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Die Familie von Greifenbach – und die Firmengeschichte von DBD

Véronique von Greifenbach interessierte ihre Ahnengalerie nicht. Sie konnte mit befreundeten oder verwandten Berner Patrizierfamilien – den von Tscharners, den von Graffenrieds, den von Stockars, den de Meurons, den von Erlachs, den von Diesbachs – nichts anfangen, schon gar nicht mit den Stammbäumen samt ihrer «Kreuzungen», die zum Teil Jahrhunderte zurückreichten.

Véroniques Vater, Rudolphe von Greifenbach, 1920 geboren, ehelichte die zehn Jahre jüngere Henriette Du Roy de Blicquy, eine belgische Adelige, deren Familienname in den Sechzigerjahren in der Sportwelt aufhorchen liess, weil eine Patricia Du Roy de Blicquy als belgische (!) Slalomfahrerin auf sich aufmerksam machte und sogar Weltcuprennen gewann. Rudolphe und Henriette wählten wegen schwerer Krankheiten 2004 gemeinsam den Freitod.

Véronique Juliette von Greifenbach (1957), wie sie mit vollständigem Namen hiess, hatte zwei jüngere Geschwister, Charles (1960) und Antoinette (1970).

Charles, in Weinfelden TG wohnhaft, hatte 1990 die Schwedin Karolina Gustafsson geheiratet, eine Schönheitschirurgin mit eigener Klinik in Islikon, in der Nähe von Frauenfeld. Charles seinerseits arbeitete in der sogenannten Teppichetage einer Privatbank im Herzen von Zürich. Wie seine beiden Schwestern Véronique und Antoinette war auch Charles Mitglied des Verwaltungsrats der DBD Suisse SA, der aus sechs Mitgliedern bestand und von Karl Wegmüller, einem Cousin ersten Grades der von Greifenbachs, präsidiert wurde, sodass im Zweifelsfall die Familie sich mit vier beziehungsweise mit einer Stimme einbringen konnte. Die beiden übrigen Verwaltungsräte waren Franz Grütter, FDP-Nationalrat aus Zürich und Cornelius Weber, Bankier aus Genf.

Antoinette war eine Nachzüglerin, von der man nicht wusste, ob sie nun ein Wunschkind oder eher ein «Betriebsunfall» war. Sicher war indes, dass sie in hervorragender Weise das Enfant terrible der Familie zu spielen wusste, wohnhaft abwechslungsweise in Gstaad, Monte Carlo und Beverly Hills. Ihren Luxus finanzierte sie sich dabei nicht aus der Familienschatulle, sondern – trotz ihrer 47 Jahre – als gefragtes It-Girl, das sich entsprechende Auftritte bei Galas, Premieren oder Firmenfesten fürstlich honorieren liess. Hinter der Hand wurde von gar sechsstelligen Summen gemunkelt. Entsprechend gestaltete sich auch ihr eher kompliziertes Liebesleben, das eng von den Hochglanzheftli und dem Boulevard begleitet wurde: Einmal war sie mit einem ehemaligen Formel-1-Fahrer liiert, kurz darauf mit einem wesentlich älteren Adeligen, um sich nur wenig später auf der Jacht eines russischen Oligarchen ablichten zu lassen. Es hiess, die vielen gespeicherten Telefonnummern von Paparazzi in ihrem Handy seien ihr eigentliches Kapital.

Vater Rudolphe von Greifenbach, ein Bewunderer von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler, eröffnete 1960 seinen ersten Supermarkt in Bern-Bethlehem, im Wissen, dass dieses Quartier später schweizweit bekannt werden würde, mit Hochhäusern im Tscharnergut, im Gäbelbach und im Holenacker. Es gab denn auch Sonntage in den Sechzigerjahren, da man aus der ganzen Schweiz mit der Familie in den Westen von Bern pilgerte, nur um einen persönlichen Augenschein von diesem damals fortschrittlichen Wohnungsbau zu erhaschen.

Lange hatte Rudolphe von Greifenbach am Namen für seinen ersten Laden herumstudiert und war schliesslich auf «Day by Day» gekommen, für den täglichen Einkauf – und das in englischer Sprache. Zwei Generationen später sprachen die Kunden nur noch von «DiBiDi», die Abkürzung DBD indes wurde zum Markenzeichen der Läden, auch das Firmenlogo, das seit 1960 unverändert blieb, sieht man von ein paar kosmetischen Anpassungen an den jeweiligen Zeitgeist ab. Unter den Grossbuchstaben DBD war zu lesen, wofür das Unternehmen stand: «Täglich frisch. Täglich Qualität. Täglich günstig. Täglich Neues.»

Etwas war Rudolphe von Greifenbach von Anfang an wichtig: Er legte Wert auf eine schlanke Struktur in der Verwaltung, von Hochschulabgängern hielt er nicht sehr viel. Er wollte Praktiker am Werk sehen, begeisterte Pragmatiker, «Leute, die den Detailhandel im Blut haben und ihre Entscheide auch aus dem Bauchgefühl heraus treffen, sofort, ohne Arbeitsgruppen. Eigenverantwortung ist das A und O für motivierte Menschen», schrieb er in seinen Memoiren mit dem Titel «Erinnerungen». Dieser Philosophie blieb man bis heute treu, niemand hätte nämlich im modernen, mehrstöckigen Bürohaus auf dem ehemaligen Selve-Areal in Thun einen national tätigen Detailhändler vermutet. Und auch heute noch galt für DBD «Der Mensch als Mittelpunkt», nicht «Der Mensch als Mittel. Punkt». Davon profitierten Kundschaft und Mitarbeitende gleichermassen, Letztere zum Beispiel mit einem erstklassig geführten Personalrestaurant und einem Fitnesszentrum im obersten Stockwerk, also über der Direktionsetage gelegen. Die Firmentreue war entsprechend hoch, die Fluktuationsrate beim Personal im Vergleich zu anderen Grossverteilern und Discountern entsprechend tiefer.

In der Zeit zwischen 1960 und 1995 expandierte DBD in der ganzen Schweiz, praktisch jeden Monat wurde mindestens eine neue Verkaufsstelle eröffnet.


Im Bild links: Das Hochhaus, in dem sich der Konzernsitz von DBD in Thun befindet.

Und trotz vieler Verlockungen zu Sortimentserweiterungen vorab in den Bereichen des sogenannten Nonfood blieb von Greifenbach mit seinem bewusst eingeschränkten Sortiment zum Erstaunen der Konkurrenz konsequent, auch wenn ihn viele Leute als stur bezeichneten. Programme für Effizienzsteigerung oder Kostenreduktion waren unbekannt. Diese Bestrebungen wurden täglich gelebt und vorgelebt. Das Unternehmen hatte zum Beispiel den guten Riecher für frisch gebackenes Brot auf der Verkaufsfläche – lange bevor die Konkurrenz auf den sprichwörtlichen Geschmack kam. Die Firma als Aktiengesellschaft gehörte zu 100 Prozent der Familie, die zwar ihren Mitarbeitenden im Branchenvergleich überdurchschnittliche Löhne bezahlte, aber dennoch anständig vom Gewinn leben konnte. «Ich bezahle meinen Mitarbeitenden lieber zehn Prozent mehr Lohn als andere Arbeitgeber, aber deren überdurchschnittliche Motivation lässt es zu, dass ich mit weniger Leuten auskomme, auf den Verkaufsflächen und in der Verwaltung», schrieb von Greifenbach.

Einer seiner wohl wichtigsten Erfolgsfaktoren: eine straffe Organisation im Bereich der Transporte, die vollständig ausgelagert wurden, von Anfang an, und von Greifenbach somit den grösstmöglichen Spielraum für jeweilige Anpassungen erlaubte: «Ich bin Lebensmittelhändler, kein Garagist», erklärte er in seinen Memoiren. Das grösste Warenlager befand sich Richtung Waffenplatz Thun. Und eigentlich handelte es sich – wie bei weiteren regionalen DBD-Verteilzentren in der Schweiz – nur um einen Warenumschlagplatz, denn die Lieferanten hatten ihre Produkte nach dem «Just in time»-Prinzip anzuliefern, so dass die Frische stets gewährleistet wurde. In der Nähe des Autobahnkreuzes Egerkingen befand sich das nationale DBD-Warenlager mit länger haltbaren Lebensmitteln wie Konserven oder Tiefkühlprodukten, die verschiedene Transportunternehmen mehrmals wöchentlich in die Verkaufsstellen der ganzen Schweiz feinverteilten. Wie gesagt: ein ausgeklügeltes System, von Beginn an.

1995 war für Rudolphe von Greifenbach, inzwischen 75, ein entscheidendes Jahr, ging es doch darum, die längst eingeleitete Nachfolge zu regeln. Antoinette kam aus naheliegenden Gründen nicht in Frage, Charles hatte bereits frühzeitig – fast zehn Jahre zuvor, bei einer ersten Kontaktnahme – Forfait erklärt, zu sehr war er in der Bankenwelt zu Hause. Blieb aus der unmittelbaren Familie also noch Véronique, die ältere der beiden Töchter, damals 38-jährig. Sie – die sie sich auch durch Auslandaufenthalte im Bereich der Betriebswirtschaft im Detailhandel weitergebildet hatte, unter anderem bei der Supermarktkette Publix in den USA – hatte allerdings ziemlich klare Vorstellungen, was DBD betraf, auch wenn diese ihren Vater alles andere als zu begeistern vermochten. Davon zeugte der (hier gekürzte) Dialog zwischen Vater und Tochter, in von Greifenbachs Erinnerungen zu lesen.

«Papa, ich weiss, was dir die Firma bedeutet, ich bin damit aufgewachsen und habe mich in den letzten Jahren als Mitglied der Geschäftsleitung intensiv damit beschäftigt. Aber ich sehe DBD in der Zukunft nicht als Einzelkämpferin gegen die grossen Player, auch wenn wir erfolgreich sind. Die Zeiten werden sich verändern, ‹Handel ist Wandel›, das sagst du selber. Ausländische Discounter werden sich in der Schweiz einnisten, heute noch selbständige Firmen ‹unfriendly› übernommen. Wir brauchen einen Partner. Einen starken Partner, auf den wir uns verlassen können und der uns Selbständigkeit garantiert. Alles andere interessiert mich nicht.»

«Jetzt machst du aber auf Wunschkonzert. Wer wird sich denn um Himmelswillen auf deine Vorgaben einlassen?»

«Wir sind wir. DBD ist DBD. Du hast ein erfolgreiches und einzigartiges Geschäftsmodell aufgebaut, das an Sturheit grenzt. Papa, für einen grossen Partner sind wir ein Juwel, vielleicht der noch fehlende Mosaikstein in seinem Firmenbild. Es gibt genügend Beispiele, dass grosse Unternehmen ihre erfolgreichen Töchter autonom weiterarbeiten lassen, sie am Markt jedoch zusätzlich durch Synergien stärken, ohne ständig auf sie einzuschwatzen. So etwas stelle ich mir vor. Etwas anderes kommt für mich nicht in Frage.»

«Was sagt die Geschäftsleitung zu deinen Plänen?»

«Papa! Jetzt enttäuscht du mich aber. Ich bin doch kein Plappermaul, nicht einmal Charles oder Antoinette wissen von dieser Idee, ich bitte dich…»

«Denkst du an ein Schweizer Unternehmen, willst du DBD gar verkaufen?»

«Der Reihe nach, Papa. Wir haben Erfolg, sind Trendsetterin in vielen Bereichen, dank unseren straffen Sortimenten und unserer Kostenstruktur. Nein, ein Schweizer Unternehmen kommt für mich nicht in Frage, ich mag mich nicht mit Migros & Co. herumschlagen. Aber du stellst Fragen, die ich noch nicht beantworten kann, bis jetzt war das ja kein Thema.»

Der Erfolg von DBD blieb auch im Ausland nicht unbeachtet, was regelmässig dazu führte, dass grössere Unternehmen ihre Fühler nach Thun ausstreckten, wo Rudolphe inzwischen – konsequent wie er schon immer war – die Führung seiner Tochter übergeben hatte.

2007, drei Jahre nach dem Ableben von Henriette und Rudolphe von Greifenbach, kam es nach einstimmiger Zustimmung des Verwaltungsrats zur 51-prozentigen Übernahme von DBD durch die amerikanische Consumer’s Best, die weltweit einen hervorragenden Namen im Detailhandel hatte, weil ihre Tochtergesellschaften in 46 Ländern alle autonom und unter ihrem ursprünglichen Namen am Markt agierten. Das galt auch für die Schweiz, wo DBD ihr erfolgreiches Geschäftsmodell ohne Wenn und Aber weiterführen konnte, als wäre, salopp ausgedrückt, nichts passiert. Einzig Roger P. Newman von Consumer’s Best stiess zusätzlich in den Verwaltungsrat, der somit neu sieben Personen umfasste. DBD Suisse SA wurde weiterhin von Karl Wegmüller präsidiert, Véronique von Greifenbach leitete das Unternehmen als CEO, alle sieben Mitglieder der Geschäftsleitung, vier Frauen, drei Männer, blieben im Amt.

Tod auf der Trauminsel

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