Читать книгу Pat Browning und die goldene Spinne: Kriminalroman - Theodor Horschelt - Страница 6

1. Kapitel: Der Unfall

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„Hier ist die Detektei Browning, Jimmy Flannegan am Apparat, Auskünfte und Ermittlungen!“

Jimmy saß hinter dem Schreibtisch und klemmte sich den Telefonhörer mit der Schulter gegen das Ohr. Er musste das tun, um seine Hände frei zu haben. Seine Hände musste er frei haben, um ein Schuhband zuzubinden. Das war nicht weiter schwierig, denn seine Füße lagen direkt vor ihm auf dem Tisch.

Dann glitt seine Hand langsam über die Tischplatte, ganz offenbar in der Absicht, unsere Ginpulle anzusteuern, die gerade noch in seiner Reichweite am Rand des Schreibtisches stand.

Ich überlegte einen Moment, ob ich aufspringen und die Flasche in Sicherheit bringen sollte, aber da sah ich schon, dass keine akute Gefahr mehr bestand. Die Hand meines Freundes hatte ihre Gleitfahrt zur Ginflasche plötzlich verlangsamt und war dann ganz zum Halten gekommen. Jimmys braune Kulleraugen wurden noch kugelförmiger, und sein Mund öffnete sich ein bisschen.

Ich sprang auf und schnappte mir den Mithörer. Erstens wäre mir ein neuer Auftrag ganz recht gewesen, und zweitens war ich neugierig geworden; denn normalerweise bringen es nur wohlgeformte Damenbeine fertig, Jimmys Augen noch runder zu machen, als sie sowieso schon sind.

„Ja, und da wollte ich Sie fragen, ob Sie mir nicht helfen wollen!“, sagte der Mann am anderen Ende der Leitung.

Jimmy stierte auf die Tischplatte, und ich sah, wie unsicher er war.

„Wo sind Sie jetzt?“, fragte er.

„In ‘ner Telefonzelle hier direkt am Golden …“

Es knackte. Aus.

Jimmy blickte von der Tischplatte langsam auf.

„Was ist los? Nun rede schon, Kleiner!“

„Ein Mann bittet um Hilfe. Sie sind hinter ihm her. Er will mit uns sprechen. Er will …“

„Nun quatsch nicht so lange!“, sagte ich an der Tür. „Wir sehen nach.“

Jimmy sprang auf, und wir rannten gemeinsam raus. Wir hopsten in den Fahrstuhl, sprangen draußen in unseren neuen Buick, und sausten los.

„Golden Gate ist ja nicht weit“, sagte ich.

„Kann es nicht ‘ne Falle sein?“ Jimmy stierte gedankenvoll nach vorn.

„Wer sollte was gegen uns haben? Im Moment habe ich eigentlich ein ganz ruhiges Gewissen. Oder hast du wieder irgendwo Schulden gemacht?“

„Nee, aber wer sagt dir eigentlich, dass es unbedingt am Golden Gate sein muss? Meinst du, es gibt nicht haufenweise Kneipen, die sich für Gold halten? Es nicht alles Gold, was glänzt.“

„Wir werden sehen. Was hat er denn nun genau gesagt?“

„Er wollte mit uns sprechen. Wir sollten uns mit ihm treffen, weil er nicht zu uns kommen könne. Und dann knackte es.“

„Das Knacken habe ich gehört. Hat er keine Andeutung gemacht?“

„Nee. Nicht mal über das Honorar.“

Die Reifen quietschten protestierend, als ich unseren Wagen um eine Ecke quetschte. Dann trat ich wieder auf die Tube. Vor uns tauchten schon die großen Bogen der Brücke auf, die wie Girlanden von den mächtigen Masten herunterhingen.

Als wir in die Golden Gate Street einbogen, sah ich schon von weitem, dass da vorne irgendwas los war. Etwa hundert Menschen standen in einer dichten schwarzen Traube am Rand der Straße, ein paar Autos dazwischen. Das typische Bild kurz nach einem Verkehrsunfall, wie man es in jeder Großstadt immer wieder sieht.

„Da hast du es!“, knurrte ich.

„Wer sagt dir, dass das unser Mann ist?“

Ich fuhr den Wagen an die Bordsteinkante und stieg aus.

„Fahr du weiter!“, sagte ich zu Jimmy. „Fahr langsam über die Brücke und sieh dich um. Ich sehe mir mal den Unfall an.“

Jimmy war schon hinter das Lenkrad gerutscht. Er nickte und fuhr los.

Ich wandte mich um und schlenderte gemütlich auf die Menschenansammlung zu.

„Moment bitte!“, sagte ich ernst, und die Leute traten beiseite. Sicher hielten sie mich für was Wichtiges. Dann sah ich auch gleich alles.

Der Mann war tot. Leute, denen man den Kopf breitgefahren hat, sind immer tot. Der Mann trug einen einfachen braunen Straßenanzug und neue hellbraune Schuhe. Seine Haarfarbe war genau so wenig zu erkennen wie irgend etwas von seinem Gesicht. Es musste ein schwerer Wagen gewesen sein.

„Weitergehen, bitte!“, sagten zwei Polizisten, und zwei andere luden das, was von dem Überfahrenen übriggeblieben war, auf eine Trage. Gerade als ich gekommen war, war ein dritter Polizeiwagen vorgefahren. Ich sah mich suchend um, aber ich kannte keinen von ihnen. Mit der Verkehrspolizei und dem Unfallkommando haben wir normalerweise ja auch nichts zu tun.

Der Obermime, ein kleiner, stämmiger Polizeileutnant, kommandierte heftig herum, und an seiner unsympathischen Knollennase und den beschränkt blickenden Augen sah ich schon von Weitem: das war ‘ne Sorte, mit der ich einfach nicht klarkam. Aber ich versuchte es doch.

„Verzeihung, Leutnant! Mein Name ist Browning, ‘n guter Bekannter von Norton. Vielleicht kann ich Ihnen helfen. Haben Sie schon die Personalien?“ Ich deutete mit dem Kopf zum Wagen hin, der gerade mit dem Toten abfuhr.

Der mit der Knollennase entsprach ganz und gar meinen Erwartungen. Erst sah er mich misstrauisch von unten bis oben an. Dann öffnete er seinen Mund, und ich stellte gleich fest, dass er nicht gut roch.

„Wenn Sie uns helfen wollen, können Sie das tun. Aber nur wenn Sie uns verraten, ob Sie den Unfall mit angesehen haben.“

„Das habe ich nicht.“

„Danke!“, sagte er und drehte sich um.

Ich beugte mich von hinten über ihn und sagte ihm mitten in das Knollengesicht: „Keine Ursache!“

Er zuckte zusammen und ging dann zu seinem Beamten, die allmählich die Menschenansammlung zerstreut hatten. In dem Moment, wo der Tote weggebracht worden war, war damit für die meisten auch der Hauptanziehungspunkt weg. Nur zwei kleine Grüppchen standen noch herum und debattierten.

Ich kümmerte mich nicht mehr um die Knollennase, sondern wandte mich einem der Debattierclubs zu.

„Hat jemand von Ihnen die Sache gesehen?“, fragte ich neugierig. Die Leute wandten sich kurz zu mir um und plauderten dann weiter. Offenbar sahen sie sofort, dass ich keine Amtsperson war. Anscheinend waren sie in ihrer Plauderei an einem so spannenden Punkt angekommen, wo sie jede Störung als lästig empfanden.

„Ich, Onkel“, sagte etwas mit einer hellen Stimme. Die Stimme war irgendwo von unten gekommen. „Ich habe es gesehen!“

Ich brauche nicht lange zu suchen. Es war ein Knirps von vielleicht fünf Jahren. Mit stolz geschwellter Brust sah er zu mir auf.

Da kam auch Knollennase schon heran. Er war doch intelligenter, als ich angenommen hatte. Er kam schon jetzt auf den Gedanken, sich um Augenzeugen zu kümmern.

„Komm, Kleiner!“, sagte ich zu dem Knirps. „Wir essen jeder eine Eiscreme!“

„Das ist ‘ne Wucht!“, sagte der Knirps und ging neben mir her mit einem wichtig wiegenden Schritt, wie ich ihn schon mal in einem Wildwestfilm gesehen habe, als zwölf Uhr mittags der Held einsam durch die Straßen ging.

Gerade als Jimmy mit unserem Schlitten zurückkam, ging ich mit dem Knirps in eine Milchbar, die wir an der nächsten Ecke gefunden hatten.

Ich hob den Kleinen auf einen Barhocker und setzte mich daneben.

„Drei Eiscreme!“, sagte ich zu dem Girl. Sie klimperte so heftig mit den Augendeckeln, dass ich mich an blinkende Signallichter der Marine erinnert fühlte.

Dann kam Jimmy herein. Er übersah die Lage sofort, setzte sich und zog sich eine der drei Portionen heran, die das Blinklicht-Girl gerade auf die Theke gestellt hatte.

„Danke!“, sagte er. „War ‘ne gute Idee!“

Der Knirps sah ihn erstaunt an.

„Darf der Bursche das?“, fragte er mich drohend.

„Okay!“, sagte ich. „Er gehört dazu!“

„Okay!“, sagte der Junge befriedigt und transportierte einen Riesenhaufen Eiscreme in seinen Mund.

„Nun erzähl mal zwischendurch!“, sagte ich.

„Nichts!“, sagte Jimmy.

„Ich meine ihn. Ein Mann wurde überfahren. Genau der Kopf. Sofort tot. Unser junger Freund hier hat es gesehen.“

„Fahrerflucht?“, fragte Jimmy.

„Klar!“, bestätigte der Knirps. „War ‘n rotes Lastauto. So ‘n Riesenkasten. Die Nummer habe ich nicht. Aber es war einer hier aus der Stadt. Und ‘n Affe war drauf.“

Er fuhr wieder eine Portion Eiscreme ein. Jimmy sah ihn erstaunt an.

„Ein Affe? Pat, hast du schon mal ‘n Affen gesehen, der ‘n rotes Lastauto steuert? Ich habe mal einen gesehen, der konnte radfahren. Aber ein rotes Lastauto?“

„Woll‘n mich wohl durch‘n Kakao ziehen, Mister?“, fragte unser kleiner Freund. „Der Affe hat das Auto doch nicht gesteuert, Mann! Der Affe war hintendrauf!“

„Was war‘s denn für ein Auto?“, fragte ich gleichmütig und fing auch an, mich mit meiner Eiscreme zu befassen, weil ich schon zwei gierige Blicke aufgeschnappt hatte. Einen von dem Kleinen und einen von Jimmy.

„Zu war das Auto. So‘n Kastenaufbau, wenn Sie sich was drunter vorstellen können.“

„Klar. Und oben auf dem Kasten saß ‘n Affe?“

Der Knirps sah Jimmy geringschätzig an. Dann wandte er sich an mich und sagte: „Hör mal, Mister, dein Kumpel hat ‘ne Macke. Hast du schon mal ‘n Affen auf ‘nem geschlossenen Lastwagen oben drauf gesehen?

„Nein“, sagte ich. „Du denn?“

„Ich auch nicht. Ich habe nur ein rotes Lastauto gesehen, auf dem hinten ein Affe drauf war. Draufgemalt.“

„Ach so, gut. Der Affe war also nur draufgemalt.“

Das wundert mich nicht weiter. Seit ein gewisser Herr, der im Privatleben Schimpanse ist, sonst aber durch und durch ein Gentleman, seit also dieser gewisse Herr ein größerer Publikumsliebling auf den Fernsehschirmen ist als die tollsten Mädchen und die ordinärsten Politiker, seitdem war‘s nicht weiter verwunderlich, wenn die Werbechefs mit Vorliebe Affen benutzten, um den Menschen etwas plausibel zu machen.

„Hatte der Affe was in der Hand?“, fragte ich.

„‘ne Banane, glaub ich. Oder irgend ‘ne andere Frucht!“

„Okay, Kleiner. Ist dir sonst noch was aufgefallen?“

„Zum Beispiel, wo der Mann gerade herkam, als es passierte?“

Der Junge sah Jimmy überrascht an.

„Gut, dass Sie gerade drauf kommen, Mister! Der Mann kam tatsächlich woher. Er kam da aus dem Telefonkasten.“ Er deutete durch das Fenster. Draußen stand dicht an der Fahrbahnkante eine Telefonzelle.

„Kam er allein?“ Jimmy und ich wechselten einen Blick.

Der Junge schüttelte den Kopf.

„Ich weiß nicht genau. Da standen nämlich andere Männer, die wohl warteten und auch telefonieren wollten. Er ging ganz hastig. Dann wollte er wegrennen, aber das Auto fuhr so schnell, und dann … Mann, das war sauer!“ Er rümpfte die Nase und schob seinen Eiscremebecher beiseite. „Ist leer!“, sagte er.

„Ja, meiner auch. Aber vielleicht spendiere ich dir wieder mal einen. Wie heißt du?“

„Jack. Jackie sagen meine Freunde.“

„Okay, Jackie. Und wie weiter?“

„Grogan. Hier die Straße. Nummer hundertsiebzehn.“

„Gut. Vielleicht kommen wir noch mal vorbei.“

„Gemacht“, sagte der Knirps und rutschte von seinem Barhocker herunter. „Aber seid vorsichtig,

wenn ihr kommt. Meine Alte, was meine Pflegemutter ist, macht immer furchtbares Theater. Fremde Männer und so, ihr versteht schon. Sind böse, sind schwarze Männer. Sagt sie. Sie meint natürlich die Sittlichkeitsverbrecher.“

„Ja“, sagte ich erschüttert, „wir achten drauf.“

„Okay, Jungens, Wiedersehen. Ich habe zu tun. Wildwestspiel.“

Er tippte lässig gegen die Stirn, ungefähr so wie die Wildwestsheriffs gegen die Hutkrempe, wenn sie grüßend ‘ne Verbrecherkneipe betreten.

Wir sahen ihm ergriffen nach.

„Er ist fünf Jahre alt“, sagte Bobby nachdenklich.

„Ja, schätze ich auch“, sagte ich. „Komm.“

Wir setzten uns in den Buick. Ich überließ Jimmy den Platz hinter dem Lenkrad.

„Wohin? Willst du jetzt etwa anfangen, alle roten Autos nach Affen abzusuchen?“

„Wenn uns nichts anderes übrigbleibt? Warum denn nicht?“

„Weil‘s keiner bezahlt, Junge. Für wen verfährst du den Sprit? Für wen opferst du die Zeit?“

„Erstens“, sagte ich ernst und sah den Kleinen nicht sehr freundlich an, „hat uns der Mann um

Hilfe bitten wollen. Gut, er hat sich zu spät dazu entschlossen. Er ist umgelegt worden. Einer, der uns um Hilfe bittet, wird umgelegt. Findest du nicht, dass das genügt?“

„Nun brich dir bloß keine Verzierungen ab!“, knurrte Jimmy missmutig und startete den Motor.

„Und zweitens“, sagte ich, „können wir gar nicht mehr sparen, als wenn wir arbeiten. Wenn wir nichts zu tun haben, dann säufst, frisst und poussierst du so viel in der Gegend herum, dass das zehnmal teurer wird, als wenn wir umsonst ‘n bisschen Detektiv spielen.“

„Du spielst Detektiv, so wie der kleine Jackie Wildwest.“

„Stimmt. Nur ‘n kleiner Unterschied. Der Mann, der uns um Hilfe bitten wollte, ist ermordet worden. Und das war keine Spielerei. Das war ‘ne sauber organisierte Facharbeit.“

„Was denn?“ Jimmy warf mir einen Blick zu, während er den Wagen um eine Ecke lenkte. „Was denn, du meinst, es wäre ‘ne dicke Sache dahinter?“

„Fahr zu Norton!“, sagte ich.

Wir schwiegen beide, bis der Wagen mit einem eleganten Bogen in den Hof des Polizeigebäudes hineinkurvte.

Pat Browning und die goldene Spinne: Kriminalroman

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