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ОглавлениеVorwort von Wolfgang Schäuble
Von der Leistungsbereitschaft in Sport und Politik
Selbstständig aus dem Bett aufstehen, spazieren gehen, durch den Wald laufen: Es ist der Traum vieler Querschnittsgelähmter, den auch ich immer wieder einmal träume. Der Traum vom Leben als Fußgänger. Paralympics-Sieger Michael Teuber hat sich diesen Traum zurückerobert. Es gibt nur wenige, denen das gelingt. Michael Teuber gehört dazu – sicherlich, weil seine Diagnose eine solche Entwicklung ermöglicht, allerdings auch, weil er es sich mit großer Disziplin und Kraftanstrengung erkämpft hat.
Michael Teuber und ich lernten uns 2007 bei einem Empfang der Bundeskanzlerin anlässlich des 40. Geburtstags der Deutschen Sporthilfe in Berlin kennen. Geladen waren viele Sportler, versehrte und unversehrte, aktive und ehemalige, allesamt erfolgreiche Olympioniken, Weltmeister und Paralympics-Sieger wie Michael Teuber. Ich war damals der für Sport zuständige Bundesinnenminister. Das Treffen mit so vielen Hochleistungssportlern war für mich nicht nur von Amts wegen, sondern auch persönlich interessant. Es gibt einen Schnappschuss, der den Moment zeigt, als wir uns alle für das offizielle Gruppenbild in Position bringen. Michael Teuber sitzt neben mir, wir stecken noch kurz die Köpfe zusammen und führen unser Gespräch zu Ende, während der Fotograf wohl verzweifelt versucht haben wird, unsere volle Aufmerksamkeit zu gewinnen. Michael Teuber zeigte mir seine Fußschienen. Wir sprachen über die Kraft, die aus einer existenziellen Krise erwachsen kann, über den Antrieb, den das Leben eines versehrten Menschen, der trotzdem Bestleistung erbringen will, braucht. Im Jahr 2009 wurde Michael Teuber mit dem Preis des Bundesinnenministers für Toleranz und Fair Play im Sport ausgezeichnet. Gewürdigt wurde sein vielfältiges Engagement als Botschafter des Paralympischen Sports, die soziale Integration von Menschen mit Handicap voranzutreiben.
Mein damaliges Zusammentreffen mit Michael Teuber hat mich beeindruckt. In unserem Gespräch wurde klar, wie sehr sich Leistungsbereitschaft in Sport und Politik ähneln. Um im Spitzensport erfolgreich zu sein, braucht man Disziplin, Willensstärke und Ausdauer. Man muss immer ein Stück weit über seine Grenzen hinauswachsen – körperlich wie geistig. Das ist in der Politik ähnlich. Politik ist eben oft genug auch eine Art Kampfsport. Und beim Kampfsport schmerzt der Körper ab und an. Das ist normal und gehört dazu.
Michael Teuber hatte einen schweren Autounfall, den er nicht selbst verursacht hat. Er ist ab der Hüfte beeinträchtigt und ab den Knien gelähmt. Mithilfe von Carbon-Schienen, die er jeden Morgen anlegt, um seine gelähmten Unterschenkel zu stabilisieren, kann er wieder selbstständig gehen. So hat er es mir 2007 erzählt. Heute ist er einer der erfolgreichsten Behindertensportler unseres Landes.
Mein Hochleistungssport ist die Politik. Zum Zeitpunkt des Attentats auf mich war ich Innenminister. Es war 1990, nur wenige Tage nach der Wiedervereinigung. Am Ende des Jahres stand die Wahl zum Fraktionsvorsitzenden an. Drei Wochen nach dem Attentat begann ich mit der Vorbereitung für mein Buch zum deutsch-deutschen Einigungsvertrag. Damals hat es mir geholfen, mich schnell wieder in die Arbeit zu stürzen.
Natürlich ist ein Leben mit einer körperlichen Beeinträchtigung anstrengender, unbequemer und schmerzhafter als ohne. Aber ich bin heute ein nicht weniger fröhlicher Charakter und wegen dieser Lebenswendung nicht weniger glücklich als früher. Die körperliche Beeinträchtigung definiert nicht meine Leistungsbereitschaft, nicht mein Denken, nicht das, was mich im Kern ausmacht. Ich will nicht über meine Behinderung, über den Rollstuhl wahrgenommen werden, sondern über die Politik, die ich für richtig halte. Aus meiner persönlichen Situation abzuleiten, dass ich mich vor allem für die spezifischen Belange von Menschen mit Behinderungen einsetzen sollte, greift als Politikverständnis zu kurz. Ich mache heute nicht anders Politik als vor meiner Zeit im Rollstuhl.
„Die Kraft, die aus der Krise kommt“, das war die Formulierung, die Michael Teuber 2007 bei unserem Gespräch im Bundeskanzleramt gebrauchte. Das trifft es ziemlich genau. Meine Willenskraft und meine Leistungsstärke sind nach dem Attentat eher noch gewachsen. Die schnelle Rückkehr in das Leistungsschema Politik hat dazu einen wichtigen Beitrag geleistet. Bei Michael Teuber ist es das Leistungsschema Sport geworden, seine Erfolge im Radsport. Er kann 2016 bei den Paralympics in Rio wieder eine Goldmedaille gewinnen. Davon kann ich nicht einmal träumen. Umso mehr, lieber Michael Teuber, alles Gute für Rio.
Ihr
Wolfgang Schäuble
Dr. Wolfgang Schäuble ist seit 1972 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2009 Bundesfinanzminister. Am 12. Oktober 1990 wurde er bei einem Attentat während einer Wahlkampfveranstaltung im baden-württembergischen Oppenau von einem psychisch kranken Mann niedergeschossen. Seit dem Attentat ist er gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen.