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4. Kapitel

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Ich war unentschlossen, ob ich die Polizei verständigen sollte oder nicht.

Ich hatte keine Lust, Schwierigkeiten zu bekommen, und schob den Anruf erst einmal etwas hinaus. Zuerst einmal wollte ich mich mit Jimmy unterhalten und ihm den Sachverhalt erklären. Ich rollte langsam durch die Straßen, und die Szene vor Joe Burtons Wohnungstür ging mir nicht aus dem Sinn.

Hatte ich dem Mörder gegenübergestanden? Burtons Gesicht war angst und schreckverzerrt gewesen. War es darauf zurückzuführen, dass ich so plötzlich vor ihm aufgetaucht war, oder war er selbst durch die ermordete Nora Grabble überrascht worden? Die Zeit, die er in der Wohnung verbracht hatte, hatte unmöglich ausgereicht, sie zu erstechen. Das stand einwandfrei fest. Joe Burton war nur ein oder zwei Minuten in seiner Wohnung gewesen. Die Frage war allerdings, ob er es nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt getan haben konnte und noch einmal zurückgekommen war. Schade, dass er mich so lahmgelegt hatte. Es wäre besser gewesen, wenn ich mich mit Joe erst einmal hätte unterhalten können. Das hätte die Dinge wesentlich beschleunigt und geklärt.

Als ich die City erreicht hatte, warf ich meinen ersten Entschluss über den Haufen. Es handelte sich um einen Mord, und ich musste die Polizei unbedingt verständigen, damit sie Spuren sichern und aufnehmen konnte. Als freier Privatdetektiv war ich dazu sogar verpflichtet. Es hatte keinen Sinn, gegen die Polizei zu arbeiten. Es kam einzig und allein darauf an, den Mörder von Nora Grabble zu finden. Wem das glückte, war gleichgültig. Ob nun ich die Lorbeeren einsteckte oder die Polizei. Ganz zu schweigen davon, dass man ja bei einem Mord kaum von Lorbeeren sprechen konnte.

Ich hielt den Wagen an einer Telefonzelle an und rief das Hauptquartier an. Ich ließ mir den Officer vom Nachtdienst geben, nannte ihm meinen Namen und informierte ihn. Als er mich fragte, woher ich anrief, legte ich auf.

Ich wendete den Wagen und fuhr zurück in die 122. Straße. Ich war gerade ausgestiegen und hatte mich an das kleine Eisengitter gestellt, als ich auch schon das auf- und abschwellende Geheul der Polizeisirene hörte. Ich gab dem diensttuenden Officer, der mitgekommen war, einen Lagebericht. Der Mann war naturgemäß sehr neugierig und wollte von mir allerhand wissen. Vor allen Dingen wollte er erfahren, wieso und warum ich ausgerechnet in diese Wohnung gekommen sei. Ich beantwortete alle Fragen, so gut ich konnte, aber diese letzte Frage umging ich. Immerhin war der Mann der ermordeten Nora mein Klient. Ich musste zuerst einmal Rücksprache mit ihm nehmen und ihm auf den Zahn fühlen. Er hatte eine Anzahlung geleistet, und ich war ihm gegenüber verpflichtet. Ich gab dem diensttuenden Officer eine ausweichende Antwort.

Der Mann kannte mich und versteifte sich nicht darauf, dass ich meine Karten auf den Tisch legte. Sicher wusste er, dass ich früher oder später doch die näheren Zusammenhänge aufdecken würde. Während seine Leute beschäftigt waren, den Tatort aufzunehmen und zu fotografieren, setzte ich mich ab.

So schnell ich konnte, fuhr ich quer durch die Stadt zur westlichen Randsiedlung, um mir Nora Grabbles Haus einmal anzusehen. Stellen Sie sich meine Überraschung vor, als ich die beiden Fenster zur Straße hin hell erleuchtet vorfand. Auf mein Klingeln hin hörte ich schlurfende Schritte hinter der Tür. Sie schwang auf, und Max Grabble stand vor mir.

An seinen Füßen trug er tatsächlich ausgetretene Pantoffeln. Die Träger seiner Hose hatte er von den Schultern gleiten lassen. Sie baumelten traurig an den Hüften hinunter. Er trug ein nicht mehr sauberes Normalhemd, und seine Augen waren gerötet. Als er den Mund aufmachte, roch ich, dass er getrunken hatte.

„Kommen Sie ‘rein“, sagte er müde.

„Natürlich“, erwiderte ich und schloss hinter mir die Tür. „Sagen Sie, Grabble, wieso sind Sie zu Hause? Sie wollten doch für einige Tage auf Tour gehen.“

„Die Sache ist verschoben worden“, sagte er. „Die Reise geht erst in zwei Tagen los. Bis dahin habe ich mir Ferien genommen. Entschuldigen Sie, Mister Dolan, wenn ich etwas einfältig spreche, aber ich glaube, ich habe zu viel getrunken.“

Er entschuldigte sich völlig unnötig, denn er hatte wirklich nicht zu viel getrunken. Er wusste noch sehr genau, was er sagte, und es unterlief ihm kein einziger Sprachfehler.

Er hatte es sich im Wohnzimmer bequem gemacht. Neben dem bequemen Strohsessel stand eine abgeräumte Blumenbank, auf der Stapel von Magazinen und Zeitungen lagen. Auf dem Rauchtisch auf der anderen Seite des Sessels befanden sich eine halb leergetrunkene Flasche Whisky, eine Flasche Soda und ein gefülltes Glas. Der Aschenbecher war mit Zigarettenstummeln überhäuft.

Diesem Aschenbecher galt mein Blick. Bei seinem Besuch in meinem Büro hatte Grabble erklärt, er hätte sich das Rauchen abgewöhnt. Dieser überfüllte Aschenbecher zeigte, dass er rückfällig geworden war.

„Hatten Sie Besuch?“, fragte ich.

„Ja, ja, ich hatte tatsächlich Besuch. Ein Kollege von mir. Wir haben noch etwas gefachsimpelt. Haben Sie eine Ahnung, wo meine Frau stecken könnte? Es ist mir unerklärlich, dass sie nicht zu Hause ist.“

„Dagegen hilft Trinken nichts“, sagte ich. Ich nahm ihm das Glas aus der Hand, das er hochgehoben hatte.

Er schüttelte müde den Kopf und ließ es geschehen. Dann fiel er schwer in den Sessel zurück.

„Passen Sie auf, Grabble“, sagte ich ernst, „reißen Sie sich jetzt zusammen und beantworten Sie meine Fragen genau. Es hängt sehr viel davon ab. Wann sind Sie nach Hause gekommen?“

„Kurz nach einundzwanzig Uhr“, sagte er. „Nora war schon nicht mehr hier.“

„ Wurden Sie von Ihrem Freund begleitet, oder kamen Sie allein?“

„Wir kamen zusammen hier an“, sagte Grabble.

„Wann kamen Sie?“, fragte ich.

„Das kann höchstens einundzwanzig Uhr fünfzehn gewesen sein“, sagte er. „Genau weiß ich es nicht zu sagen.“

„Schön, nehmen wir an, es sei einundzwanzig Uhr fünfzehn gewesen“, stellte ich fest. „Wir haben jetzt“, ich sah auf meine Armbanduhr, „dreiundzwanzig Uhr dreißig. Ihr Kollege ist wann gegangen?“

„Was sollen denn diese Fragen?“, sagte Grabble.

„Antworten Sie“, drängte ich.

„Es muss etwa zweiundzwanzig Uhr gewesen sein“, erwiderte Grabble.

„Also gut, um zweiundzwanzig Uhr“, erwiderte ich. „Und was haben Sie danach bis jetzt getan?“

„Ich war hier und hab‘ gelesen“, sagte er. „Und etwas getrunken. Mein Gott, Sie müssen das verstehen. Ich bin fürchterlich enttäuscht.“

„Weil Nora weg war?“

„Ich will Ihnen sagen“, schickte er voraus, „dass ich das Schlimmste annehme. Ich wollte es nie glauben, aber jetzt bin ich sicher, dass sie mich betrügt.“

„Haben Sie irgendeinen Zeugen, der beweisen kann, dass Sie in der Zeit von zweiundzwanzig bis dreiundzwanzig Uhr dreißig das Haus nicht verlassen haben?“

„Warum denn?“, wollte er wissen.

„Haben Sie einen Zeugen oder nicht?“, fuhr ich ihn an. Mit einem Ohr horchte ich zur Straße hinaus. Es konnte nicht lange dauern, bis die Polizei erschien, um Grabble zu vernehmen. In der Handtasche Noras war eine Identitätskarte gewesen, und sie wussten genau, wo sie gewohnt hatte.

„Ich weiß nicht, ob ich einen Zeugen habe“, sagte Grabble. „Aber mein Kollege kann bestätigen, dass ich hier gewesen bin.“

„Das werde ich feststellen“, sagte ich. „Aber das betrifft nur die Zeit zwischen einundzwanzig Uhr fünfzehn und zweiundzwanzig Uhr. Mir kommt es darauf an zu wissen, ob Sie ein Alibi für die letzte Stunde haben.“

„Ich glaube nicht, dass ich eins habe“, sagte er. „Nun sagen Sie mir doch, Mister Dolan, was passiert ist.“

„Jetzt können Sie einen Schluck nehmen“, sagte ich und reichte ihm das Glas. Er nahm es hilflos entgegen und sah mich aus großen, ängstlich erwartungsvollen Augen an.

„Ihrer Frau ist etwas passiert“, sagte ich.

„So reden Sie doch schon“, erwiderte er und nahm jetzt einen Schluck.

„Sie ist ermordet worden“, sagte ich.

„Das ist nicht wahr!“, lautete seine Antwort. „Das ist nicht wahr.“

„Es stimmt leider“, erwiderte ich. „Sie wurde in der Wohnung eines gewissen Burton erstochen. Können Sie mit diesem Namen etwas anfangen?“

„Ich hab‘ den Namen noch nie gehört“, erwiderte er. „Hab‘ ihn noch nie gehört. Nora ist ermordet worden. Warum musste das alles so kommen?“

Ganz behutsam setzte er sich wieder in den Sessel, lehnte sich weit zurück und starrte schweigend gegen die Zimmerdecke. Seine Wangen waren eingefallen, er wirkte noch magerer und ausgebrannter als sonst.

„Wer hat es getan?“, fragte er dann. „Dieser Joe …? Ich hab‘ den Namen vergessen.“

„Ich weiß es nicht“, erwiderte ich. „Aber es scheint festzustehen, Grabble, dass Joe Burton der Freund Ihrer Frau war.“

„Mein Gott, Nora, warum hast du das getan?“, fragte er fast schluchzend. „Ich habe doch alles für dich tun wollen. Ich habe dich verwöhnt und dir jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Warum hast du das getan?“

Er wiederholte diese Sätze monoton und unaufhörlich. Ich hatte mir eine Zigarette angezündet, stand am Fenster und sah zur Straße hinaus. Es hatte keinen Sinn, Max Grabble trösten zu wollen. Er musste allein über diesen Schock hinwegkommen. Da konnte ihm kein Mensch helfen. Ich hörte ein klirrendes Geräusch und drehte mich um. Er hatte das Glas hochgenommen und wollte trinken. Seine Hand zitterte und das Glas rutschte aus seinen Fingern. Es zerschellte an der Kante des Tisches und fiel dann in Scherben zu Boden.

Auf Zehenspitzen verließ ich das Wohnzimmer und ging über die Diele zur Straße hinaus. Ich wunderte mich, dass der Polizeiwagen noch nicht aufgetaucht war. Meiner Schätzung nach hätte das schneller gehen müssen. Ich sah die Straße hinunter und fluchte leise vor mich hin. Die Gardinen am breiten Giebelfenster des Nachbarhauses bewegten sich wieder. Diese verdammte Lambert lag schon wieder auf der Lauer und sah nach, was es hier gab. Widerlich, diese Frau. Wie würde sie triumphieren und sich das Maul zerreißen, wenn sie erst von der Liebschaft Noras und von ihrem Tod erfuhr? So etwas war ein gefundenes Fressen für Frauen ihrer Art.

Ich schnipste die Zigarette zu Boden und ging zurück in das Wohnzimmer. Zuerst merkte ich überhaupt nichts. Grabble saß zusammengesunken in seinem Sessel und starrte zu Boden. Erst als er stöhnte, sah ich genauer hin.

Er hatte sich die Pulsadern mit einer Glasscherbe aufgeschnitten. Am rechten Gelenk war wenig Blut zu sehen. Der Schnitt war nicht sehr tief gewesen. Die linke Hand aber verströmte nur so das Blut.

„Mensch, Grabble“, sagte ich erschreckt und stürzte mich auf ihn. „Sie sind wohl verrückt geworden, was?“

Er antwortete nicht und schien mich auch schon gar nicht mehr zu sehen. Ich knüpfte ihm die Hosenträger los und band ihm den Arm ab. Ich holte sein Taschentuch und meins heraus und legte einen Pressverband auf die Wunde. Dann ging ich zum Telefon und rief das Polizeispital an.

Grabble hatte auf seine Weise auf die Nachricht reagiert. Er war den untersten Weg gegangen und wollte still und unauffällig aus dem Leben verschwinden. Ich nahm die Whiskyflasche und goss mir einen ordentlichen Schluck in die linke Handfläche. Damit massierte ich dann sein Gesicht. Es schien höllisch zu brennen. Vor allen Dingen hatten seine Augen etwas mitbekommen. Er schlug sie auf und stöhnte. Aber er blieb apathisch und rührte sich nicht. Er war es noch, als die Polizei erschien und ich sie ins Wohnzimmer geführt hatte.

Leutnant Steel sorgte dafür, dass Max Grabble sofort in ein Spital gebracht wurde. Zwei seiner Leute verstauten Grabble im Dienstwagen und starteten mit ihm los. Der Officer blieb mit einem anderen Mann zurück und begann, das Haus zu durchsuchen.

Die beiden Beamten betrieben die Arbeit, meinem Gefühl nach, nur sehr oberflächlich. Sie wussten wohl genau so wie ich, dass der Fall trotz des Mordes sehr durchsichtig und einfach war. Später setzte sich Steel zu mir in das Wohnzimmer.

Er war etwa vierzig Jahre alt, klein, sehr freundlich und erinnerte rein äußerlich an einen Gelehrten. Man sah ihm nicht an, dass er in seinem Fach eine Kapazität war.

„Jetzt sind Sie an der Reihe“, sagte er zu mir. „Ich denke, Dolan, dass Sie mir jetzt Ihre Karten auf den Tisch legen können. Ich habe Ihnen absichtlich etwas Zeit gelassen, damit Sie sich mit Ihrem Klienten verständigen konnten.“

„Ich hab‘s gemerkt“, sagte ich. „Das war nett von Ihnen, Leutnant. Max Grabble ist tatsächlich mein Klient. Er hatte mich beauftragt, seine Frau zu beschatten.“

„Befürchtete er, dass sie Seitensprünge machte?“, fragte Steel.

„So genau hatte er sich nicht ausgedrückt“, erwiderte ich. „Er sprach nur von einem veränderten Verhalten seiner Frau. Wahrscheinlich genierte er sich, davon zu sprechen.“

„Joe Burton, in dessen Wohnung Nora Grabble lag, war wohl ihr Freund, nicht wahr?“

„Es sieht so aus“, erwiderte ich.

„Eine andere Möglichkeit kommt auch nicht in Frage“, meinte Steel.

„Ziemlich klarer Fall, Dolan. Wir brauchen nur diesen Joe Burton zu schnappen und ihn zu befragen. Die Art der Verwundungen deutet auf eine Affekthandlung hin. Burton wird jetzt solange durch die Stadt jagen, bis er uns in die Netze geht. In solchen Fällen ist ein Geständnis immer prompt zu erwarten.“

„Es sieht ganz danach aus, als ob es ein Schulfall wäre“, sagte ich.

„Es gibt allerdings auch eine zweite Möglichkeit“, sagte Steel.

Ich nickte. Ich hatte ihn sofort verstanden.

„Das Durchschneiden der Pulsadern sollte man nicht besonders tragisch nehmen“, meinte Steel weiter. „Grabble wusste ja, dass Sie ihn in jedem Falle wieder vorzeitig sehen würden. Sie kennen Grabble etwas besser als ich, Dolan. Haben Sie den Eindruck, dass er seine Frau umgebracht haben könnte?“

„Grabble macht auf mich einen müden und ausgebrannten Eindruck“, sagte ich. „Er sieht nicht wie ein Mörder aus. Aber das will ja nicht viel besagen, Officer. In unserem Beruf erlebt man die tollsten Überraschungen.“

„Grabble wird wohl morgen vernehmungsfähig sein“, meinte Steel. „Wir werden ja dann weitersehen. Oder können Sie mir schon nähere Auskünfte geben, Dolan? Ich meine, hinsichtlich eines Alibis. So wie ich Sie kenne, haben Sie bestimmt daran gedacht.“

Ich nickte und musste lächeln. Steel machte nicht viel Worte und trat auch nicht überspitzt und kommandierend auf, wie so viele andere Beamte. Er erledigte alles mit Ruhe und so aus dem Handgelenk heraus. Das war selbstverständlich die einzig richtige Methode, um schnell ans Ziel zu kommen. Wenigstens bei mir. Zudem wusste Steel ja auch genau, dass ich kein Interesse daran hatte, etwas zu verschleiern. War mein Klient ein Mörder, so war ich der erste, der ihn zur Polizei schleppte.

Ich setzte Leutnant Steel die näheren Umstände auseinander. Ich sagte ihm, dass ich mit Nora Grabble gegen 21 Uhr das Haus verlassen hätte. Steel erfuhr, dass Grabble kurz danach mit einem Kollegen nach Hause gekommen war. Er notierte sich, dass dieser Kollege um 22 Uhr das Haus wieder verlassen hatte.

„Die Sache mit dem Freund wird stimmen“, sagte er. „Grabble wird sich gehütet haben, Ihnen da ein Märchen zu erzählen. Den Namen des Freundes kennen Sie nicht?“

„Soweit bin ich noch nicht gekommen“, sagte ich.

„Nun, das ist ja auch unnötig“, sagte Steel. „Hoffentlich hat Grabble nur für die Zeit zwischen zweiundzwanzig Uhr und Ihrem Auftauchen hier ein Alibi. Es wäre fast lebenswichtig für ihn.“

„Hat der Polizeiarzt schon die Todesstunde festgestellt?“, fragte ich.

Steel nickte. Er blätterte in seinem Notizbuch herum und tippte mit dem Zeigefinger auf eine bestimmte Eintragung.

„Nora Grabble“, sagte er, „wurde aller Wahrscheinlichkeit nach in der Zeit zwischen zweiundzwanzig Uhr dreißig und zweiundzwanzig Uhr fünfundvierzig erstochen.“

„Das sieht nicht gut für ihn aus“, sagte ich und drückte meine Zigarette in dem überfüllten Aschenbecher aus.

„Den Eindruck habe ich auch“, erwiderte Steel. „Ihr Klient war allein hier in der Wohnung. Er selbst glaubt nicht an ein Alibi, denke ich. Zeitlich gesehen könnte er es ohne Weiteres geschafft haben, zur Wohnung von Joe Burton zu fahren und seine Frau zu ermorden.“

„Immer vorausgesetzt“, erwiderte ich, „dass er überhaupt etwas von Joe Burton wusste.“

„Natürlich“, erwiderte Steel. „Aber das werden wir schon hinbekommen, Dolan. Grabble ist

uns sicher. Jetzt fehlt uns nur noch Joe Burton. Wenn Sie mich fragen, so glaube ich mehr an die Möglichkeit, dass Nora Grabble von ihrem Freund erstochen worden ist. Ich habe mir Max Grabble eben beim Hinaustragen angesehen. Er sieht wirklich nicht wie ein Mörder aus.“

Wir unterhielten uns noch etwas über den Fall, aber wir brauchten uns nicht herumzustreiten. Die Sache war so eindeutig und sonnenklar, dass viele Worte unnötig waren. Es war tatsächlich eine jener üblichen Dreiecksgeschichten, die mit einem Mord endeten. Erfahrungsgemäß waren solche Fälle immer sehr schnell zu lösen. Wenn Eifersucht das Motiv des Mordes war, dann boten sich keine besonderen Schwierigkeiten. Diese Dinge ließen sich klar erkennen und verfolgen.

Weit nach Mitternacht verließen Steel und ich das Haus. Der Begleiter des Officers übernahm es, den Rest der Nacht in der Wohnung zu verbringen. Am anderen Tag sollte die Haussuchung von Spezialisten fortgesetzt werden. Man wollte verhindern, dass sich in der Zwischenzeit hier in der Wohnung Gäste einstellten und herumschnüffelten.

Ich verabschiedete mich von Steel und setzte mich in meinen Wagen. Meine Laune war alles andere als gut. Der Tod Noras hatte den Fall unnötig kompliziert. Jimmy und ich waren schon halb dabei gewesen, den Auftrag niederzulegen. Unter diesen Umständen aber war nicht mehr daran zu denken. Schon wegen Max Grabble nicht. Ich wusste, dass dieser verbrauchte Mann in der Klemme saß und Hilfe brauchte. Sobald er wieder auf den Beinen war, würden sie ihn durch die Mühle jagen und ihm zusetzen. Er allein war diesen Dingen nicht gewachsen. Er brauchte eine Hilfe.

Ich verschwieg mir nicht, dass Max Grabbles Lage alles andere als rosig war. Selbst unter der Voraussetzung, dass Steel in Joe Burton den Mörder Noras sah. Max Grabbles Alibi erstreckte sich über eine Zeit, die ihm nichts nutzte. Hoffentlich konnte ich am nächsten Tag einen Menschen auftreiben und ausfindig machen, der für die übrige Zeit zugunsten Max Grabbles zeugte.

Ich dachte an die frisch gestärkte, weiße Schürze im Nachbarhaus und daran, dass sie bei meinem Erscheinen in der Nacht schon wieder einmal hinter der Gardine gehangen hatte. Jetzt war ich froh, dass ich etwas von der Existenz Mrs. Lamberts wusste. Hoffentlich hatte sie ihre Neugier auch konsequent durchgeführt.

Selbst als ich zu Hause war, war an Schlaf noch nicht zu denken. Zuerst musste ich Jimmy ausführlich von dem Mord erzählen. Er hörte schweigend zu, aber am Funkeln seiner Augen merkte ich, dass er bereits schon wieder daran war, eine seiner berühmten Theorien aufzustellen.

„Los, rück schon ‘raus damit“, sagte ich, um das Verfahren abzukürzen. „Wer ist deiner Meinung nach der Mörder Noras?“

„Ganz klarer Fall“, sagte Jimmy. „Du sollst sehen, dass ich mal wieder recht behalte. Für mich kommt nur der Kollege Grabbles in Frage.“

„Wie kommst du denn darauf?“, fragte ich verblüfft.

„Instinkt“, sagte er kühl. „Als Kriminalist muss man so etwas haben oder man kann einpacken.“

Rosinen aus dem Kuchen: Kriminalroman

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