach ich suchte, vermutlich war es reine Gewohnheit. Ich fand Kaugummi, Papiertaschentücher, Make-up, eine Haarbürste, einen Kugelschreiber, ein dickes Taschenbuch mit dem Titel Flammende Herzen, eine Sonnenbrille, Tampons, Kopfschmerztabletten, eine herausgerissene Zeitungsseite mit einem halb fertigen Sudoku, eine Telefonrechnung für 26 Yardley Street, Port Hope, ON, ein Portemonnaie, ihren Reisepass, das Fotoalbum.
Es passte alles. Ich nahm zehn kanadische Dollar aus ihrem Portemonnaie. Sie hatte über hundert dabei, daher ging ich davon aus, dass es ihr nicht sofort auffallen würde. Die Scheine hatten alle eine andere Farbe, wie das Geld bei Monopoly. Lass dir nie eine Chance entgehen. Ich wollte die Geburtsurkunde haben, die sie für mich am Flughafen vorgezeigt hatte – da Danny fünfzehn war, brauchte er keinen Reisepass –, ließ sie aber fürs Erste, wo sie war. Ich stopfte den Zehner in eine Tasche meiner Shorts und nahm mir die Bilder vor. Das Fotoalbum war brandneu. Shan hatte gesagt, dass sie es extra für mich gemacht hatte. Die Bilder sahen echt aus. Warum sie hätten gefälscht sein sollen, weiß ich nicht. Inzwischen war ich so paranoid und so müde, dass ich alles durcheinanderbrachte.
Ich sah mir Roy an, der seine Rettungsringe in einem Poloshirt zur Schau stellte und die Arme um kichernde Kinder gelegt hatte, dann Oma und Opa, in Klappstühlen vor ihrem Wohnmobil in Florida sitzend. Ich fragte mich kurz, ob ich sie schon mal gesehen hatte. Harley und ich waren im letzten Winter einen Monat dort unten gewesen und hatten auf Rentner-Campingplätzen Spenden gesammelt, für eine Wohltätigkeitsorganisation, die es nicht gab. Den spindeldürren Bruder, Tyson, mit einem Bier, einer Vokuhila und ein paar dilettantischen Tattoos. Er sah aus wie Stacheldraht, den man in ein T-Shirt gesteckt hatte. Und Mom Carleen wirkte in etwa so kuschelig wie ein Baseballschläger, daran konnte selbst die Weihnachtsmütze nichts ändern.
Was auch immer ich suchte, ich fand es nicht. Wenn Shan tatsächlich die echte Shan war, sah ich jedenfalls keinen Grund dafür, warum sie mir etwas vormachen sollte. Ich verdrängte den Gedanken; es gab schon genug, worüber ich mir Sorgen machen musste. Der Bildschirm in der Lehne vor mir zeigte jetzt eine Landkarte an, auf der ich sehen konnte, wo sich das Flugzeug gerade befand. Es würde nicht mehr lange dauern, höchstens zwei Stunden. Ich blätterte das Fotoalbum durch und starrte in all diese Augen. Sie hatten Danny seit drei Jahren nicht mehr gesehen. Würden sie mir glauben? Würde mir auch nur einer von ihnen glauben? Wie lange? Lange genug, um herauszufinden, wie mein nächster Schritt aussehen sollte? Und was, wenn Josh es herausgefunden und in Kanada angerufen hatte? Was, wenn die Cops schon auf mich warteten? Würden sie mir Fingerabdrücke abnehmen? DNS? Ich schloss die Augen. Denk nicht zu viel nach. Welche Möglichkeiten hatte ich? Entweder das oder zurück in die Böse Zeit. Früher oder später würde ich weglaufen müssen. Weglaufen konnte ich gut. Wenn es dort oben in Kanada nicht gerade schneite, konnte ich jederzeit weglaufen.