Читать книгу Briefe aus Krähwinkel - Thilo Koch - Страница 7
Оглавлениеselber Schuld! Wer sich ins Münchner Nachtleben stürzt, kommt darin um. Ist ja rührend, daß Du endlich schreibst. Anstatt anzurufen: Vater, I have got some Problems. Krähwinkel liegt schließlich nicht aus aller Welt. Schwupps, wär’ ich bei Dir gewesen. Hab mir doch immer gedacht, daß Dir diese Schwabinger Pullover-Jünglinge eines Tages dutzendweise zum Halse raushängen. Aber gleich ein Mann in meinem Alter? Heiliger Freud! Ich meine, den Psy-cho-ana-ly-ti-ker . . .
Hätt’ ich Dir bloß nicht die Tote von Beverly Hills empfohlen. Wer denkt denn auch, daß diese Tochter gleich Kunst und Leben vermischt, verwechselt, vertauscht. Zugegeben, solch einer Lou, dem Fräulein Weiß (in Pfleghaars Film), würd ich auch kein Autogramm — oder so — verweigern (in meinem Krähwinkel oder in Beverly Hills). Aber wenn die eigene Tochter . . ., dann sieht alles plötzlich ganz anders aus. Ganz anders aus!
Ob ich Deinen »Geliebten« kenne? ’türlich kenn’ ich den Mann. Man kennt ihn. Das tiefzerfurchte Riemenschneider-Gesicht. Hat nichts mit Riemen schneiden zu tun; Tilman Riemenschneider war ein — ach, laß Dir das, potz Kuckuck, doch von Deinem Bildhauer-Professor erklären. Dafür ist er ja wohl zuständig. Dafür — ja! Das volle weiße Haar, seine »beseelten« Hände, wie Du Dich auszudrücken beliebst. Du und schwärmen! Kind, you have really got some Problems. Hast Du?
Im übrigen — keine Angst: Ohne daß Du mich nicht rufst, komme ich nicht. Schließlich kennt Dein »Vatilein« nicht nur diesen »Großen Künstler und Menschen« (uff), sondern auch — — — seine langjährige Gefährtin. Ja, staunste, was? Und die ist aus Buda-Budapescht (oder irgendwo dort) und hat nicht nur rote Haare und grüne Augen, sondern wirklich Paprika im Blut.
Woher ich das weiß? Tja, denkste, ich hätt’ nie ’n Münchner Fasching mitgemacht? Denkste! Sie muß verreist gewesen sein, als »er« diesen »Nacht-klubbummel« mit Dir gemacht hat. Gemach, Gemach, Jessicka, so heißt die Gute, wenn ich mich recht erinnere, kam noch immer bald zurück. Warte nur, balde. Und dann hat »er« Problems. Jawohl. Und Du, Du hältst Dich dann besser wieder an sein Werk statt an ihn, den großen Menschen und Mann, den ach so großen. Denn Kunst und Leben, Tochter, sind zweierlei. Aber ich gebe zu: eines von beiden ist langweiliger, besonders wenn man gerade die sweet seventeen hinter sich hat.
Ein Tag später.
Briefe wie diesen schickt man besser nicht »postwendend« ab. Das Fohlen hat jetzt einen elektrischen Zaun. Zweimal nur ist es drangestoßen und mit allen vier Giraffenbeinen gleichzeitig in die Luft gesprungen, dann wußte es Bescheid. Nun können wir die Weide leicht einteilen. Jeden Tag ein Stück; der Zaun läßt sich in fünf Minuten umstecken. »Haben Sie nicht einen ähnlichen Zaun für eine junge Kunst-Studentin in München?« fragte ich den Mann in Jedele’s landwirtschaftlicher Eisenwarenhandlung, Krähwinkel. Er hatte mitnichten, und so läuft ein gewisses Fräulein weiter ungehindert quer über die Wiese und verdirbt sich den Magen an alten, dürren Disteln. Peng.
Übrigens habe ich entdeckt, was das Schönste ist an einem Pferd. Rate mal. Es ist rund, groß, weich und warm. Der Bauch, wenn das Fell von der Sonne durchwärmt ist. Ich faß’ das zu gern an und streiche drüber. Und natürlich das rosa Maul, und wenn es prustet durch die Nüstern, Übrigens schnuppert es an einem rum wie ein Hund. Und dieses große dunkle, ruhige Auge in dem langen feinen geäderten Kopf. Wenn man es an der Ohrwurzel krault, hält es ganz still. Und für den schönsten Ton, den es macht, fehlt mir ein Wort. Es ist kein Wiehern. Ich meine ein dunkles brummendes Gluckern tief in seiner Kehle, wenn jemand kommt, wenn es Hafer haben will oder Wasser. Es spricht. Wie spricht das Pferd? So.
Wundere Dich über diesen komischen Vater. Jawohl, Krähwinkel verbauert mich. Herrlich. Ich werde zwar nie auf diesem, wenn es groß ist, oder einem anderen Pferd, sitzen. Ich mache auch kein Heu — erstens wegen des damit verbundenen Schnupfens, zweitens weil mich das an den sogenannten RAD (Reichsarbeitsdienst) unseligen Angedenkens erinnert. Also meine Ökonomistentauglichkeit ist recht bedingt. Aber für Harzduft, Hügelblau, Wolkenzug, Margeriten, Waldesrauschen, Bachgemurmel, Bussardflug fühle ich mich bereits zuständig. Ich sperre jedenfalls Mund und Nase auf, Aug’ und Ohr, um alles zu empfangen: Natur . . .
Zugegeben, die Gesellschaft, die menschliche-allzumenschliche, ist mir darüber etwas aus dem Sinn geraten. Nachbarschaftlicher Verkehr — mittels durchVerbrennungsmotor angetriebener Kraftfahrzeuge — hat sich angebahnt, wie Du weißt. Alles gibt partys — man nennt es bundesdeutsch auch in Krähwinkel und in Nachbarorten so; aber piano piano, ich möchte gar nicht in den ersten Wochen schon wissen, wer mit wem, warum und wann und wo — oder gar wie und wieso. (Ist das W nicht ein merkwürdiger, ein des Merkens würdiger Buchstabe? Visuell so verschlungen, verschränkt, wägend — werdend. Phonetisch so fragend anlaufend, aus Urgründen aufsteigend, wissend, sich wundernd — Interrogativpronomen mit W umreißen eigentlich jedmöglichen Tatbestand: wann, wo, wer — that’s what it is; witzigerweise geht’s auch englisch: when, where, who.)
Aber die O’s, die das ganz flache »abstrakte« Haus am Walde bauen, hatten neulich einen Aprikosen-Geist (Geischt, sagt man ja hier) — da blieb kein Auge trocken. Auch das der höchst liebenswürdigen Frau O. nicht. Ist sie nicht, let’s face it, eine beauty? Außerdem könnte sie in unseren guten alten USA getrost antreten zu einem dieser Wettbewerbe um die am besten angezogene Frau des Jahres. Aber sie sieht nicht nur gut aus, hat nicht nur Geschmack (und das Geld, ihn zu betätigen), es liegt jener Charme, für den wir nur ein Fremdwort haben, über ihrer ganzen Erscheinung, jener scheue Liebreiz, den die deutsche Frau der amerikanischen Frau voraus hat, voraus haben kann.
Nach einigen Stamperln Aprikosen-Geischt schwindet die Scheu und der Liebe Reiz entfaltet sich reicher. Die bundesdeutsche Oberschicht, so lehrten mich Krähwinkels upper ten, spricht Freund Alkohol gar kräftig zu, und in vorgerückter Stunde — keine US-Party würde je solange dauern — fällt g’schwind auch jede falsche Scham, und jede echte, leider, manchmal hinterdrein.
Sei’s drum. Aber daß sie dann in ihre vielhundertpferdigen Mercedesse und Porsches wanken, mit ihrer italienischen Akkord-Hupe das werktätig nachtschlafene Krähwinkel wecken und mit »hundert Sachen« um jede Kurve preschen — das, das Tochter, find’ ich, ja wie find’ ich das? Kriminell find ich das.
Ist er Old-fashioned