Читать книгу Bahnfahring - Thomas C. Breuer - Страница 8
ОглавлениеWalzehuusebähnli
Es ist ungemütlich, Februar halt. Parallel zum Gleis die vierspurige Autobahn, die den Geräuschpegel dominiert. Dahinter eine Lärmschutzwand, Böschung, der kleine Rhein, Österreich am anderen Ufer. Das Bähnli sieht aus, als wäre es einst aus einem Kinderkarussell desertiert und seither nicht so recht glücklich geworden. Es bietet nur eine Klasse, und die hat Klasse, und zwar aus Holz. Der Wagenführer muss etwa dreißig Meter von einer Bedienerplattform zur anderen bewältigen. Wer auf die Railbar hofft, hofft vergeblich, obwohl die etwa 24 Sitze schnell bedient wären. Die eher kurze Fahrzeit von sechs Minuten bergauf (und neun zurück), also eher wie beim Kinderkarussell, sollte man lässig ohne Proviant überstehen. Vor allem sollte man nicht müssen müssen, es wäre schade um die Aussicht. Obwohl die Bahn die ersten Meter, nachdem sich der Wagen eingeklinkt hat ins Zahnradsystem, gleich hinter der Racing-Garage, als U-Bahn unterwegs ist.
Gemsengleich gewinnt der Wagen an Höhe, schon sind wir raus aus dem Tunnel, nun rasch den Kopf gedreht, voilà, der östliche Teil des Bodensees, Bregenz, Lindau, Friedrichshafen, alles ganz nah und doch beruhigend weit weg. Höher und höher geht es, an sich wäre es an der Zeit für Sauerstoffmasken. Das ist das klassisch urschweizerische Erlebnis: Natürlich könnte man es sich drunten im Rheintal gemütlich machen, den Bürgern von Rheineck, Altstätten oder Buchs gelingt das schließlich auch. Doch dann stehen sie vor einem Massiv und denken bei sich hin: Da sollten wir dringend eine Bergbahn hochklöppeln, um mal zu sehen, was die Appenzeller von Ausserrhoden so treiben, besser, man hat ein Auge auf diese Menschen. Umgekehrt denken die Ausserrhoder: Besser, wir hängen da mal so ein Adlernest ins Gestein, dann können wir die da unten besser beäugen, von oben herab, man weiß ja nie. Also haben sie ein Zweitausendseelendorf an den Steilhang geklatscht, wie Reisterrassen, nur halt mit Häusern. Sie nennen es „Balkon über dem Bodensee“, und der schwebt 300 Meter über dem Rheintal und sie sind stolz, leben sie doch in einem der wenigen Dörfer mit eigener Bahnlinie. 1,96 Kilometer sind das, damit erreicht man zwei Drittel des Zugnetzes von Laos. Vom Frühstücksraum des Hotels sieht es aus, als würde die Bahnlinie drunten im Tal in der wirklichen Welt von Autobahn und Rhein ins Unendliche verlängert.
Die Rückfahrt. Das Bähnli steht einsam und verlassen im Bahnhof Walzenhausen Grand Central Metroplex. Wie von Zauberhand – zehn Minuten vor der Abfahrt – springt das Licht an. Der Wagenführer erscheint: „Sie hätten ruhig schon einsteigen können! Hinten ist der Gepäckraum!“, sagt er freundlich und schnappt sich meinen Koffer. Keine Ahnung, ob das zum täglichen Service gehört oder ob ich heute morgen so alt aussehe, wie ich mich fühle (und tatsächlich auch bin). Als Nächstes kontrolliert er die Billette, bevor er sich an seinen tatsächlichen Arbeitsplatz begibt. Das ist so, als würde die Flugbegleiterin auf dem Pilotensitz Platz nehmen bzw. der Pilot den Tomatensaft bringen. Ich erfreue mich noch an dem Schild „Das Betreten des Geleises ist verboten!“ und schon setzen wir uns in Bewegung. Das Arbeitsaufkommen erscheint übersichtlich, vorsichtshalber haben sie aber vorne unter dem Fenster einen Fahrplan angebracht.
Mit knapp fünfzehn Stundenkilometern lassen wir uns herab, der Tacho würde allerdings bis 45 km/h reichen. Die Armaturen sehen so aus, als wären sie von den Herren Brown und Boveri noch persönlich eingebaut worden. Ein weiteres schönes Schild: „Türnot-Entriegelung“, die beiden Wörter stehen untereinander, so sieht es verheißungsvoller aus: Hier kann man ggf. seine Türnot entriegeln lassen. Im Tunnel, der Wagenführer meint wohl, da merkt es keiner, gibt er Gas, legt einen Stundenkilometer drauf, wir rasen, aber das ist noch gar nichts, kaum haben wir uns unten bei der Garage ausgeklinkt, tickt die Tachonadel unerbittlich weiter, 18, 20, 22, 25 Kilometer, jetzt 27 – aber die Schallgrenze von dreißig erreicht sie nicht. Halt: Die branchenübliche Formulierung lautet wohl: „Die Tachonadel zittert!, ja, sie zittert, und noch während man diesen Gedanken nachhängt, hat sie sich auch schon wieder eingekriegt, denn jetzt steuern wir entschlossen den Bahnhof von Rheineck an, mittlerweile, wunderbare Metamorphose, als S26 der St. Galler S-Bahn.