Читать книгу Biola und das geheimnis der alten Mühle - Thees Carstens - Страница 8
Kapitel 3 Der verborgene Stiefel
ОглавлениеEs war Zeit, zum Mäuseschloss zurückzukehren, denn nachmittags traf sich Biolas Familie, um gemeinsam Körner zu knabbern. Biola, Ched und Pecorini huschten durch die zerbrochene Laterne, die dunklen Gänge und durch die Bücherkiste zurück zum Weißen Schloss. In der Eingangshalle roch es wie immer nach Käse, aber es war niemand da. Dafür tummelten sich die Mitglieder der anderen vier Familien, die ebenfalls im Mäusepalast lebten, im Zwischengeschoss. Sie hielten bereits ihre Knabberstunde.
Biola verabschiedete sich kurz von Ched und krabbelte mit Pecorini weiter hinauf zur Kuppel aus Draht, unter der das Nest ihrer Familie lag – ganz oben im Schloss. Es war ein sehr schöner Ort für ein Nest, weil hier morgens die Sonne durch das Fenster in der Mühle auf das Schloss fiel und man weit hinaus in die Landschaft sehen konnte. Manche Drähte fehlten in der Kuppel des Schlosses, und andere waren zur Seite gebogen, sodass man hinausklettern und auf dem Dach des Vogelkäfigs herumbalancieren konnte.
Für Großvater Mascarpone war das nachmittägliche Körnerknabbern eine heilige Stunde, und er achtete darauf, dass alle dabei waren: Biolas Mutter Ricotta, Biolas Vater Koriander, ihre Tante Halbfettstufe, Onkel Gorgonzolo und natürlich Biola und Pecorini. Heute aber war etwas anders als sonst.
„Wo ist Großvater?“, fragte Biola.
„Haben wir uns auch schon gefragt!“, quiekte Tante Halbfettstufe. „Hoffentlich ist ihm nichts passiert!“ Sie war sehr besorgt. Sie war eigentlich immer sehr besorgt. „Er ist doch NIE unpünktlich!“
„Ich gehe ihn suchen“, sagte Biola, und bevor jemand etwas dagegen sagen konnte, war sie durch die Drähte der Kuppel geschlüpft und hüpfte über das Dach des Mäuseschlosses nach unten.
Sie hatte vor einigen Tagen kurz vor der Knabberstunde gesehen, wie Großvater Mascarpone aus einem Stiefel herausgekrochen war — irgendwo versteckt am Fuß des Gerümpelhaufens. Mascarpone hatte sich damals vorsichtig umgesehen und den Stiefelschaft unter einem Lumpen Stoff verborgen. Was wollte er in dem Stiefel? Warum versteckte er ihn? Biola hatte den Verdacht, er könnte jetzt wieder dort sein.
Sie huschte über eine Bücherkiste, sprang auf einen alten Mantel und auf den Kopf des Schaukelpferdes, der an dieser Stelle aus dem Stapel herausragte. Je näher sie dem verborgenen Stiefel kam, umso mehr verlangsamte sie ihren Lauf. Und sie gab sich Mühe, kein Geräusch zu machen. Vorsichtig schlich sie sich an den Stiefel heran. Der Lumpen war wieder weggezogen worden. Biola lugte in den Stiefelschaft. Ja, da war eine Maus! Und es war tatsächlich ihr Großvater. Biola sah nur seinen Schwanz und sein Hinterteil, aber sie erkannte ihn trotzdem. Man kennt ja das Hinterteil seines Großvaters! Aber was tat er? Biola hörte, dass Mascarpone irgendetwas vor sich hin brummte. War er wütend? Sprach er mit sich selbst? Oder war noch eine andere Maus bei ihm in dem Stiefel? Plötzlich machte er eine Bewegung, und Biola zog sich blitzschnell zurück. Sie sprang hinter ein kaputtes Holzfass, das nach Heringen roch, und sah, wie der Großvater den Stiefel verließ. Er verdeckte den Schaft mit dem Lumpen und begann, langsam zum Mäuseschloss hinaufzuklettern.
„Knabberstunde …“, grummelte er vor sich hin. „Jetzt habe ich fast die Knabberstunde verpasst! Sowas! Sowas! Schlechtes Vorbild! Sehr schlechtes Vorbild!“
Biola wartete, bis er außer Sichtweite war. Dann näherte sie sich noch einmal neugierig dem Stiefel. Ob die zweite Maus noch darin war? War etwas Besonderes in dem Schuh? Biola war angespannt. Sie fühlte Angst. Trotzdem zog sie den Lumpen vorsichtig zur Seite, steckte ihr Näschen in den Stiefel und schnupperte. Es roch muffig, aber nicht nach Maus. Oder wurde der Mäusegeruch durch den Geruch des Stiefels überdeckt? Jedenfalls war es ziemlich dunkel darin.
Biola gab sich einen Ruck und kroch vorsichtig hinein.
„Hallo?“, flüsterte sie. „Ist da jemand?“
Keine Antwort.
Etwas mutiger geworden ging Biola weiter. Aber nur ein kleines Stück. Und dann noch ein Stück. Die Überraschung hätte nicht größer sein können: In der Stiefelspitze lag nur eine Streichholzschachtel. Eine ganz gewöhnliche alte Streichholzschachtel.