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Kapitel 5 General Barleys Rache
Оглавление„Unser berühmter Vorfahre wurde älter“, fuhr Mascarpone in seinem Bericht über das Schicksal des Urahns Alter Gouda fort. „Und eines Tages wurde er feierlich zu meinem Vorgänger in das Amt des Schlossmäuse-Anführers gewählt. Die feige fette Ratte aber, sie nannte sich General Barley, erklärte sich zur selben Zeit zum Obernager ihres Clans, und während unsere Vorfahren ihren rechtmäßigen und verdienten Platz hier oben im Schloss einnahmen, grub das lichtscheue Rattengesindel Gänge und Höhlen unter der Mühle, um nachts das Korn zu stehlen, das die Menschen nur uns zugedacht hatten. Leider, leider sind die Menschen nicht klug genug, um diesen Betrug zu bemerken.“
„Und wir“, fügte Onkel Gorgonzolo grimmig hinzu, „sind nicht Maus genug, diesem Rattengewürm entschlossen entgegenzutreten!“
„Was ist dann mit dem Urahn passiert?“, wollte Pecorini wissen.
„Etwas sehr Schreckliches!“, sagte Mascarpone. „Etwas, das ich deinen jungen Mäuseohren am liebsten nicht erzählen möchte, damit du nachts weiterhin ruhig schlafen und tagsüber unbeschwert dein Leben genießen kannst. Aber eines Tages musst du es ja doch erfahren! Die Wahrheit ist: General Barley lauerte unserem Urahn auf und schnitt ihm drei Barthaare ab! DREI Barthaare! Nicht zwei. DREI!“
„Ach so“, sagte Pecorini, „das wusste ich schon.“
„Eine entsetzliche Tat“, grollte Mascarpone. „Voller Hinterlist. Voller Heimtücke und Gemeinheit!“ Mascarpone ereiferte sich immer mehr, und seine Stimme wurde immer lauter. „Wie konnte er es wagen, unseren Urahn dermaßen zu entstellen und zu demütigen? Aber, und das schwöre ich, es kommt der Tag, an dem ich diese Schandtat ungeschehen machen werde, indem ich dem jetzigen Anführer der Ratten, der weißen Ratte, VIER Schnurrhaare abschneiden werde. Jawohl! So wahr ich Mascarpone heiße. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!“ Mascarpones Stimme hatte sich überschlagen. Jetzt beruhigte er sich wieder etwas. Dann bemerkte er: „Ich weiß nur noch nicht, ob ich ihm auf jeder Seite zwei Haare abschneiden soll oder drei auf der einen und eins auf der anderen. Oder sogar alle vier auf einer Seite.“
„Die Ratten haben eine weiße Ratte als Anführer?“, fragte Biola.
„Ja“, sagte Großvater Mascarpone, „und sie ist mindestens so groß wie unser Schloss!“
„Beim letzten Mal hast du gesagt, sie sei halb so groß wie unser Schloss“, bemerkte Ricotta beiläufig.
„Na und?“, schnarrte Mascarpone. „Sie ist eben gewachsen seit dem letzten Mal!“
„Seit vorgestern?“, fragte Biolas Vater. „Vorgestern hast du zum letzten Mal von der weißen Ratte erzählt.
Nachdem die Kinder eingeschlafen waren. Das Thema scheint dich ja schwer zu beschäftigen in letzter Zeit. Ich finde, man sollte aufhören mit diesen Schnurrhaargeschichten. Erst ging es um zwei Schnurrhaare, dann um drei, jetzt geht es schon um vier. Wohin soll das noch führen?“
„Ich gebe Koriander recht“, schaltete sich Onkel Gorgonzolo in das Gespräch ein. Sein Ton war ganz ruhig. „Dieses Ausreißen von Schnurrhaaren führt zu nichts. Wir sollten sie alle töten.“
Pecorini erschrak. Töten?
„Die Ratten umbringen?“, rief Koriander aufgebracht. „Dann werden sie kommen und uns auch umbringen!“
„Wenn wir sie zuerst getötet haben, dann werden sie uns danach wohl kaum umbringen können“, antwortete Onkel Gorgonzolo kühl.
„Was ist denn so schlimm an den Ratten?“, fragte Ricotta. „Sie tun uns doch gar nichts.“
Tante Halbfettstufe hatte sich bisher nicht am Gespräch beteiligt, aber jetzt piepste sie aufgeregt: „Sie tun uns nichts? Sie stehlen unser Korn! Sie leben in Saus und Braus auf unsere Kosten! Es heißt sogar, dass der Müller ihnen regelmäßig Käse bringt! Wo sonst sollte der ganze Käse bleiben, den es auf der Welt gibt? Hier bei uns ist jedenfalls noch nie ein Stück Käse aufgetaucht. Wenn die Ratten nicht da wären, würden WIR diesen Käse bekommen! Jawohl! Ich will auch Käse haben!“ Ihre Stimme wurde immer höher und quiekender: „In meinem ganzen Leben hatte ich noch keinen einzigen anständigen Käse, und diese Ratten leben wie die Maus im Käsekorb! Das ist eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit. ICH WILL AUCH KÄSE!“
„Es stimmt ja vielleicht, dass die Ratten vom Getreide nehmen“, sagte Biolas Mutter milde, „aber das ist doch nicht so schlimm. Eine Ratte möchte eben auch mal etwas Korn. Ich finde, wir sollten da großzügig sein.“
„Ja“, pflichtete Koriander seiner Frau bei. „Es ist genug Korn für alle da! Wo ist das Problem?“
„Du verstehst das nicht“, sagte Onkel Gorgonzolo. „Das Korn steht seit der Heldentat unseres Urahns UNS zu und niemand anderem. Heute stehlen die Ratten unser Korn. Aber wenn wir uns nicht dagegen wehren, werden sie morgen kommen und uns aus der Mühle verjagen. Dann müssen wir draußen elendig verhungern! Wenn wir unser Zuhause behalten, wenn wir das Erbe unseres Urahns bewahren wollen, dann müssen wir die Ratten vernichten! Und zwar endgültig!“
„Bei einem Kampf mit den Ratten könnten wir alle getötet werden“, antwortete Koriander aufgebracht. „Auch die Kinder wären in Gefahr! Willst du das riskieren?“
„Du begreifst das noch immer nicht“, sagte Gorgonzolo entschieden. „Es geht hier um etwas viel Größeres, wofür wir bereit sein müssen, jedes Opfer zu bringen, wenn es denn sein muss! Wir sind im Krieg!“
Wieder legte Ricotta beschwichtigend ihre kleine Pfote auf Korianders Rücken, aber der wollte sich jetzt, wo es um die Zukunft seiner Kinder ging, nicht mehr beruhigen: „Du hast kein Recht dazu, über das Leben meiner Familie zu entscheiden! Wir könnten ganz in Frieden mit den Ratten leben! Wir müssen es nur wollen!“
„Wenn du so sprichst“, entgegnete Mascarpone ruhig, „und wenn du Frieden schließen willst mit den Ratten, dann hat unser Urahn umsonst gekämpft. Dann war das Opfer seiner Schnurrhaare vergeblich. Ich bin sehr traurig darüber, dass du schon vergessen hast, was man ihm angetan hat. Obwohl ich die ganze Geschichte gerade eben erst erzählt habe!“
„Gib dir keine Mühe“, sagte Gorgonzolo abwinkend, „Koriander kann das nicht verstehen. Er wurde am Waldrand geboren, wo die Mäuse nicht wissen, was Ehre bedeutet!“
„Ich weiß sehr wohl, was Ehre ist!“, rief Koriander zornig. „Und dein abwertendes Gerede über meine Herkunft kannst du dir sparen!“
Biola und Pecorini erschraken. So aufgebracht hatten sie ihren Vater noch nie erlebt. Koriander aber war noch lange nicht fertig: „Ich wünschte, ich wäre nie zu euch gezogen!“, rief er. „Ich wünschte, ich würde mit Ricotta und den Mädchen bei meiner Sippe am Waldrand wohnen. Lieber würde ich dort Hunger leiden, als mir jeden Tag eure Hetzerei gegen andere Nagetiere anhören zu müssen. Aber eines Tages, eines Tages, wenn wir alle längst nicht mehr sind, dann werden andere Mäuse hier leben. Und die werden klüger sein als ihr und Frieden schließen mit den Ratten. Aber das werden wir wohl leider nicht mehr erleben.“
„Unglaublich“, murmelte Gorgonzolo. „Koriander kann einfach nicht begreifen, wie es uns hier ergeht. Tür an Tür mit diesen Ratten. Ricotta, du hättest niemals jemanden vom Waldrand heiraten sollen! Vom Waldrand ist noch nie etwas Gutes gekommen!“
Biola wollte sagen, dass immerhin der Urahn ursprünglich vom Waldrand stammte, aber im selben Moment sprang Koriander auf, rief wütend, dass sie doch alle tun sollten, was sie wollten, und ihm alles egal sei. Dann stürzte er aus dem Schloss und verschwand in der dunklen Mühle.
Pecorini aber fing in Ricottas Armen bitterlich an zu weinen, und auch Biola hatte einen dicken Kloß im Hals. Die beiden Schwestern konnten es nicht ertragen, wenn sich die erwachsenen Mäuse stritten. Und so schlimm wie heute war es noch nie gewesen.
Ricotta nahm Pecorini seufzend fester auf ihren Schoß und legte einen Arm um Biola. Nur Pecorinis Schluchzen war zu hören.
Dann erhob sich plötzlich Onkel Gorgonzolo, murmelte „Ich hab zu tun“ und ging. Großvater Mascarpone stand ebenfalls auf und sagte: „Entschuldigt mich. Ich muss noch etwas Alufolie oder Schokoladenpapier auftreiben. Die Orden für die Ordensverleihung morgen werden sich nicht von allein basteln.“
Dann ging er ebenfalls und ließ Ricotta, Tante Halbfettstufe und die beiden Mäusemädchen zurück.
Nach einer Weile hörte Pecorini auf zu schluchzen. Und Biola fragte ihre Tante, ob sie tatsächlich noch nie Käse gegessen hätte. „Doch, ich habe schon mal ein Stück Käse gekostet“, antwortete sie. „Ein Bauer hatte seine Getreidesäcke gebracht und ein Brot mit Käse gegessen. Ein Stück davon war ihm runtergefallen. Aber das ist schon lange her.“
Tante Halbfettstufe schwieg traurig. Dann sagte sie: „Weißt du, ich träume davon, dass wir alle, als ganze Familie, irgendwann einmal einträchtig um einen großen Käsewürfel sitzen, den uns der Müller als Tribut gebracht hat, und ihn gemeinsam von allen Seiten anknabbern und genießen. Wäre das nicht wundervoll? Aber es soll wohl nicht sein. Ach, es soll einfach nicht sein.“
Tante Halbfettstufe begann zu schluchzen.
„Nie haben wir Käse!“, sagte sie mit tränenerstickter Stimme. Ihre Nase begann zu triefen. „NIE haben wir Käse! Ach … Ich weiß auch nicht, was ich getan habe, dass ich so leiden muss!“
Jetzt hatte die kleine Pecorini Mitleid mit ihrer Tante. Und gleichzeitig entfaltete sich das wunderbare Bild des Friedens, das Tante Halbfettstufe gerade eben in ihr Herz gepflanzt hatte: Die ganze Familie um ein großes Stück Käse sitzend, einträchtig und friedlich zusammen, ohne Streit! Wenn wir ein großes Stück Käse hätten, dachte Pecorini, dann gäbe es keinen Streit mehr. Dann würden sich alle wieder vertragen. Wie gerne würde Pecorini mit ihrer Familie um so ein Stück Käse sitzen und ihn genießen! Aber sie hatten keinen Käse! Wo bekam man wohl so ein herrliches Stück Käse her? Pecorini dachte an die Geschichte ihres Urahns. In der Küche des Müllers! Ja, genau! In der Küche des Müllers gab es Käse!
In diesem Moment formte sich ein Plan in Pecorinis Kopf: Sie würde einen Weg finden, ein großes Stück Käse zu besorgen, damit sich alle wieder miteinander versöhnen konnten. Ja, sie beschloss, in die Küche des Müllers zu gehen und ein Stück Käse zu ergattern. So wie es schon der Urahn getan hatte. Denn – war er nicht auch eine junge Maus gewesen, als er seine Heldentat vollbracht hatte? Ja! Genau das war er damals: Eine junge Maus, dachte Pecorini, eine junge Maus – wie ich!
Pecorini wusste natürlich, dass ihr niemand erlauben würde, in die Küche von Müller Tom zu gehen. Denn mal abgesehen von den Menschen, die immerhin Angst vor den Mäusen hatten, lebte dort auch Remus, der Kater, den man manchmal vom Mäuseschloss aus auf der Wiese herumstromern sah. Und Kater fraßen Mäuse, das wusste jeder! Aber das sollte Pecorini nicht von ihrer kommenden Heldentat abbringen. Sie beschloss, ihren Plan einfach für sich zu behalten und am Ende alle mit einem großen Stück Käse zu überraschen. Die Vorfreude zauberte ein leises Lächeln auf ihr verweintes Gesicht.