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Die Werbeagentur «Idee und Bild» war während der sechziger und siebziger Jahre äußerst erfolgreich. Hinter dem Erfolg steckte ein examinierter Philosoph, der sich mit dem Phänomen Werbung beschäftigt hatte und davon überzeugt war, daß ein Philosoph mehr Geld als Werbefachmann denn als akademischer Lehrer verdienen kann.

Zu Beginn der achtziger Jahre, als es mit der Wirtschaft bergab ging, waren der examinierte Philosoph und der Besitzer der Agentur wieder am schnellsten. Letzterer verkaufte rechtzeitig seine Aktien, verkaufte die Villa in Stocksund und das Sommerhaus auf Gotland und zog mit seiner zweiten und jungen Frau nach Portugal in der Absicht, dort eine neue Werbeagentur zu gründen, sobald er einigermaßen Fuß gefaßt hatte.

Dadurch bin ich zu einer Art Chef der Agentur geworden. Zweifellos war ich der beste Texter der Agentur. Ich konnte alles besingen, von italienischen Pilzen bis zu schwedischer Unterwäsche. Man schätzte meine Texte sehr, und ich brauchte nur ein paar Stunden pro Tag an der Schreibmaschine zu sitzen, um das zu schreiben, wofür andere eine Woche brauchen.

Ich pflegte bis zwölf Uhr in der Agentur zu arbeiten. Danach ging ich mit meinen Mitarbeitern zum Essen und verschwand dann in meiner Arbeitshöhle, einem winzigen Appartement in Gamla Stan, wo ich versuchte, meine Romane und Gedichte zu schreiben. Manchmal ging das und manchmal auch nicht.

An diesem Morgen, dem ersten nach meinem Telefongespräch mit meinem Bruder, hatte ich mich kaum auf meinen Sessel gesetzt, als meine Sekretärin mit einer Tasse Kaffee hereinstürzte und einem großen Bild eines italienischen Stuhles, zu dem ich einen Text erfinden sollte. Der Text sollte um elf von einem Boten abgeholt werden.

Ich seufzte. Ich zündete eine Zigarette an und starrte auf den Stuhl. Er war aus schwarzlackierter Espe gefertigt, der Sitz bestand aus Bast. Er war schön, aber mir fiel nichts ein. Der Rücken des Stuhles war gewölbt, und ich dachte an Kirchen auf dem Land. Aber weil kein Mensch, der einen solchen Stuhl kaufen will, noch in die Kirche geht, ließ ich die Idee fallen. Ich rief nach der Sekretärin.

«Gib diesen Stuhl einem anderen! Mir fällt nichts ein!» Die Sekretärin kam ins Zimmer. Sie war um die vierundzwanzig und normalerweise ein elegantes und liebes Wesen, mit der ich gerne ein Verhältnis angefangen hätte, aber sie war mitten in einer qualvollen Geschichte mit einem verheirateten Mann. Er arbeitete als schwedischer Repräsentant in einer internationalen Handelskommission und war selten zu Hause, und wenn er zu Hause war, mußte er seine Zeit zwischen seiner Familie und meiner Sekretärin teilen.

«Was Neues von Lars?» fragte ich.

«Gestern bekam ich eine Karte aus Hongkong!»

«Ein Glückspilz!» stellte ich fest.

«Wer?» wollte sie wissen. «Er oder ich?»

Zu diesem Problem hatte ich keinerlei Lust, Stellung zu nehmen. Ich sehnte mich nach meiner Arbeitshöhle. Ich wollte zwischen meinen Aufzeichnungen sitzen, wollte nichts tun, nur an die Wand starren, aber umgeben von meinen eigenen Sachen, von meinen eigenen Gedanken, falls mir zufällig welche kommen sollten.

«Was ist los mir dir?» fragte Lena (die Sekretärin).

«Ich weiß nicht!» log ich, obwohl ich sehr genau wußte, was mit mir los war.

«Komm und gib mir ein Küßchen!» bat ich mit kläglicher Stimme, und, o welches Wunder, sie kam zu mir und machte es. Ihre weichen Lippen strichen federleicht über meine Wange, und ich schloß die Augen. Dann war sie wieder weg. In der Tür sagte sie lächelnd:

«Nun sieh zu, daß du mit dem Stuhl klarkommst!»

Herrgott, dachte ich, wann werde ich einmal einen Kuß bekommen, ohne etwas dafür tun zu müssen?

In dem Moment läutete das Telefon. Es war nicht mein Bruder. Es war die Journalistin von «Expressen» mit ihrem Wunsch, meine Ansicht über die Frau in der heutigen Gesellschaft zu erfahren.

«Nun?» erkundigte sie sich mit schmeichelnder Stimme.

«Haben Sie Strindbergs Ehegeschichten gelesen?» fragte ich.

«Nein!» antwortete sie, überzeugt, daß diese Antwort die richtige war.

«Kommen Sie um zwei Uhr in mein Arbeitszimmer, da können wir weiterreden.» Sie bekam die Adresse, und als ich den Hörer auflegte, fiel mir meine Verabredung mit der Frau vom Finanzamt ein. Verdammt, mir blieben nur noch zwanzig Minuten, um den Text für den Stuhl zu schreiben, dann mußte ich sofort in meine Höhle. Ich schrieb: «Wenn man es eilig hat, soll man bequem sitzen.» Ich warf Lena den Zettel zu, die vor Bewunderung laut stöhnte, und stürzte aus dem Büro.

«Kommst du zurück?» rief Lena.

«Ich glaube nicht!» log ich wieder. Ich wußte ja, daß ich nicht zurückkommen würde.

Drei Minuten vor dem verabredeten Termin kam ich in mein Arbeitszimmer. Ich bezog die Liege neu, weil ich von Kollegen gehört hatte, daß die Finanzprüfer auf eine unbenutzte Liege Wert legen. Sonst würde ja der Verdacht entstehen, man würde schlafen, statt zu arbeiten, oder daß man dort, wo man arbeitete, auch schlafen konnte, wodurch sich der Arbeitsraum in einen Schlafraum verwandeln würde, und Schlafräume sind nicht absetzbar.

Es läutete an der Tür. Ich ließ es noch einmal läuten, etwas ungeduldiger, bevor ich mir die Brille aufsetzte, einen Schreibstift zwischen die Zähne klemmte und den Türöffner betätigte. Ich ließ ein bißchen schadenfroh meine Tür offenstehen und konnte hören, wie sie die steilen und schmalen Treppen hinaufschnaufte. Dann stand sie vor mir. Ein Riese. Mindestens 180 Zentimeter hoch und mit sehr breitem Gesicht, in dem Stirn und Kinn ähnlich herausragten, wie man es von unseren frühen Vorfahren kennt.

Mir schwante sofort Übles. Mit ihr würde ich nicht fertig werden. Schwanger war sie auch, vermutlich im sechsten oder siebten Monat, und es war bereits offensichtlich, daß sich ein weiterer Gigant in ihrem riesigen Bauch verbarg. Als wir uns die Hand gaben, stand ihr Bauch im Wege, und ich mußte mich auf die Zehen stellen und mich gewaltig strekken. Es war ein Händeschütteln wie über einen Fluß.

Ich fragte sie, ob sie Kaffee wolle, und sie bejahte, bat mich aber, meine Unterlagen herzurichten, damit keine Zeit verlorenginge. Ich holte einen Stoß von Rechnungen, Ausgaben, Einnahmen, Reisen, Werbungskosten, Taxiquittungen etc. Dann zog ich mich in die kleine Kochecke zurück, und dort erreichte mich ihre erste Frage.

«Pflegen Sie hier im Arbeitszimmer Ihr Mittagessen einzunehmen?»

Ich versuchte, die versteckte Absicht dieser Frage zu ergründen, aber es gelang mir nicht.

«Nein, man kann hier nicht kochen. Höchstens eine Tasse Kaffee oder so was...»

«Ich sehe, daß Sie eine Liege haben!»

«Sie sehen ganz richtig!»

«Welche Länge hat das Ding?»

«Die Liege?» fragte ich und lachte.

«Wieso lachen Sie?» fragte sie. «Ach nichts!» zog ich mich zurück. «Ich habe an etwas ganz anderes gedacht.»

«Tja, als Schriftsteller hat man so seine Phantasien!» stellte sie fest.

Ich brachte ihr den Kaffee. Sie trank ihn ohne Zucker, und zu meinem Erstaunen holte sie ein Päckchen der langen, englischen Dunhillzigaretten hervor und machte kräftige Lungenzüge. Vielleicht war sie nicht sonderlich begeistert von dem schlafenden Riesen in ihrem Bauch. Bella, die Kettenraucherin, hat damals sofort aufgehört, als sie mit Vittorio schwanger war.

«Wie sieht es mit meinen Unterlagen aus?» erkundigte ich mich.

«Nichts zu beanstanden! Aber da ist einiges, was mir merkwürdig vorkommt.»

«Aha?...»

«Zum Beispiel, warum arbeiten Sie nicht zu Hause? Sie wohnen doch in einer Villa, oder? Da gibt es sicher Platz genug! Dieser Arbeitsraum ist außerdem eingerichtet wie eine Wohnung. Sie haben eine Liege, die Sie zudem frisch bezogen haben, so etwas sieht eine Frau, die Liege ist so lang, daß man durchaus darauf schlafen kann, Sie haben eine Kochecke und eine Dusche, wenn ich mich nicht irre.»

«Ab und zu schreibe ich nachts, weil ich tagsüber eine andere Arbeit habe!» antwortete ich. Da kommt es vor, daß ich ein Nickerchen mache. Ist das verboten?»

«Verboten ist es nicht, aber es ist nicht absetzbar. Wie groß ist diese Wohnung?»

«Ich weiß nicht genau, etwa dreißig Quadratmeter.»

«Sagen wir also dreißig. Rechnet man die Kochecke, die Dusche, die Liege und den Flur ab, bleiben zwölf bis fünfzehn Quadratmeter, die Sie für Ihre Arbeit benutzen! Sie können mit anderen Worten nur die Hälfte der Miete absetzen. Die andere Hälfte gilt als Wohnung. Das war das eine...» sagte sie drohend.

«Und das andere?»

«Das andere bezieht sich auf mein Schreiben. Uns wurde mitgeteilt, daß Sie in Griechenland eine größere Geldsumme geerbt haben. Sie müssen dieses Geld angeben.»

«Von wem stammt die Mitteilung?»

«Darauf kann ich nicht antworten!»

«Wissen Sie es, oder wollen Sie es nicht sagen?»

«Ich brauche auf keinerlei Fragen zu antworten.»

«Warum soll ich dann auf Ihre Fragen antworten?»

«Weil ich eine Beamtin bin!»

«Aber Sie haben gar keine Mütze auf!» scherzte ich unter Anspielung auf eine der schönsten Szenen bei Hamsun, aber die Beamtin lachte nicht.

«Haben Sie noch etwas Kaffee?» frage sie statt dessen.

Ich schenkte Kaffee nach, und sie zog eine neue Dunhill heraus.

«Nun, dann wiederhole ich meine Frage. Uns wurde mitgeteilt, daß Sie in Griechenland eine größere Geldsumme geerbt haben. Wie hoch ist der Betrag?»

«Ich antworte nicht auf idiotische Fragen!»

«Sie behaupten demnach, ich sei ein Idiot!»

«Ich behaupte, daß die Frage idiotisch ist! Haben Sie an die Möglichkeit gedacht, daß jemand sowohl Ihnen wie mir einen Streich spielen will?»

«Sie antworten also nicht. Sie lassen mir keine andere Wahl, als Sie einzuschätzen!» sagte sie mit haarsträubender Logik.

«Sie können tun, was Sie wollen! Ich werde mich beschweren!»

«Tun Sie das!» sagte sie ruhig, als wüßte sie, wie sinnlos das sein würde.

Dann saßen wir eine Weile schweigend da, und sie ging meine Unterlagen noch einmal durch, ohne etwas daran aussetzen zu können. Damit erhob sie sich und streckte mir die Hand hin. Aber ich tat so, als hätte ich sie nicht bemerkt.

Schnaps und Rosen

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