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DAS PAKET

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»Bitte verraten Sie mir doch, welche Überraschung Sie für die Hochzeit planen.« Veronika versuchte es mit dem Kleinmädchen-Tonfall, den sie schon sehr lange nicht mehr eingesetzt hatte.

Lady Ross legte das Besteck auf den Teller und lächelte amüsiert. »Oh nein, meine Liebe. Sie müssen sich da schon gedulden. Ich bin auch nicht völlig überzeugt, dass ich alles bekommen werde. Meine Suche hat erst gestern angefangen, wie Sie wissen. Ich will keine Erwartungen wecken, denen ich nicht entsprechen kann.«

An diesem Abend hatte Lady Ross einen Seidenturban um ihre kupferrot gefärbte Mähne geschlungen und trug eine halbmondförmige Brille. Veronika erinnerte die Nachbarin an einen theatralischen Stummfilmstar.

»Zeit für mein Zigarettchen.« Die Lady machte sich auf den Weg zur Terrasse. Wie immer brachte ihr Veronika den Nerzmantel nach. Für sich selbst hatte sie eine Daunenjacke bereitliegen, da sie ihrem einzigen Gast Gesellschaft leisten wollte.

Als die beiden ins Freie traten, tanzten kleine Schneeflocken vom Himmel herab.

»Der Schnee muss Sie doch freuen«, meinte Lady Ross. »Bestimmt bringt er Ihnen die ersten Wintergäste.«

Veronika sah das anders. »Meine Eltern haben das Personal erst für den 1. Dezember eingestellt und mir untersagt, etwas anderes zu tun. Auch wenn ich offiziell das Hotel leite.« Sie seufzte. »Ich kann keine Buchungen vor dem 1. Dezember annehmen.«

Sie hörte das Kratzen einer Schneeschaufel und warf einen Blick über die Brüstung der Terrasse. Ihr Vater, nur in Hose und Pullover, räumte energisch die dünne Schneeschicht auf dem Gehweg zur Seite.

»Papa? Du wirst dich verkühlen«, warnte Veronika.

»Ein ordentliches Hotel hält seine Wege sauber«, belehrte sie Herr Wunderer.

Lady Ross trat neben Veronika. »Ich danke Ihnen für Ihre Umsicht«, sagte sie überschwänglich.

Veronika blickte sie verwundert an.

Die Lady fuhr fort: »Dieser Weg führt doch zum Teich im Wald. Er ist einer meiner liebsten Spazierwege. Mein Arzt hat mir, wie Sie wissen, Höhenluft und täglich Nordic Walking verschrieben. Es wäre das einzige Mittel, um mein Herz und meine Lunge gesund zu halten. Sonst bin ich in wenigen Jahren …« Sie fuhr sich mit einem Finger über die Kehle.

»Zum Waldsee würde ich jetzt nicht mehr gehen.« Veronikas Vater stützte sich auf die Schaufel. »Erst letzten Winter ist jemand auf dem Weg gestürzt und hat sich den Knöchel gebrochen. Doppelt gebrochen.«

Daran erinnerte sich Veronika mit Schrecken. Der Gast war eine Nacht lang im Schnee gelegen und halb erfroren. Er hatte aber auch niemandem gesagt, dass er noch einen Spaziergang zum See unternehmen wollte.

»Wie auch immer, es wird Zeit für mich, aufzubrechen. Meinen Sherry nehme ich daheim.« Lady Ross dämpfte die Zigarette im Aschenbecher aus, der immer für sie auf einem Tisch auf der Terrasse bereitstand. Sie schritt die kleine Treppe hinunter, die zum Gehweg führte.

»Bis morgen«, rief ihr Veronika nach.

»We’ll meet again«, trällerte Lady Ross ein altes Lied, das bei den Soldaten im Zweiten Weltkrieg sehr beliebt gewesen war.

Als sie außer Hörweite war, knurrte Veronikas Vater »Vogelscheuche« und setzte das Schaufeln fort.

Veronika räumte das schmutzige Geschirr in die Küche. Bevor sie sich in ihre Wohnung unter dem Dach zurückzog, ging sie noch schnell ins Büro. Sie wollte sich die Bestellung der Zutaten für das Hochzeitsessen ausdrucken und kontrollieren, ob sie auch nichts vergessen hatte.

Als Veronika die Klappe in der Theke der Rezeption öffnete, sah sie dort ein Päckchen stehen. Es war so groß wie ein Schuhkarton, in weißes Packpapier gewickelt und mit grober Schnur zusammengebunden. Veronika nahm es und drehte es. Es stand weder ein Name, noch eine Adresse darauf. Absender auch keiner.

Das Päckchen war leicht und als Veronika es prüfend schüttelte, klapperte etwas darin.

Der Postbote hatte den Code für das elektronisch gesteuerte Eingangstor des Hotels und legte Briefe und Päckchen immer auf die Theke. Er konnte die Schachtel aber nicht gebracht haben, da es keine Postsendung war.

Das Paket muss den Eltern gehören, dachte Veronika. Im Büro druckte sie die Bestellliste aus. Als sie vom Schreibtisch einen Kugelschreiber nahm, fiel ihr Blick auf die Wetterstation. Auf den Gipfeln war die Temperatur auf minus sieben Grad Celsius gefallen. Die Vorhersage hatte sich in den vergangenen Stunden verändert und es wurde starker Schneefall erwartet. Wie es aussah, konnte das Präparieren der Pisten bald beginnen.

Während der Drucker ratterte, rief Veronika über die Hausanlage in der Wohnung der Eltern an.

»Für euch liegt ein Päckchen an der Rezeption.«

Ihre Mutter wusste nichts von einem Päckchen. Sie fragte Veronikas Vater, der im Hintergrund heftig hustete. Auch er erwartete nichts.

Hatte vielleicht Lady Ross dieses Paket mitgebracht und vergessen? Sie war vor dem Essen in der Halle gesessen und hatte telefoniert, erinnerte sich Veronika.

Sie rief in der Villa der Lady an. Ignaz hob ab.

»Residenz Lady Ross, guten Abend.«

»Veronika hier. Kannst du die Lady fragen, ob sie heute vielleicht ein Päckchen in der Rezeption bei uns vergessen hat?«

»Sie hat das Haus ohne Päckchen verlassen«, sagte Ignaz.

»Vielleicht hat sie es im Ort abgeholt und mitgenommen.«

»Sie war nicht im Ort.«

Veronika verlor die Geduld. »Ignaz, frag sie einfach. Tu mir den Gefallen.«

Ignaz legte den Hörer des Festnetzapparates weg. Es dauerte, bis er zurückkam.

»Nein, Lady Ross weiß nichts von einem Päckchen.«

»Alles klar. Gute Nacht.« Veronika legte auf. Ihr Blick fiel auf das Handy, das auf dem Schreibtisch lag.

Weiterhin keine WhatsApp-Nachricht von Mario. Mit ihrer Beherrschung war es vorbei und sie beschloss, ihm eine Nachricht über die Datingplattform zu schreiben. Die Begeisterung über das Gespräch war der Wut über seine Unverlässlichkeit gewichen. Normalerweise ging sie nie über den Bürocomputer auf die Datingseiten, aber an diesem Abend machte sie eine Ausnahme. Veronika loggte sich ein und öffnete die Nachrichtenbox ihres Profils, wo der Gesprächsverlauf mit Mario gespeichert war. Sie wollte ihm etwas Lässiges schreiben. »Vielleicht habe ich dir meine Handynummer nicht richtig angesagt und deine Nachricht ist an jemand anderen gegangen. Hier noch einmal zur Sicherheit …« So klang sie weder vorwurfsvoll noch beschuldigend, sondern einfach praktisch.

Verwundert sah Veronika auf den Bildschirm. Sie ließ die Seite erneut laden, aber es änderte sich nichts.

Marios Nachrichten waren verschwunden. Alle.

Seinen Profilnamen kannte sie auswendig: Mario9990. Er hatte ihr erklärt, dass es sein Geburtstag wäre: Der 9. September 1990. Veronika tippte ihn in das Feld der Suchfunktion und drückte die Eingabetaste.

Unbekannt. Noch einmal schrieb sie Buchstabe für Buchstabe und Zahl für Zahl. Neuerlicher Versuch und …

Unbekannt. Veronika wurde unruhig. Als nächstes klickte sie das Hilfsmenü an und ging zu »Fragen und Antworten«.

• Q: Nachrichten eines Users sind nicht mehr in der Inbox, wieso?

• A: Löscht ein User sein Profil, so werden damit auch alle Nachrichten gelöscht, die er verschickt hat.

Sie hörte ihren Atem schneller gehen. Wieso hatte er das getan? Mario besaß ihre Handynummer und konnte sich zusammenreimen, wo sie zu finden war. Veronika hatte schon einige Male von »Ghosting« gehört, wenn Leute zuerst besonders verbindlich waren und danach verschwanden wie ein Geist.

Sie war ein Opfer von Ghosting geworden. Damit hätte sie nie gerechnet.

Aber wieso hatte Mario das getan? War sie wieder einmal einem Knallkopf auf den Leim gegangen, wie schon einige Male davor? Mario hatte anders geklungen und sie hatte den Eindruck gehabt, es wären auch bei ihm echte Gefühle im Spiel gewesen.

Mit einer Mischung aus Wut und Beunruhigung schloss sie die Datingseite.

»Dreckskerl«, schimpfte sie leise vor sich hin. »So ein Aas.« Sie stand auf und trat gegen das Bein des Schreibtisches, um sich abzureagieren. Dem Tischbein war es egal, dafür taten ihr die Zehen weh.

Weil sie noch etwas tun musste, um Druck abzulassen, nahm sie eine Schere und schnitt die Verschnürung des Pakets auf. Sie fetzte das Packpapier herunter und hielt sodann eine braune Pappschachtel in Händen. Veronika hob den Deckel. Die Schachtel war mit Seidenpapier ausgelegt, das locker zusammengedrückt worden war. Darin war etwas eingeschlagen. Veronika zupfte das Papier auseinander.

Ihr Herz machte einen Sprung, als sie den Inhalt der Schachtel sah.

Der Tote in der Hochzeitstorte

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