Читать книгу Die Spionin des Winterkönigs - Tereza Vanek - Страница 9
1. Kapitel
Оглавление„Fronicka, was trödelst du denn wieder?“, nörgelte die Stimme der Frau von Zwergenstein in ihrem Rücken. Froni, die sich aus dem Fenster gelehnt hatte, um die uralte, mächtige Eiche im Schlossgarten zu betrachten, wandte sich widerwillig um. Die Pfalzgräfin Louise Juliana brauchte stets die Hilfe mehrerer Hofdamen, um sich morgens anzukleiden. Leider kränkelte Fronis Mutter seit dem letzten Winter ständig, sodass sie nun ihre Aufgaben übernehmen musste. Im Geiste zählte sie alle Dinge auf, die vonnöten waren, um eine alte Frau in eine Pfalzgräfin zu verwandeln: Strümpfe und ein Reifrock, ein Mieder, danach mehrere Unterröcke und schließlich jene Robe, die Ihre Hoheit heute ausgewählt hatte. Allein das Frisieren konnte bis zur Mittagsstunde dauern. Sie hatte niemals geahnt, wie aufwendig es sein konnte, dünnes graues Frauenhaar zu einem mit Juwelen geschmückten, turmartigen Gebilde aufzurichten. Missmutig gesellte sie sich in die Reihe der Hofdamen, um ihren Aufgaben entgegenzugehen. Seit Friedrich nach England aufgebrochen war, schien ihr das Heidelberger Schloss wieder ein so freudloser, kalter Ort wie unmittelbar nach ihrer Ankunft, doch hoffte sie auf seine baldige Rückkehr. Noch am Tag seiner Abreise hatten sie sich kurz heimlich treffen können und er hatte ihr versichert, dass er diese hochnäsige englische Prinzessin nicht wollte, ganz gleich, wie vorteilhaft eine solche Verbindung für die protestantische Sache wäre. Zudem würde man ihn, einen gewöhnlichen Pfalzgrafen, auch niemals als königlichen Schwiegersohn akzeptieren, da verstieg sein Vormund Johann von Zweibrücken sich in unrealistische Träumereien, weil er auf Friedrichs Charme und sein blendendes Aussehen vertraute. „Aber ich werde mich von meiner unausstehlichsten Seite zeigen, damit sie mich gleich wieder nach Hause schicken!“, hatte Friedrich lachend versprochen und Froni noch einmal an sich gedrückt, während die Stimme Johann von Zweibrückens vor der Tür zum Aufbruch drängte.
Die fünf Hofdamen betraten das Gemach der Pfalzgräfin, die bereits aufrecht im Bett saß, und sanken in eine tiefe Reverenz. Dann begannen sie alle zu tun, was sie jeden Morgen taten. Eine stellte der Gräfin die Pantoffeln hin, die nächste brachte Reifrock und Unterröcke, während Froni ein Paar Strümpfe über grauweiße, von blauen Adern durchzogene Beine rollte.
„Ich habe gestern Abend noch eine Nachricht von meinem Sohn erhalten“, erzählte Louise Juliana mit glücklich strahlenden Augen. Froni ließ den zweiten Strumpf fallen, was zum Glück niemand bemerkte.
„Ich bin mir sicher, dass der junge Herr die Herzen der Engländer im Sturm erobert hat“, zwitscherte sogleich die Frau von Zwergenstein, während sie die Schmuckkassette der Pfalzgräfin öffnete, um ein Collier mit Rubinen herauszuholen.
„Ja, so scheint es“, stimmte Friedrichs Mutter sogleich zu. Froni unterdrückte den Wunsch, sie in ihre dünnen Waden zu kneifen. Aber daran, dass die alte Dame ihren Sohn für unwiderstehlich hielt, war eigentlich nichts Überraschendes. Sie hatte allen Grund dazu. Sie konnte ja nicht wissen, dass Friedrich …
„Er schreibt, dass diese Elizabeth Stuart tatsächlich so strahlend schön und geistreich ist, wie ihr allgemein nachgesagt wird. Damit hatte er nicht gerechnet.“ Louise Juliana stieß ein leises, nachsichtiges Lachen aus. „Mein armer Sohn fürchtete, dass wir ihn mit einer Vogelscheuche vermählen wollen, nur weil es der protestantischen Sache dient. Aber das hätte ich niemals zugelassen, ganz gleich, wie sehr sein Vormund mich gedrängt hätte.“
Froni spürte, wie ihre Hände zu zittern begannen. Friedrich hatte das nur geschrieben, um seine Mutter zu besänftigen, sagte sie sich. Er war stets zögerlich, wenn es galt, die Erwartungen seiner Umwelt zu enttäuschen, als hätte er Angst, nur einen Krümel jener Bewunderung und Liebe, an die er gewöhnt war, auf immer verlieren zu können. Nachdem sie der Gräfin den zweiten Strumpf angezogen hatte, nutzte sie den kurzen Moment der Freiheit von Pflichten, um jene Stelle an ihrem Hals zu berühren, wo die geschnitzte Eule hing. Ihre Mutter hatte diese Vorliebe für so ein gewöhnliches, billiges Schmuckstück nie verstehen können, doch in den letzten Monaten war sie zu schwach und kränklich geworden, um der Tochter noch irgendwelche Vorschriften zu machen. Zu ihrem Staunen hörte Froni einen leisen Schluchzer in ihrem Rücken und wandte kurz den Kopf. Sophia von Falkenhagen, eine junge, blonde, bildhübsche Hofdame, wischte sich schnell die Augen trocken. Froni begriff nicht, warum dieses stets so sonnig gestimmte Mädchen auf einmal traurig war, doch konnte sie in diesem Moment auch nicht fragen.
Nachdem Louise Juliana angekleidet und frisiert war, ihren Schmuck angelegt hatte und mit Duftwasser besprüht worden war, fand ein Morgenmahl im Speisesaal statt. Froni trank zwei Becher süßen Gewürzweins und verzehrte gierig einen mit Speck überbackenen Brotfladen, denn sie hatte an diesem Tag bisher nichts gegessen.
„Ist Euch nicht wohl, Sophia?“, hörte sie die unangenehme Stimme der Frau von Zwergenstein fragen. „Ihr esst nicht.“
„Ich fürchte, ich habe gestern zu kräftig zugelangt“, erwiderte das Fräulein von Falkenhagen leise. „Mein Magen ist noch voll.“
„Nun, der Medikus kann Euch sicher einen Trank brauen, der Eure Verdauung anregt. Mir hat er kürzlich mit Schwedenbitter sehr geholfen, als ich so aufgebläht war, dass ich kaum gerade stehen konnte. Vielleicht sind Eure Körpersäfte durcheinandergeraten. Es tut einem jungen Mädchen auch nicht gut, zu lange unvermählt zu sein, denn …“
„Vergebt mir, mir ist nicht wohl.“ Sophia von Falkenhagen hatte sich erhoben, knickste und als sie ein zustimmendes Kopfnicken der Pfalzgräfin erhalten hatte, eilte sie aus dem Raum.
„Die junge Dame sollte nicht allein bleiben, wenn sie krank ist“, sagte Louise Juliana daraufhin. „Fräulein von Odenwald, seht doch nach, wie es ihr geht.“
Froni stand erleichtert auf, denn das Geplapper der Frau von Zwergenstein hatte ihr alle Lust aufs Weiteressen genommen. Rasch eilte sie in den Korridor hinaus, wo sie Sophia von Falkenhagen auf einer Truhe hockend vorfand. Deren Hände ruhten aber auf keinem schmerzenden Unterleib, sondern verbargen ihr Gesicht, während sie von Schluchzern geschüttelt wurde.
„Was ist mit Euch?“, fragte Froni und legte zaghaft ihre Hand auf den bebenden Rücken. Sie hatte Sophia stets für eitel und hochnäsig gehalten, doch nun tat sie ihr plötzlich leid, so echt und tief schien ihr Schmerz.
„Er hat mich geküsst“, wimmerte Sophia in ihre Handflächen. „Er sagte, er hätte niemals eine Schönere als mich gesehen.“
„Wer denn?“, fragte Froni. Hatte Sophia sich leichtsinnigerweise auf ein Abenteuer eingelassen und war dann von ihrem Liebsten im Stich gelassen worden? Fronis Mutter hatte sie oft vor dieser Gefahr gewarnt, die allen jungen Mädchen drohte, die sich von ihren Trieben leiten ließen, anstatt Gottes Gebote zu achten.
„Na Friedrich, wer sonst?“, kam es nun fast trotzig zurück. „Meint Ihr, von einem anderen hätte ich mich küssen lassen?“
Sophia hatte ihre Fassung allmählich wiedergewonnen und wischte sich mit einem Taschentuch die Augen trocken.
„Aber er will diese englische Kuh sicher nur, weil seine Mutter es sich so wünscht“, sagte sie nun lächelnd. „Ein so wichtiger Mann wie er kann seine Gemahlin nicht frei wählen. Sobald er einen Erben gezeugt hat, wird er sich von ihr abwenden.“
Sophia von Falkenhagen stand auf, strich ihr Kleid glatt und machte sich auf den Weg in ihr Gemach, ohne Froni eines weiteren Blickes zu würdigen. Froni starrte dem schlanken, stolzen Rücken, der aus dem Reifrock wuchs, hinterher. Der Tag begann sehr unerfreulich.
Friedrich hatte vor seiner Abreise die schönste aller Hofdamen geküsst, doch war dies sicher nur ein verzeihlicher Augenblick männlicher Schwäche gewesen, denn Sophia musste mit ihm kokettiert haben. Sie, Froni, war es, mit der er sein Geheimnis teilte und die ihn trösten würde, wenn er unter der Kälte seiner zweifellos sehr hochmütigen Engländerin litt, falls es überhaupt zu dieser Vermählung kam.
Sie nutzte den kurzen Moment des Alleinseins, um am Fenster nochmals die Eiche anzustarren und das unförmige Stück Holz an ihrem Hals zu streicheln. Wie sollte sie nur all die langen, leeren Tage aushalten, bis Friedrich endlich wieder zurückkam? Sie beschloss, sich gewissenhafter ihren Aufgaben zu widmen und so oft wie möglich nach ihrer Mutter zu sehen. Vielleicht würde Gott der Herr sie dafür belohnen, auch wenn sie wusste, dass ihr tiefster Herzenswunsch sündhaft war. Friedrich konnte sie niemals zu seiner Gemahlin machen, das war ihr stets klar gewesen. Aber fast alle Männer hohen Standes hatten Mätressen, die von ihnen manchmal lebenslang versorgt wurden, ebenso wie die Nachkommen aus einer solchen Beziehung. Froni war eine solche Zukunft allemal lieber, als die Frau eines unbekannten, einfachen Ritters zu werden, wie die Mutter es ihr immer wieder prophezeit hatte. Sie hoffte, dass Gott der Herr ihr vergeben würde, denn ihre Liebe zu Friedrich schien so stark und rein, dass nichts Schlechtes durch sie entstehen konnte.
Am 13. Juni des Jahres 1613 stand Froni mit ihrer Mutter, Sophia von Falkenhagen und den anderen Hofdamen hinter dem Tor des Schlosses und wartete. Anlässlich der Feierlichkeiten hatte Louise Juliana sämtlichen Einwohnern Heidelbergs freie Speisen und Getränke versprochen, so viel sie nur wollten. Bereits in den frühen Morgenstunden hatten die ersten Betrunkenen in den Gassen gelegen, wo Stadtbüttel sie später zur Seite traten, um dem höfischen Prunkzug Platz zu machen. Louise Juliana trug eine riesige Halskrause, die sogar über den Reifrock an ihren Hüften hinausragte. Froni fand, dass sie damit aussah wie eine in den Pranger gezwängte Verbrecherin, behielt diese Meinung aber für sich. Das unnatürlich weiß geschminkte Gesicht der Kurfürstin erinnerte zudem an einen aus dem Grab entstiegenen Geist und mit dem Übermaß an Edelsteinen auf dem goldbestickten Gewand lockte sie mehr Taschendiebe an als echte Bewunderer. Doch kein Opfer war groß genug, wenn es galt, Eindruck auf eine Schwiegertochter königlichen Geblüts zu machen.
Trompeten kündeten den unmittelbar bevorstehenden Einzug des Kurfürsten, seiner Gemahlin und ihres gemeinsamen Gefolges an. Froni stellte sich auf die Zehenspitzen, denn ein paar hochgewachsene Wachmänner versperrten ihr das Blickfeld.
„Ich bin ja mal gespannt, ob sie wirklich so schön ist, wie alle sagen“, murmelte Sophia von Falkenhagen an ihrer Seite. „Wahrscheinlich sind das nur Schmeicheleien, weil sie eine Stuartprinzessin ist. Am Ende sieht sie aus wie eine englische Kuh, wundern würde es mich nicht.“
Froni überlegte, ob Sophia jemals eine englische Kuh zu Gesicht bekommen hatte. Sie hielt es für unwahrscheinlich, wollte aber nicht fragen, da sie im Augenblick mit anderen Dingen beschäftigt war. Aus den Augenwinkeln musterte sie das Gewand des Fräuleins von Falkenhagen. Der steife Kragen war aus kostbarer Spitze, aber von bescheidenem Umfang, der den schlanken Hals seiner Trägerin betonte. Das Kobaltblau des Seidenkleids passte hervorragend zu Sophias Blondhaar und entsprach dem Farbton ihrer Augen, die dadurch noch mehr zu strahlen schienen. Sophia sah glücklich aus, seitdem sie mit einem wohlhabenden Grafen verlobt worden war, der zwar ihr Vater hätte sein können, sie aber anbetete wie ein schmachtender Jüngling. Froni verachtete sie ein wenig dafür, dass sie die Aussicht auf ein angenehmes Leben in Wohlstand der wahren Leidenschaft vorzog, die Friedrichs zukünftige Mätresse sicher erleben würde. Aber für eine ernsthafte Konkurrentin hatte sie diese eitle, oberflächliche Person ohnehin nicht gehalten. Friedrich war ein allzu tiefer, nachdenklicher Mensch, als dass er sich dauerhaft von einem hübschen Gesicht hätte blenden lassen.
„Meine Güte, so viele Leute!“, schnatterte die alte Frau von Zwergenstein plötzlich drauflos. Da ihre Körpergröße ihrem Namen entsprach, hatte sie sich von einem Lakaien eine alte Obstkiste bringen lassen, um sich draufstellen zu können. Nun schwankte sie in besorgniserregender Weise und Froni trat an ihre Seite, um ein Unglück zu verhindern. Ehe sie sich’s versah, war die alte Frau ihr in die Arme gefallen, krallte sich an ihrer einzigen guten Halskrause fest, wodurch diese einen winzigen Riss abbekam.
„Mir war schwindelig geworden“, erklärte die Frau von Zwergenstein. „Es muss an der furchtbaren Hitze liegen. Ich werde den Medikus fragen, ob er mir nicht etwas dagegen geben kann.“
Froni fragte sich, wie der arme Medikus das Wetter ändern sollte, und hielt die Frau von Zwergenstein noch eine Weile fest, da sie weiterhin unsicher auf den Beinen schien. Dabei atmete sie den verräterischen Geruch von Schnaps ein und bekam eine Ahnung, was den Schwindelanfall der alten Hofdame wirklich ausgelöst haben konnte, denn trotz strahlenden Sonnenscheins wehte an diesem Tag ein frischer Wind.
„Ich muss mich ein wenig ausruhen, fürchte ich. Das war ein Schock eben“, sagte die Frau von Zwergenstein und winkte einen Lakaien heran. „Diese Gefolgschaft der Engländerin … ich meine, wir werden das einfache Gesinde aus der Stadt jagen müssen, um hier in Heidelberg überhaupt so viele Leute unterzubringen.“
„Ich bin müde, Kind. So furchtbar müde. Ich kann kaum noch aufrecht stehen“, hörte Froni plötzlich ihre Mutter klagen und schämte sich, weil sie sie vor Aufregung kaum beachtet hatte. Sie winkte dem Lakaien hinterher, der sich glücklicherweise noch einmal umgedreht hatte und die Frau von Odenwald ebenfalls an sich nahm, um sie in ihr Gemach zu bringen.
„Ich sehe so bald wie möglich nach dir“, versprach Froni schnell, doch ihre Mutter war zu erleichtert, von kräftigen Männerarmen gestützt zu werden, um ihr weitere Beachtung zu schenken.
Froni fiel ein, dass die Obstkiste nun frei war, und sie hastete los, um als Allererste ihre Füße daraufzusetzen. Ein giftiger Blick Sophia von Falkenhagens machte ihr klar, dass sie nicht als Einzige diese Idee gehabt hatte. Eine sehr gute Idee, wie sich gleich herausstellte, denn auf einmal konnte sie über die Köpfe der meisten Zuschauer hinweg einen direkten Blick auf die Eintreffenden werfen.
Es war tatsächlich ein sehr langer Zug, der sich da auf der Brücke über den Neckar bewegte und dann zum Schloss hochschlängelte. Fahnen flatterten im Wind, Helme und Brustpanzer glänzten silbern in der Sonne, Federn wippten auf Männerhüten im Rhythmus der Schritte der Pferde, auf denen ihre Träger saßen. Dahinter folgte eine Kette aus schwer beladenen Karren, die erst irgendwo am Horizont im Nichts endete. Fußvolk spazierte daneben einher, immer wieder mischte sich ein berittener Wachmann dazwischen, der wohl weniger für den Schutz der einfachen Leute zuständig war denn für die Sicherheit der aufgeladenen Truhen, Kisten und Möbel.
Froni erinnerte sich noch an Friedrichs Abreise, bei der etwa sieben Karren mit Gewändern und anderen Habseligkeiten mitgekommen waren. Nun schien es, als käme er mit allen Einwohnern einer mittelgroßen Stadt zurück, die auch noch ihr Hab und Gut mitgebracht hatten. Wollte diese englische Prinzessin gleich neben Heidelberg eine neue Stadt errichten?
Laute Jubelrufe erklangen, als die Spitze des Zuges sich endlich durchs Stadttor schob. Friedrich ritt voran, hinter ihm fuhr eine mit lila Samt bezogene, von sechs Pferden gezogene Kutsche, in der wohl die englische Königstochter sitzen musste. Man hatte mehrere Prunkbögen errichtet, um die neue Schlossherrin angemessen zu begrüßen. Der Rektor der Heidelberger Universität stand unter einem davon und stimmte eine lateinische Begrüßungsrede an. Ein älterer Herr stieg aus der Kutsche, um ebenfalls auf Lateinisch zu antworten, doch die englische Königstochter ließ sich nicht blicken. „Vielleicht aus gutem Grund“, dachte Froni und genoss diese Bösartigkeit. Eine Frau, der der Ruf vorauseilte, die strahlendste Schönheit der Christenheit zu sein, hatte womöglich Angst, die Anwesenden zu enttäuschen, wenn sie ihrer wirklich ansichtig wurden. Indessen rollte die Kutsche weiter zum Schloss. Dort befand sich der prächtigste Prunkbogen und hinter ihm wartete die Gesellschaft des Hofes. Von der Kurfürstin bestellte Musikanten stimmten eine Begrüßungsmelodie an, Blumen wurden geworfen und Louise Juliana machte ein paar ungeduldige Schritte auf ihren Sohn und die unbekannte Schwiegertochter zu. Sobald Froni Friedrich erblickte, tat ihr Herz einen freudigen Sprung. Trotz der langen Reise, die zweifellos anstrengend gewesen sein musste, sah er entspannt und glücklich aus, als er sich vom Sattel seines Rosses schwang.
„Ich darf euch allen Colonel Schomberg vorstellen“, verkündete Friedrich und wies auf den Herrn, der vorher mit dem Rektor gesprochen hatte. „Mein Schwiegervater gab ihn meiner verehrten Gemahlin großzügigerweise als Ratgeber mit.“
Die kluge Engländerin kam also nicht allein zurecht, dachte Froni. Wie gut es manchmal tat, gehässig sein zu können! Noch bevor Friedrich seine Mutter begrüßt hatte, trat er zu der Kutsche und streckte seine Hand hinein, wie um etwas herauszuziehen.
Alle wussten, was es sein würde. Ein paar Hofdamen an Fronis Seite atmeten lauter. Sie selbst hielt vor Aufregung die Luft an.
Elizabeth Stuart, die begehrteste Braut Europas, steckte in einer zitronengelben, perlenbestickten Robe, die auch ohne Trägerin ein Kunstwerk gewesen wäre. Ihre Taille war schmal, der Hals grazil, die Schultern blieben unverhüllt, was einige der Anwesenden leise murren ließ. Sie trug keine Halskrause, nur einen weich fallenden Kragen. In dem hoch aufgetürmten rötlich braunen Haar schimmerten ebenfalls Juwelen. Friedrichs Gemahlin glitt leicht wie ein Vogel über den Erdboden, als besäße sie keinerlei Gewicht. Froni glaubte, Seide rascheln zu hören, und atmete einen süßen Duft ein, den der Wind ihr zuwehte. Dicht neben sich hörte sie Sophia einen leisen, hellen Ton des Staunens ausstoßen.
„Wenn englische Kühe so aussehen, dann werden die Seelen der englischen Kuhhirten ewig in der Hölle schmoren müssen, denn dieser Versuchung können sie sicher nicht widerstehen“, spöttelte eine andere Hofdame, die Sophias abfällige Bemerkungen über Elizabeth Stuart auch mitbekommen haben musste. Sophia schwieg, sah aber aus, als hätte sie in einen sauren Apfel gebissen. Froni begriff sogleich den Grund für diesen Missmut. Neben Elizabeth Stuart wirkte selbst die schönste Dame des Heidelberger Hofes wie eine herausgeputzte Landpomeranze. Elizabeth bewegte sich, als sei sie von Gott allein dafür geschaffen worden, edle Gewänder zu tragen und sich bewundern zu lassen. Ihr Leib war schmal, aber dennoch wohlgeformt. Der rötliche Schimmer des Haars verlieh ihr einen Hauch von Sünde. Selbst an dem Gesicht vermochte Froni keinerlei Makel zu erkennen. Es war blass, vornehm und ebenmäßig, nur störte eine feine Falte zwischen den Brauen die Harmonie göttlicher Schöpfung.
„Ich bin sehr froh, meine neuen Untertanen begrüßen zu dürfen“, verkündete die englische Prinzessin nun mit leicht gepresster Stimme. „Möge Gott der Herr uns beistehen, dem verderbten Geist des Papismus erfolgreich Widerstand zu leisten.“
Sie sprach auf Deutsch, auch wenn sie aufgrund ihres Akzents schwer verständlich war. Allerdings klang sie dabei so melodisch und weich wie jene Demoiselle, von der Froni gemeinsam mit den anderen Hofdamen Französischunterricht erhalten hatte. Eigentlich hatte Froni erwartet, dass eine Engländerin sich etwas anders anhörte.
Das junge Paar trat der alten Kurfürstin gegenüber. Elizabeth Stuart knickste, auch wenn sie dabei eine widerwillige Miene zog. Sobald sie wieder aufrecht stand, erhellte aber ein charmantes Lächeln ihr Gesicht, von dem sogar die Kurfürstin nicht unberührt blieb. Sie legte ihre Hände auf die Schultern der Schwiegertochter und küsste sie rasch auf die Wange.
„Sei uns willkommen, mein Kind. Wir sind sehr froh, dich bei uns zu haben.“
Elizabeth Stuart lächelte weiter, doch fiel Froni auf, dass der Blick ihrer Augen gelangweilt wirkte. Friedrich wandte sich nun zu seiner jungen Gemahlin und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie sah ihn an, ihre Augen leuchteten kurz auf und zauberten so ein fast überirdisch glückliches Strahlen auf sein Gesicht.
„Ich habe die Ehre, die schönste Braut der Christenheit nach Hause zu führen!“, rief er laut. Seine Untertanen stimmten begeistert ein, da sie sich nun wohl noch großzügigere Gaben erhofften.
Froni spürte eine Kälte, die sich von ihrem Herzen aus bis in alle Gliedmaßen zog. Selbst in ihren Fingerspitzen kribbelte es. Anders als Sophia hatte sie damit gerechnet, dass Elizabeth Stuart tatsächlich eine schöne Frau wäre, eine wahrhaft fürstliche Erscheinung, die eher himmlisch denn irdisch schien. Aber etwas an Friedrichs Strahlen ließ ihr das Blut gefrieren. Sie tastete nach der geschnitzten Eule, doch plötzlich fühlte diese sich nur noch an wie ein schäbiges, billiges Stück Holz, das sie ebenso gut wegwerfen konnte.
Selbst wenn Friedrichs Verbindung mit der englischen Königstochter nichts weiter als ein geschickter politischer Schachzug hatte sein sollen, ein Mann, der seine Braut so glücklich und verliebt ansah, würde keine Mätresse brauchen.