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Staatsballett

Wie ich meine Freiheit liebte. Auf dem Fahrrad zum Beispiel spürte ich sie. Ich trat in die Pedalen und raste durch die Straßen. Aus den Kopfhörern dröhnte laut Popmusik. Ja, ich weiß, das ist verboten, auf dem Rad Musik zu hören. Aber das war mir in diesem Moment egal. Ballett war Ballett. Und Freiheit war FREIHEIT.

Im Kindergarten musste ich meinen Bruder Paul abholen. Er war fünf. Ich mochte den Kleinen sehr. Seit Mama weg war, musste ich mich noch mehr um ihn kümmern und so war er mir noch wichtiger geworden.

In seinem grasbefleckten Fußballtrikot wartete Paul bereits. Am Fenster hielt er nach mir Ausschau. Als er mich sah, stürmte er hinaus zu mir. Ich nahm schnell die Kopfhörer ab, ehe es noch eine Erzieherin sah.

»Mann, da bist du ja endlich!«, rief Paul.

»Was denn, ich bin total pünktlich«, erwiderte ich.

Und das stimmte sogar. Denn ich hatte mich nach dem Ballett beeilt, weil wir schnell zu Papa wollten. Er hatte heute Premiere. Aber es war noch ewig Zeit.

Das machte ich Paul jetzt auch klar: »Die Premiere ist heute Abend. Wir könnten einmal um die ganze Welt fahren und wären immer noch rechtzeitig da.«

Paul schaute mich irritiert und fragend an. »Hä? Um die ganze Welt?«

So war er, unser Paul. Klein halt noch. Und ziemlich verträumt. Und manchmal ein wenig langsam im Denken. Aber klug war er trotzdem, pfiffig auch. Und immer für eine Überraschung gut.

Ich musste schmunzeln, zeigte ihm die Tupperdose und sagte: »Hier, Wegzehrung.«

Paul stieg auf mein Rad, den improvisierten Kindersitz liebte er.

Ab ging’s. Auf zu Papa ins Staatsballett.

Als wir das Foyer betraten, sahen wir Victor gleich. Unser Vater stand kerzengerade vor einem Mikrofon und gab einem Journalis­ten ein Interview. Eine Fotografin knipste Fotos. Ich wollte gerade den Finger auf meine Lippen legen, damit Paul wusste, dass er ruhig sein sollte. Aber Papa hatte uns schon gesehen und unterbrach seine Antwort für das Interview. Seine Familie war ihm wichtiger.

»Hey, Paule«, rief er voller Freude. »Da seid ihr ja.«

Paul war schon losgerannt und stürzte auf ihn zu.

»Komm Paul, lass uns fliegen, fliegen … «, rief Papa und breitete seine Arme weit zum Propeller aus. So war er. Auf seine Kinder ließ unser Papa nichts kommen.

Laut johlend stürmte Paul auf ihn zu. Papa riss ihn an sich, warf ihn freudig in die Höhe und ließ ihn durch die Lüfte sausen.

Der Journalist sah zu und sagte: »Na, da will wohl jemand in die Fußstapfen seines Vaters treten.«

»Na, schauen wir mal«, meinte Papa. »Ich glaube, er schießt lieber als Stürmer Tore …« Dann sah er zu mir und sprach weiter. »… Aber machen Sie sich keine Sorgen, die nächste Orlow steht schon längst in den Startlöchern.«

Die nächste Orlow – das war ich. Jedenfalls für Papa, der seinen Stolz über seine Tochter auch jetzt nicht verbergen konnte. Freudig nahm er mein Gesicht in seine Hände und gab mir zur Begrüßung einen Kuss. Dann nahm er mich in den Arm und sagte: »Kommt, wir machen ein Familienfoto für die Zeitung.«

Die Orlows für die Ewigkeit sozusagen.

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