Читать книгу WHO I AM NOT. Von Lügen und anderen Wahrheiten - Ted Staunton - Страница 13
ОглавлениеIch musste geschlafen haben, denn plötzlich spürte ich einen Ruck und dann landeten wir. Die Sonne ging gerade unter. Es schneite nicht. Es war Sommer. Es gab keine Cops, keine Fragen, keine Anrufe von Josh. Ich fühlte mich, als wäre ich aus Glas. Bei der Einwanderungsbehörde schnappte ich mir Dannys Geburtsurkunde, als der Beamte sie uns zurückgab. »Okay, ja? Das Ding gehört mir, stimmt’s? So fühle ich mich sicherer.« Ich stopfte sie in dieselbe Tasche wie das Geld und rammte mir die Sonnenbrille auf die Nase. Wir gingen auf ein Schild zu, auf dem ZOLL stand. Dahinter befanden sich Schiebetüren aus Glas. Und was dahinterlag, war völlig offen. Jetzt konnte ich weglaufen. Als wir durch die Türen gingen, packte Shan meine Hand. Während ich noch versuchte, sie abzuschütteln, hörte ich ein »Da sind sie!«. Leute stürzten auf uns zu. Ich schrie auf und wollte weg von Shan, aber sie ließ mich nicht los. Ich schlug auf sie ein. Und dann erstickte ich in einer Menschentraube.
»Oh mein GOTT!«
»… dachte, wir würden den Tag nicht mehr erleben …«
»… gehofft und gebetet …«
Es war die Familie. Später habe ich mir Fotos davon angesehen. Sie hatten ein Spruchband mit Willkommen zu Hause dabei. Mein Lächeln sah aus, als hätte es mir jemand an die Zähne geklebt. Jedes Mal, wenn mich jemand packte und an sich drückte, dachte ich, ich würde auseinanderbrechen.
Irgendwann ließ das Gelächter, das Klatschen, das Weinen nach. Jemand, Opa vielleicht, rief: »Jetzt lasst ihn doch auch mal reden! Danny, was hast du uns zu sagen?«
Ich wusste nicht, ob ich reden konnte. Ich machte den Mund auf. »Lasst uns was essen«, kam heraus.
Sie lachten sich krumm.
»Was willst du haben, Kleiner?«, sagte ein Typ, der vermutlich Onkel Pete war.
»Chicken Wings«, sagte ich. »Was sonst?«
Sie lachten wieder.
Das Essen bei Boston Pizza verlief reibungslos. Niemand fragte zu viel. Ich sagte, ich sei müde, was auch stimmte, behielt den Kopf unten und hörte aufmerksam zu. Der einzige heikle Moment kam, als wir uns hinsetzten. Eine kostenlose Mahlzeit würde ich mir auf keinen Fall entgehen lassen, aber ich setzte mich so an den Tisch, dass ich leicht entwischen konnte. Inzwischen hatte ich in Gedanken die Leute den Bildern aus dem Fotoalbum zugeordnet. Da fehlte jemand. Ich wusste, dass ich fragen musste.
»Hey«, sagte ich. »Wo ist Mom? Und was ist mit Ty?«
Eine Sekunde lang bekam ich keine Antwort. Dann sagte Onkel Pete: »Sie müssen arbeiten. Ty ist bei General Packing. Und deine Mom ist in dem neuen Supermarkt in Cobourg. Wie heißt der noch mal?«
»Green Leaf«, sagte Oma.
»Sie arbeitet immer abends, Danny«, erklärte Shan. »Du bleibst erst mal eine Weile bei uns. Wir wollen nicht, dass du allein bist.«
»Scheiße«, sagte ich. Und dann: »Ich meine, dass sie nicht kommen konnten.« Sie lachten schon wieder. Ich konnte es nicht fassen. Langsam kam ich mir vor wie ein Komiker.
Als wir auf dem Highway waren, begann ich, mich zu fragen, ob ich die Sache nicht vielleicht durchziehen sollte. Nicht für immer, nur so lange, bis ich etwas Geld beschafft und einen Plan hatte. Danny wurde am 9. November sechzehn. Danach würde mich niemand mehr zurückholen können. Was, wenn ich zurück in die Staaten ging, wenn ich eine Nachricht hinterließ, in der ich schrieb, dass ich sie alle furchtbar gern hätte, aber viel zu verkorkst sei? Während der Fahrt, als ich mir mit den Kindern zusammen Cars auf dem DVD-Player des Vans ansah, musste ich an eines der Fotos aus dem Album denken. Es zeigte eine jüngere, schlankere Shan, die Arme um einen mageren, kleinen Danny im Fußballtrikot gelegt. Sie lächelten, blinzelten in die Sonne, sahen glücklich aus. Auf einmal durchzuckte es mich wie ein Blitz. Ich würde es durchziehen. Warum? Weil sie es so wollten. Ich machte sie glücklich. Wir sorgen dafür, dass sie sich gut fühlen. Wenn sie Danny wollten, würde ich ihnen Danny geben. Vielleicht würde ich dann auch glücklich sein. Ich musste fast lachen. Vielleicht lachte ich tatsächlich, denn Shan drehte sich um und blinzelte mir zu. Fast so, als wüsste sie, was ich gerade gedacht hatte.