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Vorwort aus philosophischer Perspektive

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In der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft hat sich die Bedeutung des Begriffs Gleichheit geändert. Man versteht heute darunter die Gleichheit von Automaten, von Menschen, die ihre Individualität verloren haben.

Gleichheit bedeutet heute „Dasselbe-Sein“ und nicht mehr „Eins-Sein“.

aus: Erich Fromm “Die Kunst des Liebens“

Ende der 50er Jahre war der Kampf um die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau noch weit von dem entfernt was man so für gewöhnlich ,Gleichheit‘ nennen würde. Trotzdem verfasste der Psychoanalytiker Erich Fromm diese Zeilen und kritisierte die zeitgenössische Bedeutung von ,Gleichheit‘, nach welcher die Gleichstellung von Mann und Frau voran getrieben wurde. Eine Gleichstellung über eine Gleichheit, die „Dasselbe-Sein“ bedeutet, bringt eine Ausmerzung der Unterschiede zwischen den Geschlechtern mit sich, also eher eine „Angleichung“ als Gleichheit. Dass es bei der Gleichheit von Mann und Frau vielmehr darauf ankommt, beide in ihren Unterschieden gleichermaßen wertzuschätzen, wird bei der heute gängigen Auffassung von Gleichheit schnell vergessen. Sämtliche Unterschiede zu leugnen, erscheint politisch so viel einfacher: Wenn keinerlei Unterschiede vorhanden sind, müssen die jeweiligen Parteien zwangsläufig gleichberechtigt sein, weil sie faktisch dasselbe sind. Werden Unterschiede aber anerkannt, können sie unterschiedlich wertgeschätzt werden und dadurch zu einer Hierarchisierung führen. Die Studie ,Kinder bekommen‘ zeigt jedoch, wieso die natürlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau eigentlich nicht hierarchisiert werden können, sondern ganz im Gegenteil erst im lebendigen Zusammenspiel produktiv und vollständig werden. Ganz rudimentär gedacht, können Mann und Frau erst durch ihre unterschiedliche Beschaffenheit ein Kind zeugen und dadurch Eltern werden. In diesem Schritt werden sie von zwei unterschiedlichen Individuen zu einer Instanz - sie werden buchstäblich Eins ohne dadurch ,dasselbe‘ zu sein. Sie bleiben verschieden, haben verschiedene Bedürfnisse während des Kinderbekommens und haben verschiedene Möglichkeiten sich an dem Prozess des Kinderbekommens zu beteiligen.

Die Naturwissenschaftlerin Tekla Reimers versucht nicht, biologische Unterschiede und Möglichkeiten von vornherein zu leugnen, sondern abzuwägen und einzuschätzen. Welche Unterschiede und Bedürfnisse sind natürlicherweise beim Kinderbekommen vorhanden? Zu welchen Resultaten führen sie? Sind diese Resultate zwingend in den biologischen Unterschieden angelegt oder besteht hier ein Handlungsspielraum? Und vor allem: Wie empfindet ein Individuum derlei Vorgänge in, mit und von sich selbst und wie verhält es sich dazu?

Bekommt ein Individuum ein Kind, bewegt es sich von einer ansonsten hauptsächlich gesellschaftlichen Ebene in einen Grenzraum zwischen Natur, Gesellschaft und sich selbst. In diesem Grenzraum wirken all die Normen, Regeln und Vorgaben, welche rund um das Thema ,Kinder bekommen‘ in der Gesellschaft und somit jedem Einzelnen herumgeistern. Gleichzeitig beinhaltet er jedoch auch eine Fülle ungeahnter Möglichkeiten, die das Individuum alternativ zu den gesellschaftlichen Vorgaben ergreifen könnte. Um solche Möglichkeiten geht es in diesem Buch. Es gibt keine neuen Regeln an die Hand, wie ein Kind bekommen, ernährt und großgezogen werden soll. Stattdessen erkundet es empirisch und poetisch gleichermaßen die Notwendigkeiten, die ein Kind mit sich bringt und die Möglichkeiten der Einheit sowie der Individuen ,Eltern‘ darauf zu reagieren, um Kinder entsprechend ihrer biologischen und gesellschaftlichen Bedürfnisse gemeinsam aufzuziehen.

Frankfurt am Main, 2015

Melusine Reimers

M.A. Philosophie


Kinder bekommen

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