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Der Rote Wie die beiden Wildhall in der Taverne zur silbernen Krone den Vizeadmiral Edward Vernon zu ihrem Schiedsrichter wählen.

ag man die Lebensweise der beiden Wildhall, Oheim und Neffe, nun billigen oder tadeln, gewiss bleibt doch, dass sie jahrein jahraus in ihrer Art ein gar angenehmes Leben führten, obwohl wenig Abwechslung darin war, abgesehen von dem erwähnten Wechsel zwischen Frieden und Streit. Wie sie nie ohne einander leben konnten, so schienen sie gleichwohl auch nicht ohne Zwistigkeit mit einander leben zu können. In der Regel besuchten sie des Abends eine Taverne, die nicht zu den vornehmsten, aber gewiss zu den besten und behaglichsten gehörte. Da fand sich ein kleines Seitenstübchen, wo sie zusammenkamen und wo sich auch der eine und andere ihrer guten Bekannten einzufinden pflegte. Dieses Seitenstübchens wegen ist mir’s beinahe lieb, dass beide nicht verheiratet waren, denn den guten Hausfrauen sind derartige Seitenstübchen gewöhnlich ein wahrer Dorn im Auge und zwar aus ganz natürlichen Gründen; diese Stäbchen haben z. B. meist die böse Eigenschaft, dass man darin weder die Turmuhr noch den Ruf des Nachtwächters vernehmen kann und dass die Taschenuhren, auch wenn sie aufgezogen sind, leicht stehen bleiben, von andern Übelständen zu schweigen. Es ist als wären diese Stübchen behext; denn mag darin noch so viel Gutes getan und von guten erbaulichen Reden begleitet werden, so wird der verheiratete Gast, zumal wenn vor Rührung über all das Schöne und Gute das Werk seiner Uhr stehen geblieben war, doch meist etwas schweren Gewissens nach Hause gehen, der Hausschlüssel wird ihm wie ein Zentner Blei in der Hand liegen und wenn er die Haustür in schwebender Pein öffnet, wird’s ihn dünken, als täte sich ihm die Pforte zum jüngsten Gericht auf.

Dergleichen kannten unsere beiden Freunde nicht aus eigener Erfahrung und sie waren unter ihren Genossen die harmlosesten und besten Gesellschafter, so lange sie nicht in Streit gerieten. Ihr Streitsystem aber hatte sich mit den Jahren zu einer gewissen Regelmäßigkeit ausgebildet. Waren sie ein paar Wochen lang im ungetrübtesten Frieden gewesen, dann gab, wo nicht etwas Anderes, doch sicherlich das heillose Wort „Neffe“ oder „Oheim“ Anlass zu einem heftigen Wortwechsel, der mit einem erbitterten Auseinandergehen zu endigen pflegte. Dann schmollten beide so und so viel Tage, obwohl jeder gleich in der ersten Stunde die Trennung bereute, bis dann eines Abends die Sympathie beide gewöhnlich gleichzeitig wieder in die Taverne zur „silbernen Krone“ führte. Durchschnittlich jeden Monat einmal kam eine solche Entzweiung und Versöhnung vor.

Unter den übrigen Personen, welche sich gelegentlich in jenem ziemlich engen Kreise einfanden, der in der silbernen Krone Sitzung hielt, ist auch eine sehr ausgezeichnete zu erwähnen, ein Mann von bedeutendem Rufe, nämlich der Vizeadmiral Edward Vernon, der, wenn er nicht zur See war, besondere Neigung zu einem solchen lauschigen Winkel einer behaglichen Taverne hatte. Edward Vernon war damals ein auf allen Meeren bekannter Name von gutem Belange; aber solche berühmte Leute haben ebenso gut ihre kleinen Liebhabereien wie die unbedeutendsten Menschen und unter Vernons Liebhabereien gehörte ein gutes Glas und das Stübchen in der silbernen Krone. Dies Stübchen war aber auch ein Juwel in dieser Krone, wodurch sie wertvoller als eine goldene wurde. Vielleicht zog Vernon überdies eine geheime Sympathie zu den Wildhalls hin, weil beide zur See mitten in einem Sturme geboren waren. Wie Seeleute sahen sie nun freilich nicht ganz aus, sondern wie ein paar echte, etwa vierzigjährige und weit älter scheinende Londoner Landratten, die aber wie wahre Seeleute trinken konnten und in der Zeit ihres Friedens keinen Spaß verdarben. Vernon hatte nach und nach ihre Geschichte genau gehört, obwohl die Erzählung, weil man dabei auf das kritische Verwandtschaftsverhältnis kommen musste, gar oft durch einen Streit unterbrochen worden war. Beiden Verwandten war aber Vernon ein sehr willkommener Gast, denn sie hörten mit besonderer Vorliebe von Seeabenteuern, und Vernon hatte deren, zumal in den Meeren zwischen Afrika und Ostindien, in Fülle erlebt. Sein Beruf brachte es leider mit sich, dass seine Besuche der silbernen Krone oft sehr lange Unterbrechungen erfuhren.

Eines Abends fand er sich auch nach mehr als zwölfmonatlicher Abwesenheit wieder dort ein. Es war kein Gast weiter im Stübchen, außer den beiden Wildhall, mit denen es aber wieder einmal nicht ganz richtig zu sein schien. Es blieb zweifelhaft, ob der Sturm schon vorüber war, oder ob der rechte Ausbruch erst drohte; noch musste wohl Letzteres der Fall sein, denn außerdem würden sich beide noch schwerlich im Stübchen befunden haben.

Das Erscheinen Vernons war ein freudiges Ereignis für beide und ließ für diesmal eine Beseitigung alles Haders hoffen, zumal da der Vizeadmiral gleich mit einem Paar derben Seemannsflüchen zwischen den kriegslustigen Mächten intervenierte.

So lange er Vizeadmiral wäre und zur Abwechslung einmal mit den elenden Landratten einer Flasche den Hals brechen könnte, meinte er, wär’s ihm außerordentlich gleichgültig, ob er im Übrigen ein Oheim oder ein Neffe auf der Welt sein sollte; es müsste denn ein verständiger Grund vorhanden sein, fügte er hinzu, um ihn ausnahmsweise einmal das Eine oder Andere vorziehen zu lassen, als z. B. wenn es etwa aus Erhebung einer Erbschaft ankäme, die ihm in diesem Augenblicke, wie er nicht verschweigen wollte, just recht gelegen kommen würde.

Bei dieser Bemerkung sahen die beiden Wildhall einander mit sehr bedeutsamen Blicken an und sie gestanden alsbald dem Admiral, dass solches jetzt eben auch ihr eigener Fall wäre und dass eine Erbschaft beinahe Anlass gegeben hätte und sicherlich auch noch Anlass geben würde, um sie heftig zu entzweien.

Es war nämlich ein Verwandter gestorben, welcher dem Neffen, d. h. dem Sohne der in Hamburg verstorbenen Frau Hall, 1000 Pfund hinterlassen hatte, mit der Bestimmung, dass diese Summe, falls im Augenblicke der Testamentseröffnung die Verwandtschaftsfrage noch immer nicht gelöst sein würde, unter beiden Wildhall geteilt werden möchte.

Nun wollte aber keiner von der Teilung etwas wissen, denn jeder behauptete hartnäckiger denn je, er sei Oheim und der andere müsste als Neffe die 1000 Pfund allein übernehmen.

„Ei, da verdient ihr heillosen Bursche doch die Pest!“ rief Vernon, als man ihm diesen Umstand mitgeteilt hatte. „Tausend Pfund klingt so hübsch rund und voll, ja auch selbst 500 Pfund lautet nicht übel und der Verstand steht mir darüber still, dass Ihr das einer solchen Narrensposse wegen wie einen elenden Puppenstiel behandelt. Da wünscht’ ich Euch doch wahrlich, dass Eure ganze Erbschaft nur in Eures ehrbaren Vaters oder Großvaters Giftschranke bestanden hätte! Wie kann ein vernünftiger Christenmensch die Gottesgabe so leichtfertig verschmähen!“

Das hieß aber bei den Beiden, denen es in der Tat auf 1000 Pfund mehr oder weniger nicht ankam, Alles in den Wind geredet. Wenn man jeden Menschen auf Erden seine schwache Seite haben lässt, so gut wie seinen Schatten, warum sollten dann die beiden Wildhall nicht auch die ihrige haben dürfen, zumal da sie damit höchstens sich selber und sonst Niemand auf der Welt ein Leid taten! Vernon hatte ihnen schon früher alles Mögliche und Hunderterlei vorgeschlagen, um die Frage zu entscheiden; aber sie hatten Alles, das Los und jedes ähnliche Mittel, verworfen, denn jeder erklärte, seiner Sache gewiss zu sein und wollte sich sein gutes Recht nicht durch den blinden Zufall rauben lassen.

„Meiner Treu!“ sagte Paul, „recht gern wollt’ ich die 1000 Pfund oder meine Hälfte davon Demjenigen überlassen, der den halsstarrigen Menschen da so recht entschieden von seinem Irrtum überführen würde.“

„Das wollte ich mit tausend Freuden auch!“ rief Johannes. „Admiral, bringt uns Einen, der dem Paul ordentlich klar macht, dass er mein Neffe — ich kann übrigens wohl sagen, mein lieber Neffe ist — und ich tret’ ihm herzlich gern die 500 Pfund ab, die ich haben soll und die mir nicht gehören.“

Vernon rieb sich sinnend die Stirne, denn die Erklärung der Beiden erschien ihm urplötzlich wie eine jener Gelegenheiten, die ein kluger Mann nicht versäumen muss, bei der Stirnlocke zu fassen. Er befand sich wirklich in einer Geldverlegenheit und die 1000 Pfund, welche von den beiden Kaufleuten einer Grille wegen so leichtsinnig verschmäht wurden, wären ihm ein Manna in der Wüste gewesen.

„Herzenskinder, „ rief er nach einer kurzen Pause, „ich nehm’ Euch bei Eurem Worte! Wenn ich Euch mit der Onkelfrage die Querköpfe zurechtsetze, so hab’ ich Eure 1000 Pfund verdient!“

„Topp! Es gilt!“ riefen Beide. „Wird aber schwer halten mit dem Neffen!“

„Ja, leider wird’s schwer halten und im Augenblicke weiß ich wahrlich noch selber nicht, wie ich’s anstellen und angreifen werde“, sagte Vernon. „Hätt’ ich meinen trefflichen Hochbootsmann noch!

Ich sag’ Euch, Jungen, ich hatt’ einen goldenen Hochbootsmann, der wusst’ in allen Dingen Rat und Auskunft, mochte sein was es wollte und mocht’ aussehen wie es wollte.

Den pfiffigen Blitzburschen konnte nichts in Verlegenheit bringen.

Er hätt’ Euch durch und durch geschaut und hätt’s Euch von weitem angesehen, was Ihr wäret. Ist mit andern Leuten fertig geworden als solchen Krämerseelen. Aber der arme Teufel ist mir verwichenes Jahr gestorben. Da hilft nun kein Jammern und man muss anderwärts zusehen, wo Barthel Most holt.“

Die sehr alte Regel, dass das, was man sich am eifrigsten wünscht, einen am allerwenigsten befriedigt, wenn man es wirklich erlangt, würde sich vielleicht nirgend mehr bewährt haben, als in dem fraglichen Falle.

Denn wären die Wildhall ins Klare über ihren Streitpunkt gekommen, so würde ihnen gewiss etwas gefehlt haben.

Der obwaltende Zweifel und der Streit darüber gehörte, ebenso wie der monatliche Zwist, recht eigentlich zu ihrem Lebenswohlsein, zur Würze ihres Daseins, und wenn man ihnen die gewünschte Lösung der Frage brachte, so erwies man ihnen im Grunde gewiss keinen Liebesdienst. Aber dem Seehelden Vernon, der vor Allem gar gern die 1000 Pfund erwerben wollte, kamen keine derartigen Skrupel in den Sinn. Seine einzige Sorge war, recht geschwind ein Mittel zu finden, um den Streit der Verwandten zu schlichten und noch mehrmals kam er an diesem Abend auf seinen unvergleichlichen Hochbootsmann zurück, der ihm zuverlässig mit einem gescheiten Gedanken ausgeholfen haben würde, wenn er nicht gestorben wäre.

Die Aussicht auf eine baldige Entscheidung verhinderte diesmal jeden Ausbruch des Zwistes zwischen den Beiden. Vernon verhieß, über Nacht auf eine Auskunft zu sinnen; und versprach, am folgenden Tage jedenfalls mit einer solchen aufzuwarten, mochte sie kommen, woher sie wollte. Man kam daher überein, dass am nächsten Abend zu bestimmter Stunde weder Neffe noch Oheim, noch der mutmaßliche Schiedsrichter in der silbernen Krone fehlen dürfte.

Humoristische Geschichten - Zweiter Band

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