Читать книгу Briefe aus Krähwinkel - Thilo Koch - Страница 9

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Du siehst süß aus mit der schwarzen Samtschleife im Haar. Ich find’ das ja einen ganz reizenden Einfall der zeitgenössischen Mode. Dank für das Photo. Habe es an den kleinen Elfenbeinrahmen gelehnt, in dem oval das Kinderbild Deiner Mutter ist, Du weißt. Sie trägt da auch ein Schleifchen, was sage ich, einen kolossalen Propeller aus schwarzem Taft: süß.

Süß? Ein dummes Wort. Was sagen eigentlich Deine Kavaliere zu Dir, wenn sie Deinen Liebreiz »in Worte kleiden« möchten? Wie geht Eure Umgangssprache? Sagt ER zu IHR: Ich mag Dich? Ich finde Dich nett? Oder dufte? — Gesteht gar einer: Ich bin verknallt in Dich? Das große, schwere: Ich liebe Dich — das ist, vermute ich, für Euch Literatur oder Schnulze.

Wir redeten seinerzeit auch schon recht unterkühlt. Zum Teil wohl aus Opposition gegen den Bombast der öffentlichen Sprache 1933—1945. Hemingway, negativer Held einer lost generation, wurde ja verschlungen von den intellektuellen jungen Deutschen meiner Generation. Uns faszinierte dies Trocken-Knappe, das abgewürgte Pathos, der »tapfere Pessimismus«; auch die Todessehnsucht, die nicht agressiv herauskam wie bei den braunen Tramplern, sondern nach innen gekehrt, gegen das eigene Ich gerichtet war.

Deine Briefe, Tochter, werden deutscher. Weniger amerikanische Wendungen, mehr Dunkelheit und Umwege. Die innere Unsicherheit, die Du registrierst, sie tritt natürlich auch in Deinem Ausdruck zutage. Soll ich Dir was gestehen? Es gab in meinen vierundvierzig Jahren keinen einzigen bewußt erlebten Tag ohne innere Unsicherheit. Blick Dich um im schönen München: Wem gehören die höchsten und teuersten Häuser? Es steht dran: Lebensversicherung XY. Du kannst den Menschen geradezu definieren als das Wesen, das immer Sicherheit sucht und sich nie sicher fühlt.

Krähwinkel ist heute wie in Watte gepackt. Nebel wallen ums Haus. Mag sein, dies ist der Grund, daß mir mein Hindenken zu Dir diesmal etwas, na sagen wir, »dunkelgrau« gerät. Ihr blickt mich aber auch beide so ernst an unter Euren schwarzen Haarschleifen, Du und Deine Mutter. Ich werde, entschuldige einen Moment, mir ein anderes Gläschen einschenken. R. H. brachte neulich einen wunderbar »süßen« Portwein aus Portugal mit. Soweit ist es also schon mit mir gekommen Portwein.

So, ich hab auch gleich ein paar Buchenscheite hereingeholt und aufgelegt. Du siehst nicht von der Tür bis zum Holzstapel an der Garage. Kaminfeuer, Du weißt ja, mein liebstes Hobby.

Da fällt mir ein, das könnte auf Dich recht spießbürgerlich wirken: Portwein, Pantoffeln, Kamin. Täte mir leid, würde es aber nicht ändern. In meinem Alter darf man anfangen zu tun, was einem liegt, auch wenn es lächerlich oder subaltern oder sogar fatal ist. Gemütlichkeit, die deutsche — jawohl, ich mag sie, brauche sie, suche sie, mache sie mir. Als Festung gegen jene Unsicherheit? Festung klingt zu sicher. Sagen wir: als Zelt, als Unterschlupf, als Fluchtstation.

Übrigens R. H., der Dichter. Ich hatte ihn Jahr und Tag nicht gesehen. Er ist etwas älter als ich. Das hat früher mehr Abstand zwischen uns bedeutet als diesmal. Auch politisch fand ich ihn viel näher an mich herangerückt. Es gab einen interessanten Abend, denn wir hatten einen veritablen Ministerpräsidenten bei uns zu Gast, einen der Granden der zur Zeit stärksten deutschen Partei; sie heißt CDU, mußt Du wissen.

R. H. galt immer als rather conservative. So war ich nicht wenig erstaunt, als er dem großen Mann beharrlich, fest und treu widersprach. Du, es war eine richtig gute Debatte — am Kamin. Beide blieben sachlich und respektvoll und klug, und beide hatten sie zur Hälfte recht. Worum’s denn ging? Oh, wieder einmal um unsere Ostgrenze. R. H. war gerade in Rußland gewesen und meinte: wir Deutschen hätten den Polen gegenüber, die mehr als alle europäischen Völker unter uns gelitten haben, kein moralisches Recht, eine Revision der Grenze zu fordern.

Der Berufspolitiker begründete brillant, warum es eine politische Torheit wäre, freiwillig auf diese Trumpfkarte (die politisch-historisch ungerechte Grenze) zu verzichten — sowohl außenpolitisch, wie auch mit Rücksicht auf die Heimatvertriebenen (Wählerstimmen). Dein Vater konnte es nicht lassen und schwang sich zu einer gewagten Synthese auf: Nur durch ein größeres Europa, sagte er, ein Europa mit Einschluß Osteuropas, kann dieses Problem, ebenso wie das der Wiedervereinigung Deutschlands, gelöst werden. Nur in einer solchen Völker-Gemeinschaft, auf der Ebene dieser Vereinigten Staaten von Europa werden dann auch die Deutschen und die Polen nicht mehr um historisches Unrecht, nationales Prestige oder »Lebensraum« miteinander ringen müssen, ringen dürfen.

Genug, ich schreibe Dir das nicht so sehr der Politik wegen, sondern weil es mich freute, wie drei deutsche Männer mit recht gegensätzlichen Ansichten, von recht verschiedenem Herkommen, von ungleicher gesellschaftlicher Stellung, heute offenbar freundschaftlich-aufgeschlossen miteinander reden können. Die Verketzerung der Opposition ist anscheinend nicht mehr das A und O politischer Gespräche in Deutschland. Du hast da offenbar schlechte Erfahrungen in Bayern gemacht; aber Du legst auch noch sehr amerikanische Maßstäbe an — deren nützliche Toleranz und deren weniger nützliche Oberflächlichkeit. Ich natürlich bin von Kind auf an die deutsche Neigung zum radikalen Argument gewöhnt, zur Lust am Dramatisieren, zur Aufregung um der Aufregung willen.

Schwamm drüber. Will Dir lieber noch was Schönes erzählen. Reiste mit Deutscher Bundesbahn von Krähwinkel nach Nürnberg. In den Bummelzügen riecht’s noch ganz ähnlich wie zu meiner Fahrschülerzeit, nach Dampf und Ruß und ungewaschenen Menschen. Aber in den Fauteuils der Fernschnellzüge wirst Du durchs Land gewiegt, sage ich Dir, wie in der Tigerjagd-Sänfte des Maharadschas. Die I. Klasse ist schlecht besetzt. Man fliegt anscheinend lieber, chauffiert lieber die eigenen 100 PS. Dein Vater jedenfalls bundesbahnte, trug als guter Staatsbürger sein Scherflein vom Eisenbahndefizit ab. Romantische Bekanntschaften machte er keine, las vielmehr eine ganz dicke Nummer einer deutschen Wochenzeitung mit dem Titel DIE ZEIT, in der ihm nur ein einziger Brief-Artikel gefiel, studierte die Physiognomien deutscher Mitbürger auf zugigen Bahnsteigen und dämmerte ein halbes Stündchen vor sich hin, das war das Beste von allem.

Und das Schöne? Ein alter Freund, Kriegskamerad, einer der wenigen, an die man sich gern erinnert, zeigte mir den »Wiederaufbau« Nürnbergs. Bewundernswert, nun ja. Aber dann standen wir vor einer gar nicht sehr großen Barockkirche. Ein junger blonder Mann in blauer Jacke feilte am Messingbeschlag des neuen Kirchentürschlosses. Nach so viel Dürer, Hans Sachs, Veit Stoß kam er mir vor wie leibhaftig von der Minnesänger-Bühne gestiegen, ein Stück aus jenem tüchtigen teutschen Mittelalter, als Nürnberg weithin strahlte, ob seines Handwerks, seines Kunstverstandes.

Wir gingen hinein, und da hätte ich Dich gern bei mir gehabt. Ein lichter, weiter Raum von überirdischer Ausgewogenheit der Proportionen. Ganz einfach weiß, mit zarter Rosatönung Wände und Decke. Die wundervoll leicht geschwungenen Fenster hell und bleiverglast; nur hie und da ein Stückchen der alten bunten Glasmalerei eingesetzt, das man im Bombenschutt gefunden hatte. Denn, denke, diese Egidien-Kirche, das ist ihr Name, war eine Ruine, wie fast die gesamte Innenstadt nach den barbarisch-sinnlosen Luftangriffen der Engländer und Amerikaner.

Und nun diese Reinheit der Restauration. Niemals zuvor hatte ich besser verstanden, was Barockarchitektur sein kann, wenn die Grundlinien klar und unverschmückt hervortreten. Ein weiter glatter spiegelblanker Steinboden, nur eine Stufe alsSokkel für den Altar im Zentrum des Kirchenkreuzes. Auf diesem Sockel ein simpler Tisch, modern, dahinter einige große Leuchter. Ganz wenige kostbare Stücke in der freien Helligkeit dieses schwebenden Raumes. Das Schönste die Decke, ein kleines, endliches Himmelsgewölbe, ohne Tiepolo-Illusionen, ohne Farbe und Allegorie. Es war eine Alltagsmorgenstunde. Die Orgel, ebenfalls funkelnagelneu, wurde gerade gestimmt. Hier möchte ich mit Dir einmal eine Motette hören von Bach oder auch, wenn Du mich nicht zu scharf musterst, das Requiem von Mozart.

Stimmt es übrigens, daß man Eure Haarschleifen Mozartschleifen nennt? Wie hübsch — und gar nicht bloß »süß«, sondern »mozärtlich«, mit Verlaub. Antworte gefälligst bald und heiter, wenn es sein kann

Briefe aus Krähwinkel

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