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Kapitel 3

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Montag, 16. März 2014, 10.25 Uhr

Wachgebäude ehemaliges Sanatorium Höhenberg

Als der Militärjeep die schmale Sandstraße durch den Wald zum ehemaligen Sanatorium entlangfuhr, dachte Colonel Frank L. Hobbits wieder mal, was für ein Paradies das hier eigentlich war. Er liebte die Fauna und Flora in Deutschland, vor allem hier in Bayern, wo er seit nunmehr zwölf Jahren stationiert war. Jede freie Minute nutzte er gemeinsam mit seiner Frau Harriet und ihrer Tochter Julie für Ausflüge in die Natur. Nein, er hatte seine Zusage, nach Deutschland zu gehen, nie bereut.

Der Jeep hielt an einer Schranke an, und der Fahrer, ein junger Corporal namens Peter Shawn, stieg aus, um sie zu öffnen. Auf den ersten Blick war es eine normale handbedienbare Schranke wie tausend andere auch, doch der Soldat ging an ihr vorbei und steuerte ein paar Meter weiter einen Baum an, hinter dem ein kleiner grauer Kasten verborgen war. Corporal Shawn tippte einen achtstelligen Code in ein Tastenfeld, und die vorgebliche Handschranke öffnete sich wie von Geisterhand. Im selben Moment erhielt der diensthabende Sergeant droben im Bunker eine automatisierte Nachricht auf seinen Computer, dass offizieller Besuch zu ihm unterwegs ist. Nachdem das Fahrzeug die Schranke passiert hatte, senkte sich der Schlagbaum wieder.

Nach etwa 300 Metern machte die Straße eine scharfe Rechtskurve und führte nun an einer gut vier Meter hohen roten Backsteinmauer entlang. In regelmäßigen Abständen von 30 Metern waren Schilder angebracht: Verbotenes Gelände! Militärischer Sicherheitsbereich. Betreten verboten. Vorsicht Schusswaffengebrauch!

Die Mauer an sich war trotz ihrer Höhe relativ unscheinbar. Nur wer ganz genau hinsah, der bemerkte die dünnen Drähte, die oberhalb in etwa zwei Zentimetern Abstand vom Mauerwerk verliefen und ein eventuelles Überklettern sofort an die Wache im Bunker melden würden. Vollkommen unsichtbar waren dagegen die vier direkt in die Mauer eingelassenen Drähte, die unmittelbar über dem Boden und dann im Abstand von einem, zwei und drei Metern horizontal rund ums das gesamte Areal verliefen. Ein Beschädigen der Mauer, etwa ein Durchbruch, würde ebenfalls sofort an die Sicherheitszentrale gemeldet. Im Boden waren zudem in Zehn-Meter-Abständen Erschütterungsmelder eingelassen. Unbemerkt unter der Mauer durchgraben konnte man sich also auch nicht.

Der Jeep hielt auf einer kleinen Freifläche von etwa 20 mal 30 Metern direkt vor dem Wachgebäude. Hobbits kletterte aus dem Fahrzeug und war wieder mal überwältigt davon, wie hässlich dieser Klotz aus Stahlbeton inmitten der paradiesischen Landschaft wirkte. Nun ja, die Zweckmäßigkeit hatte beim Bau eindeutig Vorrang genossen.

Aus dem Fond des Militärautos stiegen Oberst John Hammond und First Sergeant Robert Powers, der Leiter der IT-Abteilung des Stützpunkts Grafenwöhr. Powers hatte die komplette Sicherheitstechnik des Bunkers während der letzten Erneuerung vor einigen Jahren selbst entworfen und den Einbau akribisch überwacht. Während Corporal Shawn beim Fahrzeug blieb, schritten die drei Rangoberen zum Eingang des Wachgebäudes, und Hammond drückte auf den Klingelknopf. Anschließend drehten alle drei ihre Gesichter in die Kamera über der Tür. Hammond hob vier Finger der rechten Hand und zwei Finger der linken Hand in die Höhe – das visuelle Zeichen für den Sergeanten in der Wache dafür, dass alles in Ordnung war. In der Tür fuhren zwei Stahlriegel beiseite, dann klickte es, und Hammond drückte die Tür auf.

Sergeant Thomas Stephens hatte wahrlich schon bessere Tage erlebt. Der 50jährige aus dem US-Bundesstaat Alabama fühlte sich hundeelend vor Sorge um seinen Freund. Und was er da vorher auf Weisung Hammonds auf dem Bildschirm gesehen hatte, trug auch nicht gerade zu einer Verbesserung seines Zustands bei. Er salutierte kurz vor den Rangoberen, hielt sich aber nicht mit langen Vorreden auf. Allen im Raum war klar, wie ernst die Lage war.

First Sergeant Robert Powers, ein kerniger Mittfünfziger mit mächtigem Schnauzbart, nahm am Arbeitstisch Platz und loggte sich mit dem Master-Kennwort der IT-Abteilung ins System ein. Er wechselte auf eine DOS-ähnliche Benutzerebene, hackte diverse Kommandos in den Computer und brummte dabei unverständliches Zeugs vor sich hin. Die anderen beobachteten Powers dabei, wie seine Finger geradezu über die Tastatur flogen. „Also“, sagte der IT-Spezialist schließlich, „ausgelöst hat den Alarm um 5.12 Uhr Kamera 31a – die steht nur gut 100 Meter von hier.“ Powers deutete mit dem Finger durch ein imaginäres Fenster nach draußen. „Schon eine Minute später hat der Bediener Brian Mills den Alarm als bearbeitet gekennzeichnet, und zwar mit einem Code 51 aus Auslöser.“

„Alles wie bereits bekannt“, kommentierte Colonel Hobbits. Robert Powers jedoch drehte sich auf dem Stuhl herum und sah seinen Vorgesetzten unverwandt an: „Das Interessante kommt aber jetzt erst“, kündigte er an, um nach einer kleinen Kunstpause fortzufahren: „Mills hat sich die Kameraaufzeichnung erst um 5.15 Uhr angesehen. Also nachdem er als Ursache für den Alarm einen Vogel ausgemacht und bestätigt hatte. Kann der Mann in die Zukunft sehen?“

„Zeigen Sie uns die Aufzeichnung“, forderte Hobbits, ohne auf Powers‘ ironische Bemerkung einzugehen. Der First Sergeant wandte sich wieder dem Rechner zu, wechselte auf eine andere Benutzeroberfläche und wählte Kamera 31a an. Er gab den Zeitpunkt der Alarmauslösung in ein Feld ein und zog 30 Sekunden vom Wert ab. Dann klickte er mit der Maus auf „Wiedergabe starten“. Gebannt schauten die Männer auf den Bildschirm, einschließlich Stephens, obwohl dieser die Aufzeichnung ja schon kannte.

Auf dem Monitor war der helle Sandstreifen zu sehen, flankiert links von der Backsteinmauer, die in Wirklichkeit ja ein technisches Meisterwerk in Sachen Intrusionsschutz war, und rechte von dem unscheinbaren Maschendrahtzaun. Um 5.11 und 58 Sekunden tauchte im Bild ein Schatten auf. Ein mächtiger Schatten im Vergleich zu dem kleinen Format eines Vogels, den die Beobachter eigentlich erwartet hatten. Um 5.11 Uhr und 59 Sekunden gewann der Schatten an Kontur, und man konnte so etwas wie eine menschliche Gestalt erkennen. Aber das konnte eigentlich nicht sein. Um 5.12 Uhr und null Sekunden wurde der Alarm ausgelöst. Im selben Moment war der Schatten wieder aus dem Bild verschwunden.

„Ein Tier?“, fragte Hammond in die Runde, doch Hobbits schüttelte entschieden den Kopf. Große Tiere wie Rehe oder Wildschweine gab es auf dem gesamten Areal nicht. Oder besser nicht mehr, denn die US Army hatte den kompletten Bestand schon vor Jahrzehnten bewusst vernichtet. Allenfalls ein Hase konnte sich gelegentlich mal an den Erschütterungsmeldern im Boden vorbei aufs umzäunte Gelände graben. Aber der Schatten auf der Aufzeichnung war definitiv zu groß für einen Hasen. Und nach einem Reh sah er auch nicht aus. „Was zum Teufel ist das“, fragte Oberst Hammond. First Sergeant Powers nutzte alle Mittel der Technik, um das Objekt schärfer zu bekommen, aber es war sinnlos. Zu kurz nur war der Schatten zu sehen gewesen, und zu schnell war seine Bewegung. „Ich weiß nur eins sicher“, mischte sich Sergeant Thomas Stephens ein, „ein Code 51 ist das nicht.“

„Warum zum Henker hat Ihr Kollege dann einen Vogel erkannt“, fragte Hobbits ungehalten, doch Hammond winkte ab: „Wir sind alles nur Menschen. Die Macht der Gewohnheit. Was anderes als Vögel haben die Jungs hier ja nie.“ Als ihm Colonel Hobbits einen scharfen Blick zu warf, fügte er schnell hinzu: „Unverzeihlich natürlich. Das hätte trotzdem nicht passieren dürfen.“

„Schicken Sie mir die Videoaufzeichnung auf meinen Bürorechner“, befahl Hobbits dem First Sergeant am Computer, „verschlüsselt natürlich. Und“ – er blickte einen nach dem anderen an – „zu niemandem hierüber ein Wort.“ Dann drehte er sich um und verließ das Wachgebäude. Hammond folgte ihm, während Powers den Rechner bearbeitete und Stephens etwas verloren in der Ecke stand.

Draußen fischte der Kommandeur ein Päckchen Zigaretten aus seiner Brusttasche und bot Oberst Hammond auch einen Glimmstängel an, der diesen dankend annahm. Schweigend standen die beiden Soldaten eine Weile nebeneinander und blickten in den Wald hinein. Vogelgezwitscher war zu hören, und ein paar Grillen zirpten. „Wenn das hier jetzt das war, was ich glaube, dann haben wir ein ernstes Problem“, meinte Hobbits leise. „Wir sollten erstmal abwarten“, entgegnete Hammond, etwas gefasster. „Ich meine, wir sprechen hier von etwas, das eigentlich gar nicht passieren kann, vergessen Sie das nicht, Sir.“ Hobbits machte eine ausladende Geste in Richtung Mauer und Wachgebäude und fragte: „Und warum, wenn das doch alles sowieso nicht sein kann, haben wir dann das hier?“ Hammond schwieg.

Als seine Zigarette aufgeraucht war, zertrat Colonel Frank L. Hobbits die Kippe auf der Sandstraße. Dann wandte er sich Oberst Hammond zu: „John, verdoppeln Sie die Wachmannschaft. Ab sofort. Die Jungs sollen zu zweit Dienst schieben und die Bildschirme nicht eine Sekunde aus den Augen lassen. Wie Sie das mit den Überstunden machen, ist mir scheißegal. Versprechen Sie denen weiß Gott was dafür, ich stehe dafür ein. Aber lassen Sie ab sofort niemals einen Mann da drinnen allein sein.“

Nach einer Weile fügte er hinzu: „Gott steh uns bei.“

Verbotenes Gelände

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