Читать книгу Humoristische Geschichten - Zweiter Band - Theodor Oelckers - Страница 11
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Оглавлениеedermann kennt die altberühmte Firma Fr. Treuhold. Weniger allgemein bekannt dürfte das eigentümliche Schicksal des derzeitigen wackeren Eigentümers dieser soliden Firma sein, das vor einigen Jahren so großes Aufsehen in der Stadt machte, denn nicht bloß Herrn Treuhold’s Freunde und Nachbarn, sondern wirklich die ganze große Stadt hatte damals Stoff vollauf zum Reden und Kopfzerbrechen. Das war insofern natürlich genug, als Herr Treuhold sehr reich, noch jung und übrigens in jeder Beziehung sicherlich der interessanteste und liebenswürdigste Mann am Orte war. Schon damals wusste er seinen immensen Reichtum als junger Weltmann zu gebrauchen, ohne deshalb ein Verschwender zu sein; im Gegenteil, er zeigte sich damals wie in der Folge als der beste Geschäftsmann von der Welt und hat allezeit den Ruf seines Hauses zu wahren verstanden, dessen Zuverlässigkeit ja beinahe sprichwörtlich ist. Er war (und ist) durch und durch, was die Geschäftsleute einen guten Mann zu nennen pflegen. Sein Vater, sein Groß- und Urgroßvater sind ebenso wackere Leute gewesen.
Herr Treuhold, der einzige Erbe seines seit drei Monaten (d. h. vor nunmehr drei bis vier Jahren) verstorbenen Vaters, sah sich jetzt an der Spitze des Geschäfts als alleiniger Besitzer. Früher war er ein heiterer fröhlicher Mensch gewesen, bis er plötzlich von einer Reise, von der ihn die Nachricht vom unerwarteten Verscheiden seines Vaters heim rief, als ein in sich gelehrter tiefsinniger Träumer zurückgekehrt war. Anfangs fiel das Niemand besonders auf, denn man sah die naheliegende Ursache in dem unverhofften Tode des alten Herrn Treuhold und man rühmte den jungen Mann umso mehr, als er trotz seines sichtlichen Kummers doch seinen Geschäften nach wie vor mit einer musterhaften Pünktlichkeit oblag.
Alles Ding will aber sein Ziel und Ende haben, wenn es nicht unangenehm werden soll, und da sich nun dieser alten Regel der Gram des jungen Treuhold nimmermehr fügen zu wollen schien, begannen die Leute den Kopf darüber zu schütteln und sie hatten im Grunde nicht so ganz Unrecht. Er besaß außer seinem geachteten Namen ein großes Vermögen, ein stattliches Haus nebst Park, allerhand Kunstschätze, vier oder fünf Pferde von ausgezeichneter Schönheit und wer weiß was noch. Aber das Publikum glaubte richtig zu erraten, was ihm fehlte: nämlich eine Frau. Und doch musste sein Tiefsinn einen ganz andern Grund haben, denn hätte es sich nur um eine Frau gehandelt, so wusste ja Jedermann, dass es ihm nicht schwer fallen konnte , die Hand der Schönsten und Besten zu erhalten; er durfte nur wählen. Man hätte gleichwohl auch auf den Gedanken kommen können, dass er jenes jetzt nicht mehr fashionable Gefühl im Herzen trüge, was man ehemals eine unglückliche Liebe nannte; aber auf diesen altväterischen Gedanken kamen die schlauen Leute keineswegs und zwar die Damen deshalb nicht, weil sich alle insgeheim gestanden, dass ihrer keine auf Erden so abgeschmackt sein könnte, einen Mann wie den jungen Treuhold unglücklich lieben zu lassen, und die übrigen Leute nicht, weil sie fest überzeugt waren, dass ein so tüchtiger Geschäftsmann mitten im neunzehnten Jahrhundert nimmermehr Narr genug sein könnte, sich zu verlieben und noch dazu unglücklich zu lieben.
Herr Treuhold hatte, wie sich denken lässt, gute Freunde in Menge, aber es gelang keinem einzigen, hinter das Geheimnis; seines Trübsinns zu kommen. Das Herz des Menschen trägt indes, wie bekannt, nicht gern fortwährend ein Leid im Stillen. Auch den jungen Kaufmann drängte es, sich auszusprechen, als er eines Abends mit seinem bejahrten Nachbar eine Flasche Wein trank. Der Nachbar, einer jener alten biederen Herren, denen auf Erden nur noch die schwierige Aufgabe geblieben ist, Coupons abzuschneiden, war sein intimer Freund, wie er gleicherweise seit langen Jahren der Freund seines Vaters gewesen. Melancholische Gemüter stimmt der Wein oft sanft und weich, während er ihnen wie allen andern zugleich Herz und Mund öffnet. Ein Wort gab das andere, bis Herr Treuhold endlich sagte: „So schwer mir das Geständnis fällt, sollen Sie doch wissen, woher mein Kummer rührt, über den man sich unberufener Weise den Kopf zerbricht. Sie werden nicht weiter davon schwatzen“, lieber Herr Lebrecht. Als ich mich auf meiner letzten Reise in Frankfurt einige Zeit aufhielt, hab’ ich mich verliebt — hoffnungslos verliebt! Das ist das Geheimnis und nun lachen Sie mich aus, wenn Sie wollen!“
„Gott verhüte, dass ich Sie deshalb auslachen sollte!“ erwiderte Herr Lebrecht. „Aber das ist’s also doch! Ich dachte mir’s beinah, obwohl sonst kein Mensch an so etwas glauben wollte. Nun, damit Sie sehen, dass ich weit entfernt bin, Sie auszulachen: Da, lassen Sie uns mit vollen Gläsern anstoßen! Ihre Herzensgeliebte soll leben!“
Der junge Mann stieß an und leert; das Glas bis auf den Grund, dass man recht deutlich sah, wie es ihm ernst damit war.
„Nun bitt’ ich Sie aber, mein junger Freund“, fuhr Herr Lebrecht fort, „womöglich ein bisschen aufrichtiger gegen mich zu sein. Sie sagten, Sie liebten hoffnungslos. Was soll denn das heißen? Mag das Fräulein Sie etwa nicht haben?“ „Ohne Zweifel würde sie mich nicht verschmähen.“
„Wollen die Eltern Sie nicht?“
„Sie hat keine Eltern mehr. Lebt bei Verwandten.“
„Nun, wollen die Verwandten Sie nicht?“
„Aufrichtig, diese hab’ ich noch nicht ausdrücklich befragt, aber ich bin genügend überzeugt, dass sie mit Freuden ja sagen würden.“
„Das sind’ ich natürlich und in Ordnung; aber ich bin nun mit meinem Latein zu Ende. Wo ist das Hindernis? Warum heiraten Sie denn das Mädchen nicht?“
„Es ist unmöglich“ sagte der junge Mann niedergeschlagen.
„Na,“ rief Herr Lebrecht mit gutmütigem Schmollen, während er die Gläser wieder füllte, „so nennen Sie mich nicht mehr Ihren Freund, wenn Sie auch gegen mich den Zurückhaltenden spielen wollen, der ich mit Ihrem seligen Vater gut bekannt war, bevor Sie noch auf der Welt waren!“
„Ein unübersteigliches Hindernis steht meiner Neigung im Wege. Ein Wechsel, den ich ausgestellt habe —“
„Ein Wechsel?“
„Ja, ein Wechsel“ Sie wissen, was das heißen will.“
„Daraus wird‘ ein andrer klug!“ sagte Herr Lebrecht kopfschüttelnd. „Was kann denn ein Wechsel mit Ihrer Liebe zu schaffen haben? Warum lösen Sie das Papier nicht ein? oder wie ist’s damit?“
„Brauch ich Ihnen zu sagen, dass ein Treuholdscher Wechsel nicht uneingelöst bleiben kann?“ sagte der junge Mann fast im Tone verletzten Stolzes.
„Freilich! Warum beseitigen Sie aber dies lumpige Hindernis nicht? Ich kann noch immer nichts davon begreifen! Das Papier wird doch nicht so viel wert sein, dass es Ihr ganzes Vermögen in Anspruch nimmt?“
„Nicht doch, mein Vermögen hat dabei nichts zu leiden. Auch sag’ ich Ihnen, dass ich dem Inhaber zur Verfallzeit gerecht sein muss und werde — aber es wird mich doch ruinieren!“
Herr Lebrecht fürchtete alles Ernstes, dass in dem sonst wohlgeordneten Kopfe seines Freundes ein Schräubchen locker geworden sein müsste. Alle Fragen, alles Schmollen, alle Vorwürfe fruchteten nichts und Herr Treuhold bat den Herrn Nachbar, nicht weiter in ihn zu dringen.
„Ich hab’ ein einzig Mal eine unüberlegte Handlung begangen,“ sagte er, „wie sie ein guter Geschäftsmann sich nie erlauben sollte; aber ich bin noch gut genug, ich kenne die Ehre meines Standes und insbesondere die meines Hauses zu wohl, um nicht meine Verbindlichkeiten getreu zu erfüllen, sollte mein Lebensglück auch dabei zu Grunde gehen müssen. Und freilich wird es zu Grunde gehen!“ fügte er seufzend hinzu. —