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Biologischer Wechsel zu Unfruchtbarkeit

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Gegen Ende des mittleren Lebensalters vollzieht sich über Jahre hinweg ein Wechsel zu körperlicher Unfruchtbarkeit. In weiblichen und männlichen Körpern drosseln die Keimdrüsen ihre Produktion von Sexualhormonen. Eierstöcke schütten weniger Östrogen und Progesteron ins Blut, Hoden weniger Testosteron. Dieser Entwicklungsprozess vollzieht sich individuell mehr oder weniger stark und stetig. Wann und wie abrupt die hormonellen Veränderungen sich im einzelnen Körper ereignen, ist weitgehend anlagebedingt, also genetisch vorherbestimmt – so wie der Wechsel in den Pubertätsjahren von einer kindlich unfruchtbaren Lebensphase zur erwachsenen Fruchtbarkeit. Im Alter zwischen 45 und 60 verläuft derselbe Prozess in umgekehrter Richtung: tagtägliche Überflutung von Körper und Gehirn mit Sexualhormonen wird wieder zurückgefahren.

Im zeitlichen Ablauf der hormonellen Umstellung unterscheiden sich die Geschlechter. Während der Wechsel zur Keimdrüsenruhe sich bei Frauen durchschnittlich innerhalb einer Frist von drei bis sieben Jahren ereignet, erfahren Männer über 2 - 3 Jahrzehnte hinweg ein schleichendes Abnehmen ihrer Sexualhormone und ihrer sexuellen Potenz. Mit einer rasant abnehmenden Hormonproduktion der Eierstöcke beginnen für weibliche Fünfzigjährige Wechseljahre zur Keimdrüsenruhe. Eisprünge kommen schließlich nicht mehr vor und – die gute Nachricht – auch keine Monatsblutungen. Die körperliche Fruchtbarkeit aller Frauen endet in diesem Alter vollständig. Das männliche Geschlecht des Menschen ist dagegen noch in seinen Sechzigern körperlich fähig Kinder zu zeugen. Obschon abnehmende Spermienanzahl in den Hoden die Wahrscheinlichkeiten mit dem Altern senken. Doch wie der Urologe Kenneth Purvis berichtet, ejakulieren 55-jährige immer noch mehr als 75% der Spermienmenge von 25-jährigen. Biologisch können sich für Männer, die ihre Kinderwünsche nahezu lebenslänglich verwirklichen. Aber Frauen müssen biologisch notwendig spätestens um die vierzig mit ihrer Familiengründung beginnen, da für die Spezies Homo sapiens weibliche Möglichkeiten Kinder mit den eigenen Erbanlagen entstehen zu lassen, mit ungefähr fünfzig Jahren enden. Eine wirkliche ‚Deadline’. Diese Ungleichheit der Geschlechter leibliche Kinder zu bekommen hat sehr weitreichende Folgen für individuelle Lebensplanung und die Kinderzahl berufstätiger Frauen insgesamt.

Wenn gegen Ende des vierten Lebensjahrzehnts, menschliche Eierstöcke relativ abrupt die Fähigkeit verlieren zyklisch so viel Östrogene herzustellen wie bisher, im Erwachsenenalter, registrieren Organe und Gewebe dies als Mangel. Das hormonelle Ungleichgewicht im Körper bewirkt über regulierende Zentren des Zwischenhirns eine gesteigerte Aktivität der Hirnanhangdrüse (Hypophyse). Um eine höhere Östrogenproduktion der Eierstöcke wieder anzuregen wird vermehrt follikelstimulierendes Hormon (FSH) und luteotropes Eisprung-Hormon (LH) ausgeschüttet. Bei Frauen um die Fünfzig erfolgt daraufhin aber keine Erhöhung des Östrogengehalts im Blut mehr, sodass es oftmals zu einem wechselseitigen Aufschaukeln leerer Aktivierungen von Zwischenhirn und Hypophyse kommt: Das Zwischenhirn meldet ständig ‘zu wenig Östrogen’, die Hirnanhangdrüse entsendet ständig neue Botenstoffe zu den Eierstöcken.

Insofern das Zwischenhirn auch eine Schaltstelle für Temperaturregulation ist, ergeben sich zeitweilige Überlastungen durch solche Leeraktivitäten. Die körperlichen Anstrengungen ein Hormon-Gleichgewicht herzustellen, das nicht zu Stande kommt, äußern sich oftmals lästig in Schweißausbruch und als Hitzewallung. Ein anderes Resultat dieser Überforderung des Zwischenhirns findet Ausdruck in unangemessenem Verhalten, weil die Reizverarbeitung von Umwelterfahrungen beeinträchtigt ist. Das betrifft insbesondere Leistungen des Zwischenhirns bei der Filterung von subtilen Eindrücken: Zwischentöne, Unterscheidung, was für das Individuum von Interesse ist und wahrgenommen werden sollte und was nicht; was zu beantworten wäre und was vernachlässigt bleiben kann. Die sogenannte Reizbarkeit von Frauen im hormonellen Wechsel ergibt sich aus diesem Zusammenhang: relativ heftige Reaktionen treten gehäuft auf, auch schon bei geringfügigen Anlässen.

Beispiel Wechseljahre einer alleinerziehenden Berufstätigen:

Schweißgebadet wachte Sophia mitten in der Nacht auf. Ihr war unerträglich heiß, das Nachtgewand klebte durchnässt an Brust und Rücken. So was passierte ihr in letzter Zeit öfter.Vielleicht eine Erkältung, hatte sie gedacht und vorsorglich Wäsche zum Wechseln neben ihr Bett gelegt. Im Halbschlaf zog sie nun etwas Trockenes über und warf die Wolldecke zur Seite. Nur unter dem Laken, schlief sie gleich wieder ein. Diesmal musste sie glücklicherweise nicht um halb sieben aufstehen: Morgens würde Vanessa mit ihrem kleinen Bruder frühstücken und sich dann gemeinsam mit ihm auf den Schulweg machen.

Sophia erwachte später völlig ausgeschlafen. Irgendwann unter tags ging ihr plötzlich auf: Sie hatte eine typische Hitzewallung erlebt! Das lästigste aller Symptome für weibliche Wechseljahre. Nun ja, mit Ende vierzig war sie damit wohl an der Reihe, insofern Europäerinnen ihre Menopause durchschnittlich im Alter von 51 Jahren erreichen. Drei bis sieben Jahre musste frau für diese hormonelle Umstellung auf jeden Fall rechnen.

In den folgenden Wochen und Monaten litt Sophia zunehmend unter solchen plötzlichen Hitzeempfindungen, die umgehend zu Schweißausbruch führten, wenn nicht sofort für Abkühlung gesorgt wurde. Auf der Stirn, unter den Achseln, zwischen ihren Brüsten und Beinen perlten Schweißtröpfchen aus allen, für die natürliche Körperkühlung vorgesehenen, Poren. Sophia rüstete sich mit Blusen und Jacken, Kleidung in Schichten, die schnell und unauffällig auszuziehen war – und ebenso wieder an. Denn nach fünf bis zehn Minuten fror sie sonst, insbesondere wenn ihre Unterwäsche feucht geworden war.

Das alles fand Sophia so lästig, dass sie anfing vorzubeugen. Dafür brauchte sie Erfahrungen, was im Einzelnen ihre Temperaturregulation überforderte:

heißer Tee und Kaffee, egal ob morgens oder nachmittags;

jedes abendliche Glas Rotwein;

Pullover oder Kleider, die sich nicht haargenau auf die Temperatur der jeweiligen Umgebung abstimmen ließen;

Situationen, die äußerste Konzentration verlangten, zum Beispiel im Autoverkehr oder bei beruflichen Auseinandersetzungen;

überhaupt jegliche Form von akutem Bewährungszwang und negativem Stress.

Kaffee und Rotwein zu meiden oder in Zeiten zu trinken, wo Hitzewallungen kaum störten, fiel Sophia leicht. Aber Anforderungen loszuwerden, denen sie nicht direkt zu entsprechen vermochte, war für eine alleinerziehende Mutter kaum möglich: Ihre Berufstätigkeit als freie Journalistin wirkte da noch recht günstig. Doch musste sie ständig Termine zur Abgabe ihrer Artikel einhalten und immer mal wieder neue Arbeiten bei den Redaktionen durchsetzten. Ansonsten konnte sie ihren beruflichen Alltag meist so gestalten, wie sie am Besten zurecht kam.

In einem US-Bestseller über die Erfahrungen amerikanischer Karrierefrauen, mit ihren Wechseljahren, hatte sie von erhöhtem Kalkabbau in den Knochen gelesen. Ihre Mutter hatte mit achtzig die zweite künstliche Hüfte bekommen. Beide Schwestern ihres Vaters brachen sich über siebzig ständig irgendwelche Knochen an Armen, Beinen, in Füßen und Händen. Die Hälfte der Zeit lagen sie damit in Krankenhäusern. – Es gab also deutlich ein familiäres Risiko für Knochenschwund, die besonders unter älteren Frauen gefürchtete Osteoporose.

Bei Stress, gerade auch durch gehäufte Schlafstörungen, ergibt sich ein messbarer Knochenabbau schon am Beginn der Wechseljahre – unwiederbringlich. Sogar bereits wenn die monatlichen Blutungen noch fast regelmäßig kommen. Wenn Sophia nächtliche Hitzewallungen überfielen – oft waren es gar zwei oder drei, eine um zwei Uhr und eine um vier oder fünf Uhr morgens – versuchte sie daher jeglichen Stress zu vermeiden und schlief sich grundsätzlich aus. Solange sie es sich eben von ihrer Kinderversorgung und beruflichen Terminverpflichtungen her leisten konnte.

Außerdem besprach sie sich mit ihrer älteren Schwester Birgit. Die kam gelegentlich auf ein Wochenende zu Besuch und füllte - nachdem Sophias Ehemann ausgezogen war - die leeren Zimmer mit familiärer Gemütlichkeit.

Wie hast du es während deiner Wechseljahre nur geschafft allmorgendlich rechtzeitig in deiner Klasse zu stehen und auch noch ausgeschlafen genug zu sein, um dreißig Kinder im Zaum zu halten?“, wollte Sophia wissen.

Birgit hatte jedoch keinerlei Patentlösungen erarbeitet, da sie ihre Wechseljahre kaum bemerkte: keine Hitzewallungen, keine Schweißausbrüche, keine Schlafstörungen, weder Kopfschmerzen noch Schwindelanfälle oder was auch immer zu erwarten gewesen wäre. Nur ihre Regelblutungen blieben um die fünfzig monatelang aus. Sie erkundigte sich bei ihrer Ärztin und konnte, nachdem die Blutwerte für das Follikel stimulierende Hormon (FSH) über sechs Monate hinweg ziemlich konstant niedrig geblieben waren, unbesorgt verhütungsfreien Sex genießen. „Endlich!“, fand sie. Keine Hormone mehr, keine Gummis, keine spermiziden Cremes. Das erschien Birgit, die im Laufe ihrer fruchtbaren Jahrzehnte zwei Abtreibungen hinter sich gebracht hatte, eine wirklich wichtige Freiheit.

Bei Sophia hatte die Frauenärztin für FSH einen Wert von 43,9 ?g/ml gemessen. Das mache Eisprünge zwar unwahrscheinlich, aber nicht hundertprozentig ausgeschlossen. Als zusätzliches Risiko könne dieser Hormonwert täglich schwanken. Verhütungsfreie Liebe wäre bei solchen hormonellen Gegebenheiten keineswegs sicher vor einer sehr späten Schwangerschaft.

Lebensbedingungen nehmen entscheidenden Einfluss auf Ablauf und Ergebnis des Wechsels im Hormongleichgewicht des alternden Körpers. Östrogene können beispielsweise mit der Nahrung aufgenommen werden. Wenn Frauen sowieso ständig viel Sojabohnen essen, als Sprossen oder – besser noch, weil konzentrierter – im Tofu, wirkt sich das jahrelange Absinken und der Ausfall ihrer weiblichen Eierstockhormone nicht dramatisch aus. Darin sieht die Forschung einen der Gründe, warum asiatische Frauen viel weniger über Beschwerden in den Wechseljahren klagen als europäische.

Ein anderer wesentlicher Umwelteinfluss ist Stress: Das generelle Vorkommen stressender Situationen und der persönliche Umgang damit. Ab Ende Dreißig kann, im Gefolge von Überforderungen, die Periode einer Frau gänzlich ausbleiben und der gesamte Hormonhaushalt alle Kennzeichen der Wechseljahre aufweisen. Wenn Frauen im mittleren Alter einer Stresssituation monatelang nicht entkommen können, bemerken sie bei sich gehäuft Unregelmäßigkeiten im monatlichen Zyklus ihrer Eisprünge und Blutungen. Das geschieht oft in langwierigen Examen oder weil ein Wohnungswechsel zu bewältigen ist oder der Arbeitsplatz gefährdet, durch Betriebsstilllegung, Mobbing, harte Konkurrenz. Dann erhöhen sich die Mengen von FSH und LH im Blut drastisch, bei stets relativ niedrigen Östrogenwerten. Solch vorzeitige Keimdrüsenruhe durch Stress, kann vorübergehend sein. Wenn die Frau sich erholt oder künstliche Östrogene bekommt, stellt sich der weibliche Zyklus meist innerhalb von Tagen wieder her. Das bedeutet auch, dass weibliche Fruchtbarkeit bereits im mittleren Alter mit den kulturellen Bedingungen der jeweiligen Existenz einer Frau steht und fällt: Inneren wie Ehrgeiz oder persönliche Unsicherheit und Angst; äußeren wie Feinde und Mangel an Lebensmitteln, Licht, Luft, Wärme.

Vergleichbare Problemstellungen gibt es auch in den Wechseljahren des Mannes. Doch ein Klimakterium, im Sinne abrupter Senkung der Keimdrüsenproduktion an männlichem Sexualhormon, durchlaufen lediglich 10% der Männer. Die meisten erleben ab 50-60 Jahren eine deutlich und stetig abnehmende Testosteronproduktion ihrer Hoden. Sie bemerken das, als ein generelles Absinken ihrer Kräfte: auf der Ebene gefühlsmäßiger Antriebe sowie im sexuellen und körperlichen Bereich. Gar nicht selten beginnt es bereits in den frühen Vierzigern. Viele Männer werden dann unzufrieden mit sich und dem, was aus ihrem Leben geworden ist. Damit setzen sie eine Abwärtsspirale in Gang: geraten durch Vergrößerung ihrer Anstrengungen in Stress – sei’s bei der Arbeit oder im Sexualverkehr – womit sie ihre Hodenhormone noch vermindern. Worauf sie wiederum mit vermehrten Anstrengungen reagieren ... usw. Schließlich bemerken solche Männer, dass sie kaum noch lachen können. Ihre überschäumende Lebensfreude scheint für immer dahin und das wunderbare Gefühl unbesiegbarer Männlichkeit kommt gar nicht mehr auf.

So wie ein geringer Prozentsatz von Frauen keinerlei Beschwerden in den Wechseljahren erlebt, bleiben auch etliche Männer sexuell ganz unbeeinträchtigt: potent und begehrlich bis an ihr Lebensende. Dafür gibt es auch im männlichen Geschlecht ausschlaggebende Faktoren in der genetischen Veranlagung des Einzelnen und wichtige Einflüsse aus der jeweiligen Lebensweise: Ernährung, Bewegung und Umgang mit Stress vor allem.

Insgesamt ergeben die hormonellen Veränderungen in den Wechseljahren eine Angleichung der Geschlechter. Beide Keimdrüsen, Hoden ebenso wie Eierstöcke, beginnen im mittleren Alter die Produktion ihrer Sexualhormone und Keimzellen zu senken. Beim Mann wird das über die gleichen Botenstoffe und Organe geregelt, wie bei der Frau. Nur dass die männliche Hypophyse, vermittelt durch FSH sowie über ihren LH-Ausstoß, eine stetige Spermienerzeugung anregt und ziemlich gleichmäßige Testosteron-Ausschüttung. Bei dramatisch absinkendem Testosterongehalt im Blut, kann es auch im männlichen Körper zu Gegensteuerungen mit schwindelnd erhöhten LH-Werten kommen. Warum die Hoden darauf nun nicht – wie in jüngeren Jahren – mit einer Ankurbelung ihrer Hormonproduktion reagieren, blieb bislang ungeklärt. Bekannt ist, dass ungefähr ab sechzig die ausgeschütteten Hodenhormone nicht – wie bisher eine laufende Vermännlichung des Körpers bewirken können, denn ein ständig zunehmender Anteil davon bindet sich dauerhaft an Eiweißkörper im Blut und wird in Östrogene umgewandelt. Letzteres ist eine ziemlich einfache chemische Umgruppierung des Moleküls in sein weibliches Gegenstück, welche sich vor allem im Fettgewebe vollzieht. Männer mit Übergewicht verweiblichen daher schneller.

Für Frauen ergibt sich durch ausfallende Östrogenproduktion ihrer Eierstöcke eine Vermännlichung des Körpers: vermehrter Bartwuchs, verminderte Kurven. Auch gesteigerte Angriffslust und Durchsetzungskraft ist gehäuft festgestellt worden, gelegentlich sogar soziale Dominanz. Frauen erreichen den Gipfel ihrer beruflichen Arbeitsleistung erst in der Menopause, im Durchschnitt ab Mitte fünfzig, wenn das zyklische Fortpflanzungsgeschehen ihres Körpers und dessen vernünftiger Einsatz – Verhütung, Verpaarung, Verkehr – ihre Kräfte nicht länger zersplittert. Frauen hasten ihre fruchtbaren Jahrzehnte lang ständig von einer ‘Baustelle’ zur anderen: haben sie den Mann bei Laune gehalten, ist ihr ‘Kind in den Brunnen gefallen’ und einträgliche Erwerbsarbeit kommt die ganze Zeit zu kurz.


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