Читать книгу Die Spionin des Winterkönigs - Tereza Vanek - Страница 10

2. Kapitel

Оглавление

„À droite. J’ai dit à droite! Vous êtes sourdes, demoiselles?“

Froni schüttelte den Kopf, um den unfreundlichen Tonfall abzuwehren. Monsieur Cherbault, der neue Haushofmeister, musterte sie durch golden umrahmte Brillengläser. Ein weiterer französischer Wortschwall folgte. Die Frau von Zwergenstein stieß einen tiefen Seufzer aus.

„Da heiratet er die englische Königstochter, um der protestantischen Sache zu dienen, und wir müssen uns das affektierte Getue parfümierter Papisten anhören!“, zischte im Hintergrund Sophia von Falkenhagen. Froni erschrak und warf dem Franzosen einen furchtsamen Blick zu. Erst gestern hatten ein paar Küchenmägde ihre Stellung verloren, weil sie in einen heftigen Streit mit zwei Mädchen aus Elizabeths Gefolgschaft geraten waren. Worum es genau gegangen war, wusste Froni nicht, aber die wesentliche Aussage des Gerüchts war eindeutig: Wer sich der Anhängerschaft der englischen Prinzessin in den Weg stellte, wurde kurzerhand aus dem Weg geräumt.

„Ich denke, er will, dass wir die Porzellanfiguren in den rechten Schrank räumen, weil die Möbel auf der linken Seite weggebracht werden sollen“, teilte Froni ihren Gefährtinnen mit. Ihr war inzwischen klar, dass sie als Einzige wenigstens ein paar Worte von Monsieur Cherbaults Anweisungen verstehen konnte. Sie wusste nicht, woran es lag. Während der Unterrichtsstunden, die sie erhalten hatte, war ihr das Begreifen stets leichter gefallen als den meisten anderen Mädchen.

„Wenn du ein Junge wärest, dann könnten wir dich auf eine Universität schicken“, hatte die Mutter einmal zu ihr gemeint und dabei ein unglückliches Gesicht gezogen. „Aber ein Mädchen sollte aufpassen, nicht zu klug zu wirken. Dann findet sie am Ende keinen Ehemann, denn Männer mögen das nicht.“

Monsieur Cherbault schien es aber zu mögen, dass wenigstens eine der Hofdamen begriff, was er meinte. Als sie alle nach den Schäferinnen und Hirten aus Porzellan griffen, um sie von einem Ende des Raumes in das andere zu bringen, sah er zum allerersten Mal recht zufrieden aus. Er roch so stark nach Parfüm, dass einem in seiner Nähe fast übel wurde, und sein Gesicht war so ausladend bemalt wie das eines Gossenmädchens. Aber wenn es darauf ankam, wusste er, wie man Autorität ausstrahlte. Sein Blick konnte so scharf sein wie die Klinge eines Messers.

„Quel est votre nom, Demoiselle?“, fragte er Froni kurz darauf. Sie stellte sich mit einem Knicks vor. Er versuchte, den Namen Odenwald nachzusprechen, was ihm sogar einigermaßen gelang.

„Vous comprenez. C’est bien“, stellte er gleich darauf fest. Dabei gab es nun sehr viele Damen am Hof, die ihn viel besser verstanden. Elizabeth Stuart war mit einem ganzen Hühnerstall eingetroffen, doch hielt ihre Gefolgschaft sich meistens bei ihr in den Gemächern auf, wo gesungen, getanzt und Poesie gelesen wurde. Für das Herumschleppen von Einrichtungsgegenständen, die zu zart und kostbar für die Hände gewöhnlicher Domestiken waren, sollten sich nun die Zofen der alten Kurfürstin zuständig fühlen. Sie waren seit zwei Wochen ständig auf den Beinen, um Räume zu leeren und anschließend wieder zu füllen, ganz wie es den Wünschen der neuen Schlossherrin entsprach. Elizabeth hatte zwar auch Diener mitgebracht, aber diese sollten allein für ihre persönlichen Bedürfnisse zuständig sein. Ihr wichtigster Berater war Colonel Schomberg, der ihr aber bei der Verwaltung der Gelder zur Seite stand. Monsieur Cherbault sollte sich indessen darum kümmern, dem Schloss und seinen Bewohnern die nötige Eleganz zu vermitteln. Er erschien stets mit perfekt sitzendem Spitzenkragen und sauberen Hemden, um sie zu beaufsichtigen. Froni wusste, dass ihre beiden guten Kleider inzwischen unangenehm riechen mussten, weil sie jeden Abend völlig durchgeschwitzt war und keine Zeit mehr fand, sie zu waschen. Die Frau von Zwergenstein klagte über regelmäßige Schwindelanfälle und der sonst sehr strenge Franzose erlaubte ihr dann, sich zurückzuziehen. Mit den jüngeren Hofdamen hatte er aber deutlich weniger Erbarmen, vor allem nicht mit Froni. Sie bemühte sich stets, seinen Anweisungen rasch Folge zu leisten. Sonst kamen sie alle zu spät zu den Mahlzeiten und liefen Gefahr, kaum noch etwas abzubekommen. Das Schloss platzte seit der Ankunft des jungen Paares aus allen Nähten, sodass eine Versorgung aller Bewohner nicht mehr garantiert war. Die Gefolgschaft der englischen Prinzessin hatte immer den Vortritt und die alteingesessenen Bewohner mussten nehmen, was für sie übrig blieb.

Manchmal war es nichts. Aber ihr war es bisher immer gelungen, noch ein paar Streifen Speck, Brot und manchmal sogar einen Teller Suppe in das Zimmer ihrer Mutter zu tragen, die es nicht mehr schaffte aufzustehen.

Nun verkündete eine Glocke, dass im großen Gemeinschaftssaal zum Mittagsmahl aufgetischt wurde. Froni atmete erleichtert auf, denn sie hatten alle ihre Aufgaben erledigt und konnten sich daher jetzt zurückziehen.

Die Frau von Zwergenstein eilte sogleich los. Wenn es ums Essen ging, kehrten ihre Körperkräfte erstaunlich schnell zurück. Sophia und ein paar andere junge Frauen schlossen sich ihr sogleich an. Froni wollte es ebenfalls tun, da sah sie plötzlich, wie Monsieur Cherbault sie zu sich winkte.

„Venez, Demoiselle!“

Es war höflich formuliert, aber eindeutig ein Befehl. Froni fluchte innerlich. Ihre Beine schmerzten und in ihrem Magen gähnte ein großes Loch, das gefüllt werden wollte.

„Vous dinez avec la princesse.“

Sie ging davon aus, dass sie sich verhört haben musste. Elizabeth und Friedrich nahmen ihre Mahlzeiten nun in separaten Gemächern ein, nur in Anwesenheit einiger Vertrauter, die allesamt mit der englischen Königstochter eingetroffen waren.

„Venez, Demoiselle. Venez!“, wiederholte der Franzose unbeirrt. Froni blickte an sich hinab. An ihrem Kleid hingen Staubfäden, die sie rasch wegfegte. Trotzdem sah sie wenig besser aus als eine Küchenmagd. Aber das war ihr ganzes Leben lang so gewesen, daher würde sie auch weiterhin zurechtkommen.

Sie hastete dem Franzosen hinterher, da sie keine Wahl hatte. Vielleicht bekäme sie danach noch ein paar Brotkrumen in der Küche des Schlosses.

Es ging ins nächste Stockwerk hoch, wo Elizabeth Stuart gemeinsam mit ihren Hofdamen eingezogen war.

Monsieur Cherbault schob eine Tür auf, ließ sein melodisches Französisch erklingen und verneigte sich tief. Froni knickste mechanisch. Sie wusste nicht genau, in welchem Raum der weit gefächerten Anlage sie nun gelandet war. Das glockenhelle Gelächter von Frauenstimmen erklang. Irgendwo zupfte jemand an einer Harfe.

„Willkommen, Fräulein von Odenwald“, sagte eine weibliche Stimme mit französischem Akzent. Froni stockte der Atem, als sie erkannte, wer die Sprecherin war. Sie knickste nochmals tiefer, wagte erst nach einer Weile, ihren Blick zu der jungen Kurfürstin zu erheben.

„Monsieur Cherbault schwärmt von Eurem Verstand“, verkündete Elizabeth Stuart nun auf Französisch. Sie saß auf einem breiten, mit Samt bezogenen Kanapee und nippte an einem goldfarbenen Pokal. Um sie herum waren die englischen Hofdamen versammelt. Ihre Kleider leuchteten in allen Farben des Regenbogens, Schmucksteine blitzten in ihren Ohren und an ihren Fingern. Froni musste an einen Käfig voller Paradiesvögel denken.

„Kommt zu uns. Habt Ihr Hunger?“

Elizabeth winkte Froni heran, während Monsieur Cherbault sich zurückzog. Auf dem großen Tisch sah sie Platten mit Fleisch, gefüllte Pasteten, verschiedene Brotsorten und eine große Karaffe mit Wein. Die anderen Hofdamen schoben ununterbrochen Leckereien zwischen ihre rot bemalten Lippen. Froni lief das Wasser im Munde zusammen. Sie hatte noch niemals Speisen gesehen, die so appetitlich wirkten und verführerisch dufteten.

Sie nahm auf einem winzigen Hocker am Ende des Tisches Platz und ergriff eine mit Fleisch gefüllte Pastete. Ein starker Geschmack breitete sich auf ihrer Zunge aus. Zunächst war er herb, dann wurde er langsam aromatischer und schien in verschiedene Nuancen zu zerfließen. Sie hatte in ihrem Leben vieles gegessen, das lecker schmeckte, aber im Gemach der Kurfürstin wurden Speisen zu einer völlig neuen Erfahrung.

„Etwas Wein? Mathilde, fülle Sie das Glas meiner neuen Hofdame!“, teilte Elizabeth einem schmächtigen Dienstmädchen mit. Gleich darauf hielt Froni ein blaues Gefäß in der Hand, das es durchaus mit dem Weinpokal der jungen Kurfürstin aufnehmen konnte. Es war aus hellem Kristall und die Flüssigkeit darin schimmerte dunkel.

Der Wein glitt sanft über ihre Zunge. Wärme machte sich in ihr breit, die Welt schien ein angenehmerer Ort und alle Sorgen fielen für einen Augenblick von ihren Schultern. Schwebten Frauen wie Elizabeth und ihre Schar von Hofdamen tagtäglich auf solchen Wolken des Wohlbehagens durchs Leben, ohne von Angst, Schmerz oder Enttäuschung niedergedrückt zu werden?

„Monsieur Cherbault lobt Euch tagtäglich, Fräulein von Odenwald“, erzählte Elizabeth indessen wieder langsam auf Französisch. Ihr Deutsch beschränkte sich auf den einzigen Satz, den sie bei ihrer Begrüßung in Heidelberg gesprochen und vorher wohl auswendig gelernt hatte. „Er sagt, dass Ihr als Einzige unter den deutschen Tölpeln hier in Heidelberg über Verstand verfügt.“

Froni verschluckte sich fast an dem köstlichen Wein. Wenn Monsieur Cherbault sich die Mühe gemacht hätte, die Landessprache zu lernen, wäre ihm sicher aufgefallen, dass auch die anderen Hofdamen nicht völlig unverständig waren. Aber sie wusste, dass sie diesen Gedanken nicht laut aussprechen durfte.

„Mein Französisch ist besser als das der anderen Hofdamen“, gab sie schließlich zu. „Aber meine Gefährtinnen verfügen ebenfalls über viel Wissen und Erfahrung.“

„Bien sûr. Ich zweifele nicht daran“, erwiderte Elizabeth ohne besonderes Interesse. „Aber Euch hätte ich gern an meiner Seite, um mit dem Schloss etwas vertrauter zu werden.“

Warum mit etwas vertraut werden, das sie komplett umgestalten wollte? Aber auch das durfte Froni nicht fragen.

„Ich denke, es gibt sehr viele Leute in Heidelberg, die Euch das Schloss zeigen könnten. Allen voran Euer Gemahl.“

Elizabeths Gesicht versteinerte kurz und Froni erschrak, denn ihr wurde klar, dass sie dreist gewesen war. Friedrich musste sich politischen Aufgaben widmen und hätte nicht immer Zeit, seine zauberhafte Gemahlin herumzuführen.

„Ich bitte um Vergebung, Euer Durchlaucht. Ich werde natürlich tun, was immer Ihr wünscht“, stammelte Froni sogleich, denn ihr war aufgefallen, dass auch die anderen Damen in ihre Richtung starrten.

Elizabeth verzog das Gesicht.

„Nun benehmt Euch nicht wie ein Schoßhündchen! Ich biete Euch gerade an, Euch meinem Gefolge anzuschließen. Hier in diesem Raum befinden sich einige Töchter des englischen Hochadels, die mir freiwillig an einen kleinen Fürstenhof gefolgt sind. Dazu kommen deutsche Damen aus angesehenen Familien wie Amalie zu Solms-Braunfels.“

Elizabeth wies auf eine junge, dralle Frau mit hübschen Gesichtszügen, die schweigsam dasaß.

„Als Teil meiner Gefolgschaft könntet Ihr ihnen nun ebenbürtig sein“, betonte Elizabeth. Die Idee, dass jemand dieser Aussicht keine Freude abgewinnen konnte, lag offenbar jenseits ihres Vorstellungsvermögens. Abwartend, leicht ungeduldig sah sie Froni an.

Froni musterte die anwesenden Damen kurz. Sie ähnelten einander auf den ersten Blick, alle waren jung und elegant gekleidet. Die einzige Ausnahme bildete Lady Harrington, eine magere Gestalt von etwa vierzig Jahren, die dicht neben ihrer Tochter Lady Bedford saß. Die ältere Dame kannte Elizabeth schon seit deren Kindheit und kümmerte sich mit Hingabe um deren zahlreiche Hunde und Äffchen. Bei genauerem Hinsehen bekamen aber auch die Gesichter der jungen Frauen unterschiedliche Züge. Das Mädchen links neben Elizabeth war blond, etwas rundlich und hatte rosige Wangen. Dicht neben ihr saß eine schmale, hochgewachsene Frau, deren Körper ein wenig ausgemergelt wirkte. Sie waren nicht wirklich liebreizender als die Frauen auf dem Heidelberger Schloss. Nur fielen ein paar Schimmer von Elizabeths Strahlen auf sie und eben dadurch wurden sie besonders.

„Lady Marian Lacey“, stellte Elizabeth das blonde Mädchen vor. Die Dunkelhaarige hieß Theodora Bryant. Alle sahen Froni für einen Moment an, verweigerten ihr aber jedes Lächeln.

„Ihr könnt Euch uns anschließen“, flötete Elizabeth weiter. „Wir lehren Euch Englisch und besseres Französisch. Vielleicht könnt Ihr uns mit dem einen oder anderen deutschen Wort aushelfen.“

Sie sagte etwas zu den Damen, das Froni nicht verstand. Gelächter erklang. Froni spürte, dass ihr der Schweiß über den Rücken perlte. Sie mochte diese eleganten, hochmütigen Kreaturen nicht, ein Gefühl, das offenbar auf Gegenseitigkeit beruhte. Elizabeth war ihr lieber als ihre Gefährtinnen, denn für deren Stolz gab es wenigstens gute Gründe.

„Es ist sehr edelmütig von Euch und ich weiß, dass ich Euch Dankbarkeit schulde“, sagte sie schnell. „Aber … aber ich diene bereits der Mutter Eures Gemahls. Daher muss ich Euer großzügiges Angebot leider zurückweisen, Euer Durchlaucht. Es gibt viele andere junge Frauen an diesem Hof, die sich mit Freuden …“

„Aber ich hatte mich für Euch entschieden“, unterbrach Elizabeth scharf. Ihr Gesicht wirkte verärgert und gleichzeitig sehr jung, als sei sie ein verwöhntes Kind, das zum ersten Mal nicht seinen Willen bekam. Dann aber glätteten sich ihre Züge sogleich.

„Ihr habt eine kranke Mutter, habe ich gehört.“

Froni war ehrlich überrascht, denn sie war nicht davon ausgegangen, dass die junge Kurfürstin sich so ausführlich mit ihr befassen würde.

„Meine Hofdamen beziehen natürlich jeden Monat eine Entlohnung für ihre treuen Dienste“, redete Elizabeth lächelnd weiter. Als sie die Summe nannte, blieb Froni fast der Mund offen stehen. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so viele Münzen auf einmal gesehen zu haben.

„Zudem bekämet Ihr ein eigenes Gemach, denn Eure Mutter würde das Geplauder anderer junger Frauen sicher stören. Mein Medikus wird regelmäßig nach ihr sehen, um ihre Leiden zu lindern.“

Froni streckte eine Hand aus, um sich an der Tischkante festzuhalten. Wann würde sie erwachen und feststellen, dass all dies nur ein verrückter Traum gewesen war?

Aber alles um sie herum schien ganz und gar ein Teil von Gottes Schöpfung zu sein, kein bloßes Gespinst aus nächtlichen Fantasien. Ihre Mutter bekäme die bestmögliche Fürsorge, ein sauberes Zimmer mit genug Brennholz, sobald es kalt wurde, und tagtäglich jene köstlichen Mahlzeiten, wie sie hier auf dem Tisch standen. In den letzten Jahren ihres Lebens könnte die alte, kranke Frau ein besseres Leben haben als jemals zuvor. Froni wusste, dass sie nicht ablehnen konnte, auch wenn ein Teil von ihr sich immer noch dagegen sträubte, tagtäglich in Gesellschaft dieser englischen Damen leben zu müssen, die sie nicht unter sich wollten.

„Ich danke Euch, Euer Durchlaucht“, sagte Froni schnell, bevor ihre Freude von Zweifel und Unbehagen verdrängt werden konnte. „Es ist mir eine Ehre, Euer Angebot anzunehmen.“

Kurz sah Elizabeth überrascht aus, dann lächelte sie wieder. „Ihr Lächeln ist nicht ganz ehrlich“, schoss es Froni durch den Kopf. „Fast nichts von dem, was sie sagt und tut, kommt direkt von ihrem Herzen.“

„Das freut mich, Fräulein von Odenwald. Nun dürft Ihr gehen. Sobald ich eine passende Unterkunft für Euch gefunden habe, schicke ich Euch einen meiner Lakaien.“

Froni erhob sich, versank nochmals in eine tiefe Reverenz und ging dann rückwärts nach draußen, um der neuen Kurfürstin den größtmöglichen Respekt zu zollen.

Als die Tür hinter ihr zugefallen war, vernahm sie das boshafte Kichern der anderen Hofdamen. Ihr Magen verkrampfte sich und kurz fürchtete sie, die soeben genossenen Speisen erbrechen zu müssen.

Zwei Wochen später bezog Froni eine immer noch kleine, aber wesentlich wohnlicher ausgestattete Kammer in einem anderen Flügel des Schlosses. Ihre Nachbarinnen waren leider Theodora und Marian, deren Gemach deutlich größer war und die dort bis in die späte Nacht hinein lachten und musizierten. Aber das Bett, in dem sie nun mit ihrer Mutter schlief, verfügte über einen ausladenden Baldachin und war so weich, dass sie jeden Abend glaubte, in seinen Tiefen zu versinken wie in einem Ozean. Elizabeths Schneider, ein junger Franzose mit Kniebundhose und farbenfrohen Strümpfen, hatte sie aufgesucht, um neue Gewänder für sie zu entwerfen. Das ständige Ausmessen und Anprobieren war zwar ermüdend, aber als Froni in ein grünes Kleid mit einem seidenen Spitzenkragen schlüpfte, das an ihrem Körper entlangfloss wie Regen, verspürte sie erstmals in ihrem Leben Stolz, die Person zu sein, die sie war. Ihre Mutter hörte für eine Weile auf, zu seufzen und zu klagen.

„Wenn dein Vater dich sehen könnte!“, rief sie, sobald sie sich in dem neuen Zimmer eingerichtet hatten. „Er war enttäuscht, als ich ein Mädchen auf die Welt brachte, aber nun bist du wichtiger als alle deine Brüder!“

Ihr anerkennender, vor Glück strahlender Blick allein war all dies wert, dachte Froni. Doch bekam sie in Gegenwart der anderen Hofdamen immer noch Schweißausbrüche und manchmal auch Bauchschmerzen, wenn deren hämische Bemerkungen zu tief in ihr Fleisch schnitten. Nachts schrillte das boshafte Gelächter in ihren Ohren und raubte ihr mitunter den Schlaf. Sie verstand inzwischen leidlich Französisch, aber kein Wort Englisch, war dem Getuschel hinter ihrem Rücken daher hilflos ausgeliefert. Elizabeth beteiligte sich zwar nicht an den Gemeinheiten, nahm Froni aber auch nie in Schutz. Zu sehr war sie damit beschäftigt, Bankette, Theateraufführungen und Musikabende zu organisieren. In den Sommermonaten war der Altan, eine großzügig angelegte Aussichtsterrasse des Schlosses, ihr liebster Aufenthaltsort. Dort saß sie mit ihren Damen beim Musizieren, Singen und Kartenspielen. Zudem wurde das Heidelberger Schloss komplett umgestaltet. In dem Dicken Turm, der einst für militärische Zwecke erbaut worden war, richtete man nun einen großen Festsaal ein, der eine wunderbare Aussicht auf die umliegenden Hügel ermöglichte. Ein neuer Hofgarten mit Statuen und Springbrunnen, der Hortus Palatinus, sollte zu Ehren der neuen Kurfürstin angelegt werden. Der ausschweifende Lebensstil der jungen Schlossherrin weckte Missfallen unter den alteingesessenen Bewohnern des Gebäudes. Froni konnte zwar die missbilligenden Blicke der Frau von Zwergenstein und der anderen älteren Hofdamen als unnötigen Starrsinn abtun, aber auch ihre anderen Gefährtinnen gingen ihr nun plötzlich aus dem Weg. Friedrichs Lehrer Hans Meinhard von Schönberg war häufig damit beschäftigt, aufgebrachte Gemüter von Domestiken zu schlichten, da Elizabeths Gefolgschaft sie von ihren angestammten Aufgaben verdrängt hatte.

Froni wusste, dass sie es gut getroffen hatte. Sie musste nicht mehr Porzellanfiguren herumtragen und sich dem Kommando von Monsieur Cherbault beugen. Sie aß tagtäglich köstliche Speisen, lauschte Sängern und Musikanten und vorgetragenen Gedichten, die sie meistens nicht verstehen konnte. Bei den endlosen Banketten, wo Elizabeths Hofdamen und Gefolgsmänner sich versammelten, redete sie meistens wenig, weil sie Angst hatte, als unwissend durchschaut zu werden. Vom Klatsch am englischen Königshof hatte sie keine Ahnung, die Namen der beliebten Dichter und Sänger waren ihr unbekannt. Ein gewisser Shakespeare wurde ständig erwähnt, denn Elizabeth schätzte offenbar seine Werke.

Vor dem Einzug der englischen Königstochter waren die Festlichkeiten auf dem Schloss wesentlich seltener gewesen und hatten sich auf ausgelassene Saufgelage beschränkt, denen anständige junge Frauen besser fernblieben. Nun wurde plötzlich über Nymphen und in sie verliebte Schäfer parliert, elegant getanzt und auf Französisch gesungen. Manchmal hatte Froni den Eindruck, dass hinter all diesen raffinierten Manieren letztendlich nur das Bedürfnis steckte, auf sich aufmerksam zu machen und zu kokettieren, wie auch in jedem Wirtshaus der Stadt. Nur bedurfte es hier besonderer Kenntnisse, um zu gefallen, über die sie nicht verfügte. Es störte sie aber nicht besonders, dass die jungen Herren ihr kaum Beachtung schenkten. Die Bemühungen mancher junger Hofdame um männliche Aufmerksamkeit schienen ihr fast erbarmungswürdig und sie hätte diese Frauen bemitleidet, wären sie nur etwas freundlicher zu ihr gewesen. Im Grunde saßen sie alle im selben Boot, ganz gleich, ob sie auffielen oder unscheinbar blieben. Sobald Elizabeth Stuart einen Raum betrat, hingen alle Augenpaare an ihr und andere weibliche Wesen verblassten zu grauen Schatten. Friedrich konnte nicht immer an den Festen teilnehmen, da die Staatsgeschäfte ihn in Anspruch nahmen, aber er erschien so oft wie nur möglich. Manchmal sank er vor seiner Frau in die Knie und trug ihr französische Gedichte vor, während der versammelte Hofstaat angeregt lauschte. In diesen Momenten verspürte Froni wieder jenen Schmerz, den sie hatte begraben wollen, indem sie sich einen schützenden Panzer schuf. Zwar hatte sie sich keine solche Verehrung von ihm gewünscht, aber zuzusehen, wie sie einer anderen Frau zuteilwurde, tat weh. Auch Marian und Theodora, ja fast alle anwesenden jungen Damen, erblassten jedes Mal vor Neid, wohl in der Ahnung, dass ein derart hingebungsvoller Verehrer ihnen niemals zustehen würde.

Sophia von Falkenhagen sprach Froni eines Tages im Korridor des Schlosses an und erkundigte sich durchaus freundlich, ob sie auch einmal an einem der Bankette teilnehmen dürfte. Dabei funkelten ihre Augen wie die einer hungrigen Straßenkatze. Froni fragte sich, was die junge Frau sich davon erhoffte, versprach aber, bei Elizabeth ein Wort für sie einzulegen. Die junge Kurfürstin nickte nur kurz, als Sophia ihr als mögliche neue Hofdame vorgeschlagen wurde.

„Sie ist doch schon vermählt. Das dürfte nicht einfach werden.“

„Ihr Gemahl ist ein alter Mann, der es sicher begrüßen würde, wenn sie ein wenig Unterhaltung hat“, erwiderte Froni schnell. Sie wusste nicht, ob das stimmte. Aber kein Mann von Verstand und Ehrgeiz konnte etwas dagegen haben, wenn seine Gemahlin der wichtigsten Frau in diesem Schloss näherkam. Sie ging davon aus, Sophia einen guten Dienst erwiesen zu haben. Zwar nickte Elizabeth wieder nur kurz, aber Froni hatte inzwischen bemerkt, dass die Kurfürstin meistens aufmerksamer zuhörte, als es den Anschein hatte.

Eine Woche danach musste Sophia das Schloss verlassen, um sich auf die Burg ihres Gatten zurückzuziehen. Es hieß, der alte Edelmann fürchte, sie könnte bei den Festen der englischen Königstochter schlechtem Einfluss ausgesetzt sein. Froni kannte die genauen Hintergründe nicht, aber sie verspürte tiefes Mitgefühl für Sophia. Sich derart den engstirnigen Vorstellungen eines Mannes fügen zu müssen, konnte keine Freude sein.

Vielleicht würde sie niemals heiraten, überlegte sie. Sie konnte an Elizabeths Seite bleiben, bis sie alt und grau geworden war. Die Gehässigkeit der anderen Damen schien plötzlich harmlos im Vergleich zu der Tyrannei eines alten Mannes und ihr wurde erstmals bewusst, dass sie der Kurfürstin dankbar sein konnte. Indem sie in ihre Dienste getreten war, wurde sie von der Notwendigkeit befreit, möglichst schnell einen Ehemann zu finden.

Sophia suchte sie vor der Abreise noch einmal in ihrem Gemach auf. Sie hielt sich aufrecht, aber ihre Augen waren rot von vergossenen Tränen.

„Ihr habt mehr Glück, als Ihr verdient. Wisst es zu schätzen, denn vielleicht dauert es nicht ewig“, zischte sie, wandte sich dann wortlos ab und ging.

Einen Monat nach Sophias Abreise saß Froni zusammen mit den anderen Damen in Elizabeths Gemach. Es war Winter geworden und das knisternde Kaminfeuer verbreitete eine angenehme Wärme, die nicht jedem im Schloss vergönnt war. Tagsüber hatte ein Jagdausflug stattgefunden und Froni hatte sich mühsam auf dem Pferd gehalten, weil sie das Reiten kaum gewöhnt war. Elizabeth hingegen liebte die Jagd und erwies sich dabei auch als unerwartet begabte Schützin, indem sie gleich mehrere Hirsche erlegte.

Die Tür ging auf und Colonel Schomberg trat ein. Sie hatte ihn schon etliche Male dabei beobachtet, wie er eine Unterhaltung mit Elizabeth suchte, aber immer wieder abgewiesen wurde. Nun stellte er sich entschlossen vor der Königstochter auf, verneigte sich kurz und begann dann zu reden.

„Ich habe Euch einige Vorschläge zu unterbreiten, Eure Hoheit. Ihr solltet besser auf eine sinnvolle Verwaltung Eurer Garderobe achten. Tragt ein Gewand erst, wenn es bezahlt wurde. Fertigt eine Liste jener Gewänder an, die Ihr besitzt, trennt Euch von jenen, die Ihr nicht mehr braucht, aber überlegt, ob es nicht vertretbar wäre, manchmal ein Kleid zweimal zu tragen.“

Er warf Elizabeth einen mahnenden Blick zu. Sie lächelte desinteressiert und kraulte ihren Schoßhund.

Der Colonel räusperte sich.

„Was den Umgang mit Euren Dienern betrifft, so würde ich Euch raten, den Klatsch und Tratsch besser zu kontrollieren. Erlaubt Leuten nicht, durch Schmeichelei Eure Gutmütigkeit auszunutzen. Ich würde mir wünschen, dass Euer Verhalten mehr von Verstand und Ordnung geleitet wird.“

„Ich danke Euch für Eure Ratschläge“, erwiderte die junge Kurfürstin auf Französisch. „Ihr habt Euch große Mühe gegeben und das weiß ich zu schätzen. Nun wünsche ich Euch einen angenehmen Abend, Colonel.“

Sie reichte ihm ihre Hand, die er ergeben küsste, dann verabschiedete er sich mit einer Verbeugung.

Kaum war die Tür hinter ihm zugefallen, stieß Elizabeth ein zartes Kichern aus, in das ihre Hofdamen folgsam einstimmten.

„Er macht sich so viele Sorgen, le pauvre“, meinte die Königstochter. „Kein Wunder, dass er schon ganz graue Haare hat. Nun lasst uns mit dem Kartenspiel fortfahren.“

Sie setzte den Schoßhund auf den Boden und beugte sich zum Tisch. Froni wusste, dass sie sich nun an dem Spiel beteiligen sollte, denn es war ihre Aufgabe, die neue Kurfürstin zu unterhalten.

Eine Stunde später verspürte sie bereits tiefe Müdigkeit und wäre gern zu ihrer Mutter schlafen gegangen, aber das stand ihr nicht zu, bevor die Kurfürstin sie entlassen hatte. Das ständige Geplauder um sie herum strengte sie an. Sie glaubte manchmal, sich in einer Blase zu befinden, die durch fremdes Gewässer schwebte. Platzte die Schutzschicht um sie herum, drohte sie zu ertrinken.

Das Kartenspiel konnte Fronis Aufmerksamkeit nicht wirklich fesseln. Sie hatte die Regeln noch nicht ganz begriffen und rechnete damit zu verlieren, was sie sich aber dank der großzügigen Entlohnung durch Elizabeth leisten konnte. Manchmal kraulte sie Elizabeths kleinsten, wuscheligen Schoßhund, der sie als Einziger unter der Hofgesellschaft wirklich ins Herz geschlossen hatte und sich gern unter ihren Röcken verkroch, wenn seine Herrin ihn gerade nicht beachtete. Die junge Kurfürstin hatte seit einigen Wochen auch ein kleines Äffchen, ein Geschenk ihres aufmerksamen Gemahls. Das Affenmädchen hieß Anne und hatte es in sehr kurzer Zeit geschafft, den armen Hund vom Schoß seiner Herrin zu verdrängen. Für Affen konnten hübsche Gewänder angefertigt werden und sie schienen sich sogar darüber zu freuen, dachte Froni und streichelte dem Hündchen tröstend über den Kopf, da es mit der menschenähnlichen Rivalin nicht mithalten konnte.

Als in ihrem Rücken die Tür aufschwang und Friedrich in klangvollem Französisch seine Frau begrüßte, fielen ihr vor Schreck fast die Karten aus der Hand.

Die anderen Hofdamen erhoben sich und knicksten, wie von unsichtbaren Schnüren gezogene Marionetten. Froni tat es ihnen gleich, auch wenn sie ein klein wenig später dran war und vermutlich nicht ganz so elegant dabei wirkte. Ihr fiel wieder auf, wie anziehend Friedrich aussah mit seinen dichten, dunklen Locken und dem strahlenden Gesicht. Seit seiner Vermählung mit Elizabeth hatte er keine Anflüge von Schwermut mehr gezeigt, sondern schwebte auf einer Wolke des Glücks durch die Korridore der Burg.

„Bonjour, ma chère!“

Er küsste seine Frau auf die Wange, bevor er die anderen Damen auch nur wahrgenommen hatte. Dann lächelte er sie der Reihe nach an, so, wie ein gütiger Herr Almosen an Bedürftige verteilte. Theodoras blasse Wangen bekamen ein wenig Farbe. Friedrichs Talent, die Herzen junger Frauen zu gewinnen, war mit seiner Vermählung nicht schwächer geworden.

Auf einmal spürte Froni seinen Blick auf sich ruhen. Es war das erste Mal seit seiner Rückkehr aus England, dass er sie nicht völlig übersah.

„Wie geht es Euch, Fräulein von Odenwald? Es freut mich, Euch unter den Damen meiner werten Gemahlin zu sehen. Sie ist stets voll des Lobes über Euch.“

Er hatte auf Deutsch gesprochen, was bei den Versammelten ein leichtes Stirnrunzeln auslöste. Da Elizabeth keinerlei Bemühungen zeigte, die Sprache ihres Gatten zu lernen, hielten ihre Gefolgsdamen das auch nicht für nötig. Froni konnte sich nicht vorstellen, dass Elizabeth sie jemals ihrem Gemahl gegenüber erwähnt hatte. Aber allein der Umstand, dass Friedrich ihr nun Aufmerksamkeit schenkte, kam einer Auszeichnung gleich. Sie spürte, dass ihre Wangen zu glühen begannen.

„Ich danke Euch für Eure Fürsorge. Es könnte mir in Obhut Eurer Gemahlin nicht besser gehen“, erwiderte sie mit züchtig niedergeschlagenem Blick. Ein Teil von ihr vermisste mit erneuter Heftigkeit die alte Vertrautheit, die früher zwischen ihnen geherrscht hatte. Aber das war nun nicht mehr möglich.

Elizabeth forderte Marian auf, dem Kurfürsten einen Becher Wein einzuschenken. Das Mädchen gehorchte mit vor Aufregung zitternden Händen, während Friedrich neben Elizabeth auf dem Kanapee Platz nahm.

„Ich habe aufregende Neuigkeiten für meine Astrée“, sagte er nun wieder auf Französisch an Elizabeth gewandt. Froni wusste inzwischen, dass er auf eine Figur aus einem sehr beliebten Roman anspielte, auch wenn sie bisher nicht die Geduld und Zeit gehabt hatte, das Buch selbst zu lesen. Astrée, eine Schäferin, und ihr Geliebter Céladon mussten darin viele Abenteuer bestehen, bevor sie endlich zusammenkamen. Friedrichs Vermählung war viel schneller vorangegangen, dachte sie spöttisch. Aber das hinderte ihn nicht daran, in seinen Briefen an Elizabeth stets mit Céladon zu unterschreiben.

Nun drehte er das Weinglas in der Hand und musterte die goldene Schraffur.

„Ich glaube, Euer ergebener Diener könnte seiner Angebeteten doch noch eine Krone aufs Haupt setzen, wie sie es verdient.“

Friedrichs Augen leuchteten stolz. Froni stockte der Atem. Hoffte er, der neue deutsche Kaiser zu werden?

„Ihr wisst, dass allein Eure Liebe genügt, um mich glücklich zu machen“, erwiderte Elizabeth schnell. Froni musste ein Kichern unterdrücken. Wessentwegen wurde denn das ganze Schloss gerade umgestaltet?

„Von welcher Krone redet Ihr?“, fragte die junge Kurfürstin auch schon. Friedrich räusperte sich und schwieg einen Moment, wie um die Spannung zu steigern.

„Die Krone Böhmens. Mein Hofrat Christian von Anhalt, dessen diplomatischen Bemühungen ich auch das Glück meiner Ehe zu verdanken habe, hat mir soeben mitgeteilt, dass sie mir angeboten werden könnte.“

Ein wenig klang er wie ein Schuljunge, der sogleich erzählen musste, dass er von seinem Lehrer gelobt worden war, befand Froni. Elizabeth blickte aufmerksam hoch.

„Anbieten? Wie kann eine Krone angeboten werden? Gott der Herr bestimmt in seiner Allmacht einen Herrscher.“

Froni fiel ein, dass ihr Vater die Idee vom Gottesgnadentum einmal als typisches Papistengeschwafel bezeichnet hatte. Aber niemand im Raum schien etwas an Elizabeths Denken befremdlich zu finden.

„Bei den Böhmen gibt es traditionell ein Wahlkönigtum“, erklärte Friedrich nun. „Ihr derzeitiger König ist unser Kaiser Matthias, ein Habsburger und erzkatholisch. Er kränkelt schon lange und hat keine Nachkommen. Es besteht guter Grund zu der Hoffnung, dass die Böhmen nun einen protestantischen Herrscher wollen werden, denn viele von ihnen gehören der reformierten Kirche an. So würde der Protestantismus in ganz Europa gestärkt werden, was in unser aller Sinne ist.“

Er lehnte sich zufrieden zurück. Elizabeth lächelte nur, aber ihre Augen hatten aufgeregt zu funkeln begonnen.

„Wie ich sagte, allein Eure Liebe genügt mir, mein Gemahl.“

Froni dachte nicht darüber nach, warum Elizabeth nicht offen zugeben wollte, wie sehr diese Aussicht ihr gefiel. Die Neuigkeiten nahmen ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Bisher hatte sie nicht viel von Politik mitbekommen, weil ihre Mutter sie stets ermahnte, eine Frau solle sich in diese Angelegenheiten nicht einmischen. Aber all das klang überaus aufregend. Die Habsburger galten als Erzfeinde der reformierten Kirche, bemüht, alle protestantischen Glaubensrichtungen in ihren Ländereien auszurotten. Gleichzeitig waren sie eine überaus mächtige Dynastie. Wäre es tatsächlich möglich, einen von ihnen so einfach abzusetzen?

„Ich dachte, ich erzähle es Euch als Allererster“, meinte Friedrich strahlend. „Nun muss ich wieder zu meinen Ministern. Ich hoffe, ich habe Euch eine Freude gemacht, ma chère Astrée.“

Elizabeth nickte und schenkte ihm ein weiteres Lächeln, bevor er hinausging. Dann blieb sie eine Weile etwas verwirrt und nachdenklich sitzen, reichte dem Affen Zuckerstücke und drehte einen Ring an ihrem Finger. Die Hofdamen schnatterten unruhig, aber ihre Herrin schwieg. Zu Fronis Erstaunen forderte sie die Damen bald darauf auf, nun zu Bett zu gehen.

Obwohl die Mädchen es gewohnt waren, bis in die späten Nachtstunden bei der Kurfürstin zu sitzen, entfernten sie sich ohne Widerworte. Froni ging davon aus, dass sie sich als Einzige darüber freute. Sie sehnte sich nach ihrem weichen Bett, wo ihre Mutter bereits seit mehreren Stunden friedlich schlummerte. Doch als sie schon auf der Türschwelle stand, rief Elizabeth ihren Namen.

„Ich habe noch kurz mit Euch zu reden, Fräulein von Odenwald.“

Ein paar giftige, neidische Blicke trafen Froni, die einen Seufzer unterdrücken musste. Elizabeth hielt ihr mit durchaus freundlicher Miene einen weiteren Becher hin. Der Hund watschelte sogleich mit wedelndem Schwanz an ihre Seite. Froni kraulte ihn zwischen den Ohren.

„Henry mag Euch sehr, scheint es“, meinte Elizabeth. Froni erfuhr zum ersten Mal, dass das Hündchen einen Namen hatte.

„Ich bin mit Tieren aufgewachsen. Mein Vater hatte mehrere Hunde“, erzählte sie, um nicht einfach stumm dazustehen. Es waren allerdings Jagdhunde gewesen, keine kleinen Wesen wie Henry, dessen einziger Daseinszweck darin bestand, mütterliche Empfindungen in vornehmen Damen zu wecken.

„Wenn Ihr wollt, könnte ich es zu Eurer Aufgabe machen, Euch um Henry zu kümmern“, bot Elizabeth ihr plötzlich an. „Seit ich Anne habe, vernachlässige ich ihn ein wenig, fürchte ich.“

Sie schob der Äffin Konfekt in den Mund. Immerhin war ihr aufgefallen, dass der Hund ihre Zuwendung vermisste. Aber war Froni nur zurückgehalten worden, weil die Kurfürstin eine Amme für ihr Schoßhündchen brauchte?

„Es wäre mir eine Ehre, Euer Durchlaucht“, sagte sie schnell. Tatsächlich wäre sie froh über eine solche Aufgabe. Mit seinem treuherzigen, manchmal tieftraurigen Blick erinnerte Henry sie an sich selbst, nachdem Friedrich sich von ihr abgewandt hatte.

„Soll ich den Hund heute Nacht mit in mein Gemach nehmen?“, fragte sie in der Hoffnung, gemeinsam mit Henry entlassen zu werden. Elizabeth antwortete nicht gleich, sondern nippte an ihrem Weinbecher.

„Wenn es Euch genehm ist. Ich erwarte ohnehin Besuch von meinem Gemahl.“

Ihr Gesicht bekam ein wenig Farbe. In Fronis Magen entstand ein kurzer, heftiger Krampf. Sie hatte eine Ahnung von den Dingen, auf die Elizabeth anspielte, eben weil sie die Hunde ihres Vaters beobachtet hatte. Zunächst war die Vorstellung, dass Ähnliches zwischen Menschen stattfand, ihr unglaubwürdig, ja lächerlich vorgekommen. Aber in Friedrichs Nähe hatte sie manchmal die Sehnsucht nach einer möglichst innigen Vereinigung überkommen, die wohl den Zauber dieser Handlungen ausmachte.

Nun würde sie das niemals mit ihm erleben können, weil es Elizabeth vorbehalten war.

„Ich habe schon lange auf eine Gelegenheit für ein Gespräch unter vier Augen mit Euch gewartet“, sagte die Kurfürstin überaus freundlich.

Froni murmelte, dass es ihr eine Ehre sei. Sie verstand nicht, warum Elizabeth deshalb hätte warten müssen. Als Schlossherrin konnte sie ihre Hofdamen selbst mitten in der Nacht zu sich bestellen, wenn ihr der Sinn danach stand. Vor allem aber begriff Froni nicht, worüber Elizabeth so unbedingt mit ihr reden wollte.

Die blauen Augen musterten sie über den Rand des Weinbechers hinweg mit erstaunlicher Aufmerksamkeit.

„Setzt Euch und erzählt mir bitte, ob Ihr die Mätresse meines Gemahls gewesen seid“, begann die Kurfürstin völlig gelassen. „Er bestreitet es und bezeichnet Euch als sehr tugendhaft. Aber ich weiß, dass Männern niemals ganz zu trauen ist. Nicht einmal meinem süßen Céladon.“

Froni war dankbar, dass sich ein Stuhl dicht neben ihr befand, sonst wäre sie in die Knie gesackt. Ihr ganzer Körper fühlte sich plötzlich schwach an, als hätte sie eine schwere Krankheit hinter sich. Wollte Elizabeth sie für etwas strafen, das nie geschehen war?

„Ich … ich habe nicht … ich würde nie …“

Sie konnte selbst hören, dass ihr Französisch auf einmal wieder so miserabel klang wie am Tag von Elizabeths Eintreffen. Das glockenhelle Lachen der jungen Kurfürstin kam ihr plötzlich so bedrohlich vor wie Donnergrollen.

„Schon gut, ich sehe, Ihr seid in der Tat das gutgläubige Zicklein, als das Friedrich Euch beschrieben hat. La petite chèvre“, sagte Elizabeth nun durchaus freundlich. Fronis Lippen formten Worte des Dankes, obwohl ihr nicht gerade geschmeichelt worden war. Aber Elizabeth hätte sie auch als Lügnerin beschimpfen und hinauswerfen können.

„Es wäre allerdings klüger gewesen, Ihr hättet Euch schwängern lassen“, fuhr die Kurfürstin fort.

Froni befürchtete, mit offenem Mund dazusitzen.

„Aber …“

„Das hätte Euch eine lebenslange Rente garantiert. Friedrich hat seine Flausen wie jeder Mann, aber im Grunde seines Herzens ist er anständig. Er würde keinen seiner Bastarde unversorgt lassen.“

Das stimmte wahrscheinlich. Sämtliche Protestworte blieben in Fronis Kehle stecken, Trauer schwemmte ihr Tränen in die Augen. Vielleicht hätte sie tatsächlich Friedrichs Geliebte werden sollen, als noch eine Gelegenheit dazu bestanden hatte.

„Ma pauvre petite, er ist doch nicht der einzige Mann auf Gottes Erden“, sagte Elizabeth und schob ihr ein Spitzentaschentuch zu, das Froni verlegen annahm.

„Er redete stets mit viel Zuneigung von Euch“, erzählte die Kurfürstin weiter. „Er beschrieb Euch als eine vertrauenswürdige Person. Daher beschloss ich, Euch zu meiner Hofdame zu machen. Wer wie ich sein Leben an einem Königshof verbracht hat, weiß, wie selten Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit sind, vor allem unter Frauen.“

Mit einem Schluck Wein versuchte Froni, ihre Nervosität und aufsteigende Übelkeit zu bekämpfen. Sie kam sich vor wie Henry, der gerade ein paar Streicheleinheiten erhielt, um bald darauf wieder vergessen zu werden. Elizabeth sprach ohne jede Eifersucht, zeigte keinerlei Sorge, sich eine Rivalin in ihren vertrauten Kreis geholt zu haben.

Das tat sie, weil sie wusste, dass keinerlei Gefahr für sie bestand. Eine Frau wie Elizabeth konnte sich Großzügigkeit gegenüber ihren Geschlechtsgenossinnen erlauben, da sie jede von ihnen mühelos in den Schatten stellte. „Und in diesem Schatten werde ich bleiben, bis ich wirklich alt und grau geworden bin“, dachte Froni bitter. Friedrich mochte nicht der einzige Mann auf Gottes Erden sein, aber für sie hatte er alle anderen verdrängt.

Elizabeth war aufgestanden und mit der Äffin auf dem Arm vor ihren Spiegel getreten. Dann setzte sie Anne auf dem Boden ab, um kurz ihr Haar zu richten.

„Wart Ihr jemals in Böhmen, Fräulein von Odenwald?“

Froni schüttelte den Kopf.

„Ich hoffe, meine Untertanen dort werden mich lieben, auch wenn es sicher Schwierigkeiten mit sich bringt, Friedrich auf den Thron zu setzen.“

„Das werden sie zweifellos, Euer Durchlaucht!“, sagte Froni schnell. Es war ehrlich gemeint gewesen, aber hatte bitterer geklungen als gewünscht.

Die Spionin des Winterkönigs

Подняться наверх