Читать книгу Die Spionin des Winterkönigs - Tereza Vanek - Страница 11

3. Kapitel

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„Nun seht her, ma chère!“, rief Friedrich und forderte seine Gemahlin auf, die Binde von ihren Augen zu entfernen, während die anderen Hofdamen noch schlaftrunken herbeieilten. Sie alle waren ungewöhnlich früh geweckt worden, mit der Aufforderung, sich möglichst schnell nach draußen zu begeben, aber Elizabeth hatte man zusätzlich noch die Augen verbunden. Es war August, der Geburtstag der jungen Kurfürstin, daher gingen alle von einer Überraschung aus. Froni stand in ihrem feinsten Seidenkleid auf der Wiese außerhalb der Schlossanlage und war dankbar für die ersten Sonnenstrahlen, die warm ihre Haut streichelten. Henry ruhte in ihren Armen wie gewohnt. Im Lauf der letzten zwei Jahre hatte Elizabeth ihrem Gemahl einen Thronfolger namens Heinrich geboren, um den sich eine Schar von Ammen kümmerte. Sie selbst widmete sich weiterhin vor allem der Äffin Anne und zudem zwei weiteren kleinen Hunden, die Friedrich ihr zum Geschenk gemacht hatte. Daneben gab es noch weitere Tiere, die alle von Lady Bedford betreut wurden. Elizabeth besuchte sie manchmal, nicht besonders oft, aber auch nicht seltener als ihren Sohn. Der arme Henry, an dessen Schnauze schon ein paar graue Haare sichtbar wurden, war endgültig ins Abseits gedrängt worden. Allerdings schien Fronis Zuwendung zu reichen, um ihn mit diesem Schicksal zu versöhnen.

Um sie herum erklangen Ahs und Ohs der anderen Hofdamen, noch bevor sie den Grund für deren Bewunderung entdeckt hatte. Neugierig blickte Froni auf und entdeckte ein neues Tor an den Mauern der Anlage.

„Es ist Euch zu Ehren errichtet worden, meine Astrée. Als Erinnerung an Euren triumphalen Einzug in unsere bescheidene Stadt. Daher soll es fortan Elizabethtor heißen.“

Friedrich verbeugte sich formvollendet vor seiner Gemahlin, die ihn strahlend anlächelte. Sie lächelte ständig, dachte Froni. Es machte ihr Gesicht noch liebreizender, musste auf Dauer aber anstrengend sein.

Das neue Tor war in der Tat ein elegantes Bauwerk, das in aller Eile über Nacht fertiggestellt worden sein musste, um die junge Kurfürstin wie geplant zu überraschen. Während Elizabeth ihrem Gemahl zum Entzücken der Hofdamen einen Kuss auf die Wange hauchte, kamen Musikanten mit Flöten und Lauten herbei. Eine junge Frau im Schäferinnenkostüm trug von ihnen begleitet ein französisches Liebeslied vor. Friedrich und Elizabeth tanzten vor versammeltem Hofstaat anschließend eine Volta, bei der Friedrich seine Liebste in die Luft schwang, sodass die in hauchzarten Strümpfen steckenden Beine sichtbar wurden. Ein paar männliche Mitglieder des Hofes kamen nun auch näher heran. „Wie deine Artgenossen, wenn sie einen Braten riechen“, flüsterte Froni Henry ins Ohr. Mit dem Hund hatte Elizabeth ihr ein größeres Geschenk gemacht, als die Kurfürstin ahnen konnte. Es gab niemanden, dem Froni ihre Gedanken so offen anzuvertrauen wagte wie ihm.

Zu ihrem Entsetzen vernahm sie nun tiefes, brummendes Lachen hinter sich. Vor Schreck hätte sie den armen Henry fast auf den Boden plumpsen lassen.

„Sehr treffend beobachtet, mein junges Fräulein“, sagte ein breitschultriger Mann, dessen dunkles Haar von grauen Strähnen durchzogen war, leise zu ihr. Froni war immer noch wie versteinert. Wie kam ein nicht mehr junger Mensch zu einem so feinen Gehör?

„Keine Angst, ich werde niemandem erzählen, worüber Ihr mit Eurem Hündchen plaudert.“

Der Mann kam zwei Schritte näher. Da alle Augenpaare auf Elizabeth und Friedrich gerichtet waren, fiel es zum Glück nicht auf. Trotzdem war Froni nicht unbedingt erfreut. Sie konnte sich nicht erinnern, diesen Mann irgendwo auf einem von Elizabeths Banketten gesehen zu haben. Seiner Aussprache nach stammte er aus deutschen Landen. Seine Kleidung war dunkel und schlicht, sein Bart und Haar hätten einen Barbier vertragen können, um etwas zurechtgestutzt zu werden.

„Mein Name ist Karl von Waldeck. Ich bin Hauptmann der Schlosswache“, stellte er sich mit einem kurzen Kopfnicken vor.

Froni knickste, wie es die Etikette erforderte. Sie begriff nicht, was dieser Mann von ihr wollte.

„Mir hat Euer Gespräch mit dem Hundchen gefallen“, erklärte Karl von Waldeck nun unaufgefordert. „Eigentlich wollte ich ja nur nach dem Rechten sehen, wie es meine Aufgabe ist. Ich hoffe, Ihr findet mein Verhalten nicht aufdringlich.“

Ob er wohl gehen würde, wenn sie ihm sagte, dass sie ihn in der Tat aufdringlich fand? Froni wusste, dass Elizabeth niemals Schwierigkeiten hatte, Männer zurechtzuweisen, deren Verhalten ihr nicht gefiel. Die Zunge der jungen Kurfürstin konnte sich je nach Bedarf in eine Quelle von Geist und Witz, dann aber wieder in ein schneidend scharfes Messer verwandeln. Ihr selbst aber fehlten all diese Fertigkeiten. Zudem fand sie den zotteligen Militär nicht wirklich unangenehm, wusste nur nicht, was sie mit ihm anfangen sollte.

„Ihr seid also nicht hier, um die Kurfürstin zu bewundern?“, flüsterte sie schließlich. Wieder erklang ein raues Lachen, wenn auch deutlich leiser als beim ersten Mal.

„Das ist mir auf Dauer ehrlich gesagt zu anstrengend. Seit sie hier ist, gibt es so vieles zu bewundern, dass meine alten Augen davon müde werden.“

Froni musste widerwillig lächeln. Seine Worte erschreckten sie durch den völligen Mangel an Respekt, aber sie verstand, was er meinte. Die Tänze, Gesänge, die französische Konversation und all die elegant gekleideten, makellos frisierten Höflinge, all das schmeckte auf Dauer wie zu süßer Kuchen. Nach einiger Zeit sehnte man sich nach herzhafteren Speisen.

„Früher waren die Manieren auch auf dem Schloss ziemlich derb“, wandte Froni ein, um Elizabeth nicht untreu zu werden. Die Gefolgsmänner des alten Kurfürsten hatten ausgelassen gezecht und geflucht, ohne Angst vor dem Missfallen der Schlossherrin zu haben. Anstatt Damen Liebeslieder vorzutragen, hatten sie Dienstmägde in den Hintern gekniffen.

„Man konnte aber davon ausgehen, dass Leute sagten, was sie dachten“, erwiderte Karl von Waldeck. „Jetzt wird ständig nur gelächelt und geschmeichelt. Der ganze Hof ist ein endloser Maskenball. Hinter einem freundlichen Gesicht können sich die übelsten Absichten verbergen. Damit umzugehen, ist auf Dauer ganz schön anstrengend.“

„Ja, das ist richtig“, gab Froni zu, denn sie kannte solche Verhaltensweisen von den Damen der Königin zur Genüge. „Ich weiß offen gesagt nicht, ob es früher besser war oder heute. Der junge Kurfürst will jedenfalls nur Gutes für seine Familie und sein Volk.“

„In der Tat.“

Karl von Waldeck trat noch näher an sie heran. Die Hofgesellschaft hatte sich etwas zur Seite bewegt, da nun fast alle tanzten. Froni blieb, wo sie war. Sie wusste, dass sie ohnehin nicht so oft aufgefordert wurde wie die anderen Damen.

„Nur habe ich den Eindruck, dass an allererster Stelle seine Frau kommt“, sagte der Hauptmann nun sehr leise. „Danach der gemeinsame Sohn Heinrich. Und erst dann das Volk. Was meint Ihr?“

Froni biss sich auf die Lippen.

„Zuallererst kommt seine Gemahlin, da habt Ihr recht“, gestand sie. „Über die weitere Reihenfolge bin ich mir nicht sicher.“

Der kleine Heinrich begann, in den Armen seiner Amme zu greinen, fast, als hätte er diese Aussage verstanden. Elizabeth, gerade in einer Tanzfigur gefangen, wandte den Kopf in seine Richtung. Sie sah so offensichtlich verärgert aus, dass die Amme sich rasch in das Schlossgebäude entfernte.

„Wer für die Kurfürstin an allererster Stelle kommt, ist jedenfalls schnell zu erkennen“, flüsterte der Hauptmann ihr ins Ohr.

„Ihr meint ihren Gemahl?“, fragte Froni leicht verwundert.

„Nein. Eine solche Frau denkt zuallererst an sich selbst. Aber sie braucht Bewunderung wie einen Spiegel, der ihr versichert, wie schön sie ist. Unser junger Kurfürst gibt ihr, wonach es ihr verlangt. Deshalb hängt sie an ihm.“

Nun wurde es Froni ein wenig zu viel an Respektlosigkeit.

„Manche würden sagen, dass Ihr den Kurfürsten einfach nur um seine schöne Frau beneidet“, meinte sie schnippisch. Elizabeth hatte ihr einmal anvertraut, dass es kaum nachtragendere Menschen gab als abgewiesene Verehrer.

Sein Blick wurde dunkel.

„Wer so redet, will alles einfach sehen. Aber die Wahrheit ist, dass mir eine Frau wie unsere Kurfürstin zu anstrengend wäre. Daher kann ich auch gut damit leben, dass sie mich niemals eines Blickes würdigt. Mit Euch hingegen …“

Er sah sich kurz um. Erst als er merkte, dass immer noch alle mit Tanzen beschäftigt waren, trat er einen Schritt näher an Froni heran. „Mit Euch würde ich mich gern ab und an wiedertreffen, damit wir unsere Eindrücke über das Hofleben austauschen können.“

Ob er als Hauptmann so viel vom Hofleben mitbekam?, überlegte Froni. Aber sie verspürte dennoch Freude, denn außer Elizabeths gelegentlicher Aufmerksamkeit gab es nur ihre Mutter, die ihr besondere Beachtung schenkte.

„Wenn Ihr es wünscht, so werde ich gern ab und an mit Euch plaudern“, erwiderte sie auf jene nachsichtig-großzügige Weise, die sie von Elizabeth gelernt hatte. Karl von Waldeck verzog leicht das Gesicht, entfernte sich dann mit einer knappen Verbeugung.

Froni verspürte ein wenig Enttäuschung, als er fort war. Das Gespräch mit ihm war aufregender gewesen als alles, was sie in den letzten Wochen erlebt hatte.

„Habt Ihr nun einen Verehrer, Fräulein von Odenwald?“, vernahm sie plötzlich Marian Laceys Stimme und wandte sich widerwillig um. Offenbar war Marian auch nicht zum Tanzen aufgefordert worden und deshalb sehr schlecht gelaunt.

„Es war nur der Hauptmann der Schlosswache, der kurz mit mir redete“, erwiderte sie knapp. Marian kicherte.

„Für mich sah es wie ein längeres Gespräch aus. Macht Euch nichts vor, Ihr gefallt diesem Mann. Nur ist er leider schon alt und sieht auch nicht so aus, als könnte er einer Frau ein gutes Auskommen bieten. Aber was soll’s. Wir können ja nicht alle wählerisch sein.“

Sie schenkte Froni ein mitfühlendes Lächeln, klappte dann ihren Fächer auf und entfernte sich mit langsamen Schritten auf die Tanzenden zu. Nachdem sie mehreren der umstehenden Männer fast verzweifelte Blicke zugeworfen hatte, kam schließlich ein blasser Jüngling auf sie zu und reichte ihr die Hand zum Reigen, der gerade im Gange war. Froni spürte viele boshafte Worte auf ihrer Zunge brennen. Sie hätte Marian ins Gesicht schleudern können, dass sie als plumpe Blondine bisher von keinem Mann beachtet worden war, auch nicht von einem mittellosen Alten. Aber auf die Gemeinheit der anderen Mädchen mit ebenso boshaften Worten zu reagieren, schien ihr stets nur erbärmlich, weshalb sie darauf verzichtete.

Sie freute sich, Karl von Waldeck kennengelernt zu haben. Sie wollte kein Auskommen von ihm, nur gelegentliche Gespräche. Denn das gerade eben hatte ihr durchaus Vergnügen bereitet, wie sie im Rückblick feststellte.

Die Unterhaltungen mit Karl wurden schnell zu einem festen Bestandteil ihres Lebens. Er wartete nach den Abendgesellschaften manchmal geduldig im Korridor, bis sie Gelegenheit fand, zu ihm zu gehen. Während der Jagdausflüge der Kurfürstin ritt er oft an Fronis Seite, wenn er zum Schutz der Gesellschaft eingeteilt worden war. Froni schätzte seine Gegenwart, denn er hörte stets zu, wenn sie ihm Sorgen oder Ängste anvertraute. Ein wenig war er der Vater, den sie sich stets gewünscht hatte, und sie empfand es als Glück, ihn in ihrem Leben zu wissen. Die Spötteleien der anderen Hofdamen nahm sie gleichmütig hin. Elizabeth kommentierte ihre ungewöhnliche Freundschaft mit keinem Wort, obwohl die eifrig tratschenden Zungen der Hofdamen ihr sicher davon berichtet hatten. Wahrscheinlich begriff die Kurfürstin, dass ein großer Unterschied zwischen schwärmerischer Verliebtheit und schlichter Vertrautheit bestand. Karl bedrängte Froni nie, wie manche Männer es angeblich taten. Er versuchte nicht, sie zu berühren oder an einsame Orte zu locken. Sie ging davon aus, dass er vor allem eine angenehme Gesprächspartnerin in ihr sah, und war damit zufrieden. Je mehr Zeit verging, desto unwahrscheinlicher schien es ihr, dass sie jemals in einem Mann würde Leidenschaft wecken können. Sie würde den Rest ihres Lebens als Elizabeths Hofdame verbringen, ein Schicksal, das sie annahm.

Denn den einzigen Mann, der je ihr Herz berührt hatte, hatte sie ohnehin verloren.

In den folgenden drei Jahren gebar Elizabeth noch zwei weitere Kinder, einen Knaben namens Karl Ludwig und ein Mädchen, das nach ihr Elizabeth benannt wurde. Jedes Mal folgten aufwendige Feiern auf die Geburt und die junge Kurfürstin erhielt teure Geschenke von ihrem dankbaren Gemahl. Die Kinder des Fürstenpaares wanderten bald schon in die fürsorglichen Arme von Ammen, während Elizabeth sich einer wachsenden Schar von Hunden und Affen widmete. Nur für den armen Henry hatte sie kaum noch Aufmerksamkeit übrig. Seine Schnauze wurde immer grauer, aber er folgte Froni wie ein treuer Schatten. Die frühere Herrin vermisste er ganz offensichtlich nicht. Froni wünschte sich manchmal, Friedrich gegenüber ebenso gleichgültig werden zu können, aber es gab immer noch Momente, da sein bloßes Auftauchen ihr einen tiefen Stich mitten ins Herz versetzte.

Die Pläne, Friedrich auf den böhmischen Thron zu setzen, waren offensichtlich gescheitert, denn 1617 wurde Ferdinand von der Steiermark, Neffe des herrschenden habsburgischen Kaisers, zu dessen Nachfolger als böhmischer König ernannt. Die böhmischen Stände akzeptierten diese Wahl. Elizabeth meinte schulterzuckend, dass ohnehin kein Mensch sich für dieses winzige Stück Land interessierte. Nur eine Falte zwischen ihren Brauen machte deutlich, dass diese Aussage nicht ganz ehrlich war.

Dann ging das Leben in Heidelberg weiter wie bisher. Es wurde getanzt, gelacht, gejagt und musiziert. Elizabeth organisierte Theateraufführungen, bei denen sie als Nymphe oder Schäferin Astrée zu sehen war. Friedrichs Augen leuchteten stolz, sobald er ihrer ansichtig wurde, und die Bewunderung der anderen Männer schien ihn nicht zu stören. Weder er noch Elizabeth neigten zur Eifersucht. Sie schienen zu wissen, dass niemand ihnen das Wasser reichen konnte.

„Es könnte so bleiben“, überlegte Froni in den wenigen freien Stunden, die ihr zur Verfügung standen. Dank der Gelder, die Elizabeth von ihrem königlichen Vater erhielt, konnte sie das Leben in Heidelberg in eine endlose Abfolge prächtiger Festivitäten verwandeln. Der Großteil ihrer Untertanen schien über diese Entwicklung erfreut. Im Schloss würden die Leute sich vergnügen, bis sie alle alt und grau geworden waren und daher der nächsten Generation Platz machen mussten. Vielleicht würde ein Nachfahre von Friedrich sich für die protestantische Sache einsetzen, während seine Eltern auf Banketten tanzten.

„Dein Vater hat immer gesagt, irgendwann gibt es Krieg“, murmelte die alte Frau von Odenwald, als Froni sich wieder einmal neben ihr schlafen gelegt hatte.

„Weshalb denn Krieg? Hier werden vor allem Feste gefeiert“, erwiderte Froni gelangweilt und zog sich die Decke über den Kopf. Sie war froh, dass es ihrer Mutter besser ging, hätte sich aber von der alten Frau etwas mehr Zurückhaltung gewünscht. So ausgelassen die Stimmung am Hof auch war, es mangelte nicht an Intriganten, die unliebsame Äußerungen gern weitertrugen.

„Aber in Deutschland gibt es Protestanten und Katholiken“, beharrte ihre Mutter. Froni unterdrückte einen Seufzer. Dieser Umstand war sicher auch den Stallburschen und Küchenmägden auf dem Schloss bekannt.

„Und die wollen sich alle gegenseitig bekehren. Zur Not mit Gewalt. Deshalb wird es irgendwann Krieg geben. Das hat schon dein Vater immer gesagt“, beharrte die alte Frau und hüstelte. Froni unterdrückte ein Murren.

Erst kurz vor dem Einschlafen wurde ihr bewusst, dass diese Aussage nicht einmal so dumm war, wie sie zunächst klang.

„Wir haben aufregende Neuigkeiten“, verkündete Elizabeth ihren Damen beim nächsten Morgenmahl. Froni lud sich ein paar Scheiben Speck auf den Teller. Vor ihr stand verdünnter Wein in einem kristallenen Krug und eine Dienstmagd trug gerade frisch gebackenes, köstlich duftendes Brot herein.

„Wir werden wohl doch bald nach Böhmen fahren“, erzählte Elizabeth, während sie ihren Weinbecher füllte. „Friedrich macht sich bereits auf den Weg. Er muss nur auf die Schnelle ein Heer zusammenstellen, damit wir unseren Glaubensbrüdern zu Hilfe kommen können. Mein Gemahl weiß, dass es seine Bestimmung ist.“

Sie lächelte. Tatsächlich sah sie nun noch zufriedener aus als bei der Planung ihrer zahlreichen Bankette.

Die Hofdamen um Froni herum begannen aufgeregt zu tuscheln.

„Wird der Hof nun nach Prag umziehen?“, wagte Theodora Bryant zu fragen. „Meine Tante sagte mir, es sei eine schöne Stadt.“

„Ja, das ist es wohl“, erwiderte Elizabeth und kraulte in Gedanken versunken ihren neuesten Schoßhund. Anne, die Äffin, hatte ein rosafarbenes Kleid erhalten und knabberte auf dem Sofa an einer Banane, was sie damit versöhnte, nicht mehr das einzige Lieblingstier ihrer Herrin zu sein.

„Aber es gibt doch schon einen böhmischen König. Die Stände in dem Land haben der Ernennung zugestimmt“, rief Froni spontan. Als eine Falte zwischen Elizabeths schön geschwungenen Brauen erschien, erschrak sie. Nach vier Jahren Hofleben hatte sie immer noch nicht gelernt, ihre Zunge im Zaum zu halten!

Marian Lacey musterte sie spöttisch aus den Augenwinkeln.

„Man könnte fast meinen, Ihr würdet den Böhmen keinen protestantischen Herrscher wünschen!“, rief sie.

Froni spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Sie hätte ihr Gesicht gern in Henrys Fell vergraben, aber der saß gerade bei den anderen Hunden auf dem Boden.

„Sind die Böhmen denn Protestanten?“, fragte Theodora Bryant zu Fronis Erleichterung. Wenigstens war sie nicht die einzige Unwissende hier.

„Teilweise, aber nicht alle“, gab Elizabeth zu. „Der letzte Kaiser des Landes, der Habsburger Matthias, wurde von Aufständischen gezwungen, einen Majestätsbrief zu unterzeichnen, in dem er allgemeine Religionsfreiheit versprach. Daher ist die Lage im Land etwas unklar, denn es gibt alle möglichen Konfessionen.“

Das klang in der Tat nach einem ziemlichen Durcheinander. Andererseits gefiel die Vorstellung Froni durchaus.

„In einer solchen Lage gibt es vielleicht nicht so schnell einen Krieg“, dachte sie laut. „Weil doch jeder glauben darf, was er will.“

Elizabeth runzelte nur die Stirn.

„Die englische Geschichte lehrt uns, dass ein solches Miteinander von Anhängern des richtigen und des falschen Glaubens stets zu Schwierigkeiten führt. Es wurde ein Katholik zum König gewählt. Und nun missfällt er seinen Untertanen, die echte Christen sind.“

Er wäre vermutlich nicht der erste König gewesen, der nicht allen Untergebenen gefiel. Diesmal war Froni klug genug, ihren Gedanken nicht auszusprechen.

„Es hat wieder einen Aufstand gegeben. Zwei katholische Statthalter und ihr Sekretär wurden aus dem Fenster der Prager Burg geworfen“, erzählte Elizabeth mit einem aufgeregten Leuchten in den Augen.

Froni fiel vor Schreck fast der Becher aus der Hand.

„Sind sie tot?“

„Nein. Sie landeten auf einem Misthaufen im Hof und überlebten daher.“

Als Elizabeth fröhlich zu kichern begonnen hatte, stimmten ihre Hofdamen mit ein. Froni dachte, dass es trotz allem kein angenehmes Aufprallen gewesen sein konnte.

„Was hatten die zwei denn getan, um so behandelt zu werden?“, wollte sie wissen.

Elizabeth machte eine abwehrende Handbewegung.

„So genau weiß ich das nicht. Sie trafen Entscheidungen, die den Protestanten missfielen, natürlich im Auftrag des katholischen Königs. Er will die Rechte der Protestanten einschränken und lässt ihre Kirchen schließen.“

Das klang tatsächlich nach einer unschönen Lage, befand Froni.

„Auf jeden Fall …“

Elizabeth lehnte sich auf ihrem Sofa zurück und ein Strahlen erhellte ihr Gesicht.

„Auf jeden Fall gibt es nun Bestrebungen, auch den neuen katholischen König Ferdinand, einen Habsburger, gleich wieder abzusetzen, da er die einst versprochene Religionsfreiheit missachtet. Mein Gemahl ist entschlossen, diese Gelegenheit nicht ungenutzt zu lassen.“

Die Gelegenheit also, auf den Thron eines vertriebenen Königs zu springen. Vieles an dieser Geschichte hörte sich an, als würde man einen Käfig voller Raubtiere öffnen. In welchem Land konnten Könige denn nach Gutdünken gewählt und wieder abgewählt werden? Noch vor Kurzem hatte Elizabeth sich sehr missbilligend über eine solche Vorstellung geäußert. Jetzt gefiel sie ihr, weil sie ihren Wünschen entgegenkam. Aber sah die junge Kurfürstin denn nicht, dass ihr Friedrich ebenso würde abgesetzt werden können?

„Es klingt nach … nach möglichen Unruhen“, wagte Froni leise einzuwenden.

„Gott der Herr wird unseren Fürsten unterstützen, weil er in seinem Namen für den wahren Glauben kämpft!“, rief Theodora Bryant voller Inbrunst. Nun wurde auch sie zur Zielscheibe eines der abfälligen Blicke von Marian Lacey.

„Mein Vater wird uns sicher eine Armee schicken, wenn es notwendig sein sollte“, warf Elizabeth ein. Froni wurde etwas wohler zumute. Das klang wenigstens nach einer möglichen Lösung des Problems.

„Aber werden die Habsburger es denn dulden, wenn einer der ihren einfach so abgesetzt wird?“, spann sie ihre Gedanken weiter.

„Es ist nicht an Euch, diese Fragen zu klären, Fräulein von Odenwald“, kam es nun in strengem Tonfall von Elizabeth. „Überlasst dies meinem Gemahl und seinen Hofräten, die ihr Handwerk verstehen. Ich jedenfalls freue mich auf unseren Einzug in meine neue Heimat.“

Sie nippte nochmals an ihrem Becher. Froni überlegte, ob ein Mensch, dem stets alle Wünsche erfüllt worden waren, eine Änderung dieser Regel tatsächlich für unmöglich hielt.

Gleich darauf traten Musikanten ein, um für die Unterhaltung der Damen zu sorgen, und die Gespräche begannen um allgemeinen Hofklatsch zu kreisen. Ihre Gefährtinnen schienen damit zufrieden, aber Froni wartete ungeduldig auf den Moment, da sie alle entlassen würden, da die Kurfürstin sich vormittags gern für eine Weile zurückzog, um ihre Korrespondenz zu erledigen.

Sobald die Musikstücke beendet waren und das Geschirr abgetragen wurde, hastete Froni in den Schlosshof hinab. Sie wusste, dass Karl dort mit seinen Männern zur Bewachung des Eingangstores eingeteilt war, aber da zurzeit kein Angriff zu befürchten war, saßen sie meistens nur herum und spielten Würfel. Sie mussten nicht einmal vor dem äußeren Tor stehen, sondern hatten sich im Innenhof auf dem Boden platziert, ein Stück von den steinernen Skulpturen der Fassade des Palastes entfernt. Froni hörte ein paar Pfiffe, als sie den Soldaten entgegenlief, doch reichte jene hoheitsvolle Miene, die aufzusetzen sie von Elizabeth gelernt hatte, um übermütige Männer zur Räson zu bringen. Sie rückte ihre seidenen Röcke zurecht, die sie als königliche Hofdame kenntlich machten. Karl verbeugte sich, wie es der Anstand erforderte, aber seine Augen blitzten, als sei er höchst amüsiert über ihren Auftritt.

„Ich müsste einen Augenblick mit Euch reden, Herr von Waldeck. Es geht … es geht um ein paar Fragen betreffend die Sicherheit der Kurfürstin.“

Das klang nicht gerade sehr überzeugend, denn in einer solchen Angelegenheit hätte Elizabeth sich sicher zunächst an Friedrich gewandt. Froni war klar, dass sie gerade Gerüchten über ihre mögliche Liebschaft mit Karl neuen Nährboden verschaffte. Aber ihre Neugier war größer als alle Vorsicht. Es gab niemanden hier, mit dem sie sonst vernünftig reden konnte.

„Ich stehe Euch natürlich zur Verfügung“, erwiderte Karl sogleich und schritt mit ihr über den Hof zu den Küchengebäuden, ohne auf das mühsam unterdrückte Gelächter seiner Männer zu achten. In einer kleinen Nebenküche, wo die Wachleute versorgt wurden, bekamen sie beide einen Krug Bier serviert.

„Habt Ihr schon gehört, dass es jetzt vielleicht nach Prag geht?“, fragte Froni sogleich. Sie waren hier nicht allein, denn die dicke Köchin hockte mit vier Mägden am Nebentisch, wo sie die Überbleibsel des fürstlichen Morgenmahls verzehrten. Trotzdem wusste Froni, dass es unklug wäre, zu lange mit einem Mann bei einem vertraulichen Gespräch gesehen zu werden.

„Ja, auch unter den einfachen Soldaten hat es sich herumgesprochen. Wir warten schon auf den Marschbefehl“, sagte er nun. Sein Gesicht war ernst. Das schelmische Funkeln seiner Augen war erloschen.

„Und? Seid Ihr nicht … aufgeregt?“

Sie nippte an ihrem Bierkrug. Karl schüttelte nach kurzem Überlegen den Kopf.

„Nein. Denn ich werde hierbleiben. Wenn es nicht anders geht, verlasse ich den Dienst des Kurfürsten.“

Nun fiel Froni fast der Krug aus der Hand.

„Aber …“

„Mein älterer Bruder ist gestorben. Gestern erhielt ich die Nachricht. Das macht mich zum Erben der Burg meines Vaters. Sie ist nicht besonders groß, aber von den Ländereien rundherum lässt es sich leben.“

Froni spürte die Enttäuschung wie ein schweres Tuch auf ihren Schultern.

„Das heißt also, Ihr geht fort? Aber Ihr hättet vielleicht Aussichten auf einen besseren Posten und guten Sold, wenn …“

„Wenn ich mich auf das Prager Abenteuer einlasse?“

Plötzlich schien sein Blick der eines alten, müden Mannes. Er beugte sich vor, sah kurz zu den Küchenmägden hinüber und redete erst weiter, nachdem er sich sicher fühlte, dass sie nicht lauschten.

„Wenn der Kurfürst das Angebot der Böhmen annimmt, dann wird es Krieg geben. Es könnte ein sehr langer, böser Krieg werden, denn auch andere Länder werden sich einmischen, um die protestantische oder katholische Seite zu unterstützen. Zwischen den Holländern und den Spaniern gärt es schon lange. Ich habe schon in einigen Schlachten gekämpft, mein Fräulein, und will nicht mehr durch Blut und Exkremente waten, um so vielleicht zu Ruhm und Ehre zu gelangen. Lieber bleibe ich auf meinen Ländereien.“ Er nahm einen tiefen Schluck von seinem Bier und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. „Und? Haltet Ihr mich nun für einen Feigling?“

Die Frage hatte völlig ernst geklungen und er musterte Froni mit angespannter Miene.

„Nein, natürlich nicht“, erwiderte sie schnell. Sie tat es tatsächlich nicht, war nur verwirrt und fröstelte leicht, als hätten seine Worte einen kalten Windhauch durch die Küche geblasen.

„Das freut mich.“

Seine Augen leuchteten auf, was ihn wieder jünger aussehen ließ.

„Ich hatte es mir erhofft. Ihr habt einen zu klugen Kopf, um Euch nur vom Schein blenden zu lassen.“

Froni war es nicht gewohnt, Komplimente zu erhalten, und spürte, wie ihre Wangen zu brennen begannen. Leider wusste sie keine angemessene Antwort, doch Karl wartete auch nicht darauf, sondern redete sogleich weiter: „Ich wollte ohnehin etwas mit Euch besprechen, Fräulein von Odenwald, und bin froh über diese Gelegenheit. Wir haben aber nicht viel Zeit, verzeiht mir daher, wenn ich allzu direkt bin.“

Er räusperte sich und trank nochmals von seinem Bier, bevor er fortfuhr.

„Könntet Ihr Euch vorstellen, mich auf meine Ländereien zu begleiten? Als meine Gemahlin? Ich habe lange gezögert, mich zu vermählen. Aber nun wäre ich in der Lage, einer Frau ein Dach über dem Kopf und ein sicheres Leben zu bieten.“

Er sah ihr offen ins Gesicht, nur das Flackern seiner Augenlider verriet ein wenig Unsicherheit. Froni fühlte sich, als sei sie plötzlich aus dem Hinterhalt überfallen worden. Nie wäre ihr in den Sinn gekommen, dass Karl mehr in ihr sehen konnte als eine gute Freundin.

„Ich bin natürlich geehrt, aber …“

Sie wusste nicht, wie sie es sagen sollte. Karl malte ein durchaus schönes Bild, dem es nur an kräftigen Farben mangelte.

„Ich weiß, was Ihr mir nicht zu sagen wagt“, unterbrach er mit einem nachsichtigen Lächeln. „Ihr träumt nicht jede Nacht von mir, wie Ihr es früher von Friedrich getan habt. Aber das hatte ich mir auch nicht eingebildet.“

Froni war überzeugt, dass den Küchenmägden die tiefe Röte auf ihrem Gesicht nicht entgehen konnte. Innerlich verfluchte sie Karl, weil er sie derart in Verlegenheit gebracht hatte.

„Glaubt einem alten Mann wie mir, mein Fräulein. Die Liebe, von der in den Büchern unserer Kurfürstin geschwärmt wird, ist wie ein wilder Rausch, auf den aber bald schon ein qualvolles Erwachen folgen kann. Auf Dauer verursacht sie oft mehr Schmerz als Glück.“

Ebendiese Erfahrung hatte Froni auch gemacht, aber es widerstrebte ihr, das Karl gegenüber zuzugeben.

„Ich bringe vielleicht nicht Euer Herz zum Rasen, aber ich könnte Euch ein eigenes Zuhause schenken, Sicherheit und Frieden. Vielleicht gelingt es mir ja doch mit der Zeit, mehr für Euch zu sein als nur ein Vertrauter. Aber ich werde Euch niemals zu etwas drängen, auch wenn ich natürlich gern noch Kinder hätte.“

Sie begriff auf der Stelle, worauf er anspielte, und ihr Gesicht musste nun die Farbe von Purpur angenommen haben. Gleichzeitig aber sorgte ihr Verstand für ein wenig Beruhigung. Was Karl ihr vorschlug, schien weniger absurd, je länger sie darüber nachdachte. Sophia von Falkenhagen hatte ebenfalls einen viel älteren Mann geheiratet, der längst nicht so nett und klug gewesen war wie Karl. Trotzdem fühlte Froni sich in die Ecke gedrängt.

„Ich bin jetzt aber eine Dame der Königin und …“

„Ich verstehe. Aber auch königliche Damen heiraten irgendwann. Ich würde natürlich den üblichen Weg gehen, also versuchen, mit Eurer Familie zu verhandeln. Aber zunächst wollte ich wissen, ob dieser Vorschlag auch Euch genehm wäre.“

Auch das sprach für ihn. Sophia war von niemandem nach ihren Wünschen gefragt worden, als über ihre Ehe entschieden wurde.

„Ich fühle mich natürlich geehrt, muss aber über Euren Vorschlag nachdenken“, beschloss Froni schließlich. Ihre Wangen brannten nicht mehr und ihr Zorn auf Karl war verflogen. Sie spürte, dass sie ihn mochte und sich in seiner Gegenwart wohlfühlte. Vielleicht waren derart ruhige, solide Empfindungen tatsächlich eine bessere Grundlage für eine Ehe als die Stürme der Leidenschaft.

Aber etwas fehlte und sie ahnte, dass sie es auf Dauer vermissen würde.

„Ich werde Euch meine Antwort mitteilen, bevor der Aufbruch nach Prag stattfindet“, versprach sie, erhob sich dann und knickste zum Abschied.

„Ich muss nun nach meiner Mutter sehen und mich für das Mittagsmahl mit der Kurfürstin vorbereiten.“

Karl nickte ihr zum Abschied zu.

„Ich werde warten, Fräulein von Odenwald.“

Die Spionin des Winterkönigs

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