Читать книгу Die Spionin des Winterkönigs - Tereza Vanek - Страница 12

4. Kapitel

Оглавление

Die nächsten Wochen wurde Fronis Leben derart von politischen Neuigkeiten durcheinandergewirbelt, dass sie kaum Gelegenheit hatte, über Karls Angebot nachzudenken. Christian von Anhalt, Friedrichs langjähriger Vertrauter, hielt sich in der Nähe von Prag auf, um dort seine Interessen zu vertreten. Gleichzeitig hatte der Kurfürst bereits ein kleines Heer aufgestellt, das unter der Führung des Grafen Ernst von Mansfeld gen Böhmen marschierte und Pilsen belagerte. Friedrich durfte dennoch nicht offen für die Aufständischen Partei ergreifen, wie Elizabeth ihren Damen klagend mitteilte. Alle seine Hofräte mahnten zur Vorsicht, auch die anderen Fürsten der Protestantischen Union warnten vor übereilten Schritten, solange der alte Habsburger Kaiser Matthias noch lebte. Vielleicht würde die Lage sich ja wieder beruhigen.

Das hoffte Froni im Stillen ebenfalls. Ihrer Mutter, die nach dem Umzug in bessere Gemächer zunächst aufgeblüht war, ging es nun wieder schlechter. Auch der persönliche Leibarzt der Kurfürstin, den Elizabeth ihr großzügig zur Verfügung stellte, vermochte daran nichts zu ändern. Froni wollte der hustenden, fiebernden alten Frau keine längere Reise zumuten, konnte sich aber auch nicht vorstellen, sie vielleicht allein in Heidelberg sterben zu lassen, weil sie selbst mit dem Fürstenpaar nach Prag umgesiedelt war. Die Tage begannen allmählich wieder frostiger zu werden und sie war dankbar für den stets warmen Kamin, den sie ihrer Mutter nun bieten konnte.

Karl bekam sie seltener zu Gesicht als früher, da Elizabeth häufig nach ihren Damen verlangte. Die Unsicherheit, ob sie nun doch eine Königskrone würde tragen können oder nicht, schien die Kurfürstin nervös zu machen. Sie wollte ständig mit Musik oder dem Vorlesen von Romanen unterhalten werden. Allein, wenn Friedrich sie aufsuchte, war ihren Gefolgsdamen eine Ruhepause vergönnt. Froni nutzte sie meistens, um nach ihrer Mutter zu sehen. Henry, der Schoßhund, hatte nun auch ein sehr ausgeprägtes Bedürfnis nach Ruhe, sodass er der alten Frau gern die Füße wärmte. Froni flößte ihrer Mutter regelmäßig Kräuteraufgüsse ein und wartete auf ein Klopfen an der Tür, das sie wieder zur Kurfürstin rufen würde.

Eines Nachmittags, als Ende November der erste Schnee gefallen war, kam das Klopfen sogar nach dem Abendmahl, obwohl Elizabeth sich hatte allein zurückziehen wollen. Froni klappte seufzend das Buch zu, aus dem sie ihrer Mutter vorlas, und eilte zur Tür. Zu ihrem Erstaunen standen weder Theodora Bryant noch Marian Lacey im Korridor. Nur ein einsamer Lakai winkte ihr ungeduldig zu und sie folgte, obwohl sie nicht verstand, warum sie allein zur Kurfürstin gerufen wurde.

In einigen anderen Räumen wurde noch gefeiert und laut geredet, doch je näher sie dem Gemach der Kurfürstin kamen, desto stiller wurde es. Der Lakai öffnete die Tür und schob Froni herein, nachdem er sich kurz verbeugt hatte. Sie trat zögernd über die Türschwelle. Das Kaminfeuer prasselte noch, Anne, die Äffin, sprang auf dem Kanapee herum und die Schoßhündchen schliefen auf einem Teppich vor dem Bett. Elizabeth selbst saß auf einem Stuhl und hatte die Hände zum Gebet gefaltet, ein ungewöhnlicher Anblick. Auch ihr Gesicht wirkte erstaunlich ernsthaft, völlig frei von dem Bestreben, gefällig und bezaubernd auszusehen. Froni bekam das Gefühl, ein ungebetener Eindringling zu sein.

„Wie schön, dass Ihr noch kommen konntet, Fräulein von Odenwald“, sagte Elizabeth, ohne sich zu ihr umzudrehen. „Ich möchte gern mit Euch reden, falls Eure Mutter Euch einen Augenblick entbehren kann.“

„Meine Mutter schläft bereits“, erwiderte Froni wahrheitsgemäß. Die bei Hofe jetzt so beliebten Liebesromane hatten bei ihrer Mutter meistens nur die Wirkung, sie schnell zum Schnarchen zu bringen. Dass sie sich selbst auch am liebsten schon niedergelegt hätte, ließ sie besser unerwähnt.

„Setzt Euch zu mir“, forderte Elizabeth sie auf. „Mein Gemahl hat heute Abend ein längeres Gespräch mit seinen Hofräten. Ich brauche jemanden, mit dem ich reden kann, und Ihr scheint mir vertrauenswürdig.“

Froni begriff nicht ganz, womit sie diese Ehre verdiente, aber ihr blieb gar nichts anderes übrig, als zu gehorchen. So nahm sie der Kurfürstin gegenüber Platz. Elizabeths Gesicht wirkte ungewohnt müde. Schatten lagen unter ihren Augen und sie hatte rote Flecken am Hals, wie von ungewohnter Aufregung. Der Spitzenkragen ihres Kleides war zerknittert, ein noch die da gewesenes Zeichen der Nachlässigkeit.

„Ich habe heute ein Schreiben von meinem Vater, dem englischen König, erhalten“, sagte Elizabeth ohne weitere Umschweife. Froni nickte. Was war daran so ungewöhnlich, dass sie spätabends noch herkommen musste?

„Ich hatte Friedrich gebeten, meinem Vater selbst als Erste von unseren Aussichten auf den böhmischen Thron berichten zu dürfen“, erzählte Elizabeth weiter. „Ich war überzeugt, dass er sich für mich freuen und mir alle nötige Unterstützung versprechen würde.“

Davon war Froni auch ausgegangen, aber Elizabeths unglückliches, fast kindlich empörtes Gesicht deutete auf eine andere Art von Antwort hin.

„Er rät mir ab!“, rief Elizabeth auch schon und wedelte mit einem Schreiben, dessen königliches Siegel gebrochen war. „Er sagt, es wäre ein zu waghalsiger Schritt, einem bereits ernannten König seine Krone zu rauben. Wir würden die Ordnung in der Welt durcheinanderbringen und auch gegen den Willen Gottes verstoßen.“

Froni schluckte, denn sie hätte sich nicht vorstellen können, dass ihr Vater oder auch irgendein anderer Mann so hart mit Elizabeth ins Gericht gehen würde. Zudem war sie wie die meisten der Hofdamen davon ausgegangen, der englische König würde die protestantische Seite unterstützen. Die Neuigkeiten verwirrten sie und sie hätte gern eine Weile in Ruhe darüber nachgedacht. Da Elizabeth aber begonnen hatte, aufgeregt im Raum herumzulaufen, war das kaum möglich.

„Mein Vater sagt, ich hätte einen Kurfürsten geheiratet, keinen König. Also solle ich mich damit zufriedengeben, Kurfürstin zu sein. Als ob es allein darum ginge!“

Nun war Elizabeth so abrupt stehen geblieben, dass die Hunde erstaunt ihre Köpfe hoben und Anne einen beunruhigten Ruf ausstieß.

„Für mich waren der französische und der spanische König als mögliche Ehemänner im Gespräch“, redete Elizabeth aufgebracht weiter. „Wenn es mir um eine Krone ginge, so hätte ich sie haben können. Aber ich wollte einen protestantischen Gemahl, um meinem Glauben treu bleiben zu können. Als ich Friedrich sah, da wusste ich, dass ich keinen anderen heiraten würde als ihn.“

„In diesem Fall“, wagte Froni leise einzuwerfen, „könntet Ihr doch auf den Rat Eures Vaters hören und zufrieden als Kurfürstin leben.“

Es würde so viele Dinge erleichtern. Froni könnte bei ihrer Mutter bleiben und in Ruhe nachdenken, ob sie Karls Angebot annehmen wollte.

„Ich bin zufrieden als Kurfürstin!“, erwiderte Elizabeth nun mit erstaunlicher Ruhe und setzte sich wieder auf ihren Stuhl. „Mir gefällt es in Heidelberg. Das Schloss ist inzwischen so umgebaut worden, dass es sich gut darin leben lässt. Aber Friedrich … ich wollte mit Euch reden, weil ich weiß, dass Ihr ihn ebenfalls gut kennt … also Friedrich glaubt an seine Bestimmung. Er will für die Sache der Protestanten kämpfen, versteht Ihr?“

Mit Unbehagen bemerkte Froni, dass sie tatsächlich verstand. Friedrich hatte stets zwei Seiten gehabt – wie eine Münze, die immer wieder neu geworfen wurde. Aus dem gefälligen Märchenprinzen, der seine wunderschöne Frau anbetete und ihr zu Ehren rauschende Feste feiern ließ, konnte ganz plötzlich ein todernster, fast schwermütiger junger Mann werden. Er hatte sich stets berufen gefühlt, den Anspruch der Protestanten auf freie Religionsausübung zu verteidigen, denn es war schwer genug gewesen, diesen im deutschen Reich durchzusetzen.

„Vielleicht sollte er abwarten, was die anderen Fürsten der Protestantischen Union meinen“, schlug Froni nach kurzem Überlegen vor, denn einen besseren Rat wusste sie nicht. Die Lage wurde immer verworrener, je genauer man sie betrachtete. Elizabeth stieß einen tiefen Seufzer aus.

„Sie raten ihm ab. Alle raten ab.“

„Nun, wenn alle dagegen sind …“, begann Froni fast mit Erleichterung, dass wieder Ordnung in die Welt zurückkehrte. Welcher Sinn läge darin, wenn Friedrich es allein mit dem Habsburger Kaiser aufnahm?

„Aber er ist so überzeugt von seinem Vorhaben“, unterbrach Elizabeth mit betrübter Miene. „Er sieht es als sein Lebenswerk an. Mein Vater sagt, ich soll meinen Einfluss als Gemahlin geltend machen, damit er davon Abstand nimmt. Ich weiß, dass Friedrich mir viele Wünsche erfüllen würde, aber bei diesem bin ich mir nicht sicher.“

„Ihr könntet es versuchen“, schlug Froni vor. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Friedrich seiner wunderschönen Gemahlin irgendetwas abschlagen würde. Dann fiel ihr wieder ein, wie todernst, fast verbissen sein Gesicht stets gewesen war, wenn er von seiner Verantwortung gesprochen hatte. Ihre Überzeugungen gerieten erneut ins Wanken.

„Zudem scheint es mir richtig, die Böhmen nicht im Stich zu lassen“, erklang plötzlich wieder Elizabeths Stimme. „Friedrich und ich, wir sind ein protestantisches Herrscherpaar und haben unsere Aufgaben vor Gott zu erfüllen.“

Ihr Gesicht begann von innen zu strahlen, was sie bezaubernd aussehen ließ, obwohl sie weder frisiert noch geschminkt war. Froni begriff, dass die junge Kurfürstin wirklich an diese Worte glaubte. Auch Elizabeth war mehr als nur eine schöne Puppe, die gefallen wollte. Mit Friedrich verband sie die Liebe zur Poesie und höfischen Lebensart, aber auch eine tiefe Überzeugung angesichts ihrer Bestimmung im Leben.

„Ich denke, Ihr solltet abwarten, Euer Durchlaucht“, sagte Froni nur. „Vielleicht findet sich für alles mit der Zeit eine Lösung.“

Eine bessere Antwort wusste sie nicht und die neuen Erkenntnisse hatten sie noch weiter ermüdet. Sie fühlte sich nicht in der Lage, Elizabeth einen hilfreichen Rat zu geben, zu stark war der Wunsch, einfach neben ihrer Mutter in dem weichen Bett liegen zu dürfen, das ihr als Hofdame zustand.

Noch lebte Matthias, deutscher Kaiser und böhmischer König, auch wenn er kränkelte. Bis zu seinem Tod konnte noch einige Zeit vergehen. Vielleicht würden die Böhmen sich mit dem katholischen Ferdinand arrangieren. Oder aber Friedrich würde mehr Leute finden, die ihn unterstützten. Auf die eine oder andere Weise konnte Gott ihm seinen Willen zeigen.

„Ja, Ihr habt wohl recht.“

Elizabeth lächelte beinahe erleichtert und begann, eine Banane für Anne zu schälen. Diese alltägliche Beschäftigung half, ihre Verkrampfung zu lösen. Die Äffin hüpfte freudig herbei. Elizabeth kraulte ihr den Kopf, während sie sie fütterte.

„Bitte versprecht mir, dass Ihr an meiner Seite sein werdet, Fräulein von Odenwald“, meinte sie dabei fast beiläufig, „wenn Friedrich den Weg geht, den Gott der Herr ihm vorgibt. Ihr versteht meinen Gemahl und er schätzt Euch. Ich selbst schätze Euch ebenfalls, denn Ihr seid als meine Hofdame stets umgänglich und einsichtig gewesen.“

Froni staunte, wie sehr dieses Lob sie freute. Sie hatte Elizabeth niemals hassen können, obwohl sie ihr Friedrich genommen hatte. In diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie die wunderschöne, eitle, aber manchmal auch sehr ernsthafte Kurfürstin sogar ins Herz geschlossen hatte.

„Ich verspreche es“, sagte sie mit völliger Überzeugung. Als Elizabeth bald darauf mit Anne weiterspielte, wurde ihr klar, dass sie endlich zu Bett gehen durfte.

Sie entfernte sich mit einem tiefen Knicks und hastete in ihr Gemach zurück. Erst unterwegs fiel ihr Karls Antrag wieder ein und sie hatte das Gefühl, durch ein Labyrinth zu irren. Kein Weg, den sie einschlug, schien mit Sicherheit auf ein klares Ziel zuzuführen.

Vielleicht würde Friedrich die böhmische Krone doch nicht bekommen und dann würde die Welt nicht in Aufruhr geraten. Als Froni sich umkleidete und ihr Haar bürstete, wünschte sie sich, es möge so sein.

In dem Moment, da sie sich schlafen legte, dachte sie weder an Karl noch an Friedrich. Henry lag grunzend zu ihren Füßen, ihre Mutter schlief wie ein Stein und ihr Atem rasselte etwas weniger als sonst in den letzten Nächten.

Froni wünschte sich nur Frieden für alle, die ihr nahestanden.

„Er ist tot! Kaiser Matthias ist tot!“

Der Lautenspieler verstummte, als hätte er begriffen, dass er nicht gegen das laute Rufen des Lakaien ankam. Elizabeth schubste Anne von ihrem Schoß und erhob sich.

„Wer schickt dich?“, fragte sie den jungen Mann mit hochroten Wangen, der ihr geselliges Beisammensein gestört hatte.

„Euer Gemahl, der Kurfürst, Euer Durchlaucht. Er wünschte, dass Ihr die Neuigkeit baldmöglichst erfahrt.“

Der Jüngling vollführte eine tiefe Verbeugung. Elizabeth musterte kurz ihre Damen, als wolle sie auf deren Gesichtern die allgemeine Stimmung ablesen.

„Nun, das ist bedauerlich“, verkündete sie nach einer kurzen Pause. „Wir werden natürlich für das Seelenheil des Kaisers beten, auch wenn er ein Papist war. Ruf mir meinen Priester!“

Der Lakai verbeugte sich nochmals und trat rückwärts aus dem Zimmer.

Elizabeth richtete sich auf. „Unerwartete Neuigkeiten, meine Damen. Es scheint, als wäre endgültig ein Stein ins Rollen gekommen.“ Ihre Augen glänzten fiebrig, aber ihr Gesicht wirkte völlig gefasst.

Froni bewunderte ihre Selbstbeherrschung. In ihrem eigenen Kopf wirbelten die Gedanken herum. Ein Thron war frei geworden und die Welt geriet dadurch aus dem Gleichgewicht. „Ferdinand wird der Nachfolger seines Onkels sein“, sagte sie zu Henry, der in ihrem Schoß grunzte. Das Leben musste einfach sein, wenn man ein Hund war. Man nahm nur jene Dinge wahr, die um einen herum geschahen, wusste nichts von weit entfernten Ereignissen und brauchte sich daher auch nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, welche Folgen sie haben konnten. Das ersparte einem unnötige Sorgen. Denn die Möglichkeit, selbst irgendetwas zu beeinflussen, war ohnehin verschwindend gering.

„Nun müssen die Böhmen sich endgültig entscheiden“, murmelte Theodora Bryant an ihrer Seite. „Ob sie uns wollen oder nicht.“

„Wie könnte jemand unsere Elizabeth und ihren Gemahl nicht wollen?“, erwiderte Marian Lacey unaufgefordert. Froni verstand diese Überlegung. Aber konnte man ein Land einfach dadurch beherrschen, dass man bezaubernd und kultiviert war? In Fronis Magen begann sich ein Ball aus Sorgen und bösen Ahnungen zu formen, der ein unangenehmes Stechen verursachte. Hier in Heidelberg hatte Friedrich seine Berater, nach deren Urteil er sich meistens richtete. Diese kämen natürlich auch nach Prag mit. Aber wären sie auch in der Lage, das Schiff zu lenken, wenn ein heftiger Sturm ausgebrochen war?

Froni griff nach einem Stück Gebäck auf dem Tisch und stopfte es sich hastig in den Mund. Der schwere, süße Geschmack auf ihrer Zunge wirkte beruhigend.

Sie war eine Dame der Kurfürstin. Ihre Aufgabe bestand darin, Elizabeth zu folgen und ihre Wünsche zu erfüllen. Wahrscheinlich sollte sie sich dies öfter in Erinnerung rufen.

Der anglikanische Priester in schwarzer Robe erschien, als Froni wieder angefangen hatte, Henry zu kraulen. Elizabeth hatte ihn aus ihrer Heimat mitgebracht, da sie sich nicht dem calvinistischen Ritus unterwerfen wollte. Sie falteten nun alle die Hände und sprachen ein englisches Gebet, denn die Franzosen waren Papisten, was ihre Sprache für religiöse Zwecke ungeeignet machte.

Elizabeths Hofstaat wünschte dem Habsburger Kaiser einen unbeschwerten Weg ins Himmelreich, nun, da er auf Erden Platz gemacht hatte. Die Stimmen der Damen klangen hell und heiter, als sie die Gebete sprachen, denn der Augenblick, auf den sie lange gewartet hatten, war eingetreten.

„Ich werde Friedrich aufsuchen“, meinte Elizabeth, als der Priester wieder gegangen war. „Er hat jetzt sicher wichtige Besprechungen, aber ich muss wissen, wann wir nach Prag aufbrechen, damit ich genug Zeit zum Packen habe. Meine Damen, macht Euch ebenfalls für die Reise bereit.“

Sie lächelte und ihr Gesicht strahlte vor Glück. Die Böhmen wären sicher stolz auf ihre Königin, sobald sie ihrer ansichtig wurden, dachte Froni. Sie selbst würde von ihrer Mutter Abschied nehmen und Karl erst einmal vertrösten müssen. All das stimmte sie traurig, aber gleichzeitig raste das Blut aufgeregt durch ihre Adern. Eine neue Stadt. Ein neuer König. Sie würde dabei sein, wenn die Welt sich veränderte.

Wider Erwarten verbrachten sie den Sommer des Jahres 1619 noch in Heidelberg, da Christian von Anhalt seinem Fürsten riet, erst einmal die politische Entwicklung in Böhmen abzuwarten. Nachdem Ernst von Mansfeld Pilsen erobert hatte, war das Land endgültig unter protestantischer Herrschaft, doch sollte Friedrich nicht nach Prag reisen, bevor er gerufen worden war.

Das Warten machte Elizabeth unruhig. Sie lächelte etwas seltener als sonst, erhob manchmal die Stimme gegen ungeschickte Dienstboten und einmal erhielt sogar die arme Anne eine Kopfnuss, nachdem sie eine Schale umgeworfen hatte. Doch wenn Friedrich in ihren Gemächern erschien, verwandelte seine Gemahlin sich wieder in ein völlig liebenswürdiges, geistreiches Geschöpf in Gewändern aus raschelnder Seide. Zum ersten Mal begriff Froni, dass dieses gefällige Benehmen ein Ergebnis bewusster Anstrengung war und nicht immer dem Naturell der Kurfürstin entsprach. Die Mühe lohnte sich, denn Friedrich schien Kraft aus der Gegenwart seiner Gemahlin zu ziehen. Er suchte sie nun noch öfter auf als früher und allein ihr Anblick genügte, um alle Schatten von seinem Gesicht zu verjagen. Meistens wurden die Damen sofort hinausgeschickt, sobald er die Türschwelle überschritten hatte.

„Es würde mich nicht wundern, wenn sie wieder schwanger wird, noch bevor wir nach Prag reisen“, murmelte Marian Lacey einmal, während sie gemeinsam hinausgingen. Theodora machte eine vorwurfsvolle Miene, aber Froni fand den Kommentar amüsant.

Marian sollte recht behalten. Im August begann Elizabeths Leib sich wieder zu wölben. Eben zu jener Zeit traf die Neuigkeit ein, dass die Böhmen Ferdinand von Habsburg den Thron aberkannt hatten. Im ganzen Schloss sorgte diese Nachricht für Jubel, selbst die Dienstboten tanzten, um den Sieg des Protestantismus über katholische Machtgier zu feiern. Froni wurde von Elizabeth in die Küche geschickt, um weitere Süßspeisen zu bestellen, und stieß dort auf eine ausgelassene Feier mit musikalischer Begleitung. Sie gesellte sich kurz dazu, denn sie hoffte, hier wieder auf Karl zu stoßen. Sie hatte ihn in den letzten Wochen bewusst gemieden, weil es ihr unangenehm war, ihn so lange hinhalten zu müssen. Nun hatten die Ereignisse ihr jede Entscheidung abgenommen. Sie würde mit ihrer Fürstin nach Prag reisen wie versprochen, konnte daher nicht die Gemahlin eines einfachen Ritters werden.

Die Luft in der Küche war stickig und voller Qualm, sodass Froni nach ihrem Eintreten sogleich husten musste.

„Hier, das wird Euch helfen“, vernahm sie auch schon Karls Stimme. Er hielt ihr einen Humpen Bier hin, an dem sie dankbar nippte.

„Wollt Ihr ein wenig mit den gewöhnlichen Leuten feiern?“

Seine linke Augenbraue wölbte sich staunend.

„Ich muss eine Bestellung der Kurfürstin weitergeben. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mir jetzt Gehör verschaffen kann“, erwiderte Froni lachend. Karl kam ihr sogleich zu Hilfe, indem er die rundliche Köchin herbeiholte, die sich Fronis Wünsche geduldig anhörte, obwohl ihr Gesicht schon vor Wein und Hitze gerötet war.

„Wir bringen das gleich hoch. Wir haben genug vorbereitet“, versprach sie und wies einige ihrer Mägde an, das Feiern kurz zu unterbrechen. Froni sah sich nun von der Pflicht befreit, sich selbst um alles zu kümmern.

„Ich kam auch, um Euch zu sehen“, gestand sie Karl. Noch bevor er etwas erwidern konnte, teilte sie ihm mit, dass sie Elizabeth begleiten würde.

„Ich habe es ihr versprochen“, fügte sie hinzu. „Es ist daher meine Pflicht.“

Sie war dankbar für die schlechte Beleuchtung, denn so konnte Karl das Unbehagen auf ihrem Gesicht nicht allzu deutlich sehen.

„Ja, das dachte ich mir schon“, sagte er hart und laut, um gegen das allgemeine Singen und Lachen anzubrüllen. „Sie lässt Euch nicht gehen, denn sie weiß, dass sie kluge Ratgeber brauchen wird.“

Froni riss staunend die Augen auf. „Ich glaube, die Minister des Kurfürsten sind in dieser Angelegenheit bessere Ratgeber.“

„Mag sein.“ Karl ergriff ihren Ellbogen und schob sie in eine Ecke der Küche, wo es einigermaßen still war. „Ich habe bis zum letzten Augenblick gehofft, dass die Böhmen Vernunft annehmen“, erklärte er dann. „Sie stehen allein gegen den gewaltigen Riesen, der sich Habsburg nennt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er sie niedertrampelt. Es würde mir missfallen, Euch unter den Opfern zu wissen.“

„Vielleicht seht Ihr diese Dinge auch zu schwarz!“, widersprach Froni leicht pikiert. Hielt er Friedrichs Ratgeber denn allesamt für Idioten? „Man ist bereits auf der Suche nach Verbündeten. Der englische König wird seine Tochter sicher nicht im Stich lassen“, fügte sie hinzu, bevor Karl etwas hatte erwidern können.

In diesem Augenblick vermochte sie auch an diese Worte zu glauben. Elizabeths Vater hatte sie gewarnt, sich vorsichtig zu verhalten, aber sobald seine wunderschöne Prinzessin in Not wäre, käme er ihr sicher zu Hilfe. Friedrichs Minister waren zudem eifrig bemüht, Bündnisse mit anderen protestantischen Staaten zu schließen. Es war eine Gelegenheit, katholischer Übermacht die Stirn zu bieten. Warum sollte man sie nicht nutzen, um durch Zusammenhalt stark zu werden?

„Ich wünsche Euch, dass sich all diese Erwartungen erfüllen“, erwiderte Karl mit einer knappen Verbeugung. „Aber für Menschen wie mich und Eure Mutter, die nur noch den Rest ihres Lebens in Frieden verbringen wollen, wünsche ich mir vor allem, dass ein Krieg vermieden werden kann.“

„Das wird sicher möglich sein. Der Habsburger Kaiser muss sich nur einsichtig zeigen“, entgegnete Froni. Es war im Grunde ganz einfach. Die Böhmen wollten nun einen protestantischen König und wenn der Rest der Welt Friedrich in dieser Rolle annahm, könnte alles ohne Blutvergießen vorübergehen. Gerüchten zufolge hatte Ferdinand, nun Kaiser des deutschen Reiches, genug andere Sorgen. Sein ältester Sohn lag im Sterben und die Protestanten begehrten auch in anderen Ländereien gegen seine Maßnahmen zur Rekatholisierung auf.

„Vielleicht täte Ferdinand von Habsburg gut daran, sich erst einmal um die Schwierigkeiten in seiner Heimat zu kümmern und die Böhmen in Ruhe zu lassen“, erklärte sie Karl, der wieder eine Augenbraue hochzog.

„Ich würde diese Haltung ja auch vernünftig nennen, aber in meinem bisherigen Leben habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Herrscher dieser Welt lieber den Tod einfacher Leute in Kauf nehmen, als nur einen winzigen Zipfel ihrer Macht einem anderen zu überlassen. Ich hoffe für Euch, dass es diesmal anders sein wird.“

Seine Stimme war frei von Spott gewesen und Froni begriff, dass er keine Trennung im Streit von ihr wollte. Dadurch stieg er in ihrer Achtung noch ein wenig mehr. Sie verspürte sogar einen Stich von Trauer, weil sie sein Leben nicht würde teilen können. Dem Schmerz fehlte es aber an Tiefe, sie wusste, er würde vergehen wie ein leichtes Fieber.

Im Hintergrund wurde geklatscht und gesungen. Froni bewegte kurz die Hüften zu der fröhlichen Melodie. Die ausgelassene Stimmung ließ sie kurz daran glauben, es würde ebenso verlaufen, wie sie es sich wünschte. Friedrich und Elizabeth hätten einen glanzvollen Einzug in Prag, würden das Land in Frieden regieren und überall als Herrscher von Böhmen anerkannt werden. Die protestantische Fraktion wäre dadurch gestärkt, die Gefahr, die von einem übermächtigen Habsburg ausging, eingedämmt. Sie nahm einen Schluck Bier und begann, beim Gesang mitzusummen.

„Aber selbst wenn Eure Kurfürstin sich auf dem böhmischen Thron halten kann, so wird sie mit Euch verfahren, wie es ihr beliebt“, meinte Karl plötzlich.

Froni runzelte die Stirn. „Elizabeth schätzt mich.“ Sie stellte fest, dass sie stolz darauf war.

„Das tut sie wohl, sonst wäre sie nicht bemüht, Euch an sich zu binden. Aber glaubt mir, Fräulein von Odenwald, eine Frau wie die Kurfürstin benutzt jeden Menschen. Gerade diejenigen, die sie für nützlich hält, denn sie haben mehr Wert als die Nutzlosen.“

Froni nahm ein paar Schlucke Bier. Ihr wurde unwohl, denn Karls Worte klangen allzu überzeugend.

„Ich kenne meine Pflicht und werde sie erfüllen“, sagte sie schnell.

„Das ehrt Euch.“ Er verbeugte sich nochmals, diesmal tiefer. „Ich bedauere es, dass ich keine tiefen Gefühle in Euch wecken konnte. Sonst wäre es mir vielleicht gelungen, Euch von diesem irrsinnigen Entschluss abzubringen. Nun bleibt mir allein die Hoffnung, dass es einem anderen gelingt. Aber freut Euch auf Prag. Es ist eine Stadt, die einen Besuch wert ist, habe ich mir sagen lassen.“

Er stieß noch einmal mit ihr an, dann packte er eine der Küchenmägde und begann mit ihr zu tanzen. Froni begriff, dass dies sein Abschied sein sollte. Er litt nicht zu sehr unter ihrer Zurückweisung, was sie erleichterte. Da ihr Auftrag bereits weitergegeben worden war, konnte sie zur Kurfürstin zurückkehren und dort das freudige Ereignis weiterfeiern. Sie lächelte Karl noch einmal an, was er kaum wahrzunehmen schien, und machte sich auf den Weg.

Sie ahnte, dass sie ihn vor der Abreise nicht mehr unter vier Augen würde sprechen können, und war überrascht darüber, dass sie deshalb traurig war.

„Ferdinand hat nur ein Auge und selbst das soll nicht besonders gut sein“, erzählte Elizabeth gerade ihren Damen, als Froni eintrat. „Er wird noch völlig verlausen, der arme Kerl, denn er kann sich keine neuen Kleider leisten.“

Fröhliches Gelächter erklang. Froni fröstelte, denn sie hatte die Kurfürstin bisher nicht derart gehässig erlebt.

„Kein Wunder, dass die Böhmen lieber Euren Gemahl wollen“, flötete Marian Lacey. „Dann müssen sie sich in Gegenwart ihres Königs nicht die Nase zuhalten.“

Froni überhörte ganz bewusst das allgemeine Kichern und teilte ihrer Fürstin mit, dass sie die Bestellung aufgegeben hatte.

„Das war sehr nett von Euch, Fräulein von Odenwald“, erwiderte Elizabeth, die nur sehr selten gegen Gebote der Höflichkeit verstieß. „Wir haben nun einen weiteren Grund zum Feiern. Bethlen Gábor von Siebenbürgen will meinen Gemahl unterstützen, sobald er die böhmische Krone angenommen hat. Er stellt bereits ein Heer zusammen, um die Habsburger das Fürchten zu lehren.“

Elizabeths Wangen waren vor Aufregung gerötet. Die blauen Augen strahlten wie Saphire.

„Bald ist Böhmen unser. Macht Euch fertig für die Reise“, meinte sie zu Froni, die wieder an ihren üblichen Sitzplatz im Gemach der Fürstin ging. Der Lautenspieler stimmte eine neue Melodie an. Kammerdiener füllten die Weinbecher der Damen.

„Wir werden auch einen passenden Ehemann für Euch finden, Fräulein von Odenwald“, meinte Elizabeth, als sie mit Froni anstieß. „Einen Adeligen aus Böhmen oder Siebenbürgen. Auf diese Weise bekommt Ihr eine angemessene Stellung und es wird ein Bündnis geschmiedet.“

Froni krallte ihre Finger um den Weinbecher, damit er ihr nicht entglitt. Sie hatte sich eine Zukunft in Elizabeths Diensten erträumt, aber nicht als Figur auf einem Schachbrett, die nach Belieben herumgeschoben wurde. Karls Warnung fiel ihr wieder ein, aber als alle Damen gemeinsam ein Lied anstimmten, sang sie mit.

Die trübe Stimmung war wie eine Wolke, die rasch vorüberzog.

Die Spionin des Winterkönigs

Подняться наверх