Читать книгу Kinder bekommen - Tekla Reimers - Страница 5
Moderne Kinderwünsche
ОглавлениеDie einzige Überwindung körperlicher Vergänglichkeit, derer wir gewiss sind, liegt im Zeugen und Gebären uns ähnlicher Kinder. Der persönliche Tod mag durch Glaubensinhalte gemildert und verschönert werden, auch geistig überwunden – bleibt aber doch absehbar, als sicheres Ende einer Lebenszeit von höchstens 100 Jahren. Kulturelle und psycho-soziale Konstruktionen zur Umdeutung der biologisch gegebenen Endgültigkeit des individuellen Sterbens konnten das nicht wirklich ändern. Und ebenso unausweichlich muss ein Mensch, der in seinen Kindern für die Zukunft weiterleben will, dies über den Körper einer Frau verwirklichen, zumindest deren nährende und tragende Gebärmutter. ‚Mach mich neu’ bedeutet das kniefällige Flehen eines Mannes an seine Herzensdame die Ehe mit ihm einzugehen. In Malerei, Musik und Dichtung sind solche männlichen Kinderwünsche vielfältig ausgedrückt. Um ins Reich des Lebens zu treten, braucht jeder Mensch eine Mutter. „Wir gehen aus dem Grab des Schoßes, in den Schoß des Grabes,“ besagt eine philosophische Erkenntnis dazu.
Alle erlebten wir die ersten Monate unseres Lebens im mütterlichen Uterus ein ozeanisches Paradies, schwebten wohlig im warmen Fruchtwasser. In diese ‘göttliche Höhle der Urmutter’, die uns vor den Übeln und Anstrengungen der Außenwelt birgt, sehnen wir uns immer zurück. Hier wurzelt eine magisch erscheinende Macht der Mütter, insofern Magie im Wesentlichen bedeutet geistigen Kräften materielle Gestalt zu geben – wie der indische Mediziner Deepak Chopra formulierte. Also Ideen und Gedanken gegenständlich zu machen, auf generell undurchschaute Weise. Dazu gehört die irdische Verkörperung von Kinderwünschen in neuen Menschen. Veränderte Kombinationen erblicher Familieneigenschaften zu verwirklichen ebenfalls. Gleichsam aus dem Nichts – wenn eine sexuelle Begegnung, Monate vorher, außer Acht gelassen wird. Dies Mysterium der Weiblichkeit bedeutet eigentlich Menschen vom Nichtsein ins Sein zu bringen. Eine Grenzerfahrung logischen Denkens. Mehr noch: vielleicht einen geliebten und verlorenen Verwandten wiederherstellen zu können. Der machtvolle Mythos menschlicher Wiedergeburt – über Generationen gedacht – war auf diese leibliche Kreativität fruchtbarer Frauenkörper gegründet.
Eine persönliche Entfaltung dieser schöpferischen Kräfte und ihrer gefühlsmäßigen Entsprechungen erlebt jede Frau allein mit eigener Schwangerschaft. Im Vollbringen. Und diese Möglichkeiten bleiben unentwickelt für ein weibliches Individuum, welches nie schwanger wird.
Daraus ergibt sich ein Widerspruch zwischen intellektueller und körperlicher Entfaltung, Kopf und Bauch, Vernunft und sinnlicher Lust. Das kann bei hohen beruflichen Ansprüchen zu innerlichen Kämpfen führen, die eine Frau herum hetzen, manchmal förmlich zerreißen. In Auseinandersetzungen mit diesem körperlich-seelischen Komplex strukturiert sich die individuelle Kreativität weiblicher Menschen: die Ausbildung ihrer Fähigkeiten, all ihre Werke und Lebensziele.
Beispiel einer Schwangerschaft nach weiblichem Lustprinzip:
Ich glaube, ich kriege ein Kind, dachte Sophia. Durch die geöffneten Flügel der Balkontür schien die Sonne bis in ihr Bett. Es war ein warmer Sommertag. Im Bewusstsein möglicher Schwangerschaft lehnte sie sich wohlig zurück in die Kissen und erspürte ihren Körper. Ungeahnte Empfindungen drängten sich ihr als Gedanken auf: „In meinen Brüsten lebt ein neues Gefühl herum - wie Weh und Lust“, fand sie, „in meinem Bauch sitzt ein wunder Punkt, ich muss diesen empfindlichen Kern mit der Hand fest halten, streicheln, dann beruhigt er sich.“
Hormonelle Wonnen strahlten vom Busen zurück in ihren Kopf, beschwerten das Denken. Es kamen nur Fetzen zu Stande, die träge herum dümpelten; Zielstrebigkeit wurde ihnen äußerlich. Sie saß nun gerne in einer ruhigen Ecke, fühlte in sich hinein und tagträumte was geschehen würde. Sie hätte Angst haben müssen, wegen ihrer Arbeit in einer männlichen Hierarchie und dem drohenden sozialen Abstieg, auch der offensichtlich schwachen Stellen in ihrem Image. Aber sie hatte einfach keine, sondern dachte, die Welt ist groß, es gibt viele Möglichkeiten - vielleicht gehe ich in eine Landkommune nach Südfrankreich oder Italien. Da wäre alles leichter, weil dauernd die Sonne schiene und alle Menschen Kinder gern hätten. Ein für Sophia gänzlich unbekanntes Gefühl untergründiger Geborgenheit zerstreute all ihre üblichen Bedenken.
„Ich kann gar nicht objektiv wissen, ob tatsächlich ein Kind in mir wächst“, sagte sie sich. Nächste Woche erst würde ein Harntest möglich sein. Sie war trotzdem sicher, als Gefühlssubjektivität. Irgendetwas hatte sich verändert, fiel ihr auf, denn normalerweise würde sie auf etwas so Ungreifbares nicht einmal eine Flasche Sekt verwetten. Mein Liebster ist mal wieder nicht da, dachte Sophia und ich hab ihn so gerne in mir. Dieser Gedanke machte sie glücklich, die ganze Zeit, tags und nachts. Obwohl beruflich grad mal wieder alles schief ging, weil Hinz und Kunz ihre Interessen und Psycho-Macken gegen sie durchsetzten. Und auch noch drei Mann auf einmal! Sie sollte etwas dagegen tun. Dafür müsste sie Entscheidungen treffen ... konnte sie aber doch nicht ohne Gewissheit - auf Grund rein subjektiven Empfindens. Sie hatte keine Einsicht in diesen körperlichen Vorgang, von dem sie nur fühlte, dass er angelaufen war – unbemerkt, wenn auch nicht ungewollt. Denn sie hatte sich ein Kind der Liebe gewünscht und seit Monaten unbeschränkte Sexualität gelebt, glückselige Freiheit von den ständigen Disziplinleistungen sicherer Verhütung.
Zehn Tage später brachte ein Hormontest die so dringend benötigte Klarheit: In ihr wuchs tatsächlich ein Kind. Von nun an sprach Sophia in Gedanken mit dem unbekannten Wesen im eigenen Bauch. Manchmal schrieb sie solche inneren Dialoge auch auf:
*
2. Schwangerschaftsmonat:
Ich habe dich nach dem Lustprinzip gemacht. Du stürzt mich aber doch zeitweilig sehr in einen Konflikt, zwischen meinem Selbstbewusstsein als denkender Mensch und der gesellschaftlichen Mutterrolle als selbstlose Mama. Ich kann mich nicht, und dich auch nicht, verwirklichen außerhalb der Normen und Zwänge der heutigen Industriegesellschaft, wie sie nun hier in Westeuropa geworden ist. Manchmal wünsche ich mich mit dir in ein Agrarland, wo wir Wald und Himmel um uns hätten und wo gebären nur eine Form von wachsen und werden ist, wie alles Grünen und Blühen.
Bevor ich dich zu realisieren begonnen habe, war mein Dasein so dürr wie die riesigen Trockensträuße der Physikstudentin von nebenan: Die toten Schilfgräser, Disteln und Fruchtkapseln haben imposante Formen, so wie meine politischen Reden, Essays und Zeitschriftenartikel mir manchmal eindrucksvoll vorkamen. - Aber sie leben nicht und Staub sammelt sich darauf über die Jahre.
Dein Anfang war nicht in meinem Bauch, er war in meinen Gedanken, in meiner Begeisterung für diesen wunderschönen Mann, deinen Vater. Ich habe gewollt, dass meine Liebe zu ihm nicht unbemerkt verschwindet, wie all die Vorhergegangenen. Diese soll greifbar, materiell werden, eben real existieren.
Mir ist gerade eingefallen, was am öffentlichen Mutterbild so nervtötend für mich ist: Es bedeutet eine Moral zu Liebe hochstilisierter Hausarbeit. Ich wollte dich aus der Begeisterung für meinen Liebsten entstehen lassen und aus der Fülle meines Lebens verwirklichen. Wenn mir „Mutter“ gesagt wird, oft auch noch mit hämischem Unterton, dann weiß ich schon was als Nächstes kommt: ein Rattenschwanz von unbezahlten Dienstleistungen und Fürsorgepflichten, die nun unausweichlich aus meinem Verhältnis zu dir entspringen sollen. Mutterschaft als Institution zur Disziplinierung unbotmäßiger Frauen, weiblicher Potenz ohne patriarchalische Zügelung. All die Schäden an Leib und Seele, die dir durch meine üblichen Ausschweifungen in Essen und Trinken, lieben und leben bevorstehen, erscheinen mir enorm übertrieben. Manchmal frage ich mich schon, wie die Affenbabys überleben können, ohne das tägliche Baden?
Vor allem bist du ein Mensch, den ich gewollt habe. Aus unendlich vielen Möglichkeiten wählte ich diese Eine - mit meinem Liebsten. Hoffentlich hast du seine Sonnenblumen-Augen.
Ich freue mich auf dein Werden.
*
3. und 4. Monat:
Hallo ... du jemand, der oder die in meinem Bauch wohnt!
Dies Gefühl mit dir erinnert mich an deine aller erste Zeit in mir, wo ich dauernd gespürt habe, irgendetwas nistet sich ein, in meinem Schoß, mit sachtem Kitzel, ein ständiger leichter Reiz in meinem Inneren, tief drinnen. Du warst mir so fremd und oft wurde mir schwummerig, sogar kotzübel manchmal.
Ich meine du bist männlich, zumal Männer auch so unkalkulierbare Sensationen in meinem Bauch hervorrufen.
Ob du tatsächlich meine sozialen Aktivitäten einschränkst, meine Fähigkeiten die Welt zu begreifen und mich wirksam einzumischen? Das ist bislang nicht entschieden. Ich war anfangs ganz schockiert, dass ich tagelang platt zu Bett lag und gar nichts in Gang halten konnte.
Gedankenarbeit im Lehnstuhl kann ich mit dir gut machen, schreiben auch. Leichtes Essen mit viel Gemüse besorge ich uns aus dem China-Restaurant. Die gibt’s fast überall.
Du bist noch ganz unsichtbar.
Unter dem Wust pompösen Gebarens akademischer Konferenzen hab ich dich in meinem Schoß gefühlt - und mochte lächeln. Das Spektakel männlichen Imponierens der lieben Kollegen traf nicht den Kern.
*
5. und 6. Monat:
Solange wir beide allein sind, geht es mir gut mit dir. Ich kann dich fühlen, wie du gerade wächst oder dich differenzierst, dich regst oder ruhst. Manchmal sendest du hormonelle Wellen aus meinem Schoß, über den Körper ins Gehirn. Dann höre/fühle ich dir zu und überlasse mich diesem sonderbaren Schwangerschaftsrausch - merke, wie er mich überschwemmt und verebbt.
Aber wehe wir kommen in Gesellschaft!
Seit mein Bauch so sichtbar geworden ist für jedermann, verfolgen mich die Leute mit Bemerkungen, Fragen, Anteilnahme. Mir wird mein Innerstes starr darunter, denn selten ist jemand wirklich freundlich. Du tust dann auch nichts mehr da drinnen und mein Bedürfnis etwas von meinem Erleben oder dir mitzuteilen verschwindet schlagartig. Deshalb haben diese Aufzeichnungen so große Lücken.
Manche Zeit täusche ich mir und anderen vor, dass du gar nicht existierst, als gingen meine Werke ihren üblichen Gang, mit dir wie ohne dich.
In besseren Zeiten habe ich sie mit dir getan, mich gefreut, wie du darin auch enthalten bist und nur ich kann das sehen. Ich suche einen Weg meine Initiative und Kreativität aufrecht zu halten und dich nicht zu kurz kommen zu lassen. Das gelingt mir bisher nur manchmal. Doch dann sind diese Gelegenheiten so üppig, dass ich merke: Mir erwächst eine neue, tiefer gegründete Gefühlsbasis zum Denken und Handeln aus meinem mütterlichen Engagement für dich und das Menschenleben auf diesem Planeten. Du verkörperst das ‘Prinzip Hoffnung’ für mich, bist meine persönliche Brücke in die Zukunft und zu den Menschheitsträumen.
Durch deine erste spürbare Bewegung fühlte ich mich wie von einem hauchzarten Flügelschlag gestreift, im Inneren an meiner Bauchdecke entlang. Ach, zu Anfang können wir wohl alle fliegen! Ein wundersamer Moment – und schon vorbei.
Genau genommen fliegst du wohl nicht da drin herum, sondern schwimmst. Schwerelos immerhin.
Wir haben dich mit dem Echolot angeguckt, die Ärztin und ich. Wir haben Schnitte gefahren durch deine verknubbelten Gliedmaßen und deinen Kopfdurchmesser bestimmt. Du bist ein großes Baby, mit einem großen Kopf – zwei Wochen größer als kalkuliert. Ansonsten sind deine Eigenschaften weiterhin unbekannt geblieben. Ich war ganz aufgeregt, weil ich meinte, nun wüsste ich schon etwas wer du bist, dachte du wirst so ein Bär werden, wie dein Vater. Die Kapuze an deiner Wolljacke hab ich gleich um zwei Maschen größer gestrickt.
Mein Liebster macht nun einen fürsorglichen Bogen um meinen Dickbauch und kann dein Dasein nicht begreifen. Das ist so geworden, seit du nicht mehr in mir verborgen ein Teil von mir bist, sondern eher dein Eigenleben mit Wohnsitz in meinem Bauch führst.
Ich selbst habe da auch so meine Schwierigkeiten. Einmal meine ich mit energischem Anspruch und Disziplin müsste meine Arbeit doch zu bewältigen sein wie bisher, davon kriege ich Wehen und es läuft darauf hinaus dich vorzeitig auf die Straße zu setzen. Dann lasse ich alles fallen: Arbeit, Ansprüche, Eigeninteressen und schwappe ins Gegenteil. Ich kriege die einfachsten Abläufe nicht mehr geregelt, vergesse das Geld zum Einkaufen, den Wohnungsschlüssel, alle möglichen Sachen - Marmeladenglas, Buttertopf, Saftflasche - entgleiten meinen Händen. Gelegentlich kriege ich mich wieder ein, erst mit Stricken und Kochen, dann kann ich auch wieder Lesen und Politisieren, schließlich einen Gedanken zu Ende führen, aufschreiben, einbringen. Dabei fühle ich mich hochpotent und lustvoll wie noch nie.
So wollte ich mit dir leben. Aber seit ich dich in einem derart monströsen Bauch herumzeigen muss, sagen die Menschen: „Na, wie geht’s Mütterlein?“ Und ich möchte dich am liebsten auf der Stelle fallen lassen.
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7. Monat:
Nein, ich möchte dich doch nicht vorzeitig in diese unwirtliche Welt setzen, obwohl es sich zeitweilig anders anfühlen mag. Ich kann die vegetativen Nerven nicht fassen und die Kontraktionen meines Bauches nicht abstellen. Aber ich kann meine Ungeduld und meine Ansprüche auf dies und jenes, was ich alles zu tun hätte, loslassen. Nur das kann ich und will es auch tun. Ich räume dir Zeit und Raum in meinem Körper ein, – was mir nicht leicht fällt!
*
In den nächsten sechs Wochen, blieb Sophia mit wehenhemmenden Mitteln im Bett. Nachdem sie von Nebenwirkungen hörte, ersetzte sie das Medikament durch winzige Schlückchen Whisky. So hielt sie sich und ihrem Kind den beruflichen Stress und persönliche Rollenkonflikte vom Leibe. Das war wirklich nötig, denn vorzeitige Wehentätigkeit und Frühgeburten häuften sich derzeit bei berufstätigen Frauen. Das zeigten die Statistiken eindeutig und Sophia kannte etliche Fälle aus ihrem Bekanntenkreis: eine Studentin im Staatsexamen erlitt eine Fehlgeburt; zwei befreundete Lehrerinnen verbrachten Monate im Bett, um ihr Kind nicht verfrüht zur Welt zu bringen; eine Rechtsanwältin hatte ihr Kind im 7. Monat geboren.
*
Sophias Notizen im 8. und 9. Monat:
Vier Wochen sind noch soo lange! Ich werde ungeduldig: Du erinnerst mich an meine Weihnachten als Kind, wo ich noch glaubte, ich könnte alles wünschen und dachte, ich würde vielleicht ein weißes Pony mit rotem Zaumzeug bekommen. Ich wünsche mir, dass du dunkle Augen hast und viele schwarze Haare, dass du ein bisschen bist wie mein Liebster.
Jetzt habe ich einen so ungeheuren Bauch, damit kann ich mich nicht mehr rühren und bewegen wie es mir gefällt. Ich muss mich arrangieren mit dir und - ach! - meine Sprünge werden Hopser nur. Das finde ich sehr anstrengend, sodass ich lieber im Bett oder Sessel bleibe, denken kann ich nämlich so schnell wie eh und je.
*
Letzte Schwangerschaftswoche:
Du wirst nicht an dem Termin geboren, zu dem du ausgerechnet bist. Nach meiner Temperaturkurve und dem Tag des Eisprungs solltest du mit dem Vollmond vor einer Woche gekommen sein.
All diese Tage habe ich nicht mehr fühlen können was mit dir ist, in meinem Bauch. Am Ende willst du lieber da drinnen verrecken, als mit uns in dieser schwierigen Zivilisation zu leben. Das ist mir nur allzu verständlich, ich kann dich nicht ermutigen.
Gestern hat die Ärztin deinen unteren Ei-Pol mit der Hand losgemacht, um deinen Geburtsprozess anzustoßen.
Heute Abend bin ich mit dir zu einem großen Frauenfest in die besetzte Fabrik gegangen – nur für eine kleine Stunde – aber wir haben zusammen getanzt, du und ich. Mir ist wieder nach Lust an dir und ich glaube, auf so einem Wege könnte ich dich zur Welt bringen.
Die Betätigung körperlicher Kräfte von Gebärmutter und Milchdrüsen kann eine Motivation für weibliche Kinderwünsche ergeben, insofern es jeden Menschen glücklich macht sich rundum lebendig zu fühlen. Vermehrte Ausschüttungen der Neurotransmitter Adrenalin, Dopamin und Oxytozin bewirken das bei stillenden Frauen ständig. Auch schon während einer Schwangerschaft, wo die weiblichen Milchkanäle zur Funktionsreife heranwachsen. Vor allem in Busen und Bauch ergeben sich dann hormonell vermittelt sehr intensive körperliche Empfindungen. Das stetige Wachstum der Blutgefäße zwischen Frau und Embryo schafft im Mutterkuchen (Plazenta) weitreichende leiblich-seelische Verbindungen. Die streichelnden Bewegungen eines neu erschaffenen Menschenkindes und einige Monate später sein Trampeln erzeugen einzigartige Sensationen in der betroffenen Mutter. Nicht zuletzt gibt die Möglichkeit, etlichen Eigenschaften des Geliebten familiär eine Zukunft zu eröffnen, jeder fruchtbaren Frau das schöpferische Machtgefühl exklusiv weiblicher Wirksamkeit. Vielleicht werden seine strahlend blauen Augen erhalten für nachfolgende Generationen, möglicherweise blonde Locken oder die schwarze Mähne seines Großvaters sowie – vielleicht wichtiger noch – Stärke und Schönheit der Gestalt, welche diese Frau motivierten sich sexuell mit dem Vater einzulassen. Nicht zuletzt seine möglicherweise weit reichenden Verstandeskräfte.
Kinderwünsche erstgebärender Frauen können kaum von den Wonnen und Erregungen unserer Fortpflanzungsbiologie ausgehen, denn lustvolle Erfahrungen dabei ergeben sich bestenfalls mit dem ersten Kind. Öfter beim Zweiten. Viele Mütter erleben dergleichen jedoch überhaupt nicht, beispielsweise wenn sie von Ängsten beherrscht werden - vor eigenem Versagen, vor möglichen Behinderungen des Kindes, Verlust oder Schmerzen. Eine hoch technisierte Medizin erscheint dann als Rettungsanker und der Geburtsvorgang wie eine Erkrankung. An Stelle ihrer weiblichen Schöpferkraft erfahren ängstliche Frauen unter einer medizinisch durchgeführten Geburt eher ihre Abhängigkeit von Ärzten und Krankenhäusern als das Wunder ihrer leiblichen Kreativität.
Eine biologisch begründete Motivation zur ersten Schwangerschaft könnte von den Spiegelneuronen im Gehirn des Menschen ausgehen, wie sie für nachahmendes Lernen bei höheren Affen entdeckt wurden. Als Verbindungsmöglichkeit zwischen vielfältigen Sinneswahrnehmungen, Gefühlsreaktionen und eigenen Bewegungsabläufen, steuern sie auch den menschlichen Nachahmungstrieb. Auf der neurologischen Ebene bedeutet das, dieselben Nervenzellen, welche zur Ausführung der Gesten beim Stillakt feuern müssten, tun das auch schon beim Anblick einer stillenden Frau oder sogar nur ihrer Abbildung. Die Anschauung selig stillender Mütter mit glückstrahlenden Babys, insbesondere von Freundinnen, Schwestern und Cousinen, die schon Kinder haben, wirken nach den Berichten vieler Frauen als Impulse für eigene Kinderwünsche. Königliche Renaissance-Madonnen mit ihrem göttlichen Kind auf dem Schoß hatten vermutlich ebenfalls diese Wirkung: teils Ersatzbefriedigung, teils Anreiz zur Nachahmung. Auf solchen Bildern gibt Mutter Maria dem Baby manchmal auch ganz unverhüllt ihre Brust, sodass jede Frau sich genau abgucken kann, wie’s gemacht wird. Falls sie das entsprechende Feuern ihrer Spiegelneuronen als lustvoll empfindet, kann daraus der Wunsch entstehen selbst ein Baby zu haben.
Doch sind Erwachsene dem Nachahmungstrieb ihrer Spiegelneuronen nicht zwanghaft unterworfen. Im ausgereiften Gehirn des erwachsenen Menschen wurden besondere neuronale Hemmungen der Imitationsmotorik nachgewiesen, welche bei kleinen Kindern noch nicht ausgebildet sind. Deren reflexartiges: „Ich auch!“ angesichts von Spielkameraden, die irgendetwas lustvoll erleben, ist ein bekannter Ausdruck kindlich hemmungslosen Nachahmungstriebs.
Kinderwünsche sind für Jetztmenschen keineswegs biologisch notwendig. Fortpflanzungsverhalten wird nicht durch einen spezifischen Botenstoff motiviert oder gar direkt ausgelöst, wie etwa trinken oder essen zur Befriedigung von Durst und Hunger, anderer lebenswichtiger Bedürfnisse des Menschen also. Es gibt aber eine hormonell vermittelte Motivation für menschlichen Sexualverkehr, die unruhig macht, Sehnsucht erzeugt und ein ‚Appetenz-Verhalten’ hervorbringt. Ähnlich wie bei Tieren umfasst es Suchbewegungen für Begegnungen mit fruchtbaren Artgenossen vom anderen Geschlecht und körpereigene Drogen, die berauschende Wirkungen sinnlicher Reize vermitteln bei Annäherung sowie im Liebesspiel. Sobald der männliche Samenerguss eine Vagina weiblicher Erwachsener derselben Spezies erreicht, regeln biologische Vorgänge alles Weitere selbsttätig: den Transport der Spermien in die Gebärmutter, die Befruchtung reifer Eier, das Einnisten des Keims und die Schwangerschaft. Bis zur Geburt gibt es bei Säugetieren und Menschen einen lückenlosen körperlichen Zwang, sodass sich Fortpflanzung als Folge sexueller Vereinigungen von Natur aus regelt. Ohne Willen oder auch nur Wissen der beteiligten Eltern und Nachkommen. Allein das Finden, Begehren und Begatten fruchtbarer Sexualpartner ist bei allen Säugetieren zwingend instinktiv oder loser triebhaft abgesichert. Eine ausführliche Darstellung der beteiligten Neurotransmitter, Hormone, Informationsstoffe insgesamt und ihres Einflusses auf menschliches Verhalten findet sich in meinem 2009 erschienenen Sachbuch über Geschlechterbiologie: „Was ist natürlich an Sex, Gewalt und Liebe?“’
In allen Zeiten vor entwickelter Verhütungstechnologie musste sich kaum jemand extra fragen, ob er/sie Nachkommen erzeugen wollte, geschweige sie einplanen für den persönlichen Lebensweg. Noch Bundeskanzler Konrad Adenauer meinte: ‚Kinder kommen von selbst’. Den Vorschlag seines Staatssekretärs jedem Kind, im entvölkerten Westdeutschland der Nachkriegszeit, eine Rente zu gewähren lehnte er deshalb ab. Kinder hatten sich in der bekannten Menschheitsgeschichte stets zwangsläufig ergeben, bei der Suche nach Glückserfahrungen in der Sexualität. Solch neu ins Leben geworfene Menschen gerieten für Mutter und/oder Vater ungefähr so wahrscheinlich zum Glücksfall, wie man sechs Richtige im Lotto trifft!
Millionen Menschen spielen Lotterie und die Verfolgung des persönlichen Glücks ist ein so zentraler Wert demokratischer Gesellschaften, dass er in manchem Grundgesetz garantiert wird. Dem der USA beispielsweise. Der griechische Philosoph Aristoteles, dessen Lehren noch das christliche Mittelalter beeinflussten, definierte glückliches Leben folgendermaßen: „Glücklich ist, wer im Sinne vollendeter Tugend tätig und dazu hinreichend mit äußeren Gütern ausgestattet ist – und zwar nicht in einer zufälligen Zeitspanne, sondern so lange, dass das Leben seinen Vollsinn erreicht.“ Im alten China verwendete die ursprünglichste Form der Bilderschrift als Zeichen für das Wort Glück eine skizzierte Frau, die im Haus sitzt. Heutzutage sehen 80% der Deutschen den sichersten Weg zu persönlichem Lebensglück in einer Familie. Jetztmenschen, die grundlegende Gefühlsbindungen mit ihrer Mutter, ihrem Vater und Geschwistern erfahren haben oder auch mit Großeltern, Cousins, einem faszinierenden Onkel, einer liebenswürdigen Tante, erleben den „Vollsinn“ ihrer Existenz meist in Weiterentwicklungen sowie Neuschöpfung familiärer Konstrukte. Somit kann ihre Glückssuche sich tatsächlich auf Kinder ausrichten.
Biologisch betrachtet haben Männer ebenso viel – oder ebenso wenig – Interesse an leiblichen Kindern wie Frauen. Denn jeder einzelne Mensch stirbt und es gibt keine andere Möglichkeit Grundlegendes vom eigenen Wesen am Leben zu erhalten. Zukunft hat langfristig allein die Weitergabe von Genen und Traditionen an verwandte Nachkommen, die ihrerseits genetisch ähnliche Kinder hervorbringen. Das könnte jedem Einzelnen auch egal sein – nach mir die Sintflut! Aber eine Sippe, ein Sozialverband, eine Spezies aus solchermaßen beschränkten Egoisten bliebe stammesgeschichtlich erfolglos, eine Episode der Naturgeschichte.
Insofern weibliche Vorleistungen für eine Befruchtung geringfügig sind, wirkt sich die naturhistorisch ererbte Säugetierbiologie des Menschen günstig aus für eine soziale Gleichstellung der Geschlechter. Das Frauen-Ei ist nämlich winzig im Vergleich zu anderen, ebenso weit entwickelten Spezies mit ähnlich aufwendiger Brutpflege, allen Vogelarten zum Beispiel. Weiblicher und männlicher Elternaufwand bleiben für Primaten, also sämtliche Affen und Menschen, gleich gering bis zum Zeitpunkt einer fruchtbaren sexuellen Vereinigung. Wenn solche Tiere den Ovulationstermin fühlen oder irgendwie erkennen können, befreit dieses Wissen sie vom natürlichen Risiko ungewollter Schwangerschaft. Das eröffnet Frauen viele Möglichkeiten Sexualbefriedigung und Liebeslust zu finden, ohne umfangreiche mütterliche Vorleistungen aufbringen zu müssen. Sichere Verhütung mit kulturellen Hilfsmitteln, ergibt ziemliche Egalität weiblicher und männlicher Menschen für Liebesleben sowie Arbeitsfähigkeit - solange sie keine Kinder erzeugen wollen.
Beim Verwirklichen von Wünschen nach eigener und familiärer Fortpflanzung ist allerdings Schluss mit sexueller Gleichheit. Die biologischen Notwendigkeiten sind für Mütter und Väter sehr verschieden: Frauen können dem körperlichen Zwang, für jedes ihrer Kinder, Schwangerschaft, Geburt und Stillen vorleisten zu müssen schwerlich entkommen. Außerdem endet weibliche Fruchtbarkeit fast zwanzig Jahre früher als männliche. „Verdammte Biologie“, finden berufstätige Frauen mit langwieriger Ausbildung beim Thema Kinderkriegen, Eltern werden und Familiengründung. Die Natur erscheint ihnen ungerecht. Warum es naturhistorisch so geworden ist, wird im Folgenden unter „Schöpferkraft weiblicher Säugetiere und Menschen“ aus biologischen Gesetzmäßigkeiten erklärt.
Aristokratinnen der feudalen Epoche haben das Gleichstellungshindernis menschlicher Mutterschaft mit Hilfe von Abtreibungen und Ammen überwunden, moderne Akademikerinnen versuchen es mit möglichst wenig eigenen Kindern, Flaschenmilch und Haushaltshilfe. Oder sie suchen nach der perfekten Konstellation von Beruf, Liebe, Wohlstand und Familie - bis es wahrscheinlich zu spät ist. Dies Problem hatte Atlanta, die schnellfüßige Königstochter aus der griechischen Mythologie, wohl auch schon. Doch musste sie außerdem noch solange jungfräulich leben, bis sie Kinder wollte oder familiären Nachwuchs als Folge ihres Liebeslebens wenigstens in Kauf nehmen mochte. Anders als heutige Frauengenerationen mit ständig sicherer Verhütung durch leicht zu handhabende Hormonpillen. Atlanta und nach ihrem Vorbild gestaltete Märchenprinzessinnen hörten das Ticken der biologischen Uhr für weibliche Fruchtbarkeit deshalb schon Mitte zwanzig. Sie ließen dann regelmäßig einen ihrer Liebe möglichst würdigen Bewerber den öffentlich veranstalteten Wettkampf im Laufen oder Rätselraten gewinnen. Manchmal ging es auch um Zauberei und die Beschaffung wunderbarer Dinge, sodass eine königliche Frau ihre Wahl indirekt doch treffen konnte. Die neuen Möglichkeiten moderner Technik jahrzehntelang sexuelle Liebe und erotische Macht zu genießen, ohne dass Kinder dabei entstehen, hat heutzutage bei Frauen in den Dreißigern eine Torschlusspanik mit sich gebracht. Oftmals auch sehnsüchtige, brennende Kinderwünsche, was es zuvor nur ganz selten gegeben hatte, beispielsweise wenn Ehen fünf oder zehn Jahre lang kinderlos blieben. Die psychosoziale Dynamik eines unfruchtbaren Paares führt Shakespears Tragödie „Macbeth“ mit Königsmord, Erbfolgekrieg, Schlaflosigkeit und Wahnsinn vor Augen. Sogar radikale Feministinnen der 68er Generation fingen mit 35 oder 38 Jahren an sich zu fragen, ob es einen besonderen Trieb geben könnte, eine körperliche Sehnsucht nach Schwangerschaft, Gebären und Stillen. Denn sie empfanden unerwartet ein vernünftigerweise unerklärliches Bedürfnis doch noch leibliche Kinder zu bekommen.
Beispiel für Kinderwünsche berufstätiger Frauen im Zeitalter sicherer Empfängnisverhütung:
Anfang dreißig spürte Vera entnervend das Ticken ihrer biologischen Uhr: „Wenn ich bis 35 kein Kind zu Stande gebracht habe, wird nichts mehr daraus.“ Dieser Gedanke wurde eine Art Leitmotiv, welches jederzeit aus ihrem Unbewussten auftauchen konnte. Bislang hatte sie nicht einmal zum ‚Machen’ einen geeigneten Mann. In ihr Bett wollten alle, da hatte sie praktisch freie Auswahl, doch ein Kind mit ihr wollte keiner. Auch fand Vera die Aussicht, einen ihrer Liebhaber in doppelter, gar dreifacher Ausführung ständig um sich zu haben, nicht berauschend. So ein Kind kann seinem Vater ja erstaunlich ähneln, hatte sie bei Freunden und Verwandten bemerkt.
Als ihre ältere Schwester Inge einmal in Veras Wohngemeinschaft übernachtete, hatte die Mitbewohnerin Angela ein Fläschchen Sekt besorgt. Zu dritt hockten sie über Teppichboden und Sessel verteilt bei Kerzenlicht und erörterten Möglichkeiten, um ihr Leben als ‘freie Frauen’ zwischen beruflichen Verpflichtungen, sexuellen Chancen und emotionalen Bindungen zu bewältigen.
„Wir haben es eigentlich viel zu schwer mit all diesen Entscheidungen“, beklagte sich Vera, „unsere Mütter hatten es da leichter. Wenn sie sich sexuell mit einem Mann einließen, bekamen sie einfach Kinder. Damit musste jeder rechnen. Frauen brauchten sich nicht extra entscheiden.“
„Dann mussten sie aber auch auf ihren Beruf und eigenes Einkommen verzichten“, wandte Angela ein. „Von wegen leicht! Damals mussten Frauen auch entscheiden, aber eben zwischen Sex und Berufstätigkeit. Das war sicher kein Vergnügen.“
„Dabei kamen dann diese sexuell frustrierten Lehrerinnen unserer Schulzeit heraus. Erinnerst du dich noch an Fräulein Möller - wir nannten sie Molly - oder an Spinne?“, ergänzte Inge.
„Ja, ja - die waren alle entweder verbittert und direkt giftig oder zumindest komisch.“ Vera erinnerte sich schaudernd ihrer freudlosen Gestalten im Gymnasium vor der Epoche sexueller Revolution.
„Auf der anderen Seite“, führte Inge ihren Gedanken weiter, „gab es nur die intellektuell verkümmerten Hausfrauen. Mit ihrem fehlgeleiteten Ehrgeiz trieben sie Ehemann und Kinder an: Die sollten vereitelte Karriere und fehlende Werke ersetzen. Was niemals zufrieden stellend gelang.“
„All das wäre neu zu entwerfen: ein weibliches Selbstbewusstsein, welches auf beiderlei Fähigkeiten gründete, einerseits für die eigene Fortpflanzung und andererseits für berufliche Kreativität“, begeisterte sich Vera, „eine stolze Potenz neues Leben zu erschaffen, sogar nach eines Geliebten Ebenbild. Schwangerschaft und Gebären könnten Fortführungen weiblichen Begehrens sein, Kinder Ergebnisse weiblicher Schöpferkraft.“
„Aber wir identifizieren uns doch alle mehr über unseren Beruf, als durch Weiblichkeit“, konterte Angela. „Wenn du Kinder machen willst, sie anständig erziehen, mit Babynahrung, Spielzeug, Schule und all dem, was eben nötig ist ... dann kannst du nicht gleichzeitig in deinem Beruf etwas leisten. Ich will meine Kreativität lieber beruflich entfalten, als durch den Bauch!“
„Mich hat es in meiner persönlichen Entwicklung schon sehr gefördert, ein Kind zur Welt zu bringen“, äußerte daraufhin Inge und geriet ein bisschen ins Schwärmen, zumal ihre kinderlosen Zuhörerrinnen für diesen Aspekt des Themas kaum etwas beisteuern konnten. „Meine Libido ist erweitert, meine Empfindungsfähigkeit hat eine andere Intensität bekommen, auch andere Qualitäten von Lust, weil mit einer Schwangerschaft und durch das Stillen die entsprechenden Körperfunktionen erst reifen. Mein Körper fühlt sich ganz anders an, seit ein Kind darin gewachsen ist. - Meine Brüste sind sehr viel sensibler geworden und im Bauch gibt es nun manchmal die heftigsten mir bekannten Lustgefühle. Umwerfend. Der Uterus geht jetzt mit ein bei der Liebe - sozusagen. Wenn vorher die sexuelle Erregung bis zum Muttermund gelangte, ist jetzt die ganze Gebärmutter mitbetroffen. Die habe ich ja erst während der Schwangerschaft und beim Gebären bewusst empfunden. Zwischen Busen und Schoß sind neue Gefühlsverbindungen entstanden, denke ich ... wonnigliche, insbesondere beim Streicheln meiner Brustwarzen. Das gilt vielleicht nicht für alle Frauen....aber bei mir ist es so gewesen.“
Inge machte eine kleine Pause und ließ ihre Gefühle schweifen. Schließlich fuhr sie sachlicher fort: „Übrigens kommt es auf den Beruf an, ob du mit Kind mehr oder weniger leistest. Ich habe mir immer gesagt, wenn ich das Kind zur Welt bringe, dann wird es mich nicht hindern meinen Beruf weiter auszuüben. Ich hatte mir überlegt, wenn ich nicht klar komme damit, dann lasse ich es adoptieren. Es gibt ja massenhaft Leute, die sich sehnlich ein Adoptivkind wünschen und ich will nicht von einem Brötchenverdiener abhängig werden. In meinem Beruf als Grundschullehrerin ging das mit dem Baby als Alleinerziehende auch nur, weil ich eine Pflegefamilie bezahlen konnte. Während der Schulzeit, wenn ich abends was vor habe, geht mein Sohn auch jetzt noch da hin. Das funktioniert ganz gut, zumal die Familie drei Kinder im gleichen Alter hat. Ich denke, meine Kreativität im Schulalltag ist tatsächlich enorm gewachsen durch mein eigenes Kind, weil ich mich jetzt ganz anders einfühle in die kindliche Welt. Von daher kommen wirklich gute Einfälle für meinen Unterricht.“
Angela brachte ihr psychologisches Fachwissen vor: „Nach den Erhebungen per Fragebogen ist das wichtigste Motiv für Kinderwünsche moderner Frauen eine Sehnsucht nach persönlicher Nähe, Intimität, auch nach emotionaler Bindung und sozialer Verbindlichkeit“.
Vera überlegte, wie das bei ihr lief und meinte dazu: „Mir ist mein Kinderwunsch immer suspekt gewesen. – Vielleicht, weil er so lange gar nicht da war.“ Erst mit 28 Jahren begann etwas davon aufzutauchen. Anfangs eher schwächlich in Träumen, manchmal auch massiver in Verhütungsschlamperei und Tagträumen. „Inzwischen manifestieren sich solche Wünsche sogar in meinen erotischen Bedürfnissen“, berichtete sie weiter, „zum Beispiel in einer neuen, ganz unerwarteten Begeisterung für väterliche Männer. Bedrohlich für meine Individualität und Unabhängigkeit finde ich das in jeder Form. Zuerst haben mich diese Fantasien bei meiner Doktorarbeit gestört, als Ablenkung meiner kreativen Kräfte, als Ausflucht für meine beruflichen Versagensängste!“ Vera besann sich einen Augenblick und erklärte dann: „Ich hatte in diesen Jahren dauernd das unklare Gefühl, mein Körper läge mit meinem Kopf in ernstem Streit. Ständig räumte ich meiner intellektuellen Entwicklung Vorrang ein, verhalf dem Geist zum Siege und unterdrückte meine körperlichen Bedürfnisse. Oft hatte ich dann böse Kopfschmerzen. Irgendwann wird mein Körper zu seinem Recht kommen müssen, sonst verliere ich noch alle Lust an der Arbeit und auch an der Liebe, was ohne Frage bedeutet, meine Lust zu leben!“
Mit der 1. Frauenbewegung vor den Weltkriegen entstanden gut ausgebildete berufstätige Frauen. Die Generation ihrer Töchter erkannte den Angelpunkt weiblicher Unterdrückung und Einschränkung von persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten nicht so sehr im Bildungsmangel als in körperlicher Fruchtbarkeit. Unter dem Motto ‚mein Bauch gehört mir’ erstritt die 2. Frauenbewegung Ende des 20.Jahrhunderts weitgehende Kontrolle darüber. Mit zuverlässigen Verhütungsmitteln und liberalen Abtreibungsgesetzen wurde viel individuelle Freiheit für die weibliche Hälfte der Menschheit gewonnen und einerseits die Voraussetzung geschaffen, um weiter zu denken; andererseits fanden sich Frauen oftmals überfordert, die Potenzen ihres Bauches nun nach eigenem Gutdünken zu verwirklichen. Sie stießen auf individuelle und soziale Grenzen, quälten sich mit Kinderwünschen.
Bei allem fundamentalen Erneuerungswillen der Genderforschung an europäischen und US-amerikanischen Hochschulen blieb die Hauptverantwortung der Mütter für Kinder merkwürdig unangetastet. Den Grundsatz, ‘das Kind gehört zur Mutter’, ließ auch die 2. Frauenbewegung fast unhinterfragt gelten. Angelsächsische Anthropologinnen hatten darauf sogar eine Geschichte der Menschwerdung aus weiblicher Sicht gegründet: die innovative Woman-the-Gatherer-Hypothese. Hauptamtlich mutternde Frauen gerieten als Sammlerinnen dabei noch zusätzlich in die Rolle von Familienernährern. Primatenmodelle mit ihren Mutterfamilien liefern dafür die evolutionsbiologische Grundlage. Jedoch wird so eine patriarchalische Ideologie unterstützt, die sämtliches Muttern und Arbeiten in der viel aufwendigeren Brutpflege von Menschenkindern als naturgegeben weiblich darstellt.
Trotz Familienplanung in allen Industriestaaten, Empfängnisverhütung und mütterlichen Rechten zum Abbruch ungewollter Schwangerschaft, ergeben sich viele Geburten immer noch ohne bewussten Kinderwunsch von Mutter oder Vater – einfach aus Unentschlossenheit, Disziplinlosigkeit und unklarer Lebensperspektive. Oft wirken auch vage Hoffnungen und biochemische Reaktionen auf körperlicher Ebene entscheidend für fruchtbare Sexualität. Die Moleküle wohliger und berauschender Gefühle fließen nun mal spontan. Wo ein Mensch freudige Erregung spürt, intensivierte Lebendigkeit oder auch Zufriedenheit mit sich und der ganzen Situation, entsteht eine Motivation die Nähe dieser Person zu ersehnen, bei ihr zu bleiben, sodass sich mit der Zeit und laufenden Wiederholungen eine emotionale Bindung bildet. Man/frau weiß kaum je, wofür er/sie sich da eigentlich entscheidet, wenn eine Entscheidung für oder gegen Kinder getroffen werden kann. Jetztmenschen sind dabei immer noch jenen ‚unvorhersagbaren Bedingungen’ unterworfen, wofür der Homo sapiens von Natur aus ziemlich gut gerüstet ist: mit genetischen Dispositionen zu lebenslänglicher Lernfähigkeit und offenen Verhaltensprogrammen. Ein überlieferter Ausspruch des Philosophen Sokrates: „Heirate oder heirate nicht - du wirst es in jedem Fall bereuen“, bezieht wohl daher seinen tieferen Sinn.
Weil in der Gebärmutter weiblicher Menschen regelmäßig nur ein Kind zur Zeit wächst, bringt die Fortpflanzungsbiologie unserer Gattung eine gewisse Exklusivität in den Sexualverkehr zwischen Frau und Mann. Das ist anders als bei den meisten Säugetieren, Hunden beispielsweise, Katzen oder Schweinen mit ihren Würfen von fünf bis zwölf Neugeborenen mit möglicherweise mehreren biologischen Vätern. Obschon eine Frau zwei oder zehn Männer gleichzeitig lieben kann, wird sie dabei doch regelmäßig nur von einem Einzigen schwanger. (Mit der möglichen Ausnahme von zweieiigen Zwillingen.) Das dauert dann wenigstens neun Monate, bei mütterlichem Stillen wird die Frau sogar erst in ein bis zwei Jahren wieder empfängnisbereit.
Mittels Familiengründung mag von daher ein Element ersehnter Beständigkeit erreichbar scheinen, welches modernen Arbeitswelten in der globalisierten Industrie zunehmend fehlt. Arbeitsfähigkeiten und Qualifikationen verändern sich immer schneller, wandeln sich in wechselnde Jobs. Brüchige, instabile Arbeitsbiographien mit etlichen Umschulungen - mal angestellt, mal arbeitslos, dann wieder Selbständiger oder Freiberufler - sind mittlerweile eher die Regel als kontinuierliche Berufstätigkeit von der Ausbildung bis zur Rente. Elternschaft kann mit emotionalen Bindungen und langfristigen Beziehungen zur Stabilisierung einer persönlichen Identität beitragen.
Frauen, die einmal Mütter werden wollen, setzen zunehmend auf die Ehe als soziale Basis zur Verwirklichung ihrer Kinderwünsche. Die bietet zwar keine Lebensstellung mehr, nach etlichen Reformen des Familienrechts seit der 2. Frauenbewegung in den 70ern, doch nun im 21. Jahrhundert einige Unterhaltssicherheit für Kinder. Jedenfalls wenn der Vater ein hohes Einkommen oder Vermögen hat.
Experten haben ausgerechnet: Gegenwärtig kostet ein zivilisiertes Menschenkind aufzuziehen, mit allem Drum und Dran von essen, wohnen, Versorgung und Erziehung, ungefähr eine viertel Million Euro. Dabei wurde der materielle und zeitliche Aufwand veranschlagt, über die zwanzig Jahre von der Zeugung bis zum Erwachsenwerden. Das bedeutet auch: moderne Kinder sind ein wirtschaftliches Projekt und so teuer, dass die meisten Frauen sie sich nicht leisten können. Jedenfalls nicht die lohnarbeitende Friseurin, Kellnerin oder Bürokauffrau. Bleibt nur ein Leben an der Armutsgrenze mit staatlichen Transferleistungen oder die Hoffnung auf einen engagierten Vater, der seinen Teil zur Familie beiträgt. Meist mehr in Form von Geld als von Haushalt und Kinderversorgung. Berufstätige Mütter leisten heute immer noch doppelt so viel Hausarbeit wie ihre jeweiligen Männer. Das ergaben genaue Untersuchungen der einzelnen Tätigkeiten in diesem Bereich: Wochenstunden an Staubsaugen, Kinder füttern und zu Bett bringen, Wäsche waschen, einkaufen, kochen usw.
Was Frauen dennoch motiviert eigene Kinder zu wollen, kommt von einer psycho-sozialen Ebene her:
- Die traditionelle weibliche Identität schließt Mutterschaft ein.
- Familiäre Gefühlsbindungen sind über Kinder erreichbar.
- Die soziale Stellung einer Frau lässt sich durch einen wohlhabenden, mächtigen, schönen, berühmten Kindsvater verbessern – vielleicht, auf lange Sicht, trotz all der aktuellen Nachteile in Beruf und sozialem Umfeld.
- Mütterliche Macht entsteht über vollkommen abhängige Babys, relativ abhängige Kinder und deren Väter.
- Die soziale Utopie einer vollendeten Frauenbefreiung umfasst ausgelebte Fruchtbarkeit und symmetrische Elternschaft.
Seit sichere Verhütungsmittel allgemein verfügbar geworden sind, schieben gebildete Frauen mit anspruchsvollem Beruf ihre familiären Wünsche zunehmend auf. In Deutschland bekommen mehr als 40% der Akademikerinnen überhaupt keine Kinder. Sie kümmern sich um ihre berufliche Karriere und begreifen erst um die Vierzig herum, dass ihre fruchtbare Lebensphase sich dem Ende zuneigt. Unklare Angst vor körperlicher Unfruchtbarkeit motiviert dann etliche doch noch schnell - ehe die Wechseljahre zur Menopause einsetzen - ihr Fortpflanzungspotenzial zu nutzen. Biologisch betrachtet ist es nun aber fast zu spät, weil die vitalsten Eizellen in den Zwanzigern bereits gereift und fruchtlos abgegangen sind - eine mit jeder Menstruation. Im Alter von Vierzig sind nicht mehr allzu viele nach, deren Qualität für eine erfolgreiche Schwangerschaft ausreicht. Wenn dann noch Stressfaktoren die hormonelle Situation im weiblichen Körper ungünstig beeinflussen, werden diese Frauen eher selten schwanger. Daran ändert auch häufiger, verhütungsfreier Sexualverkehr über Jahre hinweg nichts mehr. Obschon dergleichen ein wundervolles Liebesleben hervorbringen kann und schon deshalb den Versuch wert ist.
Hinzu kommt als weiteres biologisches Problem später Erstgebärender die unvollständige Ausbildung ihrer Fortpflanzungsorgane. 30-jährige Ruhe durch Verhütung erfordert fast immer vielfältige medizinische Hilfe: von Hormonbehandlungen über Kaiserschnitt bis zu künstlichen Befruchtungen. Neuerdings kommen dabei in Einzelfällen sogar Eizellen einer fremden Spenderin zum Einsatz.
Nach zwei Jahrzehnten niederschmetternder Erfahrungen der Medizin mit solchen Fortpflanzungskrämpfen, wird den Frauen neuerdings empfohlen ihre Lebensplanung auf frühe Empfängnis umzustellen. Biologisch günstig wäre im Alter von 20 Jahren zu gebären, vor einem langwierigen Studium oder wenigstens bis Anfang Dreißig, ehe die Anforderungen einer beruflichen Laufbahn all ihre Zeit und Kraft in Anspruch nehmen. Doch dafür bräuchten die jungen Mütter zumindest eine finanzielle Absicherung ihrer Existenz. Radikale Feministinnen hatten deshalb in den 70ern ‚Lohn für Hausarbeit’ gefordert. Unter den verschärften Konkurrenzbedingungen globalisierter Industrie, erscheint solche staatliche Finanzierung sogar wichtiger als damals, denn zeitgemäße Berufstätigkeit mit ihren weiträumigen Mobilitätsanforderungen und erhöhten Stressbelastungen ist kaum mit gedeihlichem Familienleben zu vereinbaren. Kinder bringen heute, sowohl durch ihren Finanzbedarf als auch durch Einschränkungen in der Erwerbsarbeit, ein erhöhtes Armutsrisiko für ihre Eltern mit sich.