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Kapitel 2
ОглавлениеMontag, 16. März 2014, 08.30 Uhr
US Army Stützpunkt Grafenwöhr
Als Colonel Frank L. Hobbits, Kommandeur der US Army Garrison Bavaria Grafenwöhr, wie jeden Morgen auf die Sekunde pünktlich um 8.30 Uhr sein Büro im Gebäude A1 des Stützpunkts betrat, wurde er bereits erwartet. Hobbits gab seinem Besucher die Hand und bot ihm einen Kaffee an, doch Oberst John Hammond winkte dankend ab. Er steuerte einen der beiden Sessel an, die vor dem ausladenden Schreibtisch des Colonels standen, und wartete stehend, bis sein Vorgesetzter Platz genommen und ihm bedeutet hatte, dasselbe zu tun. „Was gibt’s, John“, fragte Hobbits, „wir waren doch erst für heute Nachmittag verabredet.“
„Es gab heute früh einen Zwischenfall in Höhenberg“, kam Hammond ohne Umschweife zur Sache. Hobbits breitete fragend die Arme aus: „Höhenberg? Ist etwa einer der Wachleute eingeschlafen“, scherzte er. Was sonst sollte dort droben im Wald schon großartig geschehen sein. Das ehemalige Sanatorium gehörte zu den angenehmen Teilen seines Aufgabengebiets. Wenig Schreibarbeit, nie Probleme, dafür allerdings auch hohe laufende Kosten für Technik und Personal. Der Kommandeur gab etwas Milch und Zucker in seinen Kaffee. Als sein Oberst nicht weitersprach, blickte er auf und sah in ein ernstes Gesicht. „John? Was ist passiert?“
Oberst Hammond holte ein kleines blaues Notizbuch aus seiner linken Brusttasche hervor, schlug eine Seite etwa in der Mitte auf, überflog kurz die dort niedergeschriebenen Worte und Zahlen. „Heute um 05.45 Uhr erschien Sergeant Thomas Stephens vor dem Wachgebäude Höhenberg, um seine Tagschicht, beginnend um 0600, anzutreten“, berichtete Hammond mit fester Stimme. „Als der diensthabende Sergeant Brian Mills auch nach wiederholtem Läuten nicht öffnete, verständigte Stephens gemäß Vorschrift die Military Police in Grafenwöhr. Eine Doppelstreife der MP war zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg nach Höhenberg, weil die Totmann-Sicherheitsschaltung seit 05.13 Uhr nicht mehr betätigt worden war, Alarm ausgelöst hatte und auch ein direkter Anruf im Wachgebäude unbeantwortet geblieben war. Die MP traf um 06.02 Uhr in Höhenberg ein. Das Gebäude und seine Tür waren augenscheinlich unversehrt. Die MP verschaffte sich mittels Eingabe des doppelten Notfallcodes ins Tastenfeld außen am Eingang Zugang, begleitet von Sergeant Stephens. Im Wachgebäude wurde niemand angetroffen.“
Colonel Frank L. Hobbits bekam ein flaues Gefühl im Magen. Konnte es sein, dass der diensthabende Sergeant der Nachtschicht seinen Posten selbständig verlassen hatte? Allerdings war Brian Mills als äußerst zuverlässig, dienstbeflissen und psychisch stabil bekannt - Hobbits selbst hatte ihn vor sieben Jahren ausgesucht, als ein anderer Sergeant der Wachmannschaft aus privaten Gründen zurück in die Vereinigten Staaten ging. Der Colonel forderte Hammond mit einer Geste auf, fortzufahren.
Der Oberst blickte erneut kurz in seine Notizen, dann berichtete er weiter: „Eine sofortige Überprüfung der Sicherheitstechnik ergab, dass um 05.17 Uhr die Notausgangstür geöffnet und kurz darauf wieder geschlossen worden war. Die Eingangstür war seit dem Schichtwechsel gestern um 17.55 Uhr, als Mills zum Dienst kam, und kurz darauf um 18.00 Uhr, als die Tagschicht nach Hause ging, nicht mehr geöffnet worden. Es scheint, als habe der diensthabende Sergeant das Wachgebäude tatsächlich durch den Notausgang verlassen.“
„Könnte es ein Versehen gewesen sein“, fragte Hobbits. „Könnte es sein, dass er sich ausgesperrt hat und jetzt“ – der Gedanke erfüllte den Colonel sogleich mit Grausen – „da draußen auf dem Gelände im Wald herumirrt?“ Schließlich war am Stützpunkt allgemein bekannt, dass die Wachsoldaten gelegentlich zum Rauchen vor die Tür gingen, auch wenn dies eigentlich verboten war. Doch Oberst Hammond schüttelte den Kopf: „Um genau das zu verhindern, haben wir vor Jahren schon außen am Notausgang ein Tastenfeld installiert und mit einem elektrischen Türöffner gekoppelt. Der Code ist allen eingesetzten Soldaten bekannt. Versehentlich“, konstatierte Hammond, „ist unser Mann nicht raus.“
„Und wenn Mills aus lauter Langeweile eine kleine Erkundungstour unternehmen wollte“, schlug Hobbits vor. „Eine halbe Stunde vor Dienstende“, zog Hammond die Augenbrauen hoch, „ziemlich ausgeschlossen. Abgesehen davon wissen alle eingesetzten Männer vom Betretungsverbot des Geländes.“ Ja, wegen der angeblichen Ansteckungsgefahr, ging es Colonel Frank L. Hobbits durch den Kopf.
Im Wachgebäude selbst, erzählte Hammond weiter, sei nichts Außergewöhnliches festgestellt worden. Sergeant Mills habe sich augenscheinlich bereits auf den Feierabend vorbereitet, seine Tasche gepackt und auch ein bisschen geputzt. Sämtliche Gerätschaften seien in einwandfreiem Zustand gewesen, der Computer per Sperrcode gegen unbefugte Benutzung gesichert und der Waffenschrank mit den beiden Heckler-und-Koch-Dienstpistolen abgeschlossen. Mills und Stephens seien darüber hinaus persönlich befreundet, so dass Mills gewusst habe, dass seine Ablösung bereits gegen 5.45 Uhr am Objekt eintreffen würde. Warum also sollte er das Wachgebäude verlassen, noch dazu so kurz vor seinem Feierabend?
Vor dem Bunker, ergänzte der Oberst noch, habe man den VW Golf des verschwundenen Sergeanten gefunden und inzwischen zum Stützpunkt Grafenwöhr transportiert. Eine erste Untersuchung des Fahrzeugs habe aber auch keine neuen Erkenntnisse gebracht.
Hobbits nippte an seinem inzwischen kalt gewordenen Kaffee. Dann stand er auf und trat ans Fenster. Draußen war eine Kompanie zum Morgenappell angetreten. Nach ein paar Sekunden des Nachdenkens drehte sich Hobbits um: „Prüfen Sie die Alarmstapel im Rechner der Wache“, forderte er Oberst Hammond auf, doch der hob beide Hände: „Schon geschehen, Sir“, antwortete er, „es gab während der gesamten Schicht keine Auffälligkeiten. Lediglich zwei Fehlalarme wegen Tieren. Einmal um 21.56 Uhr und einmal“ – Hammond blätterte erneut in seinem Notizbuch – „um 5.12 Uhr. Sergeant Mills hat beide Alarme mit dem Code 51 in den Computer eingetragen.“ Code 51 stand für Auslösung durch Vögel, wusste Hobbits. Die Wachsoldaten wussten, dass sie eine Alarmursache erst nach absoluter Sicherheit eintragen durften, also war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es wirklich nur ein Vogel gewesen war. Aber so kurz vor Mills‘ Verschwinden…? Irgendetwas stimmte hier nicht.
„Bitte prüfen Sie nochmal die Auslösung um 5.12 Uhr“, sagte der Colonel, „das liegt mir zeitlich zu nah am Verschwinden des Wachpostens. Vielleicht gibt’s einen Zusammenhang.“ Oberst Hammond nickte, erhob sich und zog ein Mobiltelefon aus der Tasche. „Wenn Sie erlauben…?“, ging sein Blick zum Kommandeur, und Hobbits nickte.
Hammond wählte die Nummer des Bunkers in Höhenberg und hatte zwei Sekunden später Sergeant Thomas Stephens in der Leitung. Er gab die Anweisung, den Alarm um 5.12 Uhr umgehend mittels Sichtung der Videoaufzeichnungen detailliert nachzuvollziehen und sich dann erneut über die MP-Einsatzzentrale mit ihm verbinden zu lassen. Stephens bestätigte und beendete das Gespräch. Wahrscheinlich stirbt der arme Teufel gerade vor Angst um seinen besten Freund, dachte Hammond, als er das Mobiltelefon wieder in seine Tasche gleiten ließ. „Stephens prüft und meldet sich“, sagte der Oberst überflüssigerweise, denn Colonel Hobbits war während des Gesprächs ja praktisch neben ihm gestanden. Jetzt blickte er wieder nachdenklich aus dem Fenster.
„Sollen wir einen Suchtrupp…“, begann Hammond, doch Hobbits drehte sich blitzartig zu ihm herum und funkelte ihn böse an: „Wir können da nicht reingehen, das wissen Sie doch, John“, fuhr er den Oberst an. Die beiden Männer blickten sich eine Weile schweigend an. Dann ging Hobbits zu seinem Schreibtisch zurück. Er kramte abwesend in ein paar Papieren herum und trank erneut einen Schluck von seinem kalten Kaffee, ohne dabei eine Miene zu verziehen.
Dann läutete das Mobiltelefon in Hammonds Hosentasche. Der Oberst nahm das Gespräch entgegen und lauschte eine Weile. Hobbits blickte ihn dabei erwartungsvoll an und registrierte, dass Hammonds Gesicht während des Telefonats stark an Farbe verlor. Er beendete die Verbindung ohne Verabschiedung, lies sich in den Sessel zurück gleiten und zeigte für fast eine halbe Minute keinerlei Regung.
Hobbits musste ihn schließlich aus seinen Gedanken reißen: „John, sprechen Sie!“
Oberst John Hammond blickte langsam zu seinem Vorgesetzten auf. „Sir… Wir sollten nach Höhenberg fahren. Jetzt gleich.“